Protokoll der Sitzung vom 23.11.2011

Frau Junge, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordneten! Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 7 Millionen Euro

Defizit, Erzgebirgskreis fast 20 Millionen Euro Defizit, Landkreis Mittelsachsen 33 Millionen Euro Defizit,

Landkreis Nordsachsen 35 Millionen Euro Defizit. Diese vier Landkreise haben mittlerweile erhebliche Haushaltsprobleme. Die Aufzählung, die ich hier vorgenommen habe, werden wir mittelfristig leider auch mit anderen Landkreisen fortsetzen können. In fünf Landkreisen gibt es mittlerweile schon Haushaltskonsolidierungskonzepte. In 39 Gemeinden wurden 2011 Haushaltssperren verhängt.

Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten: Können wir als Landespolitikerinnen und Landespolitiker mit dieser Entwicklung auf der kommunalen Ebene zufrieden sein? Ich sage deutlich: Nein!

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Die kommunale Selbstverwaltung geht den Bach runter. Die Landkreise und die Gemeinden sind nicht mehr handlungsfähig. Beispiele hierfür kann man in vielfältiger Form bringen. Die Landesdirektionen legen mittlerweile

Maßnahmen für die Landkreise fest, die Struktur- und Finanzprobleme haben. Die Landesdirektionen legen fest, was vor Ort gekürzt werden muss. Sie legen eine Erhöhung der Kreisumlage fest. Sie legen fest, ob es Kreditermächtigungen gibt oder nicht. Sie legen Haushaltssperren fest. Sie legen die Streichung freiwilliger Aufgaben fest. Das hat wirklich nichts mehr mit kommunaler Selbstverwaltung zu tun. Die Landkreise und die Gemeinden sind Opfer der drastischen Kürzungen hier im Freistaat Sachsen und des Bundes. Sie werden mittlerweile durch das Land zwangsverwaltet.

Ich möchte ganz konkret das Beispiel Landkreis Nordsachsen beleuchten. Nordsachsen hat in diesem Jahr erst im Oktober nach langen Verhandlungen seinen Haushaltsplan genehmigt bekommen, allerdings mit sieben Auflagen. Aus Zeitgründen kann ich nicht alle sieben vorstellen. Ich konzentriere mich auf drei Punkte.

Erstens soll ein strukturschwacher Landkreis jährlich außerordentlich viel Kredit tilgen, nämlich jedes Jahr mindestens 1 Million Euro. Wie das zu schaffen ist – großes Fragezeichen. Die zweite Auflage: Der Landkreis Nordsachsen muss bis zum 31. Dezember 2011 ein Wertgutachten für die Beteiligung an seine drei Kliniken erstellen. Was kommt danach? Drittens musste die Kreisumlage von 31,5 % erhöht werden. Zunächst lautete die Auflage, sie auf 32,8 % zu erhöhen. Nach vielen Verhandlungen wurde eine Kreisumlagenerhöhung auf 32,3 % erreicht.

Das trifft die Kommunen vor Ort in großem Maße. Im Landkreis Nordsachsen gibt es jetzt schon 36 Kommunen, die akute Probleme mit ihren Haushaltsplänen haben. Durch die Erhöhung der Kreisumlage wird sich dieses Problem nicht von selbst erledigen.

Deswegen fordere ich die Staatsregierung auf, endlich etwas gegen die Pleite der Landkreise und der Gemeinden zu tun.

(Beifall bei den LINKEN sowie der Abg. Henning Homann und Petra Köpping, SPD)

Wir brauchen eine offene Debatte mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Finanzfachleuten, um hier endlich neue Ziele zu formulieren. Eine aufgabengerechte Finanzierung muss gewährleistet sein. So steht es in der Verfassung. Genau diese Debatte sollten wir hier im Sächsischen Landtag führen. Sie muss heute beginnen und nicht erst dann, wenn der Haushaltsplan nächstes Jahr fertig ist. Deshalb meine Bitte, auch dies hier umzusetzen.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Die CDUFraktion, bitte. Herr Abg. Christian Hartmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich folge gern Ihrer Einladung, heute über dieses Thema zu diskutieren. Allerdings sollten wir es nicht allein am Thema Landkreise diskutieren, sondern im Kontext der Gesamtentwicklung.

Wir haben eine europäische Schuldenkrise. Wir stehen in Europa vor der großen Herausforderung, Einnahmen und Ausgaben anzupassen. Wir stehen in Deutschland – nicht nur im Bund, sondern auch in den einzelnen Bundesländern – vor der großen Herausforderung, Einnahmen und Ausgaben anzupassen. Und wir stehen vor der Herausforderung, auch die Landkreise und die Kommunen mit einem entsprechenden Finanzrahmen auszustatten. Das heißt, das Hemd wird kleiner, und es muss immer noch reichen. Insoweit geht es also darum, die Strukturen an die Herausforderungen, etwa an demografische Veränderungen und Globalisierung, anzupassen. Das Thema Landkreise kann nicht von den gesamtfinanziellen Entwicklungen unseres Landes und der Bundesrepublik Deutschland losgelöst werden.

