Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zwei weitere Bereiche nennen: den Jugendstrafvollzug und die Netzwerke Kinderschutz in Sachsen.

Zum Thema Jugendstrafvollzug fand Ende August 2010 eine öffentliche Anhörung zum ersten Bericht des Justizministeriums zur Lage des Jugendstrafvollzugs im Freistaat Sachsen statt. Rainer Mollik, der Sachgebietsleiter in der Jugendgerichtshilfe in Dresden, hat dort sehr ausführlich ausgeführt, wie das Jugendamt Dresden mit der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen zusammenarbeitet, um die Jugendlichen im Gefängnis auf die Zeit danach vorzubereiten. In diesem Zusammenhang sei auch auf das Projekt „Neuanfang“ des Jugendamtes verwiesen, welches die Reintegration der straffällig gewordenen Jugendlichen vorsieht.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Als erfolgreiche Kooperationsprojekte der Netzwerke Kinderschutz in Sachsen seien das Soziale Frühwarnsystem im Landkreis Görlitz und das Projekt „Netzwerk präventiver Kinderschutz“ im Landkreis Mittelsachsen genannt. Auch hier ist die Justiz wichtiger Netzwerkpartner der Jugendhilfe. Gemeinsames Ziel ist dabei der verbesserte Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung. Um diesen Schutz gewährleisten zu können, bedarf es eines funktionierenden Hilfenetzes sowie verbindlicher Kooperationsstrukturen zwischen den Netzwerkpartnern, die mit den Kindern und mit den Familien im Kontakt stehen und dadurch die Möglichkeit

besitzen, durch vielfältige Angebote präventiv und frühzeitig wirksam zu werden.

Frau Klepsch, dieses Hilfenetz hier als „Clauß’sche Lobhudelei“ abzutun, finde ich – das muss ich sagen – ziemlich vermessen. Ich glaube, Sie waren mit mir gemeinsam auch bei dem Kongress am 31. August in der Dreikönigskirche in Dresden zum Thema Kinderschutz. Ich denke, was dort vermittelt worden ist, ist mehr als „Clauß’sche Lobhudelei“, sondern das ist ein ganz wichtiger Bestandteil, um Kinder gar nicht erst in den Topf fallen zu lassen, sondern den Familien früh zu helfen, wenn sie Schwierigkeiten haben. Das sollten wir, wie gesagt, hier nicht so einfach abtun.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Schreiber, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Klepsch, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Schreiber, da wir gemeinsam auf derselben Veranstaltung waren, nämlich am 31. August beim Kinderschutzkongress der Jugendministerin, können Sie sich sicher noch daran erinnern, dass Thomas Meysen vom Deutschen Jugendinstitut in München darauf hingewiesen hat, dass Kinderschutz eben nicht nur Frühe Hilfen heißt, sondern dass es auch für ältere Kinder und Jugendliche Schutzangebote geben muss, und können Sie mir sagen, was da der Freistaat im Moment insbesondere an Jugendschutz leistet?

Frau Klepsch, ich gebe Ihnen recht, logischerweise sollte sich Kinder- und Jugendschutz nicht nur auf die ersten Lebensjahre eines Kindes beschränken. Das ist ganz klar. Aber wir beide wissen auch, dass gerade in dieser Zeit die Kinder am meisten Schutz brauchen, weil sie in diesem Alter eben sehr schutzbedürftig sind, weil sie sich im Zweifel nicht wehren können oder sich vielleicht auch noch gar nicht selbst artikulieren können. Deswegen ist es gar keine Frage, dass insbesondere darauf ein besonderes Augenmerk gelegt wird. Es zeigt sich auch, dass man, wenn man in diesem Bereich vermehrt präventive Maßnahmen durchführt, wie jetzt erst in Dresden durch Statistiken bewiesen, feststellen kann, dass gerade in diesem ganz frühen Bereich der Null- bis Dreijährigen von den Eltern nach Hilfe gerufen wird.

