Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

Zurzeit befinden wir uns in der Phase der Neuaufstellung des EU-Haushaltes für den Zeitraum 2014 bis 2020. Agrarkommissar Cioloş und sein Kabinett hatten, um die Ausrichtung der zukünftigen Agrarpolitik zu bestimmen, sogenannte neue Herausforderungen formuliert, was ich für eine gute Grundlage für eine Richtungsbestimmung halte. Diese neuen Herausforderungen betreffen die Gewährleistung der Ernährungssicherheit, die nachhaltige

Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen wie Wasser, Luft, Biodiversität und Böden, die Klimaveränderungen, die zunehmende Globalisierung und steigende Preisvolatilität, die Vielfalt von Betriebsstrukturen und Produktionssystemen optimal zu nutzen und ihre soziale räumliche und strukturierende Rolle aufrechtzuerhalten, den räumlichen und sozialen Zusammenhalt in den ländlichen Gebieten der Europäischen Union zu stärken, die Umsetzung im Rahmen der GAP gerecht und ausgewogen zwischen den Mitgliedstaaten und Landwirten zu verteilen und – man höre und staune – die Durchführungsverfahren im Rahmen der GAP weiter zu entbürokratisieren.

Aus den neuen Herausforderungen leitete die Kommission strategische Ziele der zukünftigen Gemeinsamen Agrarpolitik ab. All das konnte man als guten Ausgangspunkt für eine Neubestimmung der Gemeinsamen Agrarpolitik werten. Nach der Parlamentsbefassung im Oktober und den erneut durch das Kabinett Cioloş vorgestellten Grundlagen für die künftige GAP bin ich der Meinung, dass der neue Vorschlag mit dieser Fokussierung auf die neuen Herausforderungen nur noch zum Teil etwas zu tun hat.

Natürlich ist es klar, dass bei einer Ausweitung der Europäischen Union auf 27 Mitgliedsstaaten nicht alles so bleiben kann, wie es jetzt ist; das ist überhaupt keine Frage. Aber die angedachte Umsetzung ist nur schwer nachzuvollziehen.

In der ersten Säule, also der Direktzahlungen an die Landwirte, sollen zusätzliche Auflagen eingebaut werden, deren Steuerungsziele nur schwer zu rechtfertigen sind und deren bürokratischer Aufwand exorbitant sowohl bei den Landwirten, aber auch bei den staatlichen Stellen zu Buche schlagen wird. Eine Festlegung von Direktzahlungsobergrenzen an die Landwirte ist abzulehnen, auch wenn durch die Berücksichtigung des schon mehrfach diskutierten, aber nie konkretisierten Arbeitskraftfaktors kaum ein sächsischer Betrieb betroffen sein wird. Das ist überhaupt keine Frage. Trotzdem ist es ein klarer Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik und mit Blick auf die Entstehung unserer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nicht zu rechtfertigen.

Hinzu kommt, dass eine einheitliche europäische Festlegung eines Arbeitskraftfaktors aufgrund der verschiedenen Erfassungsmodelle von Arbeitskräften und der breit gefächerten Betriebs- und Eigentumsformen für mich schlicht und ergreifend unmöglich erscheint. Wenn Sie, Frau Kagelmann, sagen, dass wir die Agrarpolitik über die Grenzen Sachsens und auch Deutschlands hinaus betrachten müssen, dann müssen wir es bei einem solchen Arbeitskraftfaktor auch tun. Wie diese einheitliche Abrechnung in Europa erfolgen soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Also wehret den Anfängen!

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Es geht dabei nicht allein darum, ob das ein bürokratischer Mehraufwand für die Betriebe ist. Die zusätzliche

Erfassung, Kontrolle und möglicherweise auch Sanktionierung des Arbeitskraftfaktors auf staatlicher Seite würde nicht nur in Sachsen, sondern europaweit der erforderlichen Reduzierung von Staatsausgaben entgegenwirken. Gleiches gilt für das angedachte Greening, also die Einhaltung von zusätzlichen Umweltauflagen als Voraussetzung für den Erhalt von Direktzahlungen.

