Protokoll der Sitzung vom 26.01.2012

Zivilgesellschaftlichen Protest gegen Naziaufmärsche

in Dresden um den 13. Februar 2012 unterstützen

Drucksache 5/7946, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: SPD, GRÜNE, CDU, DIE LINKE, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der ersten Einreicherin das Wort. Herr Dulig, bitte.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Vorabend des

27. Januar 2012, am Vorabend unseres Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus

(Jürgen Gansel, NPD: Kaiser-Geburtstag ist morgen auch!)

werden wir heute eine Diskussion führen, in der wir das Gemeinsame in den Vordergrund stellen wollen. Ich erinnere an viele Debatten, die wir im Landtag hatten, Auseinandersetzungen um die Demonstrationen rings um den 13. Februar in den letzten Jahren und unterschiedliche Bewertungen, die wir zum Thema Rechtsextremismus hatten. Aber es bleibt dabei: Es muss einen gemeinsamen Kern aller Demokratinnen und Demokraten geben, dass wir Rechtsextremismus bekämpfen und dies eine Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger ist.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Selbst wenn wir uns in verschiedenen Instrumenten unterscheiden und unterschiedliche Bewertungen haben, geht es nun darum, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Deshalb sind wir dankbar, dass der Ministerpräsident Worte gefunden hat, um alle Bürgerinnen und Bürger in Sachsen aufzurufen, sich zu beteiligen. Es ist meiner Meinung nach auch ein Zeichen des Landtages, diese Größe mitzubringen, dieses Symbol zu setzen. Ja, es ist ein Symbol. Daher sollten wir auch in den Debatten und Anträgen etwas „abrüsten“ und uns auf das konzentrieren, was uns verbindet: Der Kampf gegen Rechtsextremismus, der Kampf für Demokratie ist eine Angelegenheit aller Bürgerinnen und Bürger. Deshalb sollten wir hier gemeinsam ein Zeichen setzen und den Ministerpräsidenten in dem Aufruf unterstützen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger beteiligen.

Dieses Symbol, dieses Zeichen ist auch deshalb wichtig, weil ich im letzten Jahr im Umfeld der Demonstrationen am 13. und 19. Februar die Erfahrung gemacht habe, dass

eine große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern gesagt hat, sie wüssten nicht, wo sie sich mit ihrem Engagement sicher fühlen können. Sie wüssten nicht, wo sie hingehen können und was richtig sei. Wir müssen gemeinsam die Sicherheit schaffen, dass man mit seinem Engagement sicher ist, wenn man sich an einer gemeinsamen Demonstration beteiligt. Deshalb dieser Aufruf, gemeinsam am 13. und 18. Februar in Dresden zu demonstrieren.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Ich möchte aber, dass dieses gemeinsame Engagement deutlich über den 13. und 18. Februar hinausgeht; denn der Einsatz für Demokratie ist ein Engagement, das wir tagtäglich beweisen müssen, das wir täglich in den Schulen und Betrieben, im Freundeskreis und in den Familien leben müssen. Es ist eben nicht so, dass man nur Demonstrationen und Aktionen braucht, sondern dass es tatsächlich zu unserem Grundkonsens gehört, dass man sich für Demokratie engagiert und dafür eintritt. Demokratie ist der Grundwert in den Schulen und Betrieben und auch hier im Parlament. Jetzt ist der Moment, die Unterschiede und unterschiedlichen Bewertungen beiseitezulegen und gemeinsam ein großes Signal zu senden, dass wir vom Landtag aus alle aufrufen, sich zu beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb zum Schluss meine dringende Bitte: Liebe CDU, liebe FDP! Wir haben, als wir unseren Antrag geschrieben haben, auf alle Kampfbegriffe verzichtet. Wir haben uns an dem orientiert, was öffentlich – auch vom Ministerpräsidenten – gesagt wurde. Bitte ziehen Sie Ihren Änderungsantrag zurück!

(Christian Piwarz, CDU: Also...!)

Lassen Sie uns hier den gemeinsamen Kern der Debatte, der Botschaft finden.

(Beifall bei der SPD)

Ziehen Sie Ihren Änderungsantrag bitte zurück, weil Sie genau wissen, dass Sie damit schon wieder eine Debatte anheizen, die diese Gemeinsamkeit nicht beinhaltet. Deshalb meine dringende Bitte: Ja zu dem gemeinsamen Antrag – Demonstration gegen Rechtsextremismus und für Demokratie –, aber bitte ohne solche Spielchen, die Sie mit Ihrem Änderungsantrag sonst provozieren wür

den. Ziehen Sie Ihren Änderungsantrag zurück und stimmen Sie für unseren Antrag!