Teilweise sind das doppelt so hohe Prozentzahlen wie in westdeutschen Großstädten. Das finde ich richtig so und das hat etwas damit zu tun, wie man mit dem Thema umgeht, ob man es hinten herunterfallen lässt, indem man Fälle wie in Bremen oder sonst wo nicht thematisiert, oder ob man dies in die Gesellschaft hineinträgt.

Es ist richtig, dass wir selbstverständlich den Schutz auch im höheren Lebensalter benötigen. Das ist gar keine

Frage. Das ist eine grundsätzliche Voraussetzung von Kinder- und Jugendhilfe in diesem Land. Dafür, Schutzräume zu bieten, ist Kinder- und Jugendhilfe auch da und ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen Schutzräume bietet. Etwas anderes zu sagen wäre eine Frechheit gegenüber all den Sozialarbeitern, die sich Tag für Tag an dieser Stelle Mühe geben.

Aber – das ist das Entscheidende – man muss von Sozialarbeitern und von der Kinder- und Jugendhilfelandschaft auch erwarten können, dass sie letzten Endes ein Stück mit der Zeit gehen. Wir haben heute völlig andere Schutzschirme – so nenne ich das jetzt einmal – über ältere Kinder und Jugendliche zu spannen, als dies vielleicht früher noch der Fall war. Ich denke da nur an den Bereich Medienschutz, wo es beispielsweise auch vom Landesjugendhilfeausschuss begleitete Modellprojekte etc. pp. gibt. Der Freistaat tut also auch etwas für ältere Kinder und Jugendliche, das heißt für unter 27-Jährige, nicht nur durch die normale Struktur vor Ort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie sehen also, Jugendhilfe und Jugendpolitik müssen, wie ich es eben schon gesagt habe, immer weiter entwickelt werden – schon aus dem einfachen Grund, weil sich auch die Themen und Herausforderungen, die den jungen Menschen begegnen, immer wieder verändern.

Sich diesen Entwicklungen anzupassen, zu agieren, zu reagieren ist eine selbstverständliche Aufgabe, bei der die entsprechenden Akteure im Gespräch sind. Das beweist nicht nur die Tatsache, dass wir heute – jetzt sind zumindest aus einigen Fraktionen wieder mehr Abgeordnete da; den GRÜNEN sei das heute mal verziehen – miteinander dieses Thema bearbeiten und dass wir nicht müde werden, uns damit zu beschäftigen, was gut ist. Wir sind im Gespräch, nicht zuletzt im Landesjugendhilfeausschuss, mit den freien Trägern und vor Ort in den Kommunen. Ich hoffe, dass das so bleibt.

Allerdings muss ich eines sagen: Die Staatsregierung dafür zu verurteilen, dass die eine oder andere Frage vielleicht nicht zufriedenstellend beantwortet worden ist … Letzteres liegt manchmal eventuell auch daran, wie die Frage formuliert worden ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abg. Mann. Herr Mann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kinder- und Jugendarbeit hat es, zumal mit ihrem spezifischen Bildungsauftrag, schwer – schwer in Zeiten, die vornehmlich im Zeichen einer zunehmend effizienten Nachwuchsoptimierung stehen, erst recht dort, wo sie sich mit einer spezifischen Form unnachsichtiger Beschleunigungspädagogik verbindet.

Die Politik und offensichtlich auch wir folgen zunehmend einer ökonomischen Investitionslogik und deren Erfolgskriterien. Das mag noch sehr theoretisch klingen, aber ich muss sagen, auch wenn es keine Aktuelle Debatte ist: Viel deutlicher hätte das kaum jemand illustrieren können als Ihr Wortbeitrag gerade, Herr Schreiber. Ich darf Sie ganz kurz zitieren. Sie haben gerade den Satz geprägt: „Heute haben wir einen Überbedarf an zur Verfügung stehenden Kindern und Jugendlichen.“

Weil wir gestern bei Herrn Victor Klemperer waren, bitte ich Sie, über diesen Satz zumindest noch einmal zu reflektieren.

