Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

Verbünden Sie sich von mir aus mit anderen Bundesländern. Beschreiten Sie von mir aus den Klageweg, um deutlich zu machen: Das lassen wir nicht zu, wie der Bund mit den Kommunen umspringt!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Zum Zweiten: Wir werden alles unternehmen müssen, um den Zuschuss für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu erhöhen; alles werden wir unternehmen müssen. Denn das ist genau der Weg, der ansteigende Altersarmut zum Ausdruck bringt. Wenn, was wir verhindern sollten, die Altersarmut ansteigt, sollten wir das nicht allein auf die Schultern der Kommunen abwälzen, sondern dann müssen alle dafür eintreten.

Eine abschließende Bemerkung: Herr Rohwer, das Einzige, was ich aus Ihrem Beitrag herausgehört habe, war die Kritik an uns, wir seien die beharrenden Kräfte. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Ja, Herr Rohwer, wenn Sie es auch nicht glauben, wenn es Sie auch verwirrt, es ist doch so: Wir sind gern beharrende Kräfte, wenn es um soziale Gerechtigkeit und darum geht, dass die Kommunen nicht länger von Bund und Land im Regen stehen gelassen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere Wortmeldung der FDP. Kollege Zastrow, bitte.

Wenn wir heute hier schon so eine knisternde Stimmung haben, wie ich das vorhin beim Beitrag von Herrn Rohwer gemerkt habe, möchte ich noch ein bisschen mitmachen.

So richtig glauben kann ich das nicht, was ich hier von der Opposition höre. Sie bemängeln, dass die Haushalte nicht in den Griff zu bekommen seien, machen aber keinen einzigen Vorschlag zur Ausgabensenkung, was die öffentlichen Haushalte betrifft.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion)

Sie plädieren dafür, dass wir in Deutschland höhere Steuern brauchen. Sind Sie, liebe Kollegen von der SPD, tatsächlich für höhere Steuern? Anders kann ich es mir überhaupt nicht vorstellen; denn wir hatten bis 2008 Rekordsteuereinnahmen auf allen Ebenen, in den Kommunen, in den Ländern und auch im Bund, und trotzdem haben wir das nicht in den Griff bekommen. So Politik zu machen halte ich, meine Damen und Herren, für verantwortungslos.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der Linksfraktion und der SPD)

Ich bitte Sie alle sehr herzlich: Kommen Sie herunter von Ihrem hohen Ross!

(Lachen bei der Linksfraktion und der SPD)

Wenn Sie nur über Besitzstandswahrung sprechen und nicht bereit sind, auch nur einen einzigen echten Reformschritt zu machen, wird sich dieses Land ruinieren. Wir leben als Staat über unsere Verhältnisse. Das wissen wir alle. Jeder, der schon einmal Regierungsverantwortung getragen hat, wird das kennengelernt haben. Wir leben über unsere Verhältnisse. Wenn wir unser System nicht langsam wieder vom Kopf auf die Füße stellen, endet das im Drama. Deswegen lade ich Sie herzlich ein: Seien Sie reformbereit!

(Beifall bei der FDP)

Kollege Zastrow, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Stange zu?

Sehr, sehr gern.

Sonst muss ich immer dazwischenrufen!

Herr Zastrow, ist Ihnen bekannt, dass es einen Reformvorschlag gegeben hat – und ich würde gern wissen, wie Sie dazu stehen –, den Spitzensteuersatz deutlich anzuheben, um genau die Situation bei den Steuereinnahmen und bei den Ausgaben besser in den Griff zu bekommen?

Sie sind tatsächlich der Auffassung, liebe Frau Kollegin Dr. Stange, dass die Anhebung des Spitzensteuersatzes unsere Haushalte konsolidiert? Das ist nichts anderes als Symbolpolitik und bringt überhaupt nichts.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei der Linksfraktion und der SPD)

Damit kommen Sie nicht weiter. Ich habe das gestern in der Aussprache zur Regierungserklärung schon gesagt. Gewöhnen Sie sich bitte daran, vielleicht haben Sie es nicht zur Kenntnis genommen: Es gibt in diesem Land nicht nur ganz Reiche und ganz Arme. Die Hauptsteuerlast trägt die Mitte, der ganz einfache Arbeitnehmer. Ihn zu entlasten, darum geht es.

(Beifall bei der FDP – Thomas Kind, Linksfraktion: Herr Waigel war es, der den „Waigel-Buckel“ eingeführt hat!)

Den „Waigel-Buckel?

Aber bleiben wir beim geordneten Verfahren. Es gibt eine weitere Zwischenfrage von Frau Kollegin Stange. Wollen Sie es noch einmal?

Ja, ich möchte es immer wieder.

Auch wenn Sie die erste Frage nicht beantwortet haben, stelle ich noch eine zweite zum Thema Symbolpolitik: Können Sie mir erklären, wie 20 Euro Anhebung des Kindergeldes zu einer Wirtschaftsbelebung beitragen können?

