Protokoll der Sitzung vom 24.11.2011

Es wäre schön, wenn das bei Ihnen zum Wissensgewinn geführt hätte. – Sie haben in Ihrem Wahlprogramm eins zu sieben gefordert und jetzt fordern Sie eins zu zehn. Ich hätte mir gewünscht, dass man sich auf eine Zahl verständigt und diese durchzieht. Mir wäre es lieb, wenn Sie wüssten, was Sie genau wollen.

Wenn wir auf Sachsen schauen, sollten wir den Blick auch auf andere Bundesländer werfen, wie es dort aussieht. Jetzt wissen wir, dass der Betreuungsschlüssel im Osten im Durchschnitt etwas schlechter als im Westen ist. Das hängt auch damit zusammen, dass es im Westen relativ wenige Betreuungsmöglichkeiten, wenige Plätze in Kindertageseinrichtungen gibt. Also machen wir uns den Spaß und schauen uns an, wie es in Ost-Ländern aussieht. Ich habe eine Untersuchung vom Statistischen Bundesamt, Vergleich der Ost-Länder. Jetzt dürfen Sie, Herr Pellmann, raten, in welchem Bundesland die Betreuungsrelation am schlechtesten ist.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Was die Krippen betrifft, in Sachsen!)

Nein, leider nicht. Sie liegen daneben. Nach aktuellen Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes ist das dort, wo der rote Adler kreist: in unserem Nachbarland Brandenburg, wo Rot-Rot regiert. Kein anderes Bundesland hat eine schlechtere Betreuungsrelation als Brandenburg.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Das ist nicht wahr!)

Selbstverständlich, schauen Sie sich doch die Untersuchungen an!

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Die schauen wir uns ständig an!)

Es wäre mir schon lieb, bevor man hierher kommt und Forderungen aufmacht, dass man zunächst einmal die eigenen Genossen ins Gebet nimmt und die Anträge, die Sie hier stellen, auch einmal in den dortigen Landtagen stellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte auf ein weiteres Thema eingehen, auch wenn es von meinem Vorredner nicht so tiefgründig erwähnt worden ist: die Kindergesundheit. Zunächst ist festzustellen: Wir haben zu viele Kinder, die übergewichtig sind. Wir haben zu viele Kinder, die schlecht sprechen können. Wir haben zu wenige Kinder, die sich richtig bewegen können, die in der Lage sind, auch einmal rückwärts zu laufen. Dort haben wir Probleme und dadurch eine Menge zu tun. Das liegt vielleicht auch daran, dass heute viel mehr Zeit vor dem Fernsehen verbracht wird, als dass man zum Spielen hinausgeht. Früher war es ganz normal, dass man seine Kinder zum Spielen hinausgeschickt hat. Die Generation, die hier im Landtag sitzt, hat das auch erlebt. Das ist heute eine Seltenheit. Heute wird auf Kinder sehr stark aufgepasst, dass sie ja nicht alleine hinausgehen, und sie sitzen, wenn man sich das einmal anschaut, viele Stunden vor dem Fernseher oder vor dem Computer. Das führt zu den Problemen, die wir haben, und daran muss man in der Tat arbeiten.

Wir haben aber auch positive Entwicklungen, wenn es darum geht festzustellen, wie es um die Kindergesundheit steht. Wir haben bei den Vorsorgeuntersuchungen Zunahmen. Es gehen mehr Kinder zu den Vorsorgeuntersuchungen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass wir ein Kinderschutzgesetz verabschiedet haben, in dem die Eltern daran erinnert werden, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.

Wir haben auch eine Zunahme bei den Impfquoten. Wir können feststellen, wie viele Kinder gegen verschiedene Krankheiten geimpft sind. Dort gibt es auch eine Verbesserung. Dennoch bleibt einiges zu tun, damit bei allen Krankheiten die empfohlenen Impfungen durchgeführt werden. Darauf richten wir unser Augenmerk.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, der für Kinder und Jugendliche gerade bei uns in Sachsen von fundamentaler Bedeutung ist. Hier geht es um Generationengerechtigkeit.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Jetzt kommt es!)