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nun Herr Abg. Lichdi. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, lieber Martin Dulig, Sie haben recht: Natürlich geht es jetzt in erster Linie auch darum, dass wir am 13. und am 18. Februar 2012 ein gemeinsames Zeichen gegen die Nazis hinbekommen. Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht, und es ist auch richtig, das wiederum anzusprechen. Wir haben auch mit Zustimmung zur Kenntnis genommen, dass der Ministerpräsident und der Innenminister nun endlich auch öffentlich das Grundrecht auf Protest in Sicht- und Hörweite sowie auf Erzielung eines Beachtungserfolges, wie Herr Staatsminister Ulbig mir auf eine Kleine Anfrage geantwortet hat, anerkennen. Ich denke, das ist ein Fortschritt.

(Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD)

Wir stehen nicht an, das nicht auch anzuerkennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir stehen vor dem 13. und 18. Februar in zwei Wochen allerdings auch vor praktischeren Fragen. Das hat uns veranlasst, diesen Antrag anders und konkreter zu stellen, als es die SPD-Fraktion gemacht hat.

Jetzt geht es darum, wie der 13. und 18. Februar ablaufen, welche Strategien die beteiligten Partner oder Gegner haben, wie sie miteinander umgehen und vor allem, welche Rolle die Polizei und ihr Dienstherr, der Herr Innenminister, in dieser Debatte spielen. Darum geht es.

Es lohnt sich schon, darauf zurückzublicken, wie die Situation entstanden ist. Es war nicht die Polizei, es war nicht die CDU, es waren engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Dresden und aus ganz Deutschland, die es in den letzten Jahren geschafft haben, die Blockade konservativer Kräfte in der CDU Dresdens aufzubrechen, die glaubte, still gedenken zu können, während die geistigen Nachfahren der Zerstörer Dresdens mit Fackeln, mit Fahnen und mit aufgesetzt lauter Trauermusik durch diese Stadt trampelten.

Wir GRÜNEN haben das Bedürfnis vieler Dresdnerinnen und Dresdner immer respektiert, am 13. Februar individuell oder gemeinsam der Toten in ihren Familien zu gedenken.

Wir haben uns allerdings auch immer gegen ein blindes Vergessen gewandt. Wir vergessen nicht, dass die Stadt Dresden eine Nazi-Hochburg und ein wichtiger Militärstandort war, dass die Nazis mit Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung eine vitale Kulturszene zerschlagen, mit Zustimmung evangelischer Christen die Hakenkreuzfahne

an die Frauenkirche gehängt und Menschen im Namen der deutschen Volksgemeinschaft ausgegrenzt haben.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wir vergessen nicht, dass Judendeportation, Zwangsarbeiter und amtliche Morde etwa am Münchner Platz zumindest mit Duldung der Dresdner Bevölkerung stattgefunden haben.

(Holger Apfel, NPD: Das rechtfertigt alles, oder wie?)

Wir vergessen auch nicht, dass die Bombenangriffe des 13. und 14. Februar manchen Menschen auch die Freiheit gebracht haben.

(Holger Apfel, NPD: Danke!)

Jahrelang waren die Gegendemonstrationen gegen die Nazis für die CDU Dresdens und für die von ihr gesteuerte Stadtverwaltung – besonders unrühmlich ist Ordnungsbürgermeister Sittel aufgefallen – ein schlimmeres Übel und Ärgernis als die Nazi-Demo selbst. Jahrelang räumte die Stadtverwaltung die Innenstadt für die Nazis geradezu frei und führte sie selbst an der Synagoge vorbei.

Meine Damen und Herren! Hoffentlich werden Sie von der CDU einmal verstehen, wie sehr Sie durch Ihr Verhalten in den letzten 20 Jahren den von der Nazi-Propaganda begründeten und vom SED-Regime fortgeführten Mythos von der unschuldigen Stadt genährt haben.

Trauriger Höhepunkt der Geschichte Ihres Versagens war die amtlich-administrative Verhinderung der GedenkenDemo und der provokative Polizeieinsatz im Jahr 2009. Warum erwähne ich das? – Ich erwähne das nicht, um hier alte Schlachten zu schlagen, sondern um Verständnis für die Sicht derjenigen zu wecken, die sich seit zwei Jahren für Blockaden und Platzbesetzungen entschieden haben, und für die Erfahrungswelt, auf deren Grundlage diese Leute handeln.

Aufgrund dieser Dresdner Verhältnisse konnte sich der europaweit größte Naziaufmarsch mit breiter Mobilisierungswirkung in der gesamten rechtsextremistischen Szene Europas entwickeln.

Herr Lichdi, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

(Arne Schimmer, NPD: Diskussionsfeigheit!)

Unmittelbare Folge dieser Dresdner Verhältnisse war der bundesweite Aufruf des Bündnisses „Dresden-Nazifrei“, die Nazi-Demos im Jahr 2010 zu blockieren. Dies ist auch trotz der Verbotspolitik der CDU-Seilschaften in Stadtverwaltung, Polizei und Innenministerium gelungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zugleich hat die Initiative der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz für eine Menschenkette das Tabu

aufgebrochen, dass am 13. Februar keine politischen Versammlungen stattfinden dürften.

(Einzelbeifall bei den LINKEN)