Protokoll der Sitzung vom 03.04.2012

Wir kommen nunmehr schon zu

Tagesordnungspunkt 4

2. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Förderung der Bibliotheken als

Bildungs- und Kultureinrichtungen im Freistaat Sachsen

(Sächsisches Bibliotheksgesetz – SächsBiBoG)

Drucksache 5/6104, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/8645, Beschlussempfehlung des Ausschusses für

Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien

Wir beginnen mit der Aussprache mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dann folgen CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht. – Herr Dr. Gerstenberg für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Braucht Sachsen ein Bibliotheksgesetz? Diese Frage hat unsere Fraktion seit dem Jahre 2007 bewegt. Wir haben eine Bibliothekskonzeption von der Staatsregierung gefordert, uns mit Bibliotheksentwicklungsplänen beschäftigt und als Schlussfolgerung daraus in einem intensiven Arbeitsprozess den Gesetzentwurf erarbeitet, der heute zur abschließenden Beratung ansteht.

Ich möchte an dieser Stelle dem Landesverband Sachsen des Deutschen Bibliotheksverbandes, der Landesfachstelle sowie vielen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, auch Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern für wichtige Anregungen und die gute Zusammenarbeit danken.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Wenn wir über die deutschen Grenzen hinaussehen, dann ist ein solches Gesetz ein Stück Normalität. In zwei Dritteln der EU-Länder existieren Bibliotheksgesetze. Es ist wohl kein Zufall, dass die PISA-Spitzenländer über die besten gesetzlichen Grundlagen für ihre Bibliotheken verfügen. Das zeigen vor allem Finnland und Schweden. Es war auch unter diesem Gesichtspunkt folgerichtig, dass die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht den Ländern empfohlen hat, Bibliotheksgesetze zu erlassen und dadurch die Bibliotheken rechtlich aufzuwerten. Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen sind dem bisher nachgekommen.

Der hier für Sachsen vorgelegte Gesetzentwurf stärkt die Bibliotheken nicht nur als Kultur-, sondern vor allem als Bildungseinrichtungen. Bibliotheken spielen eine zentrale Rolle bei der frühen Leseförderung, beim lebenslangen Lernen und bei der Vermittlung von Medienkompetenz an Kinder und Jugendliche, aber auch an die ältere Generation. Der Gesetzentwurf sichert ein leistungsstarkes und flächendeckendes Bibliothekssystem im gesamten Freistaat, also auch im ländlichen Raum. Unabhängig von Wohnort und finanzieller Situation soll auf diese Weise weitgehende Chancengleichheit für Bildung und Information hergestellt werden.

In seinem Kern schreibt der Gesetzentwurf Mindeststandards für die öffentlichen Bibliotheken vor und nimmt bei deren Erfüllung den Freistaat in die Pflicht, sich an der Finanzierung von Personalkosten und kommunalen Erwerbungsetats für neue Bücher zu beteiligen. Darüber hinaus fördert der Freistaat auf gesetzlicher Grundlage Programme zur Lesefrühförderung, den Aufbau einer landesweiten virtuellen Bibliothek, regt Bibliotheksnetzwerke an und unterstützt innovative Projekte sowie deren Nachnutzung. Auf diese Weise motiviert und unterstützt das Land, entlässt die Kommunen aber nicht aus ihrer Eigenverantwortung.

Die Qualitätsstandards, die im Gesetzentwurf aufgestellt sind, haben wir in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband erarbeitet. Dazu gehören eine zeitgemäße Raumausstattung, eine IT-Ausstattung, die den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht wird, die fachliche Qualifikation des Personals, bedarfsgerechte Öffnungszeiten und nicht zuletzt eine kontinuierliche Erneuerung des Buch- und Medienbestandes, da die Aktualität eines Bestandes in unmittelbarem Zusammenhang mit den Nutzerzahlen steht. Frau Hisslinger, Leiterin der Stadtbibliothek Lichtenstein, hielt als Frau der Praxis diese Mindeststandards für völlig nachvollziehbar und fand es gut, dass sie so konkret im Gesetz stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich kann ein Gesetz nicht alle Probleme der Bibliotheken lösen. Prof. Flemming, Landesvorsitzender des Bibliotheksverbandes und Leiter der Städtischen Bibliotheken Dresden, hat als Sachverständiger sehr anschaulich auf den guten Stand der Bibliotheken in den Gemeinden und die Zunahme von Entwicklungsplänen verwiesen. Ebenso hat er die positive Rolle der regionalen Kulturpolitik auf der Grundlage des Kulturraumgesetzes gewürdigt. Er hat aber auch deutlich gemacht, dass die dritte Säule, nämlich das landespolitische Engagement für ein Bildungsland Sachsen, komplett fehlt und die sächsischen Bibliotheken in einer Zuständigkeitsfalle sitzen. Deshalb sieht er diesen Gesetzentwurf als nahezu alternativlos an.