Herr Pellmann hat schon darauf gewartet, das freut mich.

Wir wollen, Herr Pellmann, dass Kinder auch in zehn Jahren noch eine hervorragende Schulausbildung bekommen, dass wir auch dann noch gute Kindergärten und Jugendklubs haben, dass auch dann noch Geld gerade für diese Sozialleistungen vorhanden ist. Es ist unser Ziel, nicht über unsere Verhältnisse und auf Kosten der heuti

gen Kinder und Jugendlichen zu leben. Deswegen verzichten wir auf neue Schulden. Wir machen im Freistaat Sachsen keine Schulden. Wenn man sich einmal anschaut, dass der Bund, die Bundesrepublik Deutschland seit über 40 Jahren, von einem Jahr einmal abgesehen, jedes Jahr mehr Geld ausgibt, als er einnimmt, dann sieht man, dass wir in Sachsen etwas Besonderes sind. Dann kann man einmal fragen: Weshalb machen sie das? Sparen sie um des Sparens willen oder aus welchen anderen Gründen?

Man kann sich einmal anschauen, was wir für eine Rendite haben, weil wir die letzten Jahre sparsam gelebt haben. Wir haben jetzt ein Haushaltsvolumen von ungefähr 16 Milliarden Euro. Hätten wir genauso Schulden gemacht wie die anderen neuen Bundesländer, würde uns pro Jahr eine knappe Milliarde Euro weniger zur Verfügung stehen, die wir als Zins und Zinseszins auf die Bank tragen müssten. Diese eine Milliarde Euro haben wir heute schon zur Verfügung, und wir können sie zum Beispiel in ein Landeserziehungsgeld investieren, das relativ wenige Bundesländer vorhalten, oder auch in gute Bildung. Ich möchte auch auf die Studie der „Initiative Neue soziale Marktwirtschaft“ verweisen. Neben Thüringen gibt es kein Bundesland, das mehr Geld für Bildung ausgibt als der Freistaat Sachsen. Darauf dürfen wir in der Tat stolz sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Mario Pecher, SPD: Wenn wir die Flut alleine finanzieren müssten, hätten wir weitaus mehr Schulden!)

Es ist doch schön, dass sie uns bei der Flut unterstützt haben. Allerdings weiß ich jetzt nicht, was das soll.

Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ende kommen. Wenn man sich die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen anschaut, dann, bitte, Hand aufs Herz: Zu welcher Zeit ging es Kindern und Jugendlichen hier in dieser Region besser als heute? Diese Frage dürfen wir uns einmal stellen. Dazu wird uns jedoch wenig einfallen. Kinder und Jugendliche haben heute im Freistaat Sachsen die besten Chancen. Das heißt aber nicht, dass es besser werden kann.

(Zuruf von der SPD: Es kann aber besser werden!)

Das hat doch nichts damit zu tun, dass wir nicht besser werden können, aber man muss doch einmal feststellen, dass es zu keiner Zeit Kindern und Jugendlichen – übrigens den Menschen insgesamt – besser gegangen ist als heute.

Wir haben beste Chancen, wenn wir uns die Schulen ansehen, die bei allen Bildungstests auf vorderen Plätzen oder sogar auf Platz 1 liegen. Wir haben hervorragende Kindertageseinrichtungen. Kinder haben die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Kinder wehren sich. Wer heute jung ist, wird sich später seinen Arbeitgeber aussuchen können.

Schauen Sie sich einmal die Jugendarbeitslosenquoten an. Wir haben jetzt in Spanien eine Jugendarbeitslosenquote von 46 %, in Deutschland sind wir in diesem Bereich einstellig. Wenn man dann sieht, wie viele Ältere den Arbeitsmarkt verlassen und wie wenig Junge nachkommen, dann ist klar: Jeder Jugendliche, jedes Kind, das heute bei uns im Freistaat Sachsen zur Schule oder in den Kindergarten geht, kann sich später seinen Arbeitgeber aussuchen.

