Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Bitte, Frau Kollegin, fahren Sie fort.

Vielen Dank. – Ich weise diesen Vorwurf auch im Namen