(Beifall bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle stellt sich die Frage, was überhaupt gegen ein Bibliotheksgesetz sprechen könnte. Im Ausschuss wie vielleicht auch nachfolgend in der Debatte wurden vonseiten der Koalition im Wesentlichen drei Gründe aufgeführt.

Erstes Argument: Wir brauchen kein Gesetz, denn Sachsens Bibliotheken sind bundesweit spitze und eine eventuell notwendige Förderung ließe sich auch über Richtlinien regeln.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Mein Gott!)

Ja, es ist so: In den bundesweiten Bibliothekenrankings schneiden vor allem die sächsischen Großstadtbibliotheken, zum Beispiel in Chemnitz und Dresden, meist sehr gut ab.

Aber wir können uns doch nicht auf diesen Erfolgen ausruhen. Wir müssen etwas dafür tun, dass es so bleibt. Zugleich können diese hervorragenden Ergebnisse nicht darüber hinwegtäuschen, dass öffentliche Bibliotheken seit Jahren empfindliche Einschnitte hinnehmen müssen und die Qualität der einzelnen Bibliotheken im Freistaat extrem unterschiedlich ist. Zudem wird wohl niemand bestreiten, dass wir in einer Wissens- und Informationsgesellschaft leben, in der Bibliotheken unverzichtbare Einrichtungen sind. Herr Dr. Steinhauer hat als Jurist in der Anhörung überzeugend hergeleitet, dass Bibliotheken die eigentlichen öffentlichen Institutionen sind, die sowohl von ihrem inhaltlichen Angebot her als auch als Bildungspartner für Medien- und Informationskompetenz die Voraussetzungen für eine mündige und angemessene Grundrechtsausübung gewährleisten können. Aus Gründen der Wesentlichkeit bedürfen sie deshalb einer gesetzlichen Absicherung.

Zweites Gegenargument: Wir brauchen in Sachsen kein Bibliotheksgesetz, wir haben das Kulturraumgesetz. – Das Kulturraumgesetz leistet in der Tat einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Bibliotheken. Allerdings sieht das wiederum von Kulturraum zu Kulturraum sehr unterschiedlich aus. Dabei stehen jedoch stets Bibliotheken als Kultureinrichtungen im Mittelpunkt. Ihrer Rolle als Bildungseinrichtungen kann das Kulturraumgesetz keine Geltung verschaffen, ebenso wenig kann es die effiziente Nutzung der Infrastruktur und die Qualität der Angebote sichern.

Hinzu kommt, dass sich nach Ihrer Kürzung der Kulturraummittel, meine Damen und Herren von der schwarzgelben Koalition, der ständige Wettbewerb mit anderen Kultureinrichtungen, wie Theatern und Museen, verschärft hat. Das Bibliotheksgesetz steht also nicht in Konkurrenz zum Kulturraumgesetz, sondern es ist eine sachgerechte und passgenaue Ergänzung.

Drittes Gegenargument: Mit diesem Gesetz wird eine neue kommunale Pflichtaufgabe begründet. Ich hoffe sehr, dass wir diese Argumentation heute im Plenum nicht noch einmal zu hören bekommen, denn sie ist schlichtweg Unfug. Die Stärke des Gesetzentwurfes besteht gerade darin, dass wir nicht – wie etwa der Musterentwurf des Bibliotheksverbandes – der Versuchung erlegen sind, eine neue kommunale Pflichtaufgabe zu begründen, sondern auf innovative Art Anreize für die Entwicklung der Bibliotheken setzen. Das macht Ihnen die Begründung der Ablehnung offensichtlich nicht ganz leicht; trotzdem sollten Sie nach Argumenten suchen und nicht auf eine Ausrede wie "Pflichtaufgabe" verfallen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Ja, Sachsen braucht ein Bibliotheksgesetz, und vor Ihnen liegt ein Gesetzentwurf, der nach unserer Überzeugung dafür eine hervorragende Grundlage bietet. Wir können damit auch an eine ausgeprägte sächsische Bibliothekstradition anknüpfen. Die Ratsschulbibliothek Zwickau existierte bereits vor 1500

