Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

Nein, eigentlich nicht.

Eigentlich nicht.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Und uneigentlich?)

Meinungsäußerungen, die im Einklang mit Artikel 5 nicht gesetzlich verboten sind, dürfen auf Versammlungen kundgegeben werden. Selbst Meinungen, die sich gegen die Grundprinzipien der Verfassung richten, werden vom Grundgesetz um der Freiheit – Herr Bartl, jetzt hören Sie zu! – der politischen Kommunikation willen hingenommen. Die Abwehrmechanismen der streitbaren Demokratie greifen erst dann ein, wenn die Schwelle der Bekämpfung der Grundordnung überschritten ist.

Um bei der Unwahrheit zu bleiben, was Sie uns zu unserem Gesetzentwurf alles unterschieben: Beschränkungen

der Versammlungsfreiheit sind unter den in § 15 des Versammlungsgesetzes genannten Voraussetzungen mit Artikel 8 des Grundgesetzes vereinbar. Der dort genannte Rechtfertigungsgrund für Versammlungen beschränkende Maßnahmen hat sich auch in der verfassungskonformen Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht vorgenommen hat, als hinreichend erwiesen. Insbesondere erlaubt er schon jetzt Versammlungsbeschränkungen, wenn eine Versammlung, ohne selbst gewalttätig zu werden, ihre Gewaltbereitschaft zur Durchsetzung der eigenen Meinung oder zur Unterdrückung ihrer Gegner durch die Begleitumstände, unter denen sie stattfindet, erkennbar Ausdruck findet.

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum, Vermögen des Einzelnen sowie Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wird in der Regel angenommen, wenn eine strafbare Verletzung der Schutzgüter droht. Ich bin bei dem Antrag der Linksfraktion.

(Klaus Bartl, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

Herr Schiemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte keine Zwischenfrage, Herr Präsident. Die einreichende Fraktion hat genügend Zeit, ihre Position hier darzulegen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Koalitionsfraktionen ist es auch wichtig, dass die Frage Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit in einem Spannungsverhältnis mit anderen Grundrechten steht. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht so gesehen. Die Menschenwürde ist das oberste Prinzip der Verfassung. Grundrechte, Rechts- und Sozialstaat fließen aus ihr. Da gibt es für die gesetzliche Ausgestaltung – Herr Bartl, jetzt hören Sie zu! – beim Versammlungsgesetz enge Maßstäbe und Grenzen, die sich aus einer klaren Verfassungslage und über gesicherte Grenzen durch das Bundesverfassungsgericht gezogen herleiten lassen. Deshalb ist das, was uns von den Linken hier im Hohen Hause, aber auch in der Öffentlichkeit suggeriert wird, dass Sachsen zu einem Bananenstaat mutieren soll, die Unwahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Im Kern des Gesetzentwurfs geht es um den Schutz der Würde der Opfer, die unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft oder kommunistischer Gewaltherrschaft gelitten haben oder Opfer eines Krieges wurden. Wir wollen nicht länger zusehen, dass Versammlungsrecht durch Extremisten missbraucht wird.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen die Würde der Opfer deutlicher schützen. Insbesondere die wiedererstandene Landeshauptstadt und

Residenzstadt Dresden hat ein Recht, der Opfer friedlich und in Würde zu gedenken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Hass und Gewalt, egal ob von Links oder von Rechts,

(Zuruf von der NPD: Oder aus der Mitte!)

werden wir nicht mehr akzeptieren. Jede Form von Hass und Gewalt lehnen wir im Zusammenhang mit dem Demonstrationsrecht ab.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der NPD: Nicht nur du, wir auch!)

Anknüpfend an ein mögliches Versammlungsgeschehen an Orten von besonderer Bedeutung sollen – jetzt komme ich noch einmal zu unserem Entwurf – Versammlungen verboten oder mit Auflagen versehen werden können, wenn diese die Würde von Personen beeinträchtigen, die unter nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren, dagegen Widerstand geleistet haben oder Opfer eines Krieges geworden sind.

Friedliches Gedenken, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie. Der Gesetzentwurf, von uns in einem Verfahren eingebracht, das völlig korrekt ist, mit einer Anhörung, die anberaumt ist, mit einer offenen Entscheidung für den Gesetzentwurf, liegt Ihnen vor. Der Gesetzentwurf unterstützt den Wunsch der Dresdnerinnen und Dresdner nach einem friedlichen Gedenken und das geplante Vorhaben auch der hiesigen Oberbürgermeisterin mit allen demokratischen Akteuren, auch gegen den Missbrauch des Tages durch Extremisten, Flagge zu zeigen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Aus diesem Grund geht Ihr Antrag, auf Bundesebene aktiv zu werden, an der Sache vorbei. Uns ist derzeit nicht bekannt, dass es Initiativen auf Bundesebene gibt, eine Veränderung vorzunehmen, und der Versuch, der Staatsregierung zu untersagen, Gesetzesinitiativen in den Landtag einzubringen, läuft ins Leere, weil es derzeit keine Gesetzesinitiative der Staatsregierung gibt. Deshalb ist Ihr Antrag übrig und sollte auch abgelehnt werden.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Das war Herr Schiemann für die Fraktion der CDU. Für die Fraktion der SPD spricht nun Frau Friedel.

Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion wird dem Antrag, der uns hier vorliegt, zustimmen. Dazu wird vielleicht gerade die FDP sagen, oh, nun stimmen sie zu, wenn sie in der Opposition sind. Damals waren sie in der Regierung, da haben sie selbst einen solchen Gesetzentwurf mit eingebracht. Das sagen Sie ja erst einmal zu Recht, und deswegen will ich Ihnen kurz erklären, wie es

sich damit verhält. Den Standpunkt der CDU haben wir ja jetzt ausreichend zur Kenntnis genommen.