Es gibt eine Menge zu tun – das hatte ich bereits angeführt –, zum Beispiel bei den Themen Schulabbrecher, Kindergesundheit und anderen. Das wollen wir anpacken. Dazu ist uns Ihr Entschließungsantrag leider keine Hilfe. Deshalb werden wir ihn ablehnen und bitten Sie, ebenso zu verfahren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Dr. Stange, Sie möchten vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen?

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ja, das möchte ich. Herr Krauß, unsere Große Anfrage hat sich nicht darauf bezogen, ob es den Kindern im 19. Jahrhundert schlechter gegangen ist als im 21. Jahrhundert, sondern uns ging es darum, dass es 25 % der Kinder – jedes Kind hat ein einzelnes Kinderschicksal – hier in Sachsen schlecht geht. Das ist auch durch die Statistik und durch die Tatsachen bestätigt worden.

Sie verweisen auf die Studien der „Initiative Neue soziale Marktwirtschaft“. Vielleicht sollten Sie einmal hineinschauen. Die Daten sind von 2006. Diese Generation ist, wenn sie die Chancen hatte, schon auf dem Arbeitsmarkt. 10 % der Jugendlichen jedes Jahr haben in Sachsen keine Chancen auf eine Berufsausbildung, auf einen vernünftigen Job, von dem sie leben können, weil sie die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Das ist unser Problem und nicht das, was Sie hier beschrieben haben. Dafür haben wir auch Vorschläge unterbreitet.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Herr Krauß, Sie möchten auf die Kurzintervention antworten?

Leider haben Sie keine Vorschläge in der Rede des Fraktionsvorsitzenden unterbreitet. Ich habe jedenfalls keine gehört.

Erstens. Wenn Sie selbst feststellen, dass es 25 % der Kinder und Jugendlichen im Freistaat Sachsen schlecht geht, dann ist das ein Armutszeugnis für Ihre eigene Bundesregierung unter Gerhard Schröder gewesen, die ja Hartz IV eingeführt hat.

Zweitens. Ich will noch einmal daran erinnern. Ja, ich verteidige sogar Gerhard Schröder und die SPD, als sie zu Regierungszeiten regiert haben, weil sie genau das eingeführt haben, um Armut zu verhindern, damit es Kindern

nicht schlecht geht. Dafür sind diese Sozialleistungen. Darauf möchte ich noch einmal hinweisen.

Drittens. Die Schulabbrecherquote muss gesenkt werden, das ist keine Frage. Sie wissen aber auch, dass es gewisse Schularten gibt, bei denen man, auch wenn man diese besucht, keinen Schulabschluss machen kann. Man muss darauf sehen, wie wir Schülern, die zum Beispiel geistig behindert sind oder eine andere Behinderung haben, dennoch eine Möglichkeit auf dem Arbeitsmarkt geben kann. Es gibt meines Erachtens Initiativen, dass diese Menschen mit Schwierigkeiten nicht automatisch in einer Werkstatt für behinderte Menschen ankommen, sondern auch die Möglichkeit haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Wir fahren in der allgemeinen Aussprache fort. Frau Klepsch für die Fraktion DIE LINKE.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Krauß, so begeistert, wie Sie gerade von unseren Bildungseinrichtungen gesprochen haben, frage ich mich doch, ob Sie die Aktuelle Debatte heute früh verpasst haben. Wir haben über eine Stunde über Lehrermangel und die Auswirkungen in der nächsten Zeit auf unser Bildungssystem und die Bildungserfolge diskutiert. Die Zeit der großen PISA-Erfolge für Sachsen wird vorbei sein. Um es noch deutlicher zu sagen: Ich glaube, Sie machen es sich ganz schön einfach zu fragen: „Wo ist es besser?“, um dann mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen, um von sich selbst und von der eigenen fehlgeleiteten Politik abzulenken.