und gilt damit als die älteste wissenschaftliche Bibliothek Sachsens. Die Geschichte der öffentlichen Bibliotheken schließlich begann 1828 im sächsischen Großenhain. Nach dem Vorbild der dortigen Volksbücherei wurden später in ganz Deutschland Stadt- und Gemeindebibliotheken errichtet. Aufbauend auf dieser Tradition kann ein sächsisches Bibliotheksgesetz nicht nur die sächsische Bildungslandschaft zukunftssicher machen, sondern auch über die sächsischen Grenzen hinaus wirken.

Es war Prof. Hacker, Prorektor für Bildung der HTWK Leipzig, der in der Anhörung mit dem Satz an uns Abgeordnete appellierte: "Beachten Sie, dass mit dem heute zu diskutierenden Gesetzentwurf eine Option vorliegt, das derzeit beste Bibliotheksgesetz Deutschlands zu verabschieden."

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ein Spitzenplatz!)

Nach dem bisherigen Verlauf der parlamentarischen Beratung muss ich annehmen, dass Sie von CDU und FDP diese Chance verspielen werden. Aber auch, wenn Sie unseren Gesetzentwurf heute ablehnen werden, kann ich Ihnen versichern: Bibliotheken als eigenständige und kooperierende Bildungseinrichtungen, als Partner und Lotsen in der Informationsgesellschaft, als moderne Orte des Lernens – diese Themen sind so wichtig und so aktuell, sie bleiben auf der Tagesordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva-Maria Stange und Martin Dulig, SPD)

Nun die Fraktion der CDU; Frau Abg. Fiedler, Sie haben das Wort und die Aufmerksamkeit Ihrer Fraktion.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! "Bibliotheken" – so Alt-Bundespräsident Horst Köhler – "sind besondere Orte." Helmut Schmidt bezeichnete sie als die "geistigen Tankstellen der Nation", und es ist Anliegen der CDU, diese besonderen Orte des Wissens- und Erkenntnisgewinns zu erhalten und weiter zu fördern.

Im sächsischen Großenhain – Herr Dr. Gerstenberg erwähnte es schon – wurde nicht nur die erste öffentliche Bibliothek eröffnet; Sachsen steht auch heute noch an der Spitze des deutschen Bibliothekswesens. Doch die klassische Papierbibliothek, wie sie einst in Großenhain eröffnet wurde, ist nicht mehr die Bibliothek des Jahres 2012. Die digitale Welt hat vieles verändert. Bibliotheken sind Speicher unseres Wissens und unserer Erfahrungen in gedruckter und mittlerweile auch elektronischer Form. Die Entwicklung der digitalen Welt im Bereich des Bibliothekswesens in den letzten 20 Jahren war enorm. Das Internet ersetzt in vielen Fällen Nachschlagewerke für die Recherche und Nutzung von Informationen. Bücher liegen mittlerweile in elektronischer Form vor.

Diese Entwicklung wird weitergehen, was allein der Blick auf die USA zeigt, wo vor einem Jahr die Zahl der verkauften eBooks bei Amazon die Gesamtzahl der verkauften Bücher übertraf. Doch eines ist auch nach fast

200 Jahren gleich: Bibliotheken sind unverzichtbar. Sie sind die am stärksten genutzten Kultur- und Bildungseinrichtungen und haben deutschlandweit mehr Besucher als Kinos plus 1. und 2. Bundesliga zusammen.

In der hohen Bedeutung von Bibliotheken, welchen wichtigen Beitrag sie für unsere Gesellschaft leisten und dass wir diesen Schatz weiter pflegen und erhalten wollen, darin, sehr geehrter Herr Dr. Gerstenberg, stimmen wir überein. Unterschiede gibt es beim Wie. Sachsen hat ein gutes und im Vergleich mit den anderen Bundesländern dichtes Bibliotheksnetz. Es ist richtig, auch dort gab es Rückgänge; aber die Zahl der Entleihungen ist seit 1992 um ungefähr 30 % gestiegen. Sachsen investiert pro Einwohner mehr in Bibliotheken als Bayern oder BadenWürttemberg. Auch hinsichtlich des Personals gehört Sachsen zu den führenden Ländern. Im Übrigen stehen wir mit vielen Merkmalen besser da als Länder, die Bibliotheksgesetze haben.