Dagegen beschreibt zum Beispiel der Jenaer Erziehungswissenschafter Prof. Werner Lindner den Anspruch an Kinder- und Jugendarbeit wie folgt: „Lasst uns Luft zum Leben und Lernen. Bildung braucht Freiräume.“ Treffender lässt sich dieser Zwiespalt, in dem die Kinder- und Jugendarbeit derzeit um ihre Existenzberechtigung kämpft, nicht beschreiben.

Im Januar 2001 wurde für die örtliche Jugendhilfearbeit die Pauschalfinanzierung eingeführt. Das war der erste Schritt zu einer neuen Förderstrategie. Diese Einführung sollte Kontinuität in die Finanzierung der örtlichen Jugendhilfearbeit bringen und die SPD hat dies unterstützt, auch um dieses Ziel zu gewährleisten und Planbarkeit zu erreichen. Doch von dieser Kontinuität kann lange keine Rede mehr sein. Die Pauschale wurde im vergangenen Jahr von 14,30 Euro auf 10,40 Euro gekürzt. Die Träger der freien Jugendhilfe geraten darüber immer stärker unter Druck.

Das war nicht immer so. Blickt man in das Jugendpolitische Programm von 1996 und vergegenwärtigt sich die damalige Diskussion, so kann man sagen: Die Herangehensweise auf Landesebene war eine andere. Ich zitiere: „Die künftig verfügbaren Haushaltsmittel werden nicht in diesem Landesjugendplan festgelegt, wohl aber werden hier der Mittelbedarf, die finanziellen Anforderungen der nächsten Jahre durch die jugendpolitische Ziel- und Prioritätensetzung der Staatsregierung begründet.“

Weise Worte des damaligen Sozialministers Dr. Hans Geisler. Die Zeiten aber, in denen die Bedarfe der Kinder- und Jugendarbeit und damit das Angebot im Fokus standen, sind lange vorbei. Die Leistungspalette wird immer weiter gekürzt. Zum Beispiel wurden die Mittel zur Förderung von Kinder- und Jugenderholungsmaßnahmen schon im Jahr 2004 auf null gesetzt. Dazu wurde die Landesjugendpauschale gesenkt, aber vor allem zunehmend als landesfinanziertes Sparschwein angesehen. Immer mehr Leistungen sollen hieraus finanziert werden – und dies bei gleichzeitig geringer werdendem finanziellem Rahmen.

Sie werden dem sicherlich wieder entgegenhalten, dass es geänderte finanzielle Gegebenheiten gibt. Aber zumindest hier müssen Sie ehrlich einräumen, dass das zu sagen nur die halbe Wahrheit wäre. Bei der Jugendpauschale sprechen wir über 4 Millionen Euro, beim überörtlichen

Bedarf von 1,5 Millionen Euro – finanzielle Mittel, die ohne Zweifel zur Verfügung stehen oder stehen würden.

Die ganze Wahrheit ist: Die Kinder- und Jugendarbeit hat bei der verantwortlichen Ministerin keine Lobby mehr. Während das Jugendpolitische Programm die Jugendhilfe noch als wichtige Sozialisationsinstanz beschreibt, heißt es heute aus dem Sozialministerium: Die Jugendlichen können sich ja gerne treffen, dazu brauchen sie doch keine finanziellen Mittel.

(Patrick Schreiber, CDU: Wo steht denn das?)

Liefere ich Ihnen, Herr Schreiber. – Die Proteste gegen die massive Kürzung im Jahr 2010 wurden nur als Proteste der Beschäftigten abgetan. Dagegen kämpfen die Freien Träger tagtäglich um ihr Überleben, nicht immer erfolgreich. Die Träger sind es leid, sie geben teilweise auf. Die Sächsische Landjugend, die im nächsten Jahr ihre Arbeit einstellen wird, ist nur ein prominentes Beispiel.

