Protokoll der Sitzung vom 09.12.2009

Leider geht dieser Antrag, die Bundesratsinitiative von Rheinland-Pfalz, nur auf Kitas ein, also nur auf Einrichtungen, nicht auf allgemeinen Kinderlärm, über den hier sehr viel gesprochen wurde. Dieser ist überhaupt nicht Ziel dieses Antrages, sondern es geht um bauliche Anlagen, zum Beispiel Kitas, und das ist uns zu kurz gegriffen, weil Sportplätze, wie sie in der Debatte erwähnt wurden, in dem Antrag überhaupt nicht genannt worden sind.

Nichtsdestotrotz: Wir wollen natürlich auch, dass Kinder Freiraum haben, in dem sie sich bewegen können – in unseren Städten, nicht am Rande –, und deshalb sehen wir sehr wohl die Notwendigkeit, dass Änderungen in den verschiedenen gesetzlichen Regelungen vorgenommen worden sind. Der Bundesemissionsschutz gehört dazu, aber auch die Möglichkeit, verhaltensbezogenen Lärm hier in Sachsen selbst zu regeln.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Vielen Dank, Frau Herrmann. – Für die NPD-Fraktion spricht Herr Abg. Alexander Delle.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debattenbeiträge der NPD-Fraktion in den vergangenen fünf Jahren haben mehr als deutlich gezeigt, dass eine Umkehr der Politik, hin zu mehr Familienunterstützung und Kinderfreundlichkeit, ein – wenn nicht sogar das – Hauptanliegen nationaldemokratischer Politik war und ist.

Aus diesem Grunde begrüßen wir natürlich auch vollinhaltlich den hier vorgelegten Antrag. Er kommt allerdings ein wenig zu spät; denn die Hamburger, Berliner und Frankfurter Prozesse, auf die sich die Bundesratsinitiative aus Rheinland-Pfalz bezieht, sind teilweise schon Jahre alt.

Hauptsache ist aber nun, dass auch wirklich alle auf diesen Zug aufspringen, und so haben zum Beispiel auch die GRÜNEN in Baden-Württemberg am 21. Oktober den Antrag „Umgang mit Geräuschemissionen bei Kinder- und Jugendeinrichtungen“ gestellt.

Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz das Augenmerk auf den Zustand unserer Gesellschaft richten und

Ihnen vor Augen führen, welchen Grad an biologischer Unnatürlichkeit, an rhetorischer, politischer, juristischer und moralischer – ja, ich sage es einmal böse – Verkommenheit wir inzwischen in dieser Republik teilweise erreicht haben. Wann, so frage ich Sie, wurde jemals in Deutschland natürlicher und authentischer Kinderlärm, der beim Spielen und der Beschäftigung von Kindern entsteht und entstehen soll, mit Emissionsschutzgesetzen physikalisch gemessen? Wann – mit Ausnahme heutzutage – wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch Baurecht, Wohnungseigentums-, Mietrecht usw. usf. instrumentalisiert, um Kindergärten aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Wohnanlagen zu entfernen oder fernzuhalten? Wer wäre früher auf die Idee gekommen, Kinderlachen oder Ballspielen mit Autolärm und Industrieemissionen zu vergleichen? Welcher noch so krude und kinderfeindliche Hagestolz hätte es damals gewagt, einen Prozess wegen Kinderlärms anzufangen?

Meine Damen und Herren, wir alle sollten also diesen Antrag unterstützen, unabhängig von Ideologie oder Fraktion, um damit ein deutliches parteiübergreifendes Zeichen zu setzen, ein Zeichen, dass sich in sächsischen Kindertageseinrichtungen und Kindergärten, auf Schulhöfen und in oder vor Jugendzentren selbstverständlich kind- und jugendtypische Geräuschkulissen entfalten dürfen und sollen. Wir sollten klarmachen, dass wir hier in Sachsen Kinderlachen und Kinderfreude als akustische Bereicherung wahrnehmen und nicht als Belästigung. Wer dagegen klagen will, der soll von vornherein wissen, dass er mit solch einer Klage vor Gericht kaum eine Chance haben dürfte.

