Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

Der Freistaat Sachsen in der Europäischen Union

Drucksache 5/6367, Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der FDP,

und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringer sprechen zuerst die Fraktionen CDU und FDP. Es folgen in der ersten Runde DIE LINKE, SPD, GRÜNE, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile für die CDU-Fraktion Herrn Schiemann das Wort.

Sehr geehrte Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man heute über Europa spricht, dann hat man nicht unbedingt immer nur das Gute von Europa zu vernehmen. Aber ich glaube, mit Rücksicht darauf, dass Europa weiblich ist, sollte man über Europa auch einmal vernünftig sprechen.

(Zuruf der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE)

Ich gehe davon aus, dass in der Öffentlichkeit auch in unserem Land jeder Bürger mit den Schlagworten Schuldenkrise, Eurokrise, Europakrise konfrontiert ist. Diese Worte beschreiben die derzeitigen Probleme und die schwierigsten Auseinandersetzungen, die in diesen Wochen vor der Existenz der Europäischen Union stehen. Dies ist und bleibt die schwierigste Bewährungsprobe der Europäischen Union seit ihrer Gründung.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Der Bürger Europas erwartet aber zu Recht eine Lösung, die Europa weiter zusammenhält. Dies muss den Nationalstaaten auf jeden Fall gelingen. Es gibt keine Alternative zum Zusammenhalt dieser Europäischen Union.

Ich glaube, dennoch sollte man immer wieder daran erinnern, dass der Auslöser dieser Krise nicht nur beim Staat zu suchen ist und auch nicht in der Politik. Der Auslöser der kriminellen Fehlentwicklungen ist ausschließlich im Finanzgebaren der Finanzwirtschaft zu suchen. Das ist der Grund, der die Lawine ausgelöst hat.

Es kann doch nicht sein, dass diejenigen Unternehmer und Unternehmen, die mit ihrem Eigentum für ihr wirtschaftliches Tun haften, nun gemeinsam mit den Arbeitnehmern die Zeche für die Spekulanten der Finanzbranche zahlen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich glaube, Wertschöpfung ist das Einzige, was eine Volkswirtschaft nachhaltig entwickelt.

Und dennoch: Wir brauchen Europa. Europa ist für uns ein Friedensraum, ein Handels- und Wirtschaftsraum und ein wichtiger Teil unserer europäischen Kultur, der

Vielzahl der Kulturen, die in Europa seit vielen Jahrhunderten zu Hause sind, und Europa ist ein Europa der Solidarität.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Nach der friedlichen Revolution und der Wiederherstellung der Einheit des Vaterlandes war Europa dieser unserer Entwicklung gegenüber offen und solidarisch verbunden. Das sollten wir nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Wir sind der Europäischen Union, ihren Mitgliedsländern und ihren Bürgern dankbar für diese Solidarität. Neben den Menschen, die hier in Sachsen arbeiten und den Aufbau des Landes voranbringen, neben der Solidarität der westlichen Bundesländer und des Bundes bleibt die Europäische Union einer der vier Eckpfeiler der Entwicklung, die den Freistaat Sachsen trägt und weiter tragen muss.

(Beifall des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Wir brauchen auch künftig diese Unterstützung. Niemand kann verantworten, dass diese Unterstützung auf halbem Wege stehen bleibt.

Die Große Anfrage „Der Freistaat Sachsen in der Europäischen Union“ ist eine umfassende Bestandsaufnahme, die sicherlich nicht alle Themen umfasst, aber ein Spektrum dieser schwierigen und harten Arbeit unserer Landsleute belegt. Sie ermöglicht den Blick auf das im Freistaat Sachsen mit Unterstützung der Europäischen Union Geleistete und gibt uns gleichsam die Möglichkeit, kommende Herausforderungen des Freistaates zu beschreiben.

