Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! In der Begründung zur Großen Anfrage wird zu Recht darauf verwiesen, dass das Jugendpolitische Programm damals, in den Neunzigerjahren, ein Meilenstein war. Dieser Meilenstein wurde in der 63. Sitzung der 2. Wahlperiode beschlossen – oder auch nicht. In dem Plenarprotokoll von damals kann man nämlich nachlesen, dass keine der Abstimmungsfragen – Ja/Nein/Enthaltung – bei den Abgeordneten eine Reaktion hervorrief. Aber das nur am Rande.

Der Hinweis auf den Grundsatz, dass die Ausgaben den Aufgaben zu folgen haben, ist mehr als berechtigt. Dabei

muss ich nur daran denken, dass allein in meinem Landkreis noch in der letzten Woche Mehrausgaben für den Bereich der Jugendhilfe in Höhe von 2,3 Millionen Euro beschlossen werden mussten, nicht nur wegen der Erhöhung der Fallzahlen, sondern wegen der „ständigen Erhöhung der Standards“, wie es in der Begründung so nett heißt.

Deshalb liest sich auch die Antwort auf die Frage 3 der Großen Anfrage ziemlich alibimäßig. „Neben der Beachtung der kommunalen Zuständigkeit und der Gestaltung der Kinder- und Jugendhilfe auf der örtlichen Ebene als weisungsfreie Pflichtaufgabe kommt der Freistaat Sachsen mit der Bereitstellung von Mitteln, zum Beispiel im Rahmen der Jugendpauschale, seiner Verantwortung nach § 82 SGB VIII nach“, heißt es dort. Die weisungsfreie Pflichtaufgabe wird übrigens noch öfter erwähnt, so auch in 36., 37. und 38., wo es um die hauptamtlichen Fachkräfte geht.

In der Antwort zu Frage 1 wird auf die Veränderung der inhaltlichen Schwerpunkte eingegangen und als aktuelles Handlungsfeld unter anderem die demografische Entwicklung genannt. Auf diese demografische Entwicklung, die uns alle beschäftigt – erst heute Morgen wieder –, möchte ich im Folgenden etwas näher eingehen.

All die Schwerpunkte, wie sie zum Beispiel in der Antwort auf Frage 20 aufgeführt sind, betreffen ja immer weniger Zielpersonen, also unsere Kinder und Jugendlichen. Unter 31. erhalten wir die dazugehörigen Zahlen. Gab es Ende 1995 noch 29,8 % Sachsen im Alter von null bis 27 Jahren, so waren es 15 Jahre später nur noch 23,36 % – 969 750 junge Menschen. Außerdem sank die Zahl der Haushalte mit Kindern um rund 240 000.

Ich hätte nun erwartet, dass in der Beantwortung von Frage 32 „Welche Schlussfolgerungen zieht die Staatsregierung aus der demografischen Entwicklung?“, die für uns eigentlich die wichtigste Frage der ganzen Großen Anfrage war, Maßnahmen aufgeführt werden, die eine Korrektur ermöglichen. Analysen und Studien dazu haben wir mittlerweile genug, das wird auch an anderer Stelle noch aufgeführt. Aber durch die Analysen und Studien ändert sich nichts. Auch der Verweis auf ein „ganzheitliches Politikverständnis, nach dem neben dem ganzheitlichen Bildungsverständnis und den Investitionen in die Bildungspolitik auch Elemente aus anderen Politikfeldern zu einer guten Jugendpolitik gehören“, bringt uns nicht viel weiter. Die Formulierung zu 32. „Es zeigt sich, dass sich die demografischen Entwicklungen nur begrenzt mit jugendhilfepolitischen Maßnahmen beeinflussen lassen“, zeigt nur die völlige Plan- und Hilflosigkeit dieser Regierung.