Dabei sehe ich für unsere sächsischen umweltgerecht produzierenden Landwirte kein unlösbares Problem, ganz im Gegenteil: Dort stehen zum Teil Dinge drin, die viele Landwirtschaftsbetriebe sogar begrüßen werden. Aber auch hier heißt es für den Staat: zusätzlich erfassen, kontrollieren und sanktionieren. Es ist nicht nachvollziehbar, wie in einer Phase dramatischer Finanzprobleme ihrer Mitgliedsstaaten und mit Blick auf die selbst formulierten neuen Herausforderungen, von der Europäischen Union Vorschläge für eine zukünftige Gemeinsame Agrarpolitik gemacht werden, welche nach bisherigen Einschätzungen den Verwaltungsaufwand um 15 bis 18 % erhöhen werden.

Ich gehe davon aus, dass bei dieser Schätzung nicht gerade nach oben gerundet wurde. Diesbezüglich muss es dringend eine Vereinfachung geben. Alles andere wäre nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wie bereits gesagt, ist eine der formulierten neuen Herausforderungen die Gewährleistung der Ernährungssicherheit, hier nicht nur mit Blick auf Europa. Wörtlich heißt es in der Mitteilung des Agrarkommissar Cioloş: „Da der weltweite Bedarf künftig weiter ansteigen wird, muss die EU in der Lage sein, zur Deckung des weltweiten Nahrungsmittelbedarfs beizutragen.“

Was daran neu sein soll, weiß ich jetzt nicht, aber ich bin froh, dass man dieses Thema überhaupt wieder auf die Tagesordnung hebt. Wenn man aber gleichzeitig die Einführung einer verpflichtenden ökologischen Flächenstilllegung plant – es ist mir jetzt völlig egal, wie man es anders noch nennen könnte –, dann stellt man sich bezüglich der Qualität der Vorschläge einige Fragen, die ich hier lieber nicht tiefer beleuchten möchte. Man kann nicht nur über den Hunger in der Welt klagen und gleichzeitig aus einer Luxussituation in Europa heraus erneut den bewussten Entzug von Flächen für die Nahrungsmittelproduktion fordern. So etwas lehnt meine Fraktion kategorisch ab.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kagelmann, wenn Sie von gewachsenen Verbraucheransprüchen sprechen und es viele Bevölkerungsteile auf der Welt gibt, die einfach einmal satt werden wollen, dann ist das nicht allein eine Frage der Qualität. Deshalb ist eine bewusste Verringerung der Nahrungsmittelproduktion in Europa nicht hinnehmbar.

Dann noch zu einem anderen Punkt. Sie haben gesagt, in den meisten Betrieben wären doch genügend Flächen vorhanden, die dafür genutzt werden könnten. Na, wenn

sie bereits vorhanden sind, dann brauchen wir es doch nicht auch noch hineinzuschreiben und mit einem Bürokratieaufwand zu verbinden, der damit überhaupt nicht zu begründen ist. Ich verstehe das nicht und lehne das auch kategorisch ab.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Frank Kupfer)

Auch in anderen Bereichen der GAP soll es zu schwer nachvollziehbaren Veränderungen bzw. zusätzlichen

bürokratischen Belastungen kommen. Auch einige Vorschläge, die man hier machen könnte, sind meiner Meinung nach noch zu ergänzen. Zum Beispiel die geplante Neuabgrenzung der benachteiligten Gebiete auf der Grundlage der neuen acht biophysikalischen Parameter führt zu Veränderungen in der bisherigen Gebietskulisse, die nicht akzeptabel sind. Beispielsweise würden aufgrund dieser am grünen Tisch festgelegten neuen Berechnungsmethode weite Teile des Vogtlandes aus der Förderung herausfallen, ohne dass sich etwas an den natürlichen Bedingungen geändert hat. Das kann man doch nicht so einfach hinnehmen wollen.

Cross Compliance darf nicht weiter verschärft und mit zusätzlichen Auflagen versehen werden. Eine Doppelung des Fachrechtes ist zu vermeiden, um die Landwirte und die Verwaltung spürbar zu entlasten. Außerdem sind die Direktzahlungen nun endlich nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa von der Produktion zu entkoppeln. Ausnahmetatbestände, wie erneut vorgesehen, sind einfach abzulehnen.

Bezüglich der Prüfung des Kriteriums „Aktiver Landwirt“ ist meiner Meinung nach nicht von irgendwelchen bürokratischen Größen, sondern von der aktiven Bewirtschaftung auszugehen und sie zugrunde zu legen.

Hinsichtlich der Förderung des Risikomanagements sprechen wir uns weiter dafür aus, dass die Finanzierung der Risikoabsicherungsinstrumente in Deutschland über die zweite Säule erfolgen solle bzw. dass dies ermöglicht werden soll.

