Protokoll der Sitzung vom 24.11.2011

Auf Seite 3 der Großen Anfrage geht es gleich gut los. Hier heißt es nämlich: „Spezifische Erhebungen und wissenschaftliche Untersuchungen zur Entwicklung der Armut von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen liegen der Staatsregierung nicht vor.“ Ich will das jetzt bewusst noch einmal wiederholen, auch wenn es vorhin schon erwähnt wurde, weil es mich erschüttert und weil es auch Ausdruck von Unverschämtheit von einem Sozialministerium ist.

(Karl Nolle, SPD: Arroganz war das!)

Besonders lustig oder eigentlich makaber wird es auf Seite 36 bei Frage 7.16 nach der Situation der Schulsozialarbeit. Hier lässt uns nämlich das Sozialministerium wissen, dass der Staatsregierung zur Schulsozialarbeit in den einzelnen Schularten keine statistischen Daten vorliegen. Dazu sage ich: Liebe Kollegen aus dem Sozialminis

terium: Fragen Sie doch einmal beim Kultusressort nach. Die haben nämlich in Antworten auf Kleine Anfragen der Abg. Cornelia Falken und Eva-Maria Stange detailliert darstellen können, in welchen Schularten wie viele Vollzeitäquivalente für Schulsozialarbeit vorhanden sind.

(Karl Nolle, SPD: Wir haben die Telefonnummer nicht!)

Da können wir sicher weiterhelfen.

(Martin Dulig, SPD: Entschuldigung, dass wir gefragt haben! – Weitere Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wird die Staatsregierung in der vorliegenden oder in anderen Anfragen nach der Bewertung bestimmter Entwicklungen gefragt, so erhält man inzwischen nur noch eine patzige Standardphrase, dass man im Rahmen des Fragerechts gegenüber dem Landtag zur inhaltlichen Bewertung nicht verpflichtet sei. Dazu sage ich: Politisches Handeln ist nie wertfrei, erst recht nicht in Sachsen. Also kann ich sehr wohl eine Bewertung erwarten. Wann immer die Opposition Fragen stellt, die der Staatsregierung nicht in den Kram passen, wird sie herablassend behandelt. Martin Dulig hat es vorhin schon angedeutet.

Ich erinnere auch an unsere Große Anfrage zur Situation der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe aus diesem Frühjahr. Wir erhielten – wie auch die SPD auf ihre aktuelle Anfrage – Zahlen aus dem Jahr 2006, weit entfernt von der Wirklichkeit, obwohl wir uns als Freistaat ein eigenes Statistisches Landesamt leisten. Vielleicht müssen Sie dort einmal über die Aufgabenstellung sprechen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – das mag ja als politische Strategie eine Zeitlang funktionieren, aber es führt über kurz oder lang ins Abseits.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Auf das Bildungs- und Teilhabepaket gehe ich gern noch einmal ein, Herr Krauß. Immerhin scheint sich die Staatsregierung über ihre Steuerungsverantwortung bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes inzwischen bewusst zu sein; denn auf Seite 7 wird uns geantwortet: „Die Staatsregierung unterstützt die Kommunen bei der zügigen Umsetzung ihrer Aufgabe, damit die Leistungen für Bildung und Teilhabe so schnell wie möglich den anspruchsberechtigten Kindern und Jugendlichen zugutekommen.“ – So weit, so gut.

Wer aber im Frühjahr, vor einem halben Jahr, mit den Sozialdezernenten sächsische Kommunen und Landkreise gesprochen hat – auch mit Ihrem Sozialdezernenten im Landkreis Zwickau; er hat Ihr Parteibuch –, der traf jedoch vor allem auf Unverständnis und Kritik an der Zuschauerrolle, die das Sozialministerium bei der Ausgestaltung ausübt.

Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann sich doch nicht nur auf Autosuggestion gründen. Ich erinnere gern noch einmal daran: Im Januar sollte das Bildungs- und Teilhabepaket starten. Im März war es dann schließlich so weit, im April lagen aber kaum Anträge von Berechtigten

vor, weil die Eltern völlig überfordert waren oder oftmals nicht wussten, wann und wie sie solche Anträge stellen sollen, und immerhin schon Ende Juni – also drei Monate nach Start dieses Paketes – hat das Sozialministerium den Kommunen und Landkreisen eine schriftliche Handreichung zur Umsetzung nachgeliefert. Man muss wirklich sagen: nachgeliefert und sie nicht vorher beraten. Das ist politisches Steuerungsversagen.

Wir haben in den letzten zwei Jahren in Sachsen die dramatischsten Einschnitte in der Kinder- und Jugendhilfe der letzten zwei Jahrzehnte erlebt. Die SPD hat auch dazu einige Fragen gestellt, und die Antwort, die der Staatsregierung dazu einfällt, ist: Die Fragen sind unklar formuliert und können daher nicht beantwortet werden. Man kann sich auch dumm stellen.

Wenn es doch immer wieder Antworten in Form von Daten gibt, dann werden die Zahlen mitunter so ausgewählt, dass sie das Problem kaschieren. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung wegen der steigenden Rechtsansprüche – unter anderem auch noch aus direkten und indirekten Mitteln des Bundes finanziert – verdeckt zeitgleich den Niedergang der Kinder- und Jugendarbeit in den Bereichen, die keine individuellen Rechtsansprüche zur Grundlage haben.

Alle Kinder und Jugendlichen haben nicht nur ein Recht auf Schutz vor Gefahren – das ist das Lieblingsthema von Frau Clauß, das sie gern als Kinderschutz anpreist –, sondern auch ein Recht auf soziale Teilhabe und auf die bestmögliche Bildung. Dafür bedarf es geeigneter Maßnahmen, um wirksam zu werden.

Voraussetzung für die Entwicklung dieser Maßnahmen ist jedoch eine punktgenaue Sozialberichterstattung – und die fehlt für diese Zielgruppe – und eben nicht der Verweis darauf, welche Daten alle nicht statistisch vorliegen.

Dass der nächste Kinder- und Jugendbericht des Freistaates erst im Jahr 2014 erscheinen soll – also fünf Jahre nach dem letzten Kinder- und Jugendbericht, der wiederum Zahlen von 2008 hatte –, ist aus Sicht der LINKEN erst recht eine falsche Prioritätensetzung.

Ich komme zum Schluss. Die Fraktion DIE LINKE sieht Handlungsbedarf, um die Kinderarmut und die Armutsbedrohung junger Menschen in Sachsen konsequent abzubauen, und wird sich deshalb dem Entschließungsantrag der SPD anschließen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Herr Bläsner, Sie möchten vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen, wie ich annehme; Sie haben jetzt dazu Gelegenheit.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Klepsch, Sie hatten vorhin gesagt, dass das sächsische Schulsystem eine besondere Auslese betreiben

würde, und ich denke auch mit dem Tenor: eine besondere soziale Auslese. Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Zuruf der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE)

Wir haben im Freistaat Sachsen eine sehr verbindliche Bildungsempfehlung für den Gang auf das Gymnasium. Eine Studie auch des Max-Planck-Institutes hat festgestellt, dass diese Form der Bildungsempfehlung gegenüber dem freien Elternwahlrecht sozial gerechter ist, als es beispielsweise in Ländern praktiziert wird, in denen vor allem linke Parteien regieren und das freie Elternwahlrecht beim Übergang besteht.

Deswegen haben wir in Sachsen eine sozial gerechtere Lösung beim Übergang als viele andere Bundesländer in Deutschland.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Klepsch, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall. Damit fahren wir fort. Frau Schütz für die FDP-Fraktion; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer wieder richtig und wichtig, uns die soziale Lage von Kindern und Jugendlichen in Sachsen vor Augen zu führen. Das steht außer Frage.