Das setzt aber voraus, dass den Kindern – bei aller natürlichen Wildheit – durch eine vernünftige Erziehung, Beaufsichtigung und Betreuung wieder das Maß an Sekundärtugenden vermittelt wird, das erforderlich ist, um zum Beispiel Ruhezeiten einzuhalten; denn auch Nachbarn und Vermieter dürfen eine gewisse Rücksichtnahme erwarten, wenn sie Verständnis für Kinder und Jugendliche aufbringen sollen.

Die NPD stimmt also Ihrem Anliegen und Ihrem Antrag zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Die erste Runde ist beendet. Gibt es seitens der Fraktionen weitere Wortmeldungen? – Ich kann keine feststellen. Wünscht die Staatsregierung das Wort? – Herr Staatsminister Kupfer, bitte.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Umwelt? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Das ist genau das Problem – es geht um soziale Fragen!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen ist ein kinderfreundliches Land.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Das scheint nicht in allen Bundesländern so der Fall zu sein. Nicht ohne Grund gibt es den entsprechenden Antrag von Rheinland-Pfalz im Bundesrat.

Meine Damen und Herren! Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf die gesetzlichen Grundlagen verweisen, die für Kindertageseinrichtungen gelten. Die bauliche Planung ist in mehrfacher Hinsicht rechtlich privilegiert. So bestimmt die Baunutzungsverordnung, dass bauliche Anlagen für soziale Zwecke in allgemeinen Wohngebieten regelmäßig zulässig sind. In reinen Wohngebieten können sie heute ausnahmsweise zugelassen werden. Wenn aus dieser Ausnahme eine Regelmäßigkeit würde, änderte sich vor Ort erst einmal wenig. Die Gemeinden müssten erst ihre bestehenden Bebauungspläne ändern, um Kindereinrichtungen auch in reinen Wohngebieten per se für zulässig zu erklären.

Immissionsschutzrechtlich handelt es sich bei einer Kindertageseinrichtung um eine Anlage, die keiner Genehmigung bedarf. Wie für alle nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen gilt auch hier, dass erhebliche Belästigungen zu vermeiden sind, soweit dies möglich ist, und dass sie anderenfalls auf das unvermeidbare Mindestmaß zu beschränken sind.

Die durch An- und Abfahrtsverkehr hervorgerufenen Geräusche fügen sich in Wohngebieten in den normalen Anwohnerverkehr ein. Hinsichtlich der von Kindern selbst ausgehenden Geräusche werden in der Regel die Grundsätze übertragen, die für Spielplätze gelten. Danach ist der Lärm von spielenden Kindern generell sozial adäquat und ortsüblich von den Nachbarn hinzunehmen.

Auch im Zivilrecht nehmen die Gerichte an, dass für den von Kindern ausgehenden Lärm keine Grenzwerte gelten, solange sich dieser im Rahmen des sozial Adäquaten bewegt. Davon ist regelmäßig auszugehen, da Kinderlärm zum Spielen der Kinder nun einmal dazugehört und auch Teil ihrer Entwicklung ist. Nur wenn etwa besonders laute Spielgeräte oder Aufsichtspflichtverletzungen der Erzieher vorliegen, kann der Kinderlärm ausnahmsweise nicht mehr zumutbar sein.

Meine Damen und Herren! Trotz der in letzter Zeit wieder schlagzeilenträchtigen Fälle verbotener Kindertagesstätten in anderen Bundesländern lässt sich kein Anstieg „kinderfeindlicher“ Rechtsprechung in diesem Bereich feststellen.