Wie ist die Situation in Deutschland? 301 Landkreise in Deutschland haben derzeit ein Defizit von 906 Millionen Euro. 128 davon haben keinen ausgeglichenen Haushalt. Das heißt, 42,5 % aller Landkreise Deutschlands sind unterfinanziert. Das betrifft die Länder Brandenburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen, NordrheinWestfalen und insbesondere Rheinland-Pfalz.

Wie ist die tatsächliche Situation in Sachsen? Von zehn Landkreisen haben im Jahr 2011 sieben einen ausgeglichenen Haushalt. Das sind 70 %. Zwei Landkreise haben durch eine Anhebung der Kreisumlage – Görlitz durch entsprechendes Handeln der Landesdirektion – nunmehr

einen ausgeglichenen Haushalt. Der Landkreis Zwickau mit einem Fehlbetrag von 500 000 Euro wird diesen – das sage ich so deutlich – mit dem Jahresüberschuss von 2,4 Millionen Euro im Jahr 2010 auch kompensieren können.

Insgesamt ist die Situation im Jahr 2011 für unsere Landkreise nicht schön, aber in finanzieller Hinsicht ausgeglichen.

Wenn wir uns ganz Deutschland anschauen, stellen wir fest, dass die Landkreise West – also die der alten Bundesländer – einen Finanzierungssaldo von fast 960 Millionen Euro aufweisen, während die neuen Bundesländer immerhin noch knapp einen Überschuss erzielen. Wir sind noch aktiv im Prozess der Schuldentilgung. Die Nettokreditaufnahme in den neuen Bundesländern liegt weit unter dem, was die westdeutschen Landkreise aufnehmen müssen.

Wie setzt sich die Einnahmenstruktur der Landkreise zusammen? Ich beginne mit der Kreisumlage. Diese ist in Sachsen mit durchschnittlich 29,82 % die niedrigste aller deutschen Länder. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 45 %.

Sicherlich kann man mit Blick auf das FAG – damit komme ich zum nächsten Thema – diese Rechnung so pauschal nicht anstellen. Das FAG in Sachsen folgt dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz. Demnach werden kreisangehörige Gemeinden, Landkreise und kreisfreie Städte anteilig an der Einnahmenstruktur des Freistaates beteiligt. Geht es unserem Land wirtschaftlich und finanziell gut, haben Gemeinden und Landkreise mehr Mittel zur Verfügung. Geht es dem Land in Summe schlecht, wird es auch eine Herausforderung für die Kommunen geben.

Die Situation in den Landkreisen ist heute nicht besorgniserregend. Gleichwohl gibt es regionale Schwerpunkte, denen wir uns stellen müssen. Wir haben zudem eine Diskussion, die in die Zukunft gerichtet ist, zu führen. Sie hat sich daran auszurichten, dass die Einwohnerzahlen insbesondere in den Landkreisen zurückgehen, während sie in den großen Städten, insbesondere in Dresden, steigen. Deswegen bedürfen wir neuer, zukunftsorientierter Antworten im FAG und in der Finanzierung der kommunalen Familie insgesamt. Mit Blick auf die sinkenden Einnahmen des Freistaates Sachsen wird uns das vor große Herausforderungen stellen; ich nenne nur das Stichwort Abschmelzen der Solidarpaktmittel.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, führen wir an dieser Stelle keine populistische Debatte! Fahren wir das Thema nicht dramatisch nach oben! Wir können feststellen: Die Ausgangslage in Sachsen ist immer noch gut. Sie unterscheidet sich erheblich von der in anderen Bundesländern.

Stellen wir uns den Herausforderungen, die anstehen! Reden wir darüber! Finden wir sinnvolle Lösungen! Wehklagen wir nicht an einer Stelle, wo es noch gar nichts zu wehklagen gibt!

(Beifall bei der CDU)

Für die SPDFraktion Frau Abg. Köpping, bitte.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Abgeordnete! Ich bedanke mich zunächst bei den LINKEN, dass Sie das Thema aufgerufen haben. Wir haben gehört, wie widersprüchlich und unterschiedlich die Auffassungen über die Situation der Landkreise in Sachsen sind.

Ich war jüngst mit dem Ministerpräsidenten in Österreich auf einer Werbetour für Sachsen. Dort ist allen Menschen erzählt worden, wie gut, wie toll und wie klasse wir Sachsen sind. Ich kann dem in vielem zustimmen.

(Dr. Matthias Rößler, CDU: In fast allem, Frau Kollegin!)

In fast allem. – Es gibt aber auch einen anderen Aspekt der Situation. Die Landkreise haben vor wenigen Wochen, im September, eine „Zwickauer Erklärung“ abgegeben. Darin wird dargelegt, wie in naher Zukunft die Situation in Sachsens Landkreisen aussehen wird. Ich möchte das nicht auf die Landkreise reduzieren, weil es die Städte und Gemeinden genauso betrifft. Am Ende ist jedoch der Bürger betroffen, niemand sonst.