Beim Blick zurück können wir klar feststellen:

Erstens. Europa hat mitgeholfen, den schwierigen Strukturwandel der letzten 20 Jahre von der sozialistischen Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft zu meistern. Dies trifft für die Wirtschaftsstruktur, für den Arbeitsmarkt, für die kommunale Ebene, für die Infrastruktur, für die Landwirtschaft, für Bildung, Forschung, Entwicklung, für Innovation, für den Schutz und die Bewahrung der Schöpfung und für den Ausbau der kommunalen Ebene zu. Man könnte noch viele Themen anreihen und würde sich am Ende wundern, wie viel europäische Kraft uns bei unserem Aufbau geholfen hat. Keine Generation vor uns –

das möchte ich besonders benennen – war in der Lage, in einem so kurzen Zeitraum eine solche Aufgabe mit Unterstützung von außen zu meistern.

Zweitens. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der gewerblichen Wirtschaft hat zu zukunftsfähigen, dauerhaften Arbeitsplätzen und zu wettbewerbsfähigen Unternehmen geführt. Wenn wir diese Entwicklung hin zu wettbewerbsfähigen Unternehmen, zu dauerhaften und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen nicht gehabt hätten, dann würden wir im Freistaat Sachsen eben nicht auf diesem hohen Niveau arbeiten können. Wichtig ist, dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen, das Handwerk, aber auch eine große Zahl von Selbstständigen Anteil an dieser Entwicklungschance haben.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Besondere Bedeutung kommt dabei der einzelbetrieblichen Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur zu. Mit dem Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur werden die Rahmenbedingungen für Investitionen deutlich verbessert. Die im EFRE vorgesehenen Infrastrukturprojekte sind Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, die den Regionen im Freistaat Sachsen zugutekommen.

Wir hatten eine sehr starke und impulsive Förderung auch im Bereich des ESF. Sie kommt der Fachkräftefrage zugute und versucht, in der Schule Versäumtes zu korrigieren. Ich gehe davon aus, dass sich Unternehmen und Ausbildungsbereiche stärker vernetzen und nachfragen müssen, wie mit dieser ESF-Förderung stärker auf den Fachkräftebedarf der Zukunft reagiert werden kann.

Für den Freistaat bleiben der Ausbau und die Verbesserung der Infrastruktur zur Erreichbarkeit der Unternehmen, der Städte, Gemeinden und Regionen eine unverzichtbare und dauerhafte Aufgabe.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und Beifall des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Dies wird auch die Chancen in den Regionen weiter verbessern und ist gleichsam eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige und solide wirtschaftliche Entwicklung. Dabei brauchen wir noch mehr Ideen, um die ökologischen Belastungen weiter zu reduzieren. Wirtschaftliche Entwicklung muss mit Nachhaltigkeit verbunden werden. Der Einsatz von Strukturfondsmitteln in der Technologieförderung hat nachhaltig die Forschungs- und Entwicklungspotenziale auch und besonders in den kleinen und mittelständischen Unternehmen geweckt und sie motiviert. Das muss auch in Zukunft weitergeführt werden.

Die Kooperation mit den sächsischen Universitäten muss weiter ausgebaut werden. Mir berichten viele Unternehmen auch aus dem Bereich der kleinen und mittelständischen Betriebe, dass es eine sehr gute Zusammenarbeit mit den sächsischen Universitäten als Kooperationspartner gibt.

Bildung, Forschung und Entwicklung stehen in der aktuellen Förderperiode besonders im Blickpunkt. Der Lkw-Verkehr – das kann jeder in der Antwort auf die Große Anfrage feststellen – hat sich in dem angefragten Zeitraum quasi verdoppelt. Damit kommt es zu einer sehr starken Belastung der sächsischen Transitstrecken. Hierbei wird ein neues Denken einsetzen müssen.

(Beifall der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE)

Ich glaube, dass es unser gemeinsames Interesse ist, dass wir diejenigen Unternehmen unterstützen, die ihre Produkte auf der Schiene transportieren. Es gibt noch eine Vielzahl von Unternehmen, die bereit sind, ihre Produkte auf der Schiene hin zu ihren Partnern zu transportieren.