Herr Dulig, das, was Sie hier als großer Entertainer mit der Einbringung dieser Großen Anfrage abgeliefert haben, trägt leider nicht zur Verbesserung bei, denn mit dem, was Sie hier darlegen – nach dem Motto: Hier ist es schlecht und aus dir wird sowieso nichts, wenn du in Sachsen ein bestimmtes Einkommen nicht hast –, tragen Sie auf keinen Fall zur Klimaverbesserung bei. Dieser Maßgabe, dass hier gesagt wird – auch von Frau Stange –, es geht 25 % der Kinder in Sachsen schlecht, mal einfach so pauschal gesagt, und das alleinig nur am Einkommen abzumachen, kann ich mich beim besten Willen nicht anschließen. Martin Dulig, du wirst es vielleicht am besten wissen, was man alles ohne Geld mit Kindern tun kann, dass man ihnen auch Bildung nahe bringen kann – sei es mit Naturmaterialien, Basteln, Spazierengehen, den Spielplatz nutzen –; all diese Sachen sind hier weiß Gott vorhanden, und wenn man sagt, 25 % Armutsgefährdung, dann müssten wir eigentlich auch 25 % Abbrecherquote in der Schule haben. Mal einfach so, in dieser kleinkarierten Geschichte, so wie ihr es uns hier darstellt, kann man es wirklich nicht sehen.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das ist FDP-kleinkariert!)

Wenn hier gesagt wird, die Antworten der Staatsregierung seien an der einen oder anderen Stelle nicht ausreichend, dann muss ich entgegnen: Viele zahlenmäßige Angaben sind nach einem kurzen Klick auf die Website des Statistischen Landesamtes erhältlich. Andere Fragen sind in zahlreichen Kleinen Anfragen bereits beantwortet worden.

Sie von der SPD sind es leider schuldig geblieben, die richtigen Schlüsse aus den Zahlen zu ziehen.

Wir haben bei der Ausweisung der Armutsquoten mit statistischen Tücken zu kämpfen. Darauf hat auch die Staatsregierung in einzelnen Antworten hingewiesen. Es gibt an dieser Stelle nicht nur Schwarz und Weiß, auch wenn die SPD diesen Eindruck zu erwecken versucht, um Ängste zu schüren.

Grundlage für die Berechnung der Armutsgefährdungsschwelle ist grundsätzlich das Nettoeinkommen des Haushalts. Etwaiges Vermögen, die Höhe der Wohnungsmiete oder das allgemeine Preisniveau bleiben dabei immer außen vor. Daher sollte über die Armutsfrage mit Bedacht diskutiert werden. Armut allein am Einkommen zu messen ist aus unserer Sicht aber zu kurz gesprungen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das mittlere Einkommen wird aus allen Einkommen im gesamten Bundesgebiet errechnet. Vergleicht man die Einkommen in den neuen Ländern mit dem bundesdurchschnittlichen Einkommen, so stellt man fest: Alle neuen Bundesländer liegen über der bundesdurchschnittlichen Armutsgefährdungsquote. Das liegt daran, dass es Einkommensunterschiede nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd gibt. Dieses Gefälle ist übrigens nicht erst seit zwei Jahren zu beobachten. Im Jahr 2007 – damals war die SPD an der Regierung beteiligt – lag die Armutsquote sogar noch höher als heute. Das hat die SPD wahrscheinlich vergessen.

Das Bild sieht anders aus, wenn man sich die einzelnen Bundesländer, also die regionale Einkommensverteilung, separat anschaut und damit den Einkommensunterschieden zwischen den Bundesländern tatsächlich Rechnung trägt. Da steht Sachsen ganz anders da: Nach Bayern und dem Saarland weisen wir die drittniedrigste Armutsgefährdungsquote bei den unter 18-Jährigen auf.

