Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

Ich möchte gern Herrn Schiemann in seiner Auffassung unterstützen. Über Wettbewerbsfähigkeit entscheidet in Sachsen nicht der Staat, sondern die Unternehmen selbst und der Markt. Das ist genau der Unterschied zu den GRÜNEN, die natürlich der Auffassung sind, dass nur gewisse gute Industrien und nicht alle gefördert werden dürfen.

(Zuruf der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE)

Wir sind der Auffassung, lieber breit zu fördern, damit die Unternehmen, die zum Beispiel eine geringere Eigenkapitalquote haben und schwieriger an Darlehen kommen, durch Förderung unterstützt werden. Das macht Sinn. Wir müssen wachsen, wir müssen dynamischer werden. Aber über den Erfolg entscheidet am Ende der Markt und nicht die GRÜNEN, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Herr Schiemann, ich muss Sie fragen, ob Sie auch auf diese Kurzintervention antworten möchten. – Das möchten Sie nicht. Dann rufe ich den nächsten Redner auf. Herr Herbst für die FDP-Fraktion.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen, die Koalition ist sich wieder einmal einig, Frau Hermenau.

(Lachen und Zurufe von den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das ist wie immer. In Sachsen funktioniert das. Schön, dass ich Sie alle aufgeweckt habe.

Die friedliche Revolution im Herbst 1989 hat viel verändert, auch die Beziehungen der Sachsen zu Europa. Wir in unserer Region, die lange unter Unfreiheit gelitten hat und sich in einer geografischen Randlage befand, haben das Glück, jetzt in Freiheit zu leben und alle Freiheiten, die der westliche Teil Europas schon lange hatte, nun auch genießen zu können. Für uns haben Landesgrenzen nun zum Teil dieselbe Bedeutung wie Kreisgrenzen, und wir befinden uns auch geografisch gefühlt wieder in der Mitte eines vereinigten Europas.

Wir haben uns unter schwierigen Bedingungen auf den Weg gemacht. Das waren schwierige Bedingungen, die auch unsere Nachbarn in Tschechien oder Polen haben. Europa hat diesen Transformationsprozess unterstützt.

Wenn wir uns anschauen, wie wir in Sachen Wohlstand und Lebensqualität seit 1989 zulegen konnten, dann ist das wirklich beachtlich.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung – Volker Bandmann, CDU: Sehr recht hat er!)

Wir konnten beispielsweise neue Unternehmen ansiedeln. Wir konnten Schulen und Straßen sanieren und wir konnten Menschen qualifizieren und zurück in den ersten Arbeitsmarkt bringen. Dafür gebührt der Dank auch der Unterstützung der Europäischen Union.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Es geht aber natürlich nicht nur darum, Fördermittel anzunehmen und sie auszugeben, sondern sie müssen auch richtig ausgegeben werden. Dass dies gelungen ist, sehen Sie an Sachsen; denn Sachsen entwickelt sich dynamischer als andere ostdeutsche Bundesländer, und wir entwickeln uns auch dynamischer als andere Regionen in Europa. Das ist ein Erfolg unseres Freistaates.

Klar ist aber auch, dass noch ein Weg zu gehen ist, bis wir zu den erfolgreichen Regionen Europas aufschließen, auch innerhalb Deutschlands, wenn wir uns beispielsweise mit Rheinland-Pfalz vergleichen. Klar ist, dass wir insgesamt stärker und leistungsfähiger werden müssen, und ich füge hinzu: Wir müssen auch internationaler werden, und dabei kann Europa helfen. Das gilt für die Schule über die Frage des Wissens, auch der Sprachen, über Forschung bis zum Export. Wir sind in Sachsen gut, aber wir sind noch von dem entfernt, was BadenWürttemberg, Bayern oder andere erfolgreiche europäische Regionen an Leistungsfähigkeit haben. Ich denke aber, mit dem, was wir bisher geschaffen haben, kann uns das in Sachsen gelingen.

