Wir fahren fort in der zweiten Runde der allgemeinen Aussprache, meine Damen und Herren. Die SPD-Fraktion hat zu diesem Tagesordnungspunkt keine Redezeit mehr. Ich frage die FDP-Fraktion. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abg. Herr Biesok.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für uns als Demokraten schier unerträglich, dass eine Bande rechtsradikaler Menschenverachter ein Jahrzehnt lang aus dem Untergrund und vom sächsischen Territorium aus durch unser Land zieht und Mitbürger aufgrund ihrer ethnischen Herkunft ermordet. Umso verwunderlicher ist es für mich, dass gerade aus den Reihen von Oppositionspolitikern bereits heute Schlussfolgerungen aus den Verbrechen gezogen und eventuelle Versäumnisse von Behörden im Freistaat Sachsen erkannt werden.
Herr Kollege Dr. Hahn, Sie haben den Verfassungsschutz in Sachsen insgesamt infrage gestellt. Ich denke, das war sehr voreilig. Es sind gerade erst zehn Tage seit dem Bekanntwerden dieser Taten vergangen und niemand kann heute beurteilen, was tatsächlich gewesen ist, oder sich anmaßen zu behaupten, allumfassend informiert zu sein. Gleichwohl wird eine ganze Behörde infrage ge
stellt. Damit Sie mich richtig verstehen – ich möchte den zuständigen Stellen in Sachsen keinen Persilschein ausstellen. Das gilt sowohl für die Polizei als auch für die Justiz und ganz besonders für das Landesamt für Verfassungsschutz. Wir haben auch noch keine Erkenntnisse darüber, wo genau das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Auftrag nicht erfüllt hat, wo eventuell die Polizei oder die Staatsanwaltschaft Ermittlungsansätze übersehen haben.
Wir müssen uns auch die nötige Zeit nehmen, um die Vorfälle sorgfältig aufzuarbeiten und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Mein Fraktionsvorsitzender hat hierzu schon Stellung genommen.
Das Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe weist viele Parallelen zur Roten-Armee-Fraktion aus der Bonner Republik auf. Sie hat damals als sogenannte BaaderMeinhof-Bande angefangen. Sie wurde auf ihre Gründer reduziert. Herausgekommen ist eine Terrororganisation, die über vier Generationen mordend durch das Land gezogen ist. In 28 Jahren ihrer Existenz haben sie 34 Menschen ermordet. Weit über 200 sind verletzt worden. Wir müssen aufpassen, dass aus der Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ nicht eine über mehrere Generationen operierende Terrorgruppe wird. Hierzu müssen wir die entsprechenden Instrumente nutzen. Anders als in den Siebzigerjahren gibt es Institutionen und auch gesetzliche Regelungen, mit denen wir den Terrorismus im Freistaat Sachsen und in der ganzen Bundesrepublik bekämpfen können. Wir können uns nicht damit abfinden, dass der Rechtsstaat dem Terrorismus weicht. Wir müssen in Ruhe analysieren, welche Fehler aufgetreten und wo Optimierungspotenziale sind. Insbesondere auf der Bundesebene müssen wir über eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden sprechen. Eine Datenbank, die jetzt eingerichtet werden soll, ist vielleicht der erste Schritt, aber bestimmt nicht der letzte. Wir müssen den Verfassungsschutzämtern auf Bundes- und Länderebene vorhalten, warum sie trotz guter materieller und personeller Ausstattung den NSU nicht erkannt und nicht in ihren Berichten erwähnt haben.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir den Verfassungsschutz in Sachsen weiterentwickeln und seine Kernkompetenzen stärken wollen. Wir wollen die Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission stärken und sie organisatorisch neu aufstellen. Wir haben vereinbart, dass wir das Mobile Einsatzkommando Staatsschutz weiter fortführen. An diesen Vorhaben halten wir fest, daran werden wir arbeiten.
