Protokoll der Sitzung vom 03.04.2012

Frau Fiedler, bevor Sie dazu kommen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Dr. Gerstenberg.

Fiedler, stimmen Sie mir zu, dass in einem Gesetzentwurf normalerweise nicht die Deckung ausgewiesen wird, sondern dass dies dem Haushalt vorbehalten bleibt? Stimmen Sie mir ferner zu, dass unsere Fraktion in den letzten Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt

2011/2012 mit einer Million Euro bereits einen ersten Einstieg in diese Finanzierung nachgewiesen hat?

(Miro Jennerjahn, GRÜNE: Hört, hört!)

Herr Dr. Gerstenberg, vielleicht gehört es nicht in den Gesetzentwurf, aber wenn man einen solchen Gesetzentwurf in der Anhörung vorträgt und hier im Landtag einbringt, würde es sich gehören, zumindest die Finanzierungsquelle zu nennen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich kehre zur kommunalen Eben zurück. Der Gesetzentwurf der GRÜNEN – –

Frau Fiedler, Sie entschuldigen bitte, ich war kurz abgelenkt. Gestatten Sie noch eine Nachfrage? – Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Die Haushaltsberatungen stehen an. Könnten Sie sich vorstellen, diesem Gesetzesentwurf zustimmen, wenn wir in den Haushaltsberatungen die entsprechende Finanzierungsgrundlage liefern?

Herr Gerstenberg, ich erläutere gerade, warum wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Ich glaube, ich habe schon eine Reihe von guten Gründen genannt und würde gern noch einen weiteren vorstellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich komme zur kommunalen Ebene zurück. Der Gesetzentwurf sieht die Bibliotheken als Pflichtaufgabe vor. Herr Dr. Gerstenberg, Sie wollten nicht, dass es angesprochen wird. Das verstehe ich nicht, weil es in der Anhörung auch zur Sprache gekommen ist. Es geht um die Mindeststandards, beispielsweise die IT-Ausstattung, die Ausweitung der Öffnungszeiten, die Qualifikation des Personals, eine Mindestquote zur Erneuerung des Bestands und die Barrierefreiheit.

Wenn der Gesetzgeber – das ist nicht meine Auffassung, sondern das hat der Sächsische Städte- und Gemeindetag in dieser Anhörung vorgetragen – festschreibt, welche Pflichtaufgaben zu übernehmen sind, dann muss er auch die Mehrkosten tragen. Ob die vorgeschlagenen

6 Millionen Euro dafür ausreichend sind, bezweifelt der Sächsische Städte- und Gemeindetag. Diese Argumente für die Ablehnung des Gesetzentwurfs vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag teilen wir.

Einen Gesetzentwurf gegen die kommunale Ebene durchzusetzen ist mit uns nicht machbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss noch einmal zitieren: „Das Sächsische Kulturraumgesetz bildet den gesetzlichen Rahmen für die Kulturförderung im Freistaat Sachsen. Es bietet auch die Grundlage für die angemessene Förderung der öffentlichen Bibliotheken. Ein spezielles Leistungsgesetz ist in diesem Zusammenhang nicht notwendig.“

So hieß es 2008 in der Antwort der damaligen Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange auf die Kleine Anfrage des Kollegen Schmalfuß, ob die Staatsregierung – entsprechend den Empfehlungen der Enquete-Kommission Kultur – ein Bibliotheksgesetz für den Freistaat Sachsen beabsichtigt. Diesen Aussagen können wir auch heute noch zustimmen und werden den Gesetzentwurf ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Ich möchte eine Kurzintervention machen.

Bitte sehr.

Ich hätte es nicht geglaubt, aber Kollegin Fiedler ist noch einmal auf den Punkt „vermeintliche Pflichtaufgabe“ eingegangen.