Außerdem halten wir es für sinnvoll, zukünftig erneut Anreizkomponenten bei der Förderung von Agrarumweltmaßnahmen zuzulassen und die zulässigen Bewirtschaftungszeiträume nicht an ein starres Datum, sondern zum Beispiel an phänologische Termine zu binden.

Es sollte auch einmal darüber nachgedacht werden, ob nicht bestimmte Maßnahmen generell über die gesamte Förderperiode eingehalten werden müssen oder ob nicht auch Umwelteffekte bei kürzeren Zeiträumen zu erzielen sind. Hier wäre noch Vieles fortzusetzen, aber ich denke, dass wir nicht das letzte Mal darüber diskutieren. Deshalb zum Schluss noch zum Geld.

Letztendlich bleibt die Frage völlig unabhängig von der Verteilung der europäischen Mittel und der Schwerpunktsetzung bei der Förderung, wie die Höhe des Gesamtagrarhaushaltes festgelegt werden soll. Dabei besteht nach wie vor der Irrglaube, dass der größte Teil des EUHaushaltes Agrarausgaben sind. Dieser Anteil hat sich

jedoch in den letzten Jahren mit weiter abnehmender Tendenz auf 40 % reduziert. Trotzdem wird vor dem Hintergrund allgemeiner Sparzwänge besonders im Bereich der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes insgesamt nach Einsparpotenzialen gesucht.

Ich möchte hier einmal klarstellen, dass die Ernährungssicherung des europäischen Kontinents, der Erhalt gepflegter Kulturlandschaften und die Produktion von biogenen Rohstoffen für die Wirtschaft den Steuerzahler kaum belasten, zumindest nicht in dem Maße, wie es oft eingeschätzt wird. Der Anteil der Ausgaben an öffentlichen Geldern für die Landwirtschaft beträgt EU-weit nicht mehr als 1 %, während wir für Soziales über 40 %, für Gesundheit 14 %, für Verwaltung 14 %, für Bildung 11 %, für Militär 4 % oder für öffentliche Sicherheit 3,5 % verwenden. Das heißt also: Finger weg von diesen schon bescheidenen Agrarmitteln!

Bisher ist die zu erwartende Höhe des Agrarhaushaltes noch völlig unklar. Es gibt Modelle, die von einer leichten Erhöhung von derzeit 413 auf 418 Milliarden Euro bis hin zu einer Reduzierung um 12 % auf 366 Milliarden Euro ausgehen. Dies muss alles im Kontext mit der in den letzten Jahren erfolgten Erweiterung auf 27 Mitgliedsstaaten gesehen werden, wobei die neuen Mitglieder verständlicherweise bei den zukünftigen Ausgaben eine deutlichere Berücksichtigung fordern. Das bedeutet, dass die Mittel für unseren Freistaat selbst bei gleichbleibender Höhe des Gesamtagrarhaushaltes zukünftig sinken werden. Das heißt auch, dass eine darüber hinausgehende Mittelabsenkung, um andere Projekte der EU zu finanzieren, nicht hinnehmbar sein kann.

Meine Damen und Herren! Bei aller Kritik halte ich es für sinnvoll, weiterhin aktiv eine gemeinsame europäische Agrarpolitik zu gestalten. Es hätte in anderen Politikfeldern sehr viel Schaden vermieden werden können, wenn man da bereits auch so weit wäre. Es macht Sinn, weiterhin an dem bewährten Zweisäulenmodell festzuhalten und zielgerichtet auch die neuen Mitgliedsstaaten zu entwickeln. Aber unsere Fraktion verlangt eine deutliche Vereinfachung der künftigen gemeinsamen Agrarpolitik und ein klares Bekenntnis zur weiteren Entwicklung unserer ländlichen Räume, was auch finanziell untersetzt werden muss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Schmidt. – Als Nächste hat die SPDFraktion das Wort. Es spricht Frau Kollegin Dr. Deicke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich mich bei Herrn Staatsminister Kupfer für seine Fachregierungserklärung bedanken.

(Zuruf von der Linksfraktion: Oh! – Beifall bei der CDU)

Jetzt kommt aber erst einmal der Grund dafür.