Im Freistaat Sachsen ist es durch das Fehlen gesetzlicher Konkretisierungen bisher nur in seltenen Aufnahmefällen zu Problemen mit dem verwaltungsbehördlichen Vollzug gekommen. Bauordnungs- und Immissionsschutzrecht bieten durchaus die Möglichkeit, widerstreitende Interessen von Anwohnern und von Kindern auszubalancieren. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass aufgrund des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und FDP in nächster Zeit von der Bundesregierung Vorschläge zum

Thema Kinderlärm zu erwarten sind, sollten wir diesen nicht vorgreifen.

Meine Damen und Herren! Diese Auffassung hat auch der Rechtsausschuss des Bundesrates vertreten und für eine Vertagung gestimmt. Insofern spricht sich auch die Staatsregierung dafür aus, den Antrag des Rechtsausschusses zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Kupfer, für Ihre Stellungnahme.

Meine Damen und Herren! Die Aussprache ist beendet. Wir kommen nun zum Schlusswort. Herr Abg. Homann, Sie haben jetzt die Gelegenheit dazu.

Ich bin zunächst einmal verwundert: Auf der einen Seite haben wir CDU und FDP, die erklären, im Grunde genommen sei das Anliegen richtig, aber dem werde schon entsprochen. Dann aber kommt der Minister und erzählt uns, wir müssten das eigentlich gar nicht haben, es sei überhaupt nicht notwendig. An dieser Stelle empfehle ich, dass der Herr Minister einen Termin in der Fraktion macht, um sich erst einmal untereinander zu unterhalten. Sich so eklatant zu widersprechen, hat schon einen gewissen Unterhaltungswert. An dieser Stelle vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Natürlich gibt es eine sächsische Verantwortung. Wie wäre es denn einmal mit kostenfreier Bildung von der Kita bis zur Uni? Aber da haben wir die ideologischen Verweigerer und die Wortbrecher, und die geben sich auch hier wieder die Klinke in die Hand. Sächsische Verantwortung? Ja. Aber erfüllen Sie diese auch!

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Nach der heutigen Diskussion ergibt sich für mich ein ganz klarer Grund, warum Sie dem Antrag trotz viel Sympathie hier nicht zustimmen: Es ist leider kein Antrag von CDU und FDP. Deshalb wird er abgelehnt – das alte Spiel.

(Alexander Delle, NPD: Das macht doch die SPD auch! – Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Doch! Genau das haben wir doch hier erlebt. Alle anderen Begründungen waren fadenscheinig. Das war auch genau das, was Herr Kollege Meyer gesagt hat.

Kollegin Jonas, ein kleiner Tipp: Schauen Sie einmal auf die Internetseite Ihres Ministers: www.justiz.sachsen.de. Dort ist in der Pressemitteilung zu dem Urteil über den Kindergarten in Markkleeberg zu lesen, dass es sehr wohl darum gehe, ob von dieser Einrichtung Kinderlärm ausgeht oder nicht. Von daher: Recherchieren auch Sie!

Ich würde Ihnen am Ende meiner Ausführungen gern die letzte Strophe eines Gedichts vortragen, das ich in der 3. Klasse auswendig gelernt habe. Es stammt von Michael Ende und trägt den Titel „Schnurpsenklage“. In der letzten Strophe heißt es: „Ob man dies macht, ob man das macht, alles falsch.

Und überhaupt, was von allem, was mir Spaß macht, ist denn überhaupt erlaubt?“

Sorgen wir dafür, dass Kinder in dieser Gesellschaft wieder Spaß haben können, ohne von Klagen bedroht zu sein!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Vielen Dank, Herr Homann.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag mit der Drucksachennummer 5/600. Thema: „Kinderlärm: kein Grund zur Klage“. Ich bitte um die Dafürstimmen. – Die Gegenstimmen? – Die Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und sehr zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist damit abgelehnt.

Auch dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 10

Finanzierung der Einnahmelücke 2010: Strukturelle Maßnahmen statt Auflösung der letzten Reserven

Drucksache 5/601, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN