Protokoll der Sitzung vom 24.11.2011

Ich halte es schlichtweg für Wahnsinn, was da gemacht wird.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Es ist fatal, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrogen und belogen werden, indem behauptet wird, sie sollten mit solchen Tröpfchen „entlastet“ werden. Diese Behauptung wird vor sich her getragen wie eine Monstranz. Dabei haben 40 % der Einwohner dieses Landes überhaupt nichts davon. Die im Niedriglohnsektor Beschäftigten haben nichts davon, weil sie überhaupt keine Einkommensteuer zahlen. Diejenigen, die knapp darüber liegen, erzielen eine Steuerersparnis von vielleicht 1,40 oder 1,50 Euro. Wird der zusätzliche Pflegebeitrag abgezogen, bleiben 75 Cent übrig. Das reicht nicht einmal für ein Eis, geschweige denn für eines von Mövenpick.

Die richtige Antwort wäre – damit die Bezieher niedriger Einkommen tatsächlich partizipieren –, den Mindestlohn einzuführen. Diesen Schritt hätte ich mir als Ergebnis der Haushaltsberatungen gewünscht.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Es ist nicht nur SPD-Meinung, dass das Vorhaben der Bundesregierung Blödsinn ist. Die Kritik wird von der Deutschen Bundesbank, von der Wirtschaft und vom Rechnungshof geteilt.

(Arne Schimmer, NPD: Und von der NPD!)

Es ist also nicht nur eine parteipolitische Fata Morgana der SPD, dass es Irrsinn ist, dafür die Verschuldung aufzustocken. Jeder in Deutschland, der ein bisschen Grips im Kopf hat, sagt sich: Wenn ganz Europa sparen soll und wir Deutschen das vehement einfordern, können wir doch nicht bei uns die Neuverschuldung aufstocken, damit der Einzelne als Placebo 5, 10 oder 15 Euro weniger Steuern zahlt. Das ist einfach abenteuerlich.

(Beifall bei der SPD)

Welche Auswirkungen das in Sachsen hat und was es mit Mövenpick zu tun hat – dazu komme ich in meinem zweiten Beitrag.

(Beifall bei der SPD)

Für die einbringende Fraktion der SPD sprach Herr Kollege Pecher. – Jetzt spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Patt.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste ein Mitglied der FDP-Fraktion zuerst sprechen; denn Mövenpick ist nicht zuerst das Thema der CDU gewesen.

(Zuruf von der NPD: Aber Sie haben es mitgetragen!)

Wir haben es mitgetragen. So trägt man gemeinsam manche Last.

(Heiterkeit und Beifall – Holger Zastrow, FDP: Vielen Dank!)

Es ist zunächst eine Berliner Entscheidung, und in Sachsen ticken die Uhren tatsächlich deutlich malade. Bei uns ticken die Uhren anders, was die Entschuldungsfragen betrifft, was das Haushalten und das Auskommen mit Geld angeht, aber in Berlin ist das tatsächlich anders. Es läuft dort nicht zur Freude aller, die hier im Parlament sitzen, zumindest nicht meiner Koalition.

Wenn es um eine Berliner Entscheidung geht, müssen wir zunächst überlegen, was wir davon wissen. Es geht um 6 Milliarden Euro. Zwei Milliarden möchte der Bund übernehmen, an 4 Milliarden Euro sind die Länder anteilig belastet. Die Details sind uns noch unbekannt. Was auch immer getan wird, es wird auch Sachsen wehtun. Es kostet uns vielleicht 200 Millionen Euro, aber es ist zu schaffen. Wir haben eine schon niedrige Schulden- und Zinsbelastung, deshalb können wir uns so etwas, wenn es denn sein soll, leisten. Wir sprechen über den Bundesrat und andere Gremien dort mit.

Ich möchte, bevor wir in die weitere Debatte gehen, noch ein paar Daten bezüglich unserer Ausgangsbasis auf Bundesebene nennen. Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt von 2,4 bis 2,5 Billionen Euro, Schulden von 1,8 bis 2 Billionen Euro, also 24 000 Euro pro Einwohner. Dazu kommt der Instandhaltungsrückstau, die unterlassenen Investitionen, die erheblich sind. Das erinnert mich an die Zeit vor 1990. Wir haben implizite Schulden von 4 bis 5 Billionen Euro aus Sozialsystemen, davon 1,5 Billionen Euro allein Beamtenpensionen. Da möchte man als Schüler auf der Besuchertribüne mal überlegen, wie viel Nullen eine Billion hat. Das ist unerträglich hoch. Diese Schulden führen heute schon bei diesem niedrigen Zinsniveau zu Ausgaben von 36 Milliarden Euro auf Bundesebene. 12 % unseres Bundeshaushaltes geben wir für Schulden aus. Die Einnahmen reichen noch nicht einmal dafür, denn neben 250 Milliarden Euro Steuern, die wir einnehmen, nehmen wir noch 26 Milliarden Euro Neu

schulden auf. Das heißt, fast alle Investitionen auf Bundesebene sind schuldenfinanziert.

Vor diesem Hintergrund müssen wir werten, was mit diesen 6 Milliarden Euro gemacht werden soll und welche Alternativen es gibt. Was soll zunächst erreicht werden? Es wird mit der Überschrift der SPD-Fraktion suggeriert, dass es sich um eine Reichenentlastung handeln würde. Aber es ist eben nicht wie bei Mövenpick. Es ist keine Reichenentlastung, die FDP und CDU hier vorbereitet haben, sondern eine Entlastung unterer Einkommensgruppen. Richtig ist, wenn Herr Brangs sagt, dass bei Leuten, die wenig Steuern zahlen, auch nur wenig ankommt. Ja, das ist so. Deswegen muss man überlegen, welche Alternativen es noch gibt. Aber das ist zunächst Aufgabe der Bundesregierung.

Es geht für uns um ein Stück Gerechtigkeit, dass vor allen Dingen die vielen fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon etwas mehr haben und dass wir eine Angleichung machen; denn was wir oben durch die Progression mehr verdienen, weil die Reichen so deutlich belastet werden, das müssen wir nach unten umschichten, und das ist der Ansatz dieses Programms.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Durch die Anhebung von Grundfreibeträgen sollen zunächst die unteren Einkommen entlastet werden. Das finanziert sich eben durch diese progressive Mehrbelastung der Einkommensstarken und Gutverdienenden. Es geht um eine Besserstellung der Tätigen, also um einen Lohnabstand für diejenigen, die arbeiten, zu denen, die vielleicht keine Arbeit haben, danach suchen und nicht danach suchen, aber nicht immer nur mit staatlichen Almosen bedient werden können. Das unterscheidet diesen Ansatz von einem ansonsten staatsorientieren Ansatz. Der Staat muss es nur richten, also umverteilen.

Ich werde in meinem zweiten Beitrag Alternativen aufzeigen und bin gespannt, welche Ideen Sie haben, was man mit 6 Milliarden Euro so alles machen könnte. Ich wäre für die Schuldentilgung und Familiensplitting. Dazu werde ich nachher noch etwas sagen.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das war Herr Kollege Patt für die Fraktion der CDU. – Als Nächste spricht Frau Meiwald für die Fraktion DIE LINKE.

Danke. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Mövenpick der Steuertrick, so heißt die – ich gebe zu – nicht ganz so spannende 2. Aktuelle Debatte des heutigen Tages, mit der wir uns um die Steuerpolitik der FDP kümmern wollen – wohlgemerkt, Herr Zastrow, der Bundes-FDP.

Aber aufgrund der in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden bloßen Ankündigung von Steuersenkungen und der darauf folgenden Handlungsunfähigkeit, weil Kon

zeptlosigkeit, steht die FDP derzeit in den Umfragen – vorsichtig ausgedrückt – ganz schön schwach da.

Meine Damen und Herren! Liebe FDP-Fraktion! Eigentlich gehört es sich nicht, auf jemanden, der am Boden liegt, auch noch einzutreten. Die SPD-Fraktion hat aus gutem Grund diese Debatte heute beantragt, und wir werden sie in aller Sachlichkeit führen. Nun zu den Fakten: „Die FDP macht sich deshalb für ein Steuersystem stark, das soziale Gerechtigkeit, staatliche Fairness und eine nachhaltige Finanzpolitik vereint.“ So steht es im Wahlprogramm der FDP aus dem Jahr 2009. Jeder Satz, meine Damen und Herren, in dem soziale Gerechtigkeit vorkommt, klingt erst einmal gut, erweckt er doch den Anschein, man meine es wirklich gut mit den Menschen in unserem Land, mit den Ärmsten, den Gebeutelten, den Ausgegrenzten.

Aber, meine Damen und Herren, die so vollmundig angekündigte Gerechtigkeit haben 2010 die Hoteliers und noch nicht einmal die Gaststättenbetreiber erfahren, eine ganz bestimmt besonders schützenswerte Bevölkerungsgruppe, sind sie es doch, die mit der Steuerentlastung besonders für den Konsum und somit den wirtschaftlichen Aufschwung und solide Staatsfinanzen sorgen. Das aber war auch das einzig Konkrete, wenngleich nicht besonders Innovative, was Ihnen bis dato eingefallen ist, mal abgesehen von der derzeitigen Ankündigung, ab 2013 für Steuererleichterungen in Höhe von 6 bis 7 Milliarden Euro sorgen zu wollen; wobei Sie, Herr Patt, immer noch nicht genau wissen und es uns sagen, wie das gehen soll und wen es betrifft: ob nun tatsächlich die niedrigeren, mittleren oder doch die höheren Einkommen. Zu beachten ist die Einschränkung, dass es sich hier um 3 Milliarden Euro pro Jahr handelt und diese sich noch um circa eine Milliarde Euro verringern, die durch die Pflegeversicherung aufgefressen wird. Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren, geht definitiv anders.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Das Steuersystem in Deutschland ist nicht nur kompliziert, sondern auch ungerecht. So klingt der Satz aus der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP lobenswert, „einfache, niedrige und gerechte Steuern“ zu wollen. Der Einkommensteuertarif zum Beispiel steigt bei Überschreitung des Freibetrages bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 13 500 Euro etwa viermal so schnell wie bei höheren Einkommen. Und, meine Damen und Herren, das Privatvermögen in Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten auf fast 7,4 Billionen Euro verdoppelt. Die Hälfte der Menschen in Deutschland besitzt davon so gut wie nichts, während 10 % in unserem Land 67 % dieses Vermögens gehören.

Liebe FDP-Fraktion! Wen wollen Sie denn nun nach den Hoteliers entlasten? Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung errechnete, dass allein durch die Steuergeschenke an Reiche und Unternehmen seit dem Jahr 2000 – liebe SPD-Fraktion, seit Gerhard Schröder – der Staat beispielsweise auch in diesem Jahr 50 Milliarden Euro einfach so verschenkt. Das Deutsche Institut für

Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass eine Steuer von nur einem Prozent auf Vermögen von mehr als einer Million Euro dem Staat jährlich 9 Milliarden Euro bringen könnte. Solide Staatsfinanzen kann man auch auf anderen Wegen erreichen.

Ernst gemeinte Steuerentlastungen, meine Damen und Herren, für niedrige Einkommen unterstützt DIE LINKE ausdrücklich, aber nur in Verbindung mit höheren Abgaben für die Bezieher hoher Einkommen. Entlastung geht nur mit solider Gegenfinanzierung. Zuallererst brauchen die Menschen ein Einkommen, von dem sie leben können. Auch der Bundesbankpräsident Jens Weidmann hält Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung für problematisch und geht damit auf deutliche Distanz zu den Plänen der Bundesregierung. Er war immerhin einmal Wirtschaftsberater der Kanzlerin.

Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion! Hören Sie auf die Experten! Nehmen Sie Abstand von Ihren unsoliden Ideen, die eben nicht gegenfinanziert sind. Dieses Land kann es sich nicht leisten, Ihnen weitere Wahlkampfgeschenke zu finanzieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Das war Frau Kollegin Meiwald von den LINKEN. – Für die Fraktion der FDP spricht jetzt Herr Kollege Zastrow.

(Karl Nolle, SPD: Ein Experte!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es mir schon längst abgewöhnt, die Debattenbeiträge der sächsischen Sozialdemokraten in diesem Haus sonderlich ernst zu nehmen, aber was die sächsische SPD-Fraktion heute hier bietet, vor allem was falsche Unterstellungen, die üblichen Behauptungen und die Vergesslichkeit hinsichtlich des eigenen Handelns betrifft, ist schon sehr bemerkenswert. Aber lassen Sie mich der Reihe nach ausführen.

Zu Mövenpick und zur Senkung der Mehrwertsteuer für das Beherbergungsgewerbe: Wissen Sie, die FDP kämpft seit 2002 genau dafür. Wir haben so lange dafür gekämpft, weil wir Wettbewerbsnachteile für unsere Tourismuswirtschaft mindern wollten. Wie Sie alle wissen, gibt es in fast allen unseren Nachbarländern für das Tourismusgewerbe einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Das gilt auch für Tschechien. Dort ist es genau die Hälfte des normalen Mehrwertsteuersatzes. Das gilt auch für Polen. Dort ist es ein Drittel des üblichen Mehrwertsteuersatzes.

(Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Dass unsere eigene Tourismusindustrie, jedes dieser vielen kleinen mittelständischen Unternehmen, darunter zu leiden hat, wissen wir alle. Deswegen kämpfen wir schon so lange dafür, weil wir Arbeitsplätze sichern wollen und weil wir auch zu Investitionen in der Branche

motivieren wollen. Das ist übrigens etwas, was in beeindruckender Weise auch passiert ist.

Im Übrigen, meine Damen und Herren – das zum Thema Vergesslichkeit –, sind wir mit dieser Überzeugung nicht allein, sondern genau diese Überzeugung, die Wettbewerbsnachteile für unsere Tourismuswirtschaft zu lindern, steht im Wahlprogramm der LINKEN im Jahr 2009. Das trifft auf einen großen Konsens. Auch die Konservativen wollen das schon seit 2002: bayerische SPD, bayerische GRÜNE. Und aktuell im letzten Wahlkampf hat der neue Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Herr Sellering, ein Plädoyer genau für diese Maßnahme von Schwarz-Gelb gehalten. Warum macht er das? – Weil er Ahnung hat, weil er in einem Land ist, das vom Tourismus lebt, und genau weiß, dass das für ihn ein Vorteil ist. Genau das haben wir gemacht.

Wundern Sie sich bitte nicht, dass wir zu dem stehen, was wir immer gefordert haben. Ich halte die Maßnahmen nach wie vor für richtig. Unsere eigene Wirtschaft profitiert davon.

(Beifall bei der FDP)