Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DIE LINKE hat sich von allen nicht demokratischen sozialistischen Modellen distanziert, –

(Zuruf von der CDU: Wann denn?)

von einem Sozialismus, der die Menschen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen ihrer Freiheit beraubt hat. Die Mauer hat die Menschen in der DDR ihrer Menschenrechte beraubt. Es wurden Familien zerstört. Es wurden Freundschaften zerstört. Die Mauer brachte Gefängnis, Verletzung oder sogar den Tod. Für den Mauerbau und das Unrecht in der DDR –

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

gibt es keine Rechtfertigung, keine moralische, keine politische, keine historische.

(Beifall bei den LINKEN)

DIE LINKE bedauert das von der SED zu verantwortende Unrecht zutiefst. Gerade diese Erfahrungen sollten uns doch lehren, wie wichtig es ist, Demokratie und Menschenrechte hochzuhalten, sie zur Richtschnur der gesell

schaftlichen und politischen Entwicklung zu machen. Vor allem in Bezug auf die Freizügigkeit sollten wir unsere Haltung konkret machen.

Heute, 50 Jahre nach dem Mauerbau, gibt es immer noch Grenzen, gibt es immer noch Mauern.

(Andreas Storr, NPD: Die sind aber sehr löchrig! Da sieht man mehr Löcher als Mauer!)

Oftmals sind sie nicht mehr aus Stein und Beton. Vor Kurzem hat in der Dresdner Innenstadt die Initiative Bürgercourage eine symbolische Mauer aus Pappe aufgestellt. Dabei sollte an die 15 000 Flüchtlinge erinnert werden, die seit 1993 an den europäischen Grenzen ums Leben kamen, davon 120 Menschen, die an der OderNeiße-Grenze ertranken, also quasi direkt vor unserer Haustür. Mit Mauern und Grenzen lassen sich keine Probleme lösen, weder politische noch wirtschaftliche, noch soziale.

Auch in der faktischen Abschaffung des Asylrechts zeigt sich das ambivalente Verhältnis zur Freiheit, zur Demokratie und zu den Menschenrechten. Werfen wir einen Blick in den Maghreb. Aus unserer sicheren europäischen Entfernung ist es natürlich einfach, die Freiheitsbewegung dort moralisch zu unterstützen. Aber wenn es um konkrete Hilfe geht, wenn es darum geht, Flüchtlinge aus Nordafrika aufzunehmen, dann wollen wir das wohl eher nicht. Sie könnten unseren Wohlstand gefährden. Ich frage mich schon, ob die Stärkung von Frontex mit dem Ziel der Abschottung der EU-Außengrenzen die richtige, die humanistische Antwort auf Menschen sein kann, die aus humanitären Gründen Asyl suchen.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Ich finde die Bilder aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland und Lampedusa unerträglich, die Bilder oder die Meldungen über die verschwundenen Boote auf dem Mittelmeer.

(Zurufe von der CDU und der NPD – Unruhe)

1 300 Menschen sind allein in diesem Jahr bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrunken.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Aber die Freiheit dieser Menschen, ihre Suche und ihr Streben nach einem sicheren, einem besseren Leben ist ebenso ein Menschenrecht und unteilbar. Damals wie heute –

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

muss die Lehre aus gescheiterten Mauern doch sein: Freizügigkeit.

(Andreas Storr, NPD: Genau! Die ganze Welt!)

Diese Freizügigkeit ist ständig und aktuell wieder mehr bedroht, zum Beispiel auch durch Rufe aus der CDU, Rufe nach der Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu

unseren Nachbarländern zum Beispiel. Die Freizügigkeit ist ein kostbares, ein zartes Pflänzchen.

(Andreas Storr, NPD: Das ist Unkraut!)

Sie muss politisch und gesellschaftlich gehegt und gepflegt werden. Dazu kann hoffentlich die heutige Debatte einen wertvollen Beitrag leisten. Unsere gemeinsame Aufgabe muss es sein, bestehende Mauern abzubauen, und zwar die gegen die Menschen und die in unseren Köpfen.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Frau Kollegin Klinger. Für die SPDFraktion spricht jetzt Kollege Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, dass ich bis vor wenigen Minuten nicht wusste, was man aus einer solchen Debatte machen kann.

(Zuruf der Abg. Uta Windisch, CDU)

Entweder führen wir hier eine Debatte, die der Würde dieses Themas, wenn es um Freiheit geht, gerecht wird – nur, dann muss auch der Kontext stimmen, dann muss auch das politische Umfeld stimmen und die Wahrhaftigkeit der Debatte.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Will man eine Debatte führen, um mit anderen abzurechnen? – Ich weiß nicht, ob das noch passiert; es klang ja schon an. Insgesamt gibt es schon eine gewisse Komik der Debatte. Wir wollen 50 Jahre Mauerbau gedenken, und das just an dem Tag, an dem der Mauerbauer Geburtstag hat. Heute ist der Geburtstag von Walter Ulbricht. Also das ist schon eine gewisse pietätlose Ebene für mich.

(Uta Windisch, CDU: Das haben Sie wohl noch im Kalender stehen? – Unruhe)

Am 13. August wurde die Mauer unter dem Beifall der CDU und der LDPD gebaut.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Zuruf von der NPD)

Eines ist klar geworden: Man wollte Freiheit einmauern, und das geht nicht. Wer Freiheit einmauert –

(Volker Bandmann, CDU: Die SPD hat ja die SED mit gegründet! – Starke Unruhe – Vereinzelt Beifall – Thomas Jurk, SPD, steht am Mikrofon.)

Herr Bandmann! – Ich würde die Zwischenfrage zulassen.

Da muss ich gar nicht fragen. Bitte, Herr Kollege Jurk.

Sehr verehrter Kollege Dulig! Würden Sie bestätigen, dass in der Stadt Görlitz nach

historischen Aufzeichnungen am 17. Juni 1953 die SPD als ein Ergebnis der Arbeiterproteste wieder ausgerufen wurde?

Ich kann das nicht bestätigen, aber da ich meinem Kollegen Thomas Jurk glaube, weiß ich, dass das so sein muss.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein Zeichen dafür, dass es immer aufrechte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gegeben hat, weil die Freiheitsgeschichte eine Freiheitsgeschichte auch der Sozialdemokratie ist.

(Zuruf von der CDU)

Es ist wohl auch historisch belegt, dass wir über eine Zwangsvereinigung gesprochen haben, auch wenn es genügend Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gegeben hat, die aus ihrer eigenen ehrlichen Überzeugung heraus den Weg in die SED gefunden haben, aber die historische Bewertung ist eindeutig. Dass vonseiten der CDU jetzt mit den Fingern auf andere gezeigt wird, finde ich dann schon etwas peinlich.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Die CDU meinte noch, der 13. August habe auch in Deutschland klargemacht, dass Militaristen und Revanchisten keine Chancen haben, ihre kriegerischen Absichten zu verwirklichen, weil es eine Kraft in Deutschland gibt, die stark genug ist, den Militaristen Einhalt zu gebieten. Das war die Meinung der CDU zum Mauerbau.

(Zurufe von der CDU, des Abg. Dr. Volker Külow, DIE LINKE, und des Abg. Andreas Storr, NPD)

Das fand ich jetzt voll daneben, Herr Bandmann, wenn Sie wirklich auch auf dieser Ebene argumentieren wollen. Dann sage ich Ihnen auch: Am Mauerfall hat die CDU null Komma null Prozent Anteil.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Volker Bandmann, CDU, steht am Mikrofon.)