Ich glaube, dass gerade für Menschen, die ein niedriges Einkommen haben, 20 Euro mehr am Ende des Monats in der Tasche eine Menge Geld sind.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wie schwierig das mit Reformansätzen ist, haben wir bei der Verwaltungsreform gesehen. Ich will sie nicht komplett kritisieren, aber ich will auf einen Effekt hinweisen, um zu zeigen, dass wir genau das in Zukunft nicht mehr machen dürfen: Wissen Sie, wann der Personalkosteneinsparungseffekt dieser großen Reform, der übrigens auch nach langen Diskussionen mit den Landkreisen und den Kommunen erreicht worden ist, wieder weg ist? Schon dieses Jahr! Ab 1. Januar 2010 sind die Personalkosten in diesem Land schon wieder höher als vor der Reform.

Das ist genau das, was ich kritisiere. Wenn wir in diesem Land vorwärts kommen wollen, müssen wir bereit sein, auch härtere Einschnitte vorzunehmen, weil wir es uns auf Dauer nicht mehr leisten können. Beim besten Willen können Sie dieser Regierung und dieser Koalition eines nicht vorwerfen: Wir haben klar gesagt, wohin das Schiff fährt. Das ist unpopulär. Es ist unpopulär, von 70 000 Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung zu sprechen. Wir kommen aber darum nicht herum.

Deswegen lade ich Sie herzlich ein: Seien Sie nicht die Besitzstandswahrer, sondern seien Sie reformbereit, machen Sie mit bei der Erneuerung unseres Staates! In unserem Koalitionsvertrag steht das unter dem Stichpunkt „Staatsmodernisierung“ auch ganz deutlich drin.

Wir leisten uns in Deutschland – das nur als Hinweis – viele, viele Liebhabereien, bei denen man auf allen Ebenen darüber nachdenken muss, ob das so bleiben kann. Wir leisten uns nach wie vor – und das kostet einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr – zwei Regierungssitze. Wir leisten uns nach wie vor die fast gleiche Anzahl von Mitarbeitern in Berlin und in Bonn. Darüber denkt niemand nach. Wir leisten uns in Europa dasselbe. Jeden Monat fahren 30 Sattelschlepper von Brüssel nach Straßburg, damit wir dort tagen können. Ist das vernünftig? Es ist nicht vernünftig.

Wir leisten uns in Sachsen einen dreistufigen Verwaltungsaufbau, obwohl ich ganz sicher bin, das ein zweistu

figer reichen würde. Wir müssen umdenken in diesem Land, wenn wir unser Land in den Griff bekommen wollen.

Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie bereit sind, daran mitzuarbeiten, weil das eine Aufgabe des gesamten Parlaments sein wird. Wir als Koalition sind dazu bereit, und ich hoffe, dass Sie mitmachen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Kollege Zastrow. – Gibt es jetzt weitere Wortmeldungen aus den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Will die Staatsregierung noch einmal das Wort nehmen? – Auch nicht. Damit ist die 1. Aktuelle Debatte geschlossen. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei den Kollegen für diese muntere Diskussion.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte

20 Jahre nach dem Fall der Mauer – Sachsens erfolgreicher Weg in die Freiheit

Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen der CDU und der FDP das Wort. Bitte, Kollege Seidel.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende dieser Woche können wir zurückschauen auf das, was Anfang dieser Woche gewesen ist. Wir haben den 9. November erlebt. Wir haben in Presse, Funk und Fernsehen die Rückschau auf das gesehen, was vor 20 Jahren an diesem historischen Datum für Deutschland in unserem Land passiert ist. Wir sind damals auf dem Weg in ein freiheitlich-demokratisches Land, in eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft gewesen, und wir Sachsen waren erfreut, dass wir das in unserem Leben überhaupt noch erleben durften.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

In allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens bahnte sich ein Umbruch, ein Aufbruch in die neue Gesellschaft an – so auch in unseren Schulen, meine Damen und Herren. Von diesem Bereich möchte ich jetzt ein wenig erzählen.

Wir hatten damals zum 10. November mit einem Schlag die Diktatur der SED-Parteisekretäre und der SEDDirektoren los. Die Kollegen in den Kollegien, die in der SED waren und die uns einen Monat zuvor noch davor gewarnt hatten, in Leipzig an der Demonstration teilzunehmen, weil dort geschossen werden würde – „mit diesem Spuk machen wir ein Ende!“, haben sie gesagt –, saßen in der Ecke, waren verschämt und traurig und warfen ihre Parteibücher in den Papierkorb.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war am 10. November 1989 an meiner Schule. Wehrkunde, GST, die Zwangsverpflichtung der Lehrlinge zur NVA, die Verpflichtung zu DSF und FDJ – alles war auf einmal Makulatur, und die ideologische Indoktrination der Kinder und Jugendlichen hörte mit einem Schlag auf. Das war ein wunderschönes Gefühl.

(Beifall bei der CDU und der FDP)