(Beifall bei der CDU)

Das ist ein Beitrag der Unternehmen, hier etwas zur Bewahrung der Schöpfung zu tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Fördersummen genannt werden müssen. Wir müssen uns bewusst sein, dass es nicht nur darum geht, dass die Europäische Union der Ersatzstaatshaushalt für den Freistaat Sachsen ist. Es gehört zur Redlichkeit, dass wir diese wichtigen Anstrengungen entsprechend ansprechen. Wir haben bei der EFRE-Förderung in der Förderperiode von 2007 bis 2013 mit 3,1 Milliarden Euro zu rechnen. Dabei haben wir selbst Schwerpunkte gesetzt: die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der gewerblichen Wirtschaft – insbesondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen – mit 1,2 Milliarden Euro, die Infrastrukturmaßnahmen mit 1,4 Milliarden Euro, der Schutz sowie die Verbesserung der Umwelt und damit die Bewahrung der Schöpfung mit fast 800 Millionen Euro und die technische Hilfe im EFRE-Bereich mit 27 Millionen Euro.

Es ist wichtig, dass wir auch die Bereiche des ESF und ELA ansprechen. Der ländliche Raum wird weiter durch den ELA unterstützt. Ich gehe davon aus, dass es im Interesse der urbanen Räume wie Dresden – der Landeshauptstadt –, Chemnitz und Leipzig ist, dass sich auch die ländlichen Räume entwickeln können. Damit behalten die dort wohnenden Menschen ein lebenswertes, wohnenswertes und arbeitsreiches Umfeld. Damit kommt es zu keinen starken Wanderungen, die die urbanen Räume – sprich die Zentren – belasten.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind an der Hälfte des Weges angekommen, das hatte ich bereits angesprochen. Ich möchte das heute noch einmal wiederholen und untermauern.

Wir hatten im Jahr 1991 im Freistaat Sachsen eine Steuerdeckungsquote von 30 %. Im Jahr 2010 bemisst sich die Steuerdeckungsquote auf 53 %. Das Land RheinlandPfalz hat eine Steuerdeckungsquote von etwa 75 %. Das ist ein Maßstab für einen Staat, der selbst aktiv existieren kann. Wir müssen dennoch eine sehr hohe Messlatte

anlegen. Wir müssen im Jahr 2020 erreichen, dass wir über 60 % bei der Steuerdeckungsquote liegen. Das ist eine Herausforderung, die wahrscheinlich schwierig anzuvisieren sein wird. Wir werden nicht umhinkommen, irgendwann stärker auf unterstützende Maßnahmen von außen verzichten zu müssen.

Ich möchte Ihnen einen Ausblick geben: Der Ausblick ist auch in der Großen Anfrage beschrieben. Das ist die Grundlage dafür. Ich möchte das kurz einmal zusammenfassen. Die gute Entwicklung der letzten Jahre darf nicht abbrechen. Deshalb braucht der Freistaat Sachsen die höchstmögliche Unterstützung – auch in der nächsten Förderperiode.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dabei wird die Regionalförderung weiter sehr stark im Fokus stehen. Neben der starken Unterstützung für den landwirtschaftlichen Bereich haben wir eine Unterstützung besonders aus diesem Bereich erhalten. Die Regionalförderung hat in den letzten Jahren bewiesen, dass sie schnell reagieren kann. Sie hat bewiesen, dass sie zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beiträgt und damit Arbeitsplätze sichert. Sie hat bewiesen, dass sie die hohe Exportquote des Freistaates Sachsen und der Unternehmen absichert und letztendlich die Lohntüte der Familien, die in ihrer Heimat bleiben müssen, auffüllt.

Deswegen sind die Strukturfondsmittel für uns wichtige Impulsgeber zur Schaffung der Wettbewerbsfähigkeit der Beschäftigten und Unternehmen. Deshalb sind sie für die Zukunft und die Entwicklung in der nächsten Förderperiode unverzichtbar.

Wir werden uns sicherlich mit dem Thema Abwanderung stärker befassen müssen, weil wir just in den nächsten zwei bis drei Jahren starke Generationswechsel – nicht nur in der staatlichen Verwaltung, sondern auch im Wirtschaftsleben – verzeichnen werden. Der Fachkräftebedarf, nach dem bereits jetzt gerufen wird, wird in den nächsten Jahren noch viel deutlicher werden. Er wird erst dann spürbarer werden, wenn wirklich niemand mehr zu finden ist. Es wird ein Umdenken notwendig sein mit den Möglichkeiten, die uns auch die Europäische Union bietet, vielleicht mehr für den Fachkräftenachwuchs zu tun.