Es gibt unterschiedliche Berechnungsmethoden für die Armutsquote, je nachdem, ob man den nationalen oder den regionalen Durchschnitt der Einkommen zugrunde legt. Darauf ist die SPD leider nicht eingegangen. Aber an Wahrheit und Objektivität fehlt es oft bei den Kollegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD schlägt vor, ein teures wissenschaftliches Kompetenzzentrum oder eine neue Gesamtschule seien die besten Mittel gegen Armut. Wir sagen: Das beste Mittel gegen Armut sind eine erfolgreiche Wachstums- und Wirtschaftspolitik und natürlich Investitionen in die Bildung.

Junge Menschen sind heute in Deutschland so selten arbeitslos wie sonst fast nirgends in Europa. Auch insoweit steht Sachsen mit an der Spitze der ostdeutschen Länder. Wir stehen sogar besser da als manch ein Westbundesland; darauf ist in der gestrigen Debatte schon eingegangen worden. Man sollte durchaus über den Tellerrand Deutschlands hinausblicken und sich die Armutsquoten Frankreichs und Spaniens vor Augen halten. Zum Glück sind wir weit davon entfernt.

Aber auch für das Lernen bietet Sachsen ein gutes Umfeld. Der erst Anfang dieser Woche von der BertelsmannStiftung vorgestellte Lernatlas bescheinigt unserem Freistaat überdurchschnittliche, sogar erstklassige Lernbedingungen, und das sogar dort, wo man es nicht vermutet hätte, nämlich in den Landkreisen, die oft als Nachzügler angesehen werden. Auch im Landkreis Görlitz finden wir diese guten Bedingungen vor. Deshalb ist die Schwarz-Weiß-Malerei, die von der Opposition vorgenommen wird, unangebracht. Wenn behauptet wird: „Wenn du dort und dort geboren bist, hast du keine Chance mehr“, dann kann das angesichts der Politik, die hier in Sachsen betrieben wird, in keiner Weise bestätigt werden.

(Beifall der Abg. Alexander Krauß und Christian Piwarz, CDU)

Dass wir das sächsische Niveau, das wir uns erarbeitet haben, bewahren und weitere Perspektiven für unsere Kinder und Jugendlichen eröffnen wollen, steht außer Frage. Dabei spielen die Eltern eine wesentliche Rolle. Ich halte nichts davon, den Eltern die Verantwortung für ihre Kinder zu beschneiden. Unter Ziffer 7.29 stellt die SPD-Fraktion die Frage: „Welche Maßnahmen will die Staatsregierung ergreifen, um den z. T. ungenügenden Einfluss des Elternhauses auf den Bildungserfolg möglichst klein zu halten?“

Wo sind wir denn hingekommen? Für mich ist diese Frage in keiner Weise nachvollziehbar. Im Gegenteil, Bildungsprozesse gelingen nur mit den Eltern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für den frühkindlichen Bereich verweise ich auf die Erziehungspartnerschaften, die wir verankert haben. Ich nenne ferner das Projekt „Starke Eltern – Starke Kinder“ des Deutschen Kinderschutzbundes. Zahlreiche Kitas öffnen sich für Elternkreise, wo man sich über verschiedene Probleme austauschen kann. Wir müssen Eltern befähigen, sich mit ihren Kindern sinnvoll zu beschäftigen. Das gilt gerade für Elternhäuser, in denen nur wenig Geld vorhanden ist.

Frau Klepsch hat im Grunde behauptet, jeder, der arm ist, sei automatisch benachteiligt. Ich dagegen bin froh, dass das Ministerium, dass dieser Staat vieles nicht weiß. Er soll nicht dem Kind ein Stigma aufdrücken nach dem Motto: „Du bist in einem Hartz-IV-Haushalt geboren und wirst in 20 Jahren immer noch Sozialleistungen beziehen müssen. Deinen Kindern wird es genauso gehen.“ Nein, genau das wollen wir vermeiden. Der Sozialleistungsbezug soll eine Übergangsphase darstellen. Den Kindern sind immer wieder Perspektiven zu eröffnen.