Ihr Kollege Herr Zastrow, der im Moment nicht da ist – wahrscheinlich muss er seinem Hauptberuf nachgehen und bei der Striezelmarkt-Pressekonferenz anwesend sein –, erklärte im Februar 2009, die FDP wird sich einer Diskussion über Neuregelungen im sächsischen Versammlungsrecht nicht verschließen. Das halte ich für eine sehr vernünftige Erklärung. Es ist ein vernünftiger Standpunkt, dass man in der Diskussion erst einmal keine Tabus hat. Genauso haben wir das auch gesehen und uns deswegen gedacht, dass wir uns den alten Gesetzentwurf erst einmal anschauen und offen in eine solche Diskussion hineingehen. Schauen wir auch einmal, was bei den Anhörungen herauskommt.

Im Ergebnis der Anhörung, die dazu durchgeführt worden ist, und auch im Ergebnis der Diskussionen, die wir im Nachhinein oft und viel geführt haben, sind wir dazu gekommen zu sehen, dass dieser Eingriff in ein wirklich wesentliches Grundrecht – Kollege Bartl hat es ja schon gesagt – nicht nur sehr heikel ist, sondern eben zu heikel.

Was die Gründe dafür sind, darüber werden wir, wenn es an die Diskussion des Gesetzentwurfes geht, noch sehr viel genauer sprechen. Ich will zwei, drei nur ganz kurz benennen.

Wir haben es im Grunde mit einer Lex Dresden zu tun. Das wird auch in der Begründung des Antrages offensichtlich, wenn aus dem Koalitionsvertrag zitiert wird: „Wir werden alle verfassungsrechtlichen Möglichkeiten nutzen und bis zum 13. Februar 2010 das Versammlungsrecht ändern.“

Zum Zweiten haben wir Schwierigkeiten, weil eben wirklich sehr vage und sehr unbestimmt ist, was denn nun die genauen Grundlagen für eine Einschätzung sein sollen, dass eine Demonstration auf einmal nicht stattfinden darf.

Drittens. Wenn man sich das Stadtgebiet anschaut, was allein in Dresden zu einer grundrechtsfreien Zone erklärt werden soll, dann ist das sehr problematisch.

Ich hoffe, die FDP wird genauso vernünftig sein und im Ergebnis der neuerlichen Anhörung dann auch zu ihren liberalen Grundsätzen zurückfinden.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Herr Zastrow hat im Februar 2009 nicht nur erklärt, dass er sich einer Diskussion nicht verschließen will, sondern er hat später dann auch gesagt – ich zitiere wörtlich –: „Jetzt geht es nicht mehr um Versammlungsfreiheit, sondern um die Verhinderung von Gewalt.“

So ähnlich haben Sie, Kollege Schiemann, auch gerade argumentiert. Nur das ist ein sehr instrumentelles Grundrechtsverständnis. Sie gehen offensichtlich davon aus, dass zumindest an den bezeichneten Tagen an den herausragenden Orten jede Demonstration ein Quell von Gewalt ist.

(Marko Schiemann, CDU: Nein, nein, habe ich nicht gesagt! – Zuruf von der Linksfraktion: Doch!)

Das ist sehr problematisch. So funktioniert der Kampf gegen Rechtsextremismus eben nicht. Wir sind uns, glaube ich, sehr einig, dass Gewalt auf Demonstrationen nichts zu suchen hat. Dazu haben wir über die Fraktionen hinweg große Einigkeit. Deswegen ist es richtig, dass der Staat in Form der Polizei in solchen Situationen entschieden eingreift. Deswegen gehört unser Respekt auch allen Frauen und Männern in der Bereitschaftspolizei, die einen wirklich schweren Job haben, genau diese Abwägung zu treffen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Die Wahrung von Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit ist der Grat, auf dem man wandelt. Diese gravierende Grundrechtseinschränkung, wie sie der Gesetzentwurf jetzt vorsieht, halten wir weder für angemessen noch für verhältnismäßig, sondern sie erweckt in der Tat den Eindruck, dass man die Demokratie teilweise abschaffen will, wo wir sie doch eigentlich verteidigen müssten. Das ist so etwas wie der Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Den Kampf gegen Rechtsextremismus müssen wir immer wieder neu und eben anders führen. Dazu ist schon viel gesagt worden, auch in der gestrigen Debatte, wenn es um die Anständigen und um die Zuständigen geht.

Gerade in Dresden ist – das muss man wirklich zugestehen – mit der neuen Oberbürgermeisterin Frau Orosz mehr Zug in die Debatte gekommen. Wir haben erst vergangenen Freitag in einer Runde zusammengesessen, zu der die Oberbürgermeisterin dankenswerterweise sehr breit eingeladen hatte vom Ausländerrat bis zur IHK, um gemeinsam zu beraten, mit welcher Aktion – nicht mit welchem rechtlichen Konstrukt – man in Dresden am 13. Februar Initiative zeigen kann.

Ich freue mich – oder lassen Sie es mich einmal so formulieren: ich würde mich freuen –, wenn künftig die Stühle zweier Stadtratsfraktionen nicht wie bisher leer blieben, sondern wenn alle Demokratinnen und Demokraten gemeinsam stehen würden.

Der neue Gesetzentwurf entbindet vor allem Sie, die Koalitionsfraktionen, nicht von der Pflicht, konkret etwas gegen Rechtsextremismus zu tun. Auch das ist ein Grund für uns, dem Antrag zuzustimmen. Es braucht den Einsatz – lassen Sie es mich so formulieren – auf der Straße.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)