Wer sich die Große Anfrage und die vielen Bereiche einmal anschaut, der erkennt interessanterweise, wie eng heute Sachsen in ganz verschiedenen Bereichen mit Europa verflochten ist, egal, ob es um Verkehrsinfrastruktur, Wirtschafts- und Forschungsförderung, Schüler- oder Studentenaustausch geht. Ich denke, das ist wirklich eine Fundgrube, um zu erkennen, wie weit Sachsen europäisch aufgestellt ist, und ich möchte allen Staatsministerien und Mitarbeitern sehr herzlich danken, dass sie uns dieses Material zur Verfügung gestellt haben.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Ich möchte aber hinzufügen, dass es bei Europa nicht nur um Förderprogramme und finanzielle Förderung geht. Zunächst ist Europa bzw. die Europäische Union eine Gemeinschaft, die den Bürgern Freiheiten gewährt, Freiheiten, sich beispielsweise unkompliziert eine Arbeit im europäischen Ausland zu suchen, Freiheiten, irgendwo in Europa zu studieren – davon habe ich auch persönlich profitiert – oder Grenzen ohne Kontrollen zu passieren; und bei allen Diskussionen, die wir heute um den Euro und andere Probleme führen – diese Vorteile dieses Europas sollten wir nicht vergessen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Wir haben natürlich auch in Sachsen finanziell profitiert. Über 11 Milliarden Euro sind aus den EU-Strukturfonds nach Sachsen geflossen, und wir sind für diese Hilfe sehr dankbar. Wir wissen auch um die Verantwortung, mit diesem Geld umzugehen. Es ist für uns keine Daueralimentierung – wir wissen das –, sondern wir sehen das als Hilfe zur Selbsthilfe an. Dies unterscheidet uns auch von anderen Bundesländern. Diese europäischen Mittel werden in Sachsen nicht einfach konsumiert, sie werden klug investiert, und das sollten wir so beibehalten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok – Frank Heidan, CDU: Genau so!)

Wir haben ein sehr ehrgeiziges Ziel: Wir wollen bis 2020 wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Wir müssen wachsen, und wir wissen auch, dass es nach 2020 für uns wahrscheinlich kaum noch EU-Mittel geben wird. Das ist aber kein Drama, meine Damen und Herren. Wenn wir wachsen und stärker werden, wenn wir unabhängig von Subventionen werden, dann ist das kein Grund zum Jammern. Es ist Ziel unserer politischen Arbeit, und darauf sollten wir stolz sein.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Die nächste Förderperiode ist für uns sehr entscheidend; denn das wird die Periode sein, in der wir noch einmal Geld bekommen und genau überlegen müssen, was wir damit tun. Klar ist aus meiner Sicht, dass das Wirtschaftswachstum an erster Stelle steht. Nur wenn die Wirtschaft wächst, werden wir auch die Steuereinnahmen generieren, die uns helfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Wir müssen unsere Forschungsaktivitäten intensivieren und dafür sorgen, dass wir den Menschen, die derzeit noch schwierige Bedingungen haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, Brücken bauen, damit sie bessere Chancen bekommen, und wir müssen die Infrastrukturlücken schließen, die wir nach wie vor haben. All das sind Bereiche, auf die wir unseren Schwerpunkt legen werden.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Wenn wir uns einmal anschauen, was wir bisher erreicht haben, wenn wir vergleichen, welches die Ziele der Europäischen Union sind, dargelegt in der Lissabon- und der Europa-2020-Strategie, dann sind wir als Land Sachsen schon gut vorangekommen. Die EU hat eine Gesamtbeschäftigungsquote von 70 % vorgegeben. Diese haben wir in Sachsen im Jahr 2010 erreicht. Bei älteren Arbeitskräften liegen wir bei den Frauen bereits deutlich über dem Ziel der EU.

(Andreas Storr, NPD: Planerfüllung!)

Die durchschnittliche Schulabbrecherquote konnte entsprechend dem EU-Ziel gesenkt werden. Ich möchte

hinzufügen: Wir sind noch nicht zufrieden. Wir brauchen mehr individuelle Förderung, wir müssen hier noch besser werden.

(Andreas Storr, NPD: Noch?!)