(Patrick Schreiber, CDU: Wer noch?)

Der Blick in die Zukunft verheißt aus der Sicht der Kinder- und Jugendarbeit nichts Gutes. Weitere Träger werden ihre Arbeit einstellen. Die Zeiten, in denen die Träger gleichberechtigt mit der Verwaltung ihre Bedarfe diskutieren konnten, sind lange vorbei. Dass die Freien Träger dabei in der Jugendhilfe im Rahmen einer Aufgabenübertragung eigentlich staatliche Aufgaben erfüllen, ist aus dem Bewusstsein geraten und wird zunehmend vergessen.

Die Träger als Bittsteller, das ist die Gegenwart in Sachsen. Diese Rolle als Bittsteller wird aber unserer Meinung nach der gesellschaftlichen Bedeutung der Kinder- und Jugendarbeit nicht gerecht. Kinder- und Jugendarbeit bedeutet mehr als nur Ausgleich von Benachteiligung für Kinder und Jugendliche. Die Jugendhilfe, vor allem mit ihren Angeboten der Jugendarbeit und der Jugendverbandsarbeit, dient eigentlich einer aktiven Zukunftsgestaltung. Im Freistaat Sachsen ist es deswegen notwendig, endlich eine ehrliche Auseinandersetzung darüber zu führen, wie eine qualitative Beschreibung der Jugendhilfelandschaft und vor allem eine nachhaltige Finanzierung möglich sind. Sonst werden wir über die Kinder- und Jugendarbeit auch in Zukunft immer öfter nur noch in der Vergangenheit sprechen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Herr Schreiber, Sie möchten von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen? – Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Das ist richtig, Herr Präsident. Vielen Dank. – Herr Mann, ich glaube, wir müssten das anhand des Protokolls noch einmal nachvollziehen. Ich habe davon gesprochen, dass wir in den Neunzigerjahren einen Überbedarf1 an Fachkräften hatten. Heute haben wir viel zu wenig Kinder und Jugendliche, die nachkommen, um diesen Fachkräftebedarf zu decken. Vielleicht habe

ich mich da undeutlich ausgedrückt und Sie haben es entsprechend falsch verstanden. Aber wir werden das anhand des Protokolls nachvollziehen. Mich in eine bestimmte Richtung drücken zu wollen, das haben wir, glaube ich, beide nicht nötig.

Zum Thema Trägersterben, wie das hier suggeriert wird. Bezüglich der Landjugend sollten Sie sich im Ministerium erkundigen, welchen Hintergrund die Aufgabe des Vereins Sächsische Landjugend hatte.

(Zurufe von der SPD)

Ich gebe Herrn Mann einfach die Chance, sich im Ministerium unabhängig, fernab von jeglicher politischer Diskussion darüber zu informieren. Denn so, wie das hier dargestellt worden ist, ist es nicht. –

Ich habe mir aufgrund dessen, dass Sie jugendpolitischer Sprecher sind, gespart, Sie zu fragen, welche Vereine Sie noch kennen, die sozusagen vom Sterben bedroht sind oder bereits aufgrund von Kürzungspolitik der Staatsregierung aufgegeben worden sind. Aber wenn Sie auf meine Ausführungen reagieren, können Sie uns vielleicht doch noch einige nennen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Mann, Sie haben jetzt die Gelegenheit, auf die Kurzintervention von Herrn Schreiber zu reagieren.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident, das mache ich sehr gern.

Sie haben zwei Minuten.

Herr Schreiber, ich glaube, ich habe Sie nicht falsch verstanden. Ich habe einmal Journalistik studiert und weiß, wie man zitiert.

(Alexander Krauß, CDU: Das hätten Sie richtig zitieren sollen!)