Protokoll der Sitzung vom 04.04.2012

Nehmerqualitäten als Blitzableiter gehören zur Stellenbeschreibung, das habe ich jetzt verstanden.

(Lachen und Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bevölkerung erwartet doch nicht, dass Sie harte Männer spielen. Die erwartet, dass Sie Probleme lösen, und zwar nicht nur in der Form, das machen jetzt die Fachleute, und einer Art technokratischen Regierung, sondern Sie sollen sie politisch auch auf Dauer lösen mit nachhaltigen Ergebnissen. Das Wort Nachhaltigkeit wird uns in den nächsten Monaten noch beschäftigen. Und da ist der Ministerpräsident der oberste Diener und die Minister sind die Diener, und zwar des Volkes und der gewählten Volksvertreter. Das Thema ist Ihnen nicht neu, ich weiß, aber Sie haben es noch nicht verstanden.

Mein eigener Stil – ja, den haben wir hier alle, jeder von uns. Aber es heißt doch nicht, dass man sich nur treu bleiben kann, indem man auf Entwicklung verzichtet. Was ich glaube, ist Folgendes: Herr Tillich, Herr Flath, Herr Zastrow, es ist hinlänglich bekannt, welchen persönlichen Stil jeder von Ihnen hat. Wenn Sie eine Halbzeitbilanz vorlegen, dann kann ich nur sagen, gemessen an dieser Frage war das eine Bilanz des Schreckens. Den alten Politikstil der organisierten Verantwortungslosigkeit in einer Kollektivführung wollen wir auch nicht zurückhaben; der war nicht gut. Aber Sie bekommen vor lauter eigenen Stilen ja nicht einmal eine politische Führung in dieser Koalition hin. Das ist doch das, was herausgekommen ist. Das ist meiner Meinung nach kollektives Chefversagen. Ich bin der Auffassung, entweder machen diese drei Köpfe eine andere Politik oder die andere Politik sucht sich ihre eigenen Köpfe mit ihrem eigenen Stil.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die einbringende Fraktion war das Frau Kollegin Hermenau. – Für die CDU-Fraktion ergreift jetzt Herr Kollege Colditz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politik wird von Menschen gemacht, Menschen machen Fehler und Menschen sind fehlbar. Ich halte es für ein Zeichen der Stärke, auch von Politik, wenn sie die Kraft hat, diese Fehler einzugestehen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Das sollte der Ministerpräsident auch machen!)

Meine Damen und Herren! Das wird Ihnen als Opposition leichter fallen als Politikern in der Regierung oder als Politikern in unserer Koalitionsfraktion, aber dieses Eingeständnis ist alternativlos. Ich denke, und damit bin ich beim Thema dieser Debatte, es darf nicht der Eindruck vermittelt werden, dass wir die Probleme, die sich mittlerweile angehäuft haben, dadurch lösen, dass wir Köpfe in der Staatsregierung austauschen. Das reicht nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das drängendste Problem in diesem Land in der Bildungspolitik hat einen klaren Namen. Der Name lautet nicht Kurth und nicht Wöller, der Name lautet Lehrermangel. Das ist das Thema, das ist allein das Thema.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Wir tun gut daran, wenn wir an dieser Stelle im Sinne dessen, was ich eingangs gesagt habe, Fehler eingestehen und korrigieren. Auch wenn ich nicht der Staatsregierung angehöre, will ich den Finger nicht in den Raum richten an irgendwelche Stellen, wie wir es gestern Abend gemacht haben, sondern ich richte den Finger auch auf mich selbst. Ich sehe in meinem begrenzten Aktionsradius Fehler in der Vergangenheit ein und muss sie einsehen. Wir waren in den vergangenen Jahren nicht konsequent genug, egal in welchen Konstellationen, ob alleinregierend oder in der Koalition. Auch ich war nicht ausreichend konsequent, als es um die demografische Vorsorge für den Lehrerbedarf ging.

Ich will aus der jüngeren Vergangenheit sagen, auch das Bildungspaket war und ist fehlerbehaftet. Auch das müssen wir so ehrlich eingestehen. Ich habe schon ein Problem damit, wenn das Ganze im Nachgang als Einmannshow dargestellt wird und so getan wird – ich finde das auch menschlich ein bisschen unanständig –, wenn man das Problem in der Auseinandersetzung zum Bildungspaket an der Person des ehemaligen Kultusministers festmacht. Das reicht so nicht.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt den Blick zurück gerichtet, um auch den Blick in Richtung Frau Kurth zu schärfen. Die Erwartungshaltung an Frau Kurth und an die neue Hausspitze läuft völlig schief, wenn wir davon ausgehen, dass die neue Hausspitze jetzt alles richten wird. Das wird garantiert nicht der Fall sein. Wir sind gemeinsam in der Verantwortung des Problems – die Staatsregierung in Gänze und wir als Koalition auch – und nur so kann Frau Kurth Erfolg haben.