Ich habe mich, zumindest zu Beginn Ihrer Rede, nämlich mindestens 20 Jahre jünger gefühlt, zurückversetzt in die Zeit, als ich als Studentin in einer Einführungsvorlesung saß. Sie haben nämlich sehr viele einführende Worte verwendet, um vielleicht Ihre Fachregierungserklärung etwas zu füllen.

Zum Thema der Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik in der Förderperiode ab 2014 haben wir innerhalb des letzten Jahres bereits mehrfach hier im Plenum debattiert. Mich bzw. uns als SPD-Fraktion hätte allerdings sehr interessiert, was Sie von Ihrer jüngsten Kabinettsreise aus Brüssel für Sachsen in Bezug auf die nächste Förderperiode mitgebracht haben. In Ihrer Rede habe ich leider außer einer Andeutung des stellvertretenden Generalsekretärs der Generaldirektion Landwirtschaft wenig dazu entnehmen können, außer dass bei den ökologischen Vorrangflächen noch Interpretationsspielraum besteht. Und was noch? Oder war es das schon?

Aktueller Anlass Ihrer Fachregierungserklärung sind offensichtlich die Legislativvorschläge, die seit dem 12. Oktober auf dem Tisch liegen. Im kommenden Jahr wird dann darüber verhandelt. Deshalb beschäftigt sich dann auch der Bundesrat damit; denn es ist wichtig, dass Deutschland gegenüber der EU mit einer Stimme spricht.

Sehr geehrter Herr Staatsminister! Von einer Fachregierungserklärung, die uns eine Positionierung zur Agrarpolitik zwischen Brüssel und Sachsen verspricht, hätte ich wenigstens einen stärkeren sächsischen Akzent erwartet. In großen Teilen wiederholen Sie nur Beschlüsse der Agrarministerkonferenz. Bis auf die bekannten Positionen zum Greening und zur Deckelung der Direktzahlungen habe ich keinen sächsischen Aspekt herausgehört. Wichtige Bekenntnisse fehlen gänzlich wie zum Beispiel, ob Sachsen auch in der nächsten Förderperiode bereit ist, die Kofinanzierung sicherzustellen. Stattdessen ergehen Sie sich in einer langen Feierstunde für ILE. Für die Entwicklung der ländlichen Regionen ist ILE unbestritten ein wichtiges Instrument.

Nehmen wir den Schulhausbau. Wir haben in Sachsen einen riesigen Investitionsstau, was den Bau und die Sanierung von Schulen anbelangt. Dass wir das jetzt neuerdings über ILE finanzieren, ist doch nur eine Krücke. Für die Kinder vor Ort ist es natürlich egal, wo das Geld für ihre Schule herkommt. Insofern sind wir froh, dass wenigstens über EU-Mittel der Schulhausbau etwas vorangeht.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass diese ILE-Mittel anderen Bereichen entzogen werden und andere Projekte im ländlichen Raum deshalb nicht finanziert werden können.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man dies in der Zusammenschau sieht, stellt sich die ILE-Förderung Schulhausbau in einem anderen Licht dar. Genau genommen haben wir den Investitionsstau, weil der Freistaat nicht bereit ist, die nötigen Landesmittel

bereitzustellen. Dazu habe ich einen Satz aus Ihrer Rede notiert, Herr Staatsminister. Ich zitiere: „Deshalb wird die Staatsregierung auch im nächsten Jahr versuchen, weitere Mittel aus den Steuermehreinnahmen für Bildungsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen.“ Wie Sie Steuermehreinnahmen verwenden wollen, können wir ja gerade beobachten.

Nach der Steuerschätzung im Mai 2011, die im Vergleich zum Haushaltsansatz schon für 2011 und 2012 insgesamt Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro ergab, hat die Staatsregierung für 2012 ein Investitionsprogramm von 106 Millionen Euro versprochen.

(Beifall bei der CDU)

Die Steuerschätzung November geht von Mehreinnahmen von fast 2 Milliarden Euro aus, und dennoch bleibt es bei dem schon im Mai angekündigten Investitionsprogramm von 106 Millionen Euro. Das sind noch nicht einmal 5 % der Mehreinnahmen, und wenn Sie 8 Millionen Euro zusätzlich in die ILE-Förderung für den Schulhausbau geben, dann ist das wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Wenn man berücksichtigt, dass der Investitionsstau von mehr als 1,5 Milliarden Euro vorwiegend außerhalb des ländlichen Raumes liegt, dann hat diese ILE-Förderung insgesamt nur einen winzig kleinen Effekt.