Protokoll der Sitzung vom 26.01.2012

Viele Köche verderben den Brei. Wenn alle gleichzeitig – EU, Bundesgesetzgeber, Landesregierung und KVS – an

der Gesundheitsversorgung herumdoktern und sich die Verantwortlichkeiten jeweils gegenseitig zuschieben, dann sieht man, was dabei herauskommt oder eben auch nicht.

Meine Damen und Herren! Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass dem Staat die Hände gebunden sind, wenn es um die bedarfsgerechte Planung und langfristige Weichenstellung für die Sicherung der ärztlichen Versorgung geht, dann ist doch im System selbst etwas faul. Dann müssten Sie doch aufstehen und sagen: Lasst uns das von Grund auf erneuern.

Ich sage das auch und gerade als praktizierender Arzt, der seiner Heimat nicht den Rücken gekehrt hat: Es muss sich gesamtgesellschaftlich einiges ändern, damit sich wieder mehr Mediziner als Ärzte fühlen, die sich ihrer Herkunftsregion und den dort lebenden Menschen verpflichtet fühlen. Dazu gehört natürlich auch die entsprechende kulturelle, soziale und schulische Infrastruktur im ländlichen Raum, die Sie ständig weiter aushöhlen und abbauen.

(Beifall bei der NPD)

Aber selbst dort, wo die Staatsregierung unzweifelhaft in der Verantwortung steht und diese nicht auf die KVS abschieben kann, sind fragwürdige Ansätze das beherrschende Element – Stichwort: stationäre Versorgung. So sieht der sächsische Krankenhausplan zwar für die kommenden zwei Jahre eine Erhöhung der Planzahlen, gleichzeitig aber auch eine Senkung der Bettenzahlen vor – so die „Ärzte Zeitung“ vom 17.01.2012 –, von dem ungebremsten Drang der Verantwortlichen in Sachsen zur Abgabe dieser staatlichen Pflichtaufgabe aus der öffentlichen Hand hin zu Privatisierung ganz zu schweigen.

Frau Schütz, Sie sagten es vorhin gegenüber Frau Lauterbach. Ich meine ganz speziell den stationären Bereich. Es gab dazu einmal eine Aussage, dass wir in Sachsen eine Drittellösung anstreben: ein Drittel staatlich, ein Drittel gemeinnützig und ein Drittel privat. Wenn ich meinen Landkreis anschaue, so stelle ich fest, dass wir nur noch private Träger haben.

Hinterfragt werden muss auch die Berechnungsmethode, die der Bedarfsanalyse Krankenhausplanung zugrunde liegt. Die sogenannte Hill-Burton-Methode sieht vor, dass der Bedarf aus dem Quotienten von Einwohnerzahl, Krankenhaushäufigkeit und Verweildauer einerseits und dem Bettennutzungsgrad andererseits errechnet wird. Der Knackpunkt ist die Verweildauer, die ja in den letzten Jahren überwiegend aus betriebswirtschaftlichen und nicht aus medizinischen Gründen nach unten getrieben wurde. So lässt sich der Bedarf natürlich auch nach unten korrigieren, von demografiebedingten Verschiebungen ganz zu schweigen. Die Leute werden älter, sie werden dadurch häufiger einen Bedarf an Krankenhaus haben. Das spiegelt sich hier so nicht wider.

Alles in allem sehe ich bei allen maßgeblichen Akteuren Planlosigkeit, Perspektivlosigkeit und vor allem eine gewisse Schicksalsergebenheit gegenüber den Folgen der

demografischen Katastrophe, die sich durch Überalterung, Abwanderung und Geburtenschwund auszeichnet.

Die Staatsregierung sagt es ja selbst: „Antwort zur Frage II 14: Die demografische Entwicklung entzieht sich naturgemäß einer staatlichen Steuerung.“

(Alexander Delle, NPD: Blödsinn!)

Meine Damen und Herren! Soweit Sie sich dabei auf die unmittelbaren Folgen der demografischen Entwicklung für die Fallzahlen beziehen, mögen Sie sogar recht haben. Die Bevölkerungsentwicklung im Allgemeinen wie auch die Entwicklung der Lebensqualität in unserem Land entzieht sich durchaus nicht dem Einfluss des Staates.

(Beifall bei der NPD)

Dieser Staat muss nur willens sein, Einfluss zu nehmen. Eine aktive Bevölkerungspolitik zugunsten des eigenen Volkes, meine Damen und Herren, wird nicht ohne positive Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung im Lande sein und umgekehrt. Wenn Sie aber nicht einmal wissen oder wissen wollen, was die Gründe für die Abwanderung von Medizinabsolventen aus Sachsen sind, wo wollen Sie da ansetzen?

Ich zitiere aus Ihrer Antwort zu den Fragen III 15 und 16 nach den Ursachen für die Abwanderung in Sachsen ausgebildeter Ärzte: „Der Sächsischen Staatsregierung liegen hierzu keine Angaben vor.“ So viel zu den Gründen und der Suche nach ihnen.

An diesem und an vielen weiteren Beispielen wird deutlich: Ein politischer wie ein gesellschaftlich-moralischer Neustart ist dringend erforderlich. Dazu fordere ich Sie auf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Wir gehen jetzt in die zweite Runde. Ich frage noch einmal die Linksfraktion: Möchten Sie reden? – Das sieht nicht so aus. Die CDU-Fraktion? – Auch nicht. Dann bitte ich Frau Friedel; sie ist hier bei mir als Rednerin verzeichnet. – Dann frage ich: Wer möchte jetzt noch sprechen? – Keine Fraktion. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die ärztliche Versorgung in Sachsen ist ein Thema, das uns alle bewegt. Den detaillierten Stand und die Perspektiven der ambulanten und stationären Versorgung können Sie in den Antworten der Großen Anfrage nachlesen.

Ich habe noch einmal wesentliche Punkte herausgegriffen. Sie hören es nicht zum ersten Mal: Wir sind in Sachsen der deutsche Alterspionier. Das heißt, die Auswirkungen des demografischen Wandels treten bei uns eher ein.

Das hat aber auch einen positiven Effekt. Viele Maßnahmen haben wir schon getestet und umgesetzt, die von

anderen Bundesländern jetzt gern übernommen werden. Auch hier kann Sachsen wieder einmal als Vorbild dienen.

Gleichwohl ist die Herausforderung, die Zukunft der medizinischen Versorgung zu sichern, nicht zu unterschätzen; denn unser demografischer Wandel trifft zum einen die Patienten – durch das Plus an Lebensjahren steigt auch der Bedarf an medizinischer Versorgung –; zum anderen trifft er Ärztinnen und Ärzte. Viele von ihnen gehen in den nächsten Jahren in Rente und haben Schwierigkeiten, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden. Wir brauchen in Sachsen also mehr medizinischen Nachwuchs, der den Beruf des Allgemeinmediziners ausübt, und mehr Allgemeinmediziner, die sich im ländlichen Raum niederlassen. Wir sind gefordert und tun dies auch, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich die jungen Mediziner leichter für eine Tätigkeit als Allgemeinmediziner entscheiden.

Seit sechs Jahren kommen wir dieser Forderung nach. Alle Maßnahmen können Sie in der Großen Anfrage nachlesen. Gleichwohl – und das betone ich – sind wir noch lange nicht am Ziel. Die bisherigen Maßnahmen reichen noch nicht, um langfristig die heute schon absehbaren Versorgungslücken zu schließen.

Diese Maßnahmen nehmen ihren Anfang in der universitären Ausbildung. Deshalb haben wir die Studienbeihilfen eingeführt, die Sie alle kennen und die jetzt auch Thema waren. Wir werden diese Studienbeihilfen auch für die weiteren zwei Jahre verlängern.

Zum anderen sind diese Studienbeihilfen Teil unserer Kabinettsvorlage, die alle Ressorts mitgezeichnet haben und zu der weitere Vorschläge gehören, zum Beispiel spezielle Stipendienprogramme, die Stärkung des Fachs Allgemeinmedizin, weitere Innovationen bei Sicherstellungsmaßnahmen bis hin zu einer ressortübergreifenden Strategie, wie die Infrastruktur im ländlichen Raum verbessert werden kann.

Neue Chancen bietet aber auch das neue Versorgungsstrukturgesetz. Als die Antworten auf die Große Anfrage geschrieben wurden, befand sich dieses Gesetz noch im Gesetzgebungsverfahren. Nun ist es mittlerweile in Kraft. Ich werde Ihnen jetzt nicht alle Punkte dieses umfassenden Werkes nennen, wohl aber auf die wichtigsten Eckpunkte nochmals eingehen. Denn mit diesem Gesetz wird der Rahmen für eine bedarfsgerechte Versorgung geschaffen und die flächendeckende ärztliche Versorgung gestärkt.

Dieses Gesetz trägt auch unsere sächsische Handschrift; denn gemeinsam mit Bremen haben wir die Arbeitsgruppe Länderkompetenzen geleitet. Alle – und das betone ich nochmals: alle – Eckpunkte zum Schwerpunkt Länderkompetenzen sind in diesem Gesetz ohne Einschränkungen umgesetzt. So sind den Ländern mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Versorgungsgestaltung eingeräumt.

(Unruhe im Saal)

Unsere regionalen Gremien haben nun den erforderlichen Gestaltungspielraum, um die regionale Bedarfsplanung an

den konkreten Versorgungsbedarf anzupassen und dabei Demografie und Mobilität zu berücksichtigen. Außerdem führen nun die Länder die Aufsicht über den Landesausschuss und können beratend an den Sitzungen mitwirken. Unsere Kompetenzen werden wir nutzen, denn dafür haben wir uns letztendlich eingesetzt und nicht zuletzt die sektorenübergreifenden Aspekte berücksichtigt, so wie wir es seit Langem gefordert haben.