(Alexander Krauß, CDU: Aber ein Vergleich muss schon einmal erlaubt sein!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Sache einmal etwas anders aufzäumen und fragen, was die Entwicklung und Ausbreitung rechtsextremen Milieus mit der sozialen Lage von Kindern und Jugendlichen zu tun hat. Beim ersten Blick für einige hier im Saal vielleicht gar nichts, aber wer die Augen aufhält, der weiß, was ich meine.

In den letzten Tagen wurde uns wieder einmal deutlich vor Augen geführt, wie sich in den wirtschaftlich und gesellschaftlich abgehängten Regionen und Milieus in Ostdeutschland politische Gesinnungen entwickeln

konnten, die jenseits einer demokratischen und toleranten Weltanschauung stehen. Nicht umsonst hat vor wenigen Tagen erst im Deutschen Hygienemuseum die Initiative „Augen auf!“ aus der Oberlausitz den Sächsischen Förderpreis für Demokratie erhalten, aus dem sich die Staatsregierung klammheimlich zurückgezogen hat.

Ich sage deutlich: Armut junger Menschen führt nicht automatisch in eine rechtsextreme Gesinnung. Ich sage aber auch: Wenn Menschen und insbesondere Kinder und Jugendliche von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlos

sen sind, dann finden sie seltener Anschluss in demokratischen Strukturen.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte uns eine Warnung sein. Diese Problematik lässt sich unter anderem im Lernatlas, der Anfang der Woche durch die Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht wurde, ablesen. Markante Indikatoren waren dort für Sachsen zum Beispiel die unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung und die unterdurchschnittliche Parteienmitgliedschaft der sächsischen Bevölkerung. So viel zum Thema Bildungssystem und demokratische Teilhabe.

Ich sage auch: Ein leistungsorientiertes Pflichtschulsystem, so wie Sie es verteidigen, das dazu vor allen Dingen noch auf Auslese setzt, trägt eben nicht zur Armutsvermeidung bei, sondern verstärkt sogar die Elitenbildung. Was hat Bildung nun mit Sozialpolitik zu tun? In einem Land, das sich wie der Freistaat Sachsen die Vermeidung des Fachkräftemangels auf die Fahnen geschrieben hat und das aufgrund dieser schwierigen demografischen Entwicklung wirklich jedes Mädchen und jeden Jungen – auch wenn sie benachteiligt oder behindert sind –, der hier geboren wird und aufwächst, benötigt – in einem solchen Land ist eine gezielte Sozialpolitik eine wesentliche Voraussetzung für das erfolgreiche Durchlaufen des Bildungssystems aller jungen Menschen.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Schaut man sich die Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage der SPD an, so kommt man wirklich zum Schluss – Kollege Dulig hat es gesagt –, dass die Staatsregierung nur schwerlich erfolgreich Sozialpolitik gestalten kann, weil es ihr schlicht an Informationen fehlt. Jedenfalls geht aus zahlreichen Antworten der Staatsregierung auf die Fragen der SPD – und das schließt sich nur an die Großen Anfragen meiner Fraktion zu sozialen Fragen an – hervor, dass die Staatsregierung von wesentlichen sozialen Sachverhalten entweder keine Ahnung hat oder keine Ahnung haben will.

(Karl Nolle, SPD: So ist es!)

Auf Seite 3 der Großen Anfrage geht es gleich gut los. Hier heißt es nämlich: „Spezifische Erhebungen und wissenschaftliche Untersuchungen zur Entwicklung der Armut von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen liegen der Staatsregierung nicht vor.“ Ich will das jetzt bewusst noch einmal wiederholen, auch wenn es vorhin schon erwähnt wurde, weil es mich erschüttert und weil es auch Ausdruck von Unverschämtheit von einem Sozialministerium ist.