Ich gehe davon aus, dass Sie den Gesetzentwurf gelesen haben. Ich bitte Sie noch einmal, wirklich Juristen zu konsultieren. Der Text ist glasklar. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag hat in der Anhörung eine Fehlinterpretation geliefert. Das ist schon in der Anhörung widerlegt worden. Dort ist auch betont worden, dass es der besondere Reiz des Gesetzes ist, dass er auf diese Pflichtaufgabe verzichtet und damit die Auseinandersetzung auf kommunaler Ebene nicht stattfinden muss. Das, was wir als Standards formuliert haben, sind die Voraussetzungen, dass der Freistaat dann mitfinanzieren würde.

Es ist also ein reines Anreizgesetz. Wenn diese Standards nicht erfüllt werden, wird nicht mitfinanziert. Damit wird keine neue Pflicht begründet.

Frau Fiedler, Sie möchten erwidern? – Bitte schön.

Ich möchte nur aus der Anhörung zitieren und ausführen, auf welche Stelle ich mich beziehe. Der Vertreter des Sächsischen Städte- und Gemeindetages sagte – ich zitiere –: „Aus unserem Gesetzentwurf, den wir hier diskutieren, auch wenn es soeben anders dargestellt wurde, lesen wir zumindest heraus, dass es sich um eine Pflichtaufgabe handeln sollte.“

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Fragen Sie doch mal die Juristen in Ihrer Fraktion! – Zuruf von der SPD: Haben die welche?)

Das war die Erwiderung. – Wir setzen die Aussprache fort, meine Damen und Herren. Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Herr Dr. Külow. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor ein paar Wochen adelte „Der Spiegel“ per Vorabdruck eine kulturpolitische Abrissprovokation, die den Untertitel trug: „Von allem zu viel und überall das Gleiche“.

Die selbst ernannten Kardiologen des bundesdeutschen Kulturbetriebes dürften mit ihrem schlagzeilenträchtigen Kulturinfarkt aber keinesfalls das sächsische Bibliothekswesen gemeint haben, über das wir heute aufgrund

des vorliegenden Antrags der Fraktion BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN diskutieren.

Die bisherige Debatte seit der Einbringung des sächsischen Bibliotheksgesetzentwurfs am 30. Juni 2011 hat eines gezeigt: Wir haben in Sachsen keinesfalls zu viele Bibliotheken, ganz im Gegenteil.

Bevor ich aber notwendigerweise zu den Schattenseiten des Themas komme, möchte ich zunächst die positiven Aspekte würdigen. Der Freistaat verfügt unstrittig über ein gutes Bibliotheksnetz mit diversen Leuchttürmen, die – Herr Dr. Gerstenberg hat es bereits angesprochen – in der wichtigsten Rankingliste der deutschen Großstadtbibliotheken in den letzten Jahren regelmäßig Spitzenpositionen belegten. Wir haben eine gute Infrastruktur, wie der Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen im Deutschen Bibliotheksverband, Prof. Dr. Arend Flemming, in der Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf am

5. Dezember 2011 deutlich machte.

Neben der Förderung der Bibliotheken in Sachsen durch das Kulturraumgesetz und die vielen Nutzerinnen und Nutzer unserer Bibliotheken hat Prof. Dr. Flemming einen weiteren wichtigen Grund genannt, der es mir wert scheint, an dieser Stelle zitiert zu werden: „Wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit sehr hohem Engagement und Einfallsreichtum in den Bibliotheken arbeiten.“ Der oberste Bibliothekar im Freistaat spricht dann von der „sehr idealistischen Grundeinstellung“ der Bibliothekarinnen und Bibliothekare im Freistaat, ihrem Fleiß und ihrer Klugheit. Jeder, der regelmäßig Bibliotheken benutzt, kann diese Charakterisierung bestätigen. Ich denke, dafür sollten wir dieser Berufsgruppe, aber auch den Hunderten Ehrenamtlichen im sächsischen Bibliothekswesen, deren Wirken sich selten in das Licht der Öffentlichkeit drängt, ganz herzlich danken.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wo viel Licht ist, gibt es auch Schatten. Die Anzahl der öffentlichen Bibliotheken in Sachsen hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verringert. Waren es im Jahr 1990 noch über 1 400 Bibliotheken, so liegt die Anzahl heute bei nur noch knapp über 500. Der jahrelange Konsolidierungsdruck in den Städten und Gemeinden hat besonders bei den Bibliotheken seine Opfer gefordert. Das Bibliothekssterben ist auch in Sachsen eine traurige Realität.