(Beifall bei der CDU)

Dass Sachsen bundesweit einen Spitzenplatz einnimmt, stellt selbst der Gesetzentwurf fest. Die Bibliotheken sind in Sachsen bereits gut; aus dieser Sicht ist das Gesetz nicht notwendig. Dass Bibliothek heute anders gedacht und von anderen Voraussetzungen und Möglichkeiten ausgegangen werden muss, ist in der Anhörung deutlich geworden. "Den Bibliotheksbegriff neu denken", hat Herr Dr. Bonte von der Staats- und Universitätsbibliothek so schön formuliert.

Der aufgezeigte Handlungsbedarf besteht insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Bildungseinrichtungen, der Unterstützung der Digitalisierung sowie der Präsentation im Internet, der kulturraumübergreifenden Zusammenarbeit der sächsischen Bibliotheken, der Förderung und Mobilisierung des Ehrenamtes, der Abgabe von Pflichtexemplaren bei Neuerscheinungen, auch im Hinblick auf die elektronischen Medien; der Mitwirkungen der Staats- und Universitätsbibliothek sowie der Rolle der Landesstelle für Museumswesen.

Aber brauchen wir dafür ein Bibliotheksgesetz? Auch darauf ist die Antwort in der Anhörung nicht so klar ausgefallen, wie es gerade von Herrn Dr. Gerstenberg dargestellt wurde. Beispielsweise sagte der von ihm bereits zitierte Prof. Flemming vom Landesverband der Bibliotheken, dass er sich auch vorstellen könne, dass das SLUB-Gesetz, das Staats- und Universitätsbibliotheksgesetz, geändert werde.

Auf Antrag der CDU-Fraktion arbeitet die Staatsregierung bereits daran, wie der Gestaltungsspielraum der Staats- und Universitätsbibliothek erhöht werden kann, um ihr Potenzial auch noch stärker für das gesamte Land zu nutzen. Zu den Aufgaben der Staats- und Universitätsbibliothek gehört die Unterstützung der Bibliotheken des Freistaates Sachsen. Dies tut sie auch, beispielsweise mit ihrem Informationsportal für die bibliothekarische Fortbildung, den Betrieb des Digitalisierungszentrums oder die Koordination der sächsischen Beiträge zur deutschen

und europäischen digitalen Bibliothek. Um diesen Prozess voranzubringen, brauchen wir kein neues Bibliotheksgesetz. Hier wird seit einem Jahr an der Umsetzung gearbeitet.

Bleibt die Frage der Finanzierung. Hierbei gibt es zwei Ansätze zur Förderung von Bibliotheken. Der eine Ansatz sind spezielle spartenbezogene Kulturgesetze zu Theatern, Museen, Musikschulwesen und Bibliotheken – ein Weg, den andere Bundesländer eingeschlagen haben. Diese haben aber alle kein Kulturraumgesetz. Wir haben ein Kulturraumgesetz, welches die sächsische Kulturlandschaft in ihrer gesamten Substanz bewahren und ihre Weiterentwicklung fördern soll.

Mit einer Zustimmung zum Bibliotheksgesetz müssten auch Gesetze in anderen Sparten folgen. Auch Musikschulen oder Jugendkunstschulen sind Bildungseinrichtungen – was aber der gesamten Systematik der sächsischen Kulturraumförderung entgegensteht.

Weiterhin spricht der Gesetzentwurf von zusätzlichen Geldern – ich zitiere den Punkt Kosten –: "Für die Grundfinanzierung in Höhe von 20 % des jährlichen Erwerbsetats und 20 % der Personalkosten sowie die Errichtung einer landesweiten Bibliothek und die Förderung weiterer Programme sind langfristig Kosten in Höhe von bis zu 6 Millionen Euro jährlich zu erwarten." Punkt. Dabei belassen Sie es. Angaben, woher diese Gelder bei einem geringer werdenden Haushaltsvolumen kommen sollen, bleiben offen.

Es gibt ein weiteres Argument, das gegen eine Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf spricht: die kommunale Ebene.