Aus den Vorgängen der Bonner Republik und der RoteArmee-Fraktion haben wir eines gelernt: Nicht jeder Anschlag muss die Gesetzgebungsmaschine in Gang setzen, um mit immer neuen Gesetzen den Verfolgungsdruck auf Terroristen zu erhöhen. Gleiches gilt für mich für ein NPD-Verbot. Ein NPD-Verbot hier im Lande – so abscheulich ich auch die Kollegen im Landtag finde – ändert nichts daran, dass wir Rechtsradikale im Land
Aus liberaler Sicht kann die Antwort der Politik auf diese unglaublichen Vorfälle nicht in einer weiteren Einschränkung von individuellen Freiheiten liegen, denn dann hätten die Feinde der Demokratie, die sich zum Ziel gesetzt haben, unsere freiheitliche Ordnung abzuschaffen, ihr Ziel erreicht. Terroristen sind keine Gesetzgeber, das sind immer noch die Parlamente. Dieser Verantwortung sollten wir uns auch bewusst sein.
Ich möchte hier auf die Norweger Bezug nehmen, die nach den Terroranschlägen, die dort passiert sind, mit Besonnenheit auf die Vorkommnisse reagiert haben.
Sie haben eine Analyse gemacht und nicht vorschnell reagiert. Ich würde mir wünschen, dass wir hier auch entsprechend vorgehen.
Meine Damen und Herren! Auch wenn das hier vielleicht politisch unpopulär ist und die politische Correctness verletzt: Ich denke, wir sollten uns auch noch einem anderen Punkt zuwenden. Wir müssen uns doch über eines im Klaren sein: Terroristen erreichen wir nicht über interkulturelle Integrationsprojekte. Wer erst zehn Menschen heimtückisch ermordet, dann aber seine beiden Katzen zum Nachbarn bringt, damit sie bei der Wohnungssprengung, die kurz bevorsteht, nicht verletzt werden, ist jenseits von unserem Wertesystem. Solche Menschen gehen nicht zu einer bürgerschaftlichen Initiative, die sich mit Asylsuchenden und anderen Ausländern beschäftigt. Hier ist es die Aufgabe von Justiz, vom Verfassungsschutz und von der Polizei, diese Menschen hinter Gitter zu bringen. Der Wirkungskreis von Sozialarbeitern, die sich zum Teil sogar weigern, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen, ist hier erschöpft.
jemals so viel Geld für die Bekämpfung des Rechtsextremismus ausgegeben, wie die derzeit amtierende. 24 Millionen Euro gehen jedes Jahr in die entsprechenden Programme. Das sind 4 Millionen Euro mehr als unter Rot-Grün.
Tatsächlich ist das so viel Geld, dass von den zur Verfügung stehenden Mitteln noch immer 8,5 Millionen Euro übrig bleiben, weil sich keine Verwendung dafür findet.
Wir haben hier auch einmal zu schauen, wie wir mit diesen ganzen Programmen umgehen. Wir müssen uns angesichts des Terrors darüber unterhalten: Haben die bisherigen Fördermaßnahmen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene – da schließe ich das Programm „Weltoffenes Sachsen“ ausdrücklich mit ein – ihre Wirkung erreicht –
und haben wir hier intensiv genug den Rechtsradikalismus bekämpft? Diese Frage müssen wir uns stellen. Das gehört auch mit zur Aufarbeitung der Vorgänge, die wir hier hatten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So bitter es ist, die schrecklichen Taten der Terrorzelle Nationalistischer Untergrund könnten zum ersten Mal eine fundierte, parteiübergreifende Diskussion über das Thema Rechtsextremismus ermöglichen. Darüber bin ich einerseits erleichtert. Ich bin aber auf der anderen Seite auch verbittert darüber. In der praktischen Arbeit vor Ort oder auch bei Debatten hier im Landtag haben wir gegen eine konservative Mauer geredet. Belächelt, Thema nicht ernst genommen, oder im schlimmsten Fall wurden wir mit der einmal mehr oder weniger offen vorgetragenen Unterstellung konfrontiert: Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, ist vermutlich linksextrem. Ich hoffe, dass damit jetzt ein für allemal Schluss ist, auch wenn Herr Biesok gerade einmal wieder einen anderen Schlenker gemacht hat.