Ich weiß, dass Frau Kurth mit hoher Fachlichkeit und hohem, fast übermenschlichen Ehrgeiz an das Thema herangeht, und das habe ich auch immer an ihr geschätzt. Aber allein das wird nicht ausreichen. Es bedarf auch einer politischen Weichenstellung, um das Problem zu lösen.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Da sehe ich das Problem – und da bin ich auch beim Eingeständnis von Fehlern –, dass wir ein politisches Gleichgewicht zwischen einer verantwortungsvollen Finanzpolitik – völlig richtig – und einer vernünftigen und guten Bildungspolitik als der zweiten Seite wiederherstellen müssen. Ich habe den Schülerinnen und Schülern vorige Woche gesagt: Wir sparen um euretwillen, damit ihr eine Zukunft in diesem Land habt, damit ihr Gestaltungsmöglichkeiten habt. Aber damit ihr wirklich eine Zukunft habt, können wir nicht nur sparen, sondern wir müssen euch auch eine so gute Bildung vermitteln, dass ihr in diesem Land eine gute Zukunft bekommt.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Und, meine Damen und Herren, auch das lassen Sie uns gemeinsam bedenken: Die Grundlage der aktuellen Diskussion ist die Realität. Wir sollten uns nicht schon wieder in neue Fehler verstricken. Die Realität ist nicht interpretierbar, die Fakten und Zahlen liegen auf dem Tisch und müssen ungeschminkt zur Kenntnis genommen werden, und es muss gehandelt werden.

Es liegt zurzeit ein wenig an meinem Nervenkostüm, wenn ich bestimmte Begriffe in der Öffentlichkeit hochsensibel aufnehme. Wir reden nicht über Horrorszenarien. Wir brauchen auch keine noch differenziertere Betrachtung der Realitäten. Und wir reden auch nicht vom Zahlenwirrwarr. Wenn wir uns auf diese Argumentation einlassen, laufen wir schon wieder Gefahr, uns ein X für ein U vorzumachen.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Richtig!)

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Wir haben sie gestern Abend gehört. Denen müssen wir uns ganz einfach stellen.

(Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Wir sollten auch nicht neue Zahlenszenarien in die Welt setzen, meine Damen und Herren.

Die Redezeit läuft ab.

Wir sollten uns auf das stützen, was wir über Monate hinweg erörtert haben, auch aus den letzten Tagen des ausgeschiedenen Kultusministers, und dies als gute Grundlage nehmen, um das Problem zu lösen. Ich habe, wenn auch eingeschränkt, aber ich habe den Optimismus, dass uns das gelingt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Colditz. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Dr. Hahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kurth, Sie haben als Kultusministerin ein schwieriges, vielleicht das derzeit schwierigste Amt in der sächsischen Landesregierung übernommen. Ich habe Ihnen gestern dafür schon eine glückliche Hand und viel Erfolg gewünscht. Vor allem aber, Frau Kurth, wünsche ich Ihnen einen Finanzminister und einen Ministerpräsidenten, die Sie deutlich mehr unterstützen, als das bei Ihrem Vorgänger der Fall war.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Herr Ministerpräsident, Ihr heutiges „SZ“-Interview ist wirklich bemerkenswert: Zwei streitende Minister sollen sich irgendwie einigen. Der MP schaut zu, lädt mal zu einem Gespräch, und wenn der Streit trotzdem weitergeht, könne er halt nichts mehr machen. – Mit Führung, Herr Tillich, hat das nichts zu tun. Sie haben offenbar bis heute nicht begriffen, dass Sie Chef dieser Regierung sind. Mit Ihrem ständigen Wegducken, Herr Ministerpräsident, schaden Sie unserem Land.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Herr Wöller hat wenigstens am Ende seiner Amtszeit klare Worte gefunden und Zahlen auf den Tisch gelegt. Daraus ergibt sich: Das Bildungspaket der Koalition ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Wir haben gestern schon darüber debattiert.