Im Bereich Forschung und Entwicklung werden in Sachsen von der öffentlichen Hand und von privaten Unternehmen rund 2,6 % des Bruttoinlandsproduktes aufgewendet. Das ist noch nicht ganz das europäische Ziel, das bei 3 % liegt. Aber, meine Damen und Herren, man darf auch nicht vergessen: Rund 40 % aller Industrieforscher Ostdeutschlands sind in Sachsen tätig. Sie sehen, wir kommen auch hier voran.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Die Unterstützung der EU hilft uns, wettbewerbsfähiger und leistungsfähiger zu werden, und sie hilft uns – auch das will ich nicht vergessen –, unsere Heimat attraktiver zu gestalten; denn wenn ich in den ländlichen Raum schaue, würde es ohne die EU-Fördermittel an vielen Stellen schlimmer aussehen. Wir haben enorme Fortschritte erzielt. Wir haben lebenswerte ländliche Räume, und das verdanken wir auch der Unterstützung der EU.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen – bei aller Freude über die Unterstützung, die wir bekommen –, dass Probleme im Zusammenhang mit der EU-Förderung existieren, wenn ich beispielsweise die momentane Diskussion verfolge, dass uns eine starre Förderquote im Bereich des ESF von 40 % vorgeschrieben wird. Ich glaube nicht, dass das den Interessen unseres Landes entspricht. Europa ist vielfältig, und die Förderschwerpunkte unterscheiden sich auch von Region zu Region. Ich denke, dass wir einen höheren Bedarf haben, im Bereich Infrastruktur zu investieren, als beispielsweise noch mehr Geld in gewisse Arbeitsmarktmaßnahmen zu stecken, die wir jetzt schon nicht mehr brauchen, weil wir keine Abnehmer mehr dafür finden. Hier brauchen wir mehr Flexibilität.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Dass wir uns den Aufwand und die Bürokratie bei Verfahren anschauen müssen, ist aus meiner Sicht selbstverständlich. Ich verstehe manchmal, warum die EU manches kompliziert macht; denn wenn wir heute nach Griechenland schauen, was dort mit Subventionen passiert ist, dann muss da natürlich die EU-Förderung auch funktionieren, nicht nur in Deutschland, Österreich oder vielleicht in Dänemark. Aber ich denke, man kann auch aus diesen Erfahrungen lernen. Wir brauchen einen deutlichen Bürokratieabbau.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir das Beihilferecht modernisieren. Ich finde es wichtig, dass wir einen EU-Binnenmarkt und klare Wettbewerbsregeln haben. Manchmal stört es uns, wenn die EU-Kommission Deutschland die gelbe oder die rote Karte zeigt. Das ist auch richtig so; denn funktionierender Wettbewerb ist die Voraussetzung für eine leistungsfähige Wirtschaft. Nur mit Schutzzäunen werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können.

Ich will aber auch sagen, dass es Industrien gibt, in denen wir nicht mehr innereuropäisch konkurrieren, beispielsweise die Chip-Industrie. Dort sitzen unsere Wettbewerber in Asien und in den USA, und dort wird großzügig subventioniert und gefördert. Dort haben wir keine vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen, und die EU muss hier dafür sorgen, dass wir als Europa in diesen strategisch wichtigen Feldern wettbewerbsfähig sein können. Hier muss das Beihilferecht dringend angepasst werden.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Wenn ich schaue, welche Signale wir aus Brüssel für die nächste Förderperiode bekommen haben, dann können wir alle zufrieden sein, dass die bisherigen Signale deutlich positiver aussehen, als wir das noch vor drei oder vier Jahren gedacht haben. Das, was jetzt in der Finanzvorschau veröffentlicht wurde: dass es ein Sicherheitsnetz in Höhe von ungefähr zwei Dritteln der Förderung für die Regierungsbezirke Dresden und Chemnitz und eine Gleitzone für Leipzig geben soll, ist positiv – wenn wir es denn am Ende so halten können. Ich möchte dem Staatsminister der Justiz und für Europa sehr herzlich danken, dass wir dies als Land Sachsen bisher erreichen konnten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Aber mein Kollege Schiemann hat darauf hingewiesen: Wir sind nicht nur Wirtschaftsgemeinschaft, wir sind auch Wertegemeinschaft, und ich denke, wir in Sachsen leben auch europäische Werte vor. Wir wollen ein Europa der Vielfalt. Wir wollen ein Europa der Regionen – möglichst starker, wachsender Regionen –, und wir wollen ein Europa der Freiheit. Wir wollen eben kein zentralistisches Europa der Bürokraten.

(Beifall des Staatsministers Sven Morlok)

Das ist unsere Einstellung, wenn wir auf Europa schauen; und wir wollen natürlich, dass die Freiheitsrechte von Bürgern und Unternehmen respektiert werden. Hierbei schaue ich manchmal durchaus etwas skeptisch auf das, was in Europa getrieben wird; denn dieser Ansatz, die europäischen Völker zu einem gewissen Verhalten erziehen zu wollen, ist ein grüner Ansatz, den wir nicht brauchen. Ein Glühlampenverbot hilft der Umwelt nicht, meine Damen und Herren. Ich glaube, es gibt gewisse Bereiche, die in den Regionen und Nationen besser geregelt werden können als in Europa, und Subsidiarität

ist einer der wesentlichen Grundsätze, den wir in Europa hochhalten sollten.

Ich bin mir sicher, dass unsere Staatsregierung selbstbewusst die Interessen von Sachsen vertritt – nicht überheblich, sondern mit Demut und Dankbarkeit für das, was wir dank Europa erreicht haben. Wir haben in den letzten 20 Jahren die europäischen Mittel in Sachsen gut investiert, wir haben etwas vorzuweisen und wir haben noch viel vor. Dies wollen wir gemeinsam mit Europa angehen. Wir wollen mit Sachsen eine der Vorbildregionen in Europa sein, die es schafft, in die europäische Champions League aufzusteigen.

Ich bin sicher, sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die Staatsregierung arbeiten an diesem ehrgeizigen Ziel.