Manchmal höre ich hier, gerade wenn ich an einer Landrätekonferenz teilnehme, wie dankbar wir sind und wie klasse wir die Landkreise finden. An dieser Stelle folgt etwas, was sonst immer von der CDU kommt: ein herzlicher Dank an die Landräte, die in dieser Situation wirklich tolle Leistungen für ihre Landkreise erbringen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den LINKEN)

Ich höre immer wieder deutlich die Aussage, wie wichtig uns Landkreise, Städte und Gemeinden sind.

Dann sind wir hier im Landtag. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der eine oder andere zwei Gesichter aufsetzt: das eine, wenn er im Kreistag sitzt – viele von uns sind dort vertreten –, das andere, wenn er hier im Landtag Beschlüsse fasst.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE)

Das Zwickauer Papier, das ich gerade erwähnt habe, befasst sich mit vielen Fragen. Eine muss ich ansprechen, weil es nicht nur um die Finanzen der Landkreise, sondern um die Gesamtsituation geht. Es geht also nicht um das Geld allein. Heute ist die Lage noch gut – Herr Hartmann, das haben Sie völlig richtig bemerkt –, aber sie ändert sich gerade. Das ist unser Problem.

Zur Finanzausstattung in den Kommunen finden sich in der Zwickauer Erklärung allein 13 Punkte. Ich habe leider nicht so viel Zeit, um darauf ausführlich eingehen zu können. Deshalb greife ich nur einzelne Punkte heraus.

Wir haben eine Funktional- und Verwaltungsreform durchgeführt. Heute, nach fast vier Jahren, müsste man

doch Ergebnisse sehen können. Ich stelle fest: Nur zwei Landkreise in Sachsen konnten ihre Schulden senken. Bereits vier sind mit über 30 % in der Kreisumlage.

Herr Hartmann, Sie haben argumentiert, das sei fast die geringste Kreisumlage in Deutschland. Ich bitte Sie wirklich, sich die Mühe zu machen und sich anzuschauen, wie unterschiedlich die Aufgaben der Landkreise in Deutschland sind.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Ich verweise nur auf unser Nachbarland Thüringen: Dort müssen die Landkreise auch die Schulen finanzieren; sie sind Schulträger. Angesichts dessen kann ich die finanzielle Situation der Landkreise dort doch nicht mit der der Landkreise in Sachsen – hier sind sie nicht Träger dieser Aufgabe – vergleichen.

Der Freistaat muss Lösungen aufzeigen, wie es angesichts der Einnahmenausfälle im Zusammenhang mit Hartz IV und den SoBEZs – diese bekommen wir nur noch zwei Jahre – weitergehen soll. Ist es Sache der Landkreise allein, dies zu regeln? Wie reagieren die Landkreise heute? Alle legen Konsolidierungsprogramme auf. Jeder Kreistag macht das. Schaut man in ein solches Konsolidierungsprogramm hinein, erkennt man einen großen finanziellen Brocken: die Personalausgaben. Diese sollen abgebaut werden. Das wiederum bedeutet, dass wir die Leistungen für die Bürger, die sie von uns erwarten, so nicht mehr erbringen können. Insofern ist das eine sehr einseitige Betrachtung vonseiten der Landkreise.

Ich stehe hier vor dem Landtag und muss feststellen, dass ein Landkreis auch 90 Abgeordnete im Kreistag hat. Wenn Sie sich die Finanzsituation der Landkreise anschauen, dann sehen Sie, dass die Kreisräte nicht einmal mehr über 10 % der Ausgaben zu entscheiden haben; denn alles andere sind Pflichtaufgaben. Ich frage Sie: Welche Außenwirkung hat es, wenn der Kreistag eigentlich nichts weiter ist als der Abnicker der Pflichtaufgaben des Landrates? Ich will damit sagen, dass die Finanzsituation der Landkreise auch Auswirkungen auf demokratische Prozesse hat. Ich kenne diese Diskussion auch aus meinem Landkreis ausführlich.

Ich gehe noch auf zwei Punkte ein, die Herr Hartmann angesprochen hat: Hinsichtlich des Finanzausgleichs fordern die Landräte, dass die FAG-Quote von 75 auf 85 % erhöht wird. Dem können wir zustimmen, weil in Zukunft die Städte und Gemeinden – das ist die einzige Finanzierungsquelle, die ein Landkreis hat – diese Rechnung bezahlen müssen. Stadt und Gemeinde – das bedeutet: Alle Probleme, die wir in Sachsen haben, hat der Bürgermeister vor Ort mit seiner Bevölkerung zu klären. Das kann nicht in unserem Sinne sein.

Lassen Sie uns gemeinsam an einer neuen Strategie für die Landkreise – auch für die drei großen Städte – arbeiten, damit es nicht nur Sachsen, sondern auch den Menschen in Sachsen gutgeht!