Die Koalition ist gegenwärtig dabei, sehenden Auges das sächsische Schulwesen zu ruinieren, und Sie können doch nicht ernsthaft erwarten, dass die Opposition das widerstandslos hinnimmt.

Die neue Kultusministerin kommt vom Fach. Das ist gut so. Sie war selbst Pädagogin und Schulleiterin. Umso größer sind allerdings auch die Erwartungen, die von Lehrern, Eltern und Schülern an sie gerichtet werden. Wir wissen genauso gut wie Sie – auch das sage ich –, Sie werden nicht alle Erwartungen erfüllen können. Aber eines erwarten wir schon: Wir erwarten, dass Sie sich wirklich spürbar für die Schulen in Sachsen stark machen und sich dem Spardiktat des Finanzministers nicht länger unterordnen.

(Beifall der Abg. Kathrin Kagelmann, DIE LINKE)

Natürlich sollen die ersten 100 Tage Schonfrist auch für Sie gelten. Die Probleme, die wir im Schulbereich haben, drängen aber. Sie dulden keinen Aufschub, sondern müssen unverzüglich gelöst werden. Deshalb wollen wir natürlich auch von Ihnen wissen, welche Lösungsansätze Sie konkret haben, Frau Staatsministerin. Wie wollen Sie den drohenden Lehrermangel abwenden?

Wir wollen auch wissen, ob Sie vor Ihrer Bereitschaft zur Übernahme des Amtes dem Ministerpräsidenten klare Zusagen für mehr Lehrer, für mehr Geld im Bildungsbe

reich abverlangt haben. Wenn ja, wie viel? Falls Sie es nicht getan haben, müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie sich selbst schon von vornherein in eine Sackgasse manövriert haben. Hier möchten wir gern Auskunft.

Frau Kurth, es geht eben nicht um einen temporären Engpass bei einigen Fächerkombinationen oder Schularten, wie Sie es in der letzten Zeit leider wiederholt gesagt haben. Wir haben ein strukturelles Problem in diesem Bereich, und dieses strukturelle Problem muss strategisch angegangen und gelöst werden. Hierzu brauchen wir klare Ansagen auch von Ihnen.

Im Übrigen umfasst das SMK noch viele andere Bereiche. Ich nenne beispielsweise die Kindertagesstätten, ich nenne die Volkshochschulen. Auch zu diesen Themen werden Sie sich über kurz oder lang positionieren müssen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der zweite Teil des Titels der Aktuellen Debatte lautet: „Wo ist der Kurswechsel in der sächsischen Bildungspolitik?“ Diese Frage ist berechtigt, aber klar ist auch, dass deren Adressat nicht allein die neue Kultusministerin sein kann. Ich will für DIE LINKE ganz klar sagen: Ohne einen deutlichen Kurswechsel in der sächsischen Finanzpolitik sind die Probleme in unserem Bildungswesen nicht zu lösen.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Petra Köpping, SPD)

Hier, genau hier muss der Hebel angesetzt werden, und hier muss endlich auch der Ministerpräsident von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. Das erwarten wir, und deshalb erwarten wir auch von ihm, dass er sich hier und heute in der Debatte dazu äußert.

Die Menschen in diesem Land haben einen Anspruch, dass endlich auch Herr Tillich zu diesem brisanten Thema im Parlament Stellung nimmt. Feigheit, Herr Ministerpräsident, Feigheit vor dem Bürger war immer schon ein schlechter Ratgeber.

(Beifall bei den LINKEN)

Die SPD-Fraktion; Herr Abg. Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heutige Interview in der „Sächsischen Zeitung“ war für mich auch bemerkenswert, und zwar weniger wegen des Textes, denn so neu war das, was uns da erzählt wurde, ja nicht. Uns ist schon gestern tröpfchenweise mitgeteilt worden, wohin der Zug fährt. Ich fand das Foto interessant, weil es sehr viel aussagt. Dort sitzt ein Ministerpräsident, der mit allem nichts zu tun haben will, der alles abwehrt, der kein Problem an sich herankommen lassen will. Da sitzt ein Ministerpräsident, der nicht einmal mehr lächeln kann und der vor allem den Sachsen nicht mehr ins Auge blickt. Das Foto sagt mehr als der Text, der darunter steht. Genau das ist Ihr Problem. Sie haben das Gefühl für das Land und die Leute schon längst verloren. Das zeigt dieses Foto eindeutig.