Wenn jugendhilfepolitische Maßnahmen nicht greifen, müssen es eben Maßnahmen in anderen Bereichen sein. Doch hierauf gibt es keine Antworten, hier nicht und an anderer Stelle auch nicht. Leider kann ich aus Gründen der Redezeit nicht auf den Komplex Schulsozialarbeit eingehen, zu dem wir erst kürzlich eine äußerst interessante Anhörung hatten. Hier wäre besonders die nicht

ganz so – ich sage einmal – glückliche Mischfinanzierung Träger–Kommune–Land anzusprechen – Frau Klepsch hat das vorhin schon etwas ausführlicher getan. Aber vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, dass die Installierung eines flächendeckenden Netzes von Schulsozialarbeit nicht vorgesehen ist, und aus dem Bildungspaket – das wissen wir auch – geht das eben nur äußerst bedingt zu finanzieren.

Nicht fehlen darf der Hinweis, dass konjunkturelle Entwicklungen ihren Niederschlag in „abschmelzenden“ Landesförderungen finden. Die in diesem Zusammenhang gebrauchte Formulierung, dass auch die Ausgestaltungen der Kinder- und Jugendhilfe den dynamischen gesellschaftlichen Entwicklungen unterliegen – und nicht umgekehrt –, bildet dabei nur die halbe Wahrheit ab. Die andere Seite ist, dass den delegierten Pflichtaufgaben keineswegs auch das Geld folgt. Dies ist wiederum keine konjunkturelle Frage, sondern vielmehr eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die den Kommunen im Rahmen des FAG zugestanden wird.

Danke sehr.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde der allgemeinen Aussprache. – Ich würde eine zweite Runde eröffnen, obwohl mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. Ich frage dennoch die Fraktionen. DIE LINKE, Frau Klepsch, möchten Sie noch sprechen? – Bitte. Damit ist die zweite Runde eröffnet.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schreiber, selbstverständlich geht es nicht nur um das Geld, darin sind wir uns, denke ich, einig, sondern es geht um den Gestaltungsauftrag der Staatsregierung, den diese unzureichend wahrnimmt. Wir haben zwei, manchmal auch drei oder vier Staatsministerinnen und -minister – das hatte ich vorhin angedeutet –, die je nach Lust und Laune oder Tageslage irgendetwas mit Kindern und Jugendlichen machen. Dabei geht es manchmal um kulturelle Bildung, um Berufsorientierung oder um Medienkompetenz oder was auch immer. Die letzte Stilblüte in dieser Richtung war die spontane Kooperationsvereinbarung von Herrn Wöller mit Herrn Beermann, in der es plötzlich um Medienkompetenz in der Schule ging. Dass dabei zum Beispiel auch die Bereiche außerschulische Jugendbildung, Jugendhilfe oder Medienkompetenzerziehung in Heimen eine Rolle spielen, ist überhaupt nicht auf der Agenda, sondern jeder rührt in seinem Kochtopf, den er vor sich hat. Das ist unsere Kritik.

Wir sind uns, denke ich, auch darin einig, dass sich bestimmte Problemlagen in dieser Gesellschaft verschärfen. Wir wissen, wir haben Jugendliche, die auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt nicht vermittelbar sind. Das sind komplexe Problemlagen. Wir brauchen ganz andere Strukturen als das, was im Moment hier teilweise

angeboten wird oder was die Landkreise aufgrund der Haushaltslage noch anbieten können.

Die Anforderungen an die zukünftige Wissensgesellschaft zu bestehen, sind für junge Menschen im Vergleich zu Ihrer und meiner Abiturzeit und im Vergleich zu den Anforderungen vor 20 oder 30 Jahren deutlich gewachsen. Ich glaube, darin sind wir uns relativ einig.

Herr Karabinski, Sie haben das Thema Jugendarbeitslosigkeit angesprochen. Darauf möchte ich gern noch einmal eingehen. Entschuldigung, entweder Sie haben keine Ahnung von der Sache oder Sie ignorieren, was hier passiert. Ich gebe Ihnen recht, die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern niedrig. Bei uns sind zum Glück nur 9 bis 10 % der jungen Menschen arbeitslos und nicht 30 oder 40 %, wie in Spanien oder anderswo. Der Punkt ist aber, dass erstens ein Großteil dieser jungen Menschen bei uns geparkt wird, nämlich im Berufsvorbereitungsjahr oder in anderen Maßnahmen, und zweitens – das ist insbesondere ein sächsisches Problem – viele junge Menschen in den letzten 20 Jahren abwandern mussten. Diese sind in die alten Bundesländer gegangen, weil es hier keine Ausbildungsplätze und keine Arbeit gab.