Es wird jetzt vor allem darum gehen, die richtigen Fragen zur Aufarbeitung der Geschehnisse zu stellen, und da betrachte ich schon mit einiger Sorge, wenn die offizielle Sprachregelung der Staatsregierung offenbar ist, es habe sich um ein Thüringer Terrortrio oder eine Thüringer Terrorzelle gehandelt. Das ist ein nicht gerechtfertigtes Manöver, um von Sachsen abzulenken.
Denn wesentliche Akteure des NSU haben mindestens zehn Jahre lang in Sachsen gewohnt und von hier aus gewirkt. Und so traurig es ist: Das ist die Verantwortung, der wir uns auch stellen müssen. Wir haben am Montag nach der Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission gehört: Der Verfassungsschutz habe von alldem nichts gewusst. Wie kann denn das sein? Wir haben – bezogen auf die Einwohnerzahl – bundesweit das perso
12 Millionen Euro erhält das Landesamt für Verfassungsschutz in diesem Jahr. Fast 200 Mitarbeiter arbeiten in der Behörde. Ich kann daraus letztendlich nur die Schlussfolgerung ziehen, Herr Biesok: Entweder wusste der sächsische Verfassungsschutz tatsächlich nichts – dann stellt sich mir die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Behörde –,
oder aber der Verfassungsschutz wusste etwas und verheimlicht es. Aber auch dann bin ich wieder bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Behörde. Wir kommen um diesen Punkt schlichtweg nicht herum.
Der zweite Punkt: Wir brauchen eine umfassende Fehleranalyse und Aufarbeitung der Frage, warum der NSU so lange morden und rauben konnte, ohne dabei entdeckt zu werden, wie wir es jetzt feststellen. Wir als GRÜNE werden uns aber nicht damit abfinden, wenn die nötige Aufarbeitung jetzt wieder hinter verschlossene Türen in irgendwelche geheim tagenden Gremien verlagert werden soll. Wir müssen uns auch der Tatsache bewusst sein, dass in den letzten Tagen und Wochen viel Vertrauen in der Bevölkerung verloren gegangen ist, Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Dieses Vertrauen können wir nur dann wieder herstellen, wenn lückenlos aufgeklärt und das Handeln von Behörden offen gelegt wird. Nicht Geheimhaltung, sondern Transparenz ist das Gebot der Stunde.
Noch ein Wort zur Rolle der Zivilgesellschaft. Das sollten wir nicht ganz ausblenden. Ich habe gestern mit einiger Erleichterung gelesen, dass der Herr Innenminister angekündigt hat, das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ um 1 Million Euro ab dem Jahr 2012 aufzustocken.
Das ist ein richtiger Schritt. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass damit lediglich der Status Quo aus dem Jahre 2010 wiederhergestellt wird. Damals standen 2 Millionen Euro für das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ zur Verfügung und zwei weitere Millionen Euro standen im Sächsischen Sozialministerium zur Verfügung. Im Sozialministerium wurde 1 Million Euro gekürzt. Wie gesagt: Ich freue mich, dass wir jetzt wieder eine Aufstockung haben, aber ich hätte mir die Kürzungsrunde doch gern gespart.
Der Kollege Biesok hat eben auch noch einmal den Gesinnungs-TÜV angesprochen. Dieses Problem will die
Staatsregierung offenkundig nicht angehen. Herr Biesok, noch mal: Die Vereine weigern sich nicht, sich zur FDGO zu bekennen, sondern sie weigern sich, ein grundrechtswidriges Bekenntnis unterschreiben zu müssen. Das ist der Punkt an dieser Stelle.