Zwar hat unsere Bundesratsinitiative zur Bildung geriatrischer Institutsambulanzen eine Ländermehrheit gefunden – das ist aber im Gesetz nicht berücksichtigt worden –; jedoch können Sie sicher sein, dass ich dranbleibe, denn die sektorenübergreifenden Strukturen sind die Strukturen der Zukunft. Das zeigen schon heute unsere Pflegenetze und unsere geriatrischen Netze, die sich bereits untereinander vernetzen.

So können Synergien ganz im Sinne unserer Patienten erkannt und genutzt werden, zum Beispiel auch im Carus Consilium Sachsen, wo Versorgungsstrukturen und Versorgungsforschung ausgebaut werden, und dies auch ganz aktuell im Kontext unseres Krankenhausplanes.

Ich sage es noch einmal: Bundesweit müssen unsere Krankenhäuser keinen Vergleich scheuen. Ganz im Gegenteil. Hier nur die Pauschalförderung zu nennen finde ich sehr einseitig, denn wir haben ja auch die Einzelförderung. Ich habe jetzt die Zahlen nicht parat. Aber ich kann Ihnen sagen, dass gerade aktuell aus den Steuermehreinnahmen jetzt noch einmal 10 Millionen Euro für den Krankenhausbereich ausgegeben werden.

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Versorgungsstrukturgesetz auf dem richtigen Weg sind. Ich hatte ja auch dem Ausschuss angeboten, darüber zu berichten. Aber es ist dringend nötig, weitere Lösungsmöglichkeiten zu prüfen, denn – das formuliere ich auch noch einmal – das Ziel ist eine adäquate wohnortnahe und flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung unserer Bürgerinnen und Bürger und selbstverständlich auch unserer Gäste. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Patient mit all seinen Rechten als Verbraucher.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Damit ist die Debatte zur Großen Anfrage beendet.

Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen und beginnen mit dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/8020. Ich bitte Herrn Pellmann um Einbringung.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir hier doch eine interessante Debatte hatten, in der vornehmlich, wenn auch kontrovers, über die Analyse des

Zustandes gesprochen wurde, deckt sich vieles mit dem, was wir im ersten Punkt unseres Entschließungsantrags angesprochen haben. Ich möchte zu den Punkten etwas sagen, bei denen wir, im zweiten Punkt, die Staatsregierung auffordern.

Erstens. Wir meinen in der Tat, dass die Staatsregierung ihre Verantwortung für die gesundheitliche Daseinsfürsorge umfassender wahrnehmen muss und sich nicht nur, wie sie es oft tut, auf die Moderatorenfunktion und Bereiche in der gesundheitlichen Versorgung, die auch wichtig sind, wie etwa die KVS, die den Sicherstellungsauftrag hat, konzentrieren sollte. Aber wenn die KVS nicht in der Lage ist, diesen Auftrag ausreichend zu erfüllen, dann muss die Staatsregierung auch eingreifen.

Zweitens. Ja, wir brauchen ein Gesamtkonzept, wie wir die gesundheitliche Versorgung künftig gestalten wollen. Auch heute kam seitens der Staatsregierung zwar manche Einzelmaßnahme, aber es fehlt an der Geschlossenheit im Gesamtkonzept. Frau Clauß, Sie haben vor einiger Zeit eine interministerielle Arbeitsgruppe berufen, die im Frühjahr vergangenen Jahres ein Konzept vorlegen sollte. Ein Jahr ist vergangen, und ich warte immer noch auf dieses Konzept.

(Staatsministerin Christine Clauß: Das habe ich doch aber gesagt, Herr Pellmann, dass es jetzt eine Kabinettsvorlage gibt, die alle Ressorts mitgezeichnet haben!)

Ja, das ist ein Teil, aber nicht das, was Sie vom Anspruch her wollten.

Drittens. Ja, wir wollen mehr Fördermittel aus dem Staatshaushalt für die Beseitigung und die Bekämpfung des Ärztemangels. Sie reden zwar über verschiedene Fördermaßnahmen, aber dabei handelt es sich meistens um nichts anderes als eine Umverteilung der Mitgliedsbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherungen. Es ist gar kein Staatsgeld. Wir werden das nicht lösen können, wenn wir nicht endlich auch in stärkerem Maße einen Beitrag aus dem Staatshaushalt leisten.

Viertens. Wir brauchen – natürlich ist das gesagt worden – mehr Mittel im künftigen Doppelhaushalt für die Krankenhausinvestitionen. Da stimme ich dem, was andere gesagt haben, zu.