(Beifall bei den LINKEN)

Genau daran krankt Sachsen derzeit bei der demografischen Entwicklung. Es fehlen die jungen Generationen, die a) die Fachkräfte der nächsten Jahre stellen sollen und b) die Kinder der nächsten und übernächsten Generation bekommen sollen. Das wird sich auch wirtschaftspolitisch auswirken.

Es ist zu einfach zu sagen: Schön, dass wir so wenig Jugendarbeitslosigkeit in Sachsen haben. Wenn Sie in der letzten Zeit die Presselage verfolgt haben, dann haben Sie vielleicht mitbekommen, dass Klaus Hurrelmann, einer der wichtigsten deutschen Soziologen, darauf hingewiesen hat: Wir haben gut gebildete und eingebundene junge Menschen, denen es gut geht in dieser Republik, und wir haben einen wachsenden Bodensatz an benachteiligten Jugendlichen. Diese brauchen eine besondere Unterstützung und bekommen diese in diesem Freistaat nicht, weil es keine ganzheitliche Konzeption für Jugendpolitik gibt.

Frau Klepsch, würden Sie eine Zwischenfrage gestatten?

Bitte schön, Herr Schreiber.

Frau Klepsch, vielen Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen kann. – Können Sie mir sagen, worin die Ursachen liegen, dass in der Vergangenheit Kinder und Jugendliche, die etwas älter geworden sind, vor allem in die westdeutschen Bundesländer abgewandert sind?

(Zuruf von der NPD: Falsche Politik! – Heike Werner, DIE LINKE: Niedriglohnsektor! – Karl Nolle, SPD: Das weiß er doch alles!)

Lieber Kollege Schreiber, ich hatte es erwähnt. Ich hatte gesagt, aufgrund des Mangels von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sind junge Menschen in andere Bundesländer abgewandert. Ich wiederhole es gern noch einmal. Punkt.

Ich fahre in meinem Redebeitrag fort. Bei der Unterfinanzierung müssen wir auch über den Landesjugendhilfeplan sprechen. Er gilt für die Jahre 2010 bis 2014. Nun kann man sagen, dass er nicht haushalterisch untersetzt werden muss. Ich denke aber schon, dass er es muss. Der Landesjugendhilfeausschuss hat im Jahr 2009 beschlossen, dass auf Landesebene 70 Vollzeitstellen für Bildungsreferenten benötigt werden. Finanziert sind derzeit nur 51 Vollzeitstellen.

Genau dort fallen diese präventiven Angebote, auf die man gern setzt oder von denen man meint, dass sie ausreichend sein sollen, weg.

Ein zweiter Punkt, ich komme noch einmal zur Jugendarbeitslosigkeit. Das, was wir derzeit in Sachsen an Jugendberufshilfe haben, ist eben mitnichten aus dem Landeshaushalt finanziert. Es sind EU-Gelder. Diese fließen nur bis 2013. Danach ist Schluss.

Ich habe heute weder von Herrn Morlok noch von Frau Clauß, noch von Herrn Wöller gehört, was wir ab dem Jahr 2014 mit den jungen Menschen machen, die nicht sofort in den Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt münden, also denjenigen, die keinen Schulabschluss haben, von einer Förderschule kommen oder lernbehindert sind. Ich nenne Ihnen ein paar Zahlen: Wir hatten im Jahr 2005 etwa 300 000 Schülerinnen und Schüler in Sachsen. Ein paar Jahre später hatten wir nur noch 200 000 Schülerinnen und Schüler in Sachsen. Obwohl sich die Schülerzahl um ein Drittel minimiert hat, ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in Lernbehinderten-Schulen gehen, von circa 10 000 Schülerinnen und Schülern konstant geblieben.

Ich denke schon, dass man die Frage stellen muss: Was hat das mit Kinder- und Jugendpolitik sowie mit Bildungspolitik zu tun? Wo ist das Defizit?