Es gibt hier also nichts mehr zu sparen, zumindest, wenn die noch vorhandenen Bibliotheken im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung die viel beschworenen offenen und öffentlichen Orte bleiben sollen.

Für den entsprechenden Rollenwandel der Bibliotheken im 21. Jahrhundert hat sich die Formel „vom klassischen Wissensspeicher zum aktiven Bildungspartner“ eingebürgert. Besonderer Aufgabenschwerpunkt ist für die Linksfraktion der Ausbau von speziellen Angeboten für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche und die Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz.

Um den komplexen Herausforderungen der aufkommenden Informations- und Wissensgesellschaft gerecht werden zu können, bedürfen die Bibliotheken in Sachsen einer verstärkten politischen Zuwendung, die sich naturgemäß auch finanziell ausdrücken muss. Genau hier setzt der von den Sachverständigen in der Anhörung nahezu einhellig begrüßte Gesetzentwurf der GRÜNEN richtigerweise an.

Frau Fiedler, ich habe den Tenor doch noch etwas deutlicher in Erinnerung: Von den sieben Sachverständigen haben sich sechs eindeutig für den Gesetzentwurf ausgesprochen. Ein Gesetz ist gewiss nicht die Lösung aller Probleme, aber wie hat es die CDU-Landtagsabgeordnete und Präsidentin des Verbandes der Bibliotheken in NRW, Frau Monika Brunert-Jetter – übrigens eine gelernte Bibliothekarin –, sehr treffend über eine Initiative ihrer Partei für ein eigenständiges Bibliotheksgesetz gesagt – ich zitiere –: „Durch ein Gesetz wollen wir die Bibliotheken in der vorhandenen Bildungslandschaft als gleichberechtigten Partner auf Augenhöhe etablieren. Hierzu bedarf es einer soliden rechtlichen und finanziellen Ausstattung, um den Bildungsauftrag zu erfüllen und Standards zu definieren. Die Bildungseinrichtung Bibliothek darf nicht mehr nur eine ideelle Wahrnehmung erfahren, sondern muss auch gesetzlich verlässlich verankert werden.“ – Soweit die CDU-Landtagsabgeordnete.

Schaut man sich insbesondere die Lage der kleinen Bibliotheken im Freistaat an, wird der enorme Handlungsbedarf deutlich, der auch in der Anhörung kritisch angesprochen worden ist: 79 % der sächsischen Bibliotheken haben keine eigene Bibliothekshomepage, 75 % können keine Kataloginformationen im Netz präsentieren, 24 % können sich keinerlei Neuzugang von Medien leisten und 74 % haben eine Stellenkapazität von weniger als einer Planstelle. Folgerichtig haben 84 % der Bibliotheken weniger als 25 Stunden in der Woche geöffnet. Diese unerfreulichen Zahlen ließen sich beliebig fortsetzen.

Nur noch ein konkretes Beispiel: Die von unserer Fraktion eingeladene Leiterin der Stadtbibliothek Lichtenstein – die schon zitierte Frau Katrin Hisslinger – machte in der Anhörung deutlich, dass sie aus eigener Kraft weder die 6 000 Euro für den dringend notwendigen Web-OPAC noch die 15 000 Euro für das RFID-System aufbringen kann.

Hier genau kommt der Gesetzentwurf zum Zuge, der solche konkreten Vor-Ort-Probleme unkompliziert lösen und landesweit mehr Entwicklungsplanung und Innovation für das sächsische Bibliothekssystem ermöglichen würde.

Sachsen hat heute mit der Verabschiedung des Bibliotheksgesetzes die Chance, bundesweit zum Schrittmacher zu werden. Unsere Fraktion möchte diese Chance nutzen und wird dem Gesetzentwurf daher zustimmen.