Ich komme zum Thema Medienkompetenzerziehung. Von Herrn Schreiber wurde als positives Beispiel genannt, wie wunderbar die Dinge sind und welche prima Modellprojekte das Land macht. Richtig ist: Wir haben ein Landesmodellprojekt beschlossen. Es ist das typische Problem: als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet! Es war ein großes, auf drei Jahre angelegtes Projekt. Es hätte eine sechsstellige Summe gekostet. Leider war das Geld dafür nicht da. Am Ende ist eine kleine Studie herausgekommen, bei der wir erst einmal schauen müssen, welche Bedarfe wir überhaupt im Bereich Medienkompetenz und -erziehung haben und wie wir diese umsetzen.

Ein letzter Punkt zum Fördervollzug des Kommunalen Sozialverbandes: Auch hier wird deutlich, wie sehr das Geld fehlt. Wir hatten im Bereich der überörtlichen Jugendverbände, die auch eine gewisse Anregungs- und Fachberatungsfunktion für den gesamten Freistaat haben, allein in diesem Jahr zwölf Widersprüche, weil die Anträge nicht in dem Umfang bewilligt wurden. Es gibt zum Beispiel Fälle, in denen Personalkosten nicht bewilligt wurden, weil sie an den öffentlichen Tarif angelehnt sind. Es wird gesagt: Dann müsstet ihr halt weniger zahlen. Das kann doch nicht wahr sein! Das ist doch schon fast gesetzeswidrig.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Wenn dann die Widersprüche angenommen wurden – es waren zwei Widersprüche –, dann waren das interessanterweise zwei konfessionelle Träger. Sie haben plötzlich einen Bildungsreferenten bekommen. Dafür waren plötzlich 60 000 Euro da. Das ist dann passiert, nachdem Herr Krauß beklagt hatte, dass bei den konfessionellen Trägern im überörtlichen Bereich zu viel gekürzt wurde. Dazu sage ich: Das ist politische Willkür auch im Fördervollzug des kommunalen Sozialverbandes.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das hat sehr wenig mit einer gesteuerten Kinder- und Jugendpolitik zu tun.

Ich glaube, ich bin auf alle Anmerkungen, die hier kamen, eingegangen, und komme zum Schluss. Wir haben dann noch den Entschließungsantrag. Danach kommen wir zur Sache zurück.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Herr Schreiber für die CDU-Fraktion, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr schön, dass wir uns auch bei solchen Themen eine lebhafte Debatte in diesem Haus liefern. Das gehört dazu. Ich wünschte mir das auch bei so manch anderer Debatte.

Ich denke aber, ich sollte mit ein paar Dingen Klarschiff machen. Herr Mann, ich würde Ihnen gern, obwohl ich das letztens schon getan habe, noch einmal erklären, worin der Unterschied liegt zwischen einer reichen Kommune und einer Kommune, die nur konsolidiert bzw. ordentlich haushaltet, also keine Schulden mehr hat und keine neuen macht. Ich mache es an dem gleichen Beispiel fest, wie ich es schon einmal jemandem aus Ihrer Fraktion erklärt habe. Wenn Sie sich von Ihrer Oma 20 Euro leihen und diese Ihrer Oma irgendwann wiedergeben, heißt das noch lange nicht, dass Sie deswegen mehr Geld im Portemonnaie haben. Sie haben aber keine Schulden mehr und müssen im Zweifel, wenn Ihre Oma nicht sehr kapitalistisch veranlagt wäre, auch keine Zinsen an Ihre Oma zahlen. Sie haben sozusagen das Geld, was

Sie zusätzlich an Zinsen aufbringen müssten, jetzt noch, um es erneut in irgendwelche Dinge zu investieren.

Ebenso macht es die Landeshauptstadt Dresden. Sie hat keine Schulden mehr, sie muss keine Zinsen mehr zahlen. Sie nimmt auch keine Schulden – zumindest bisher – mehr auf, sodass sie das Geld, das sie früher zur Bank getragen hat, jetzt in die Sanierung von Kitas und Schulen stecken kann. Das ist der richtige haushaltspolitische Weg.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das heißt aber noch lange nicht, dass die Landeshauptstadt Dresden letztendlich mehr Geld in der Tasche hätte.

(Annekatrin Klepsch, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Herr Schreiber, es gibt jetzt eine Frage von der „Enkelin“.

Von der Enkelin?

Das haben Sie jetzt nicht verstanden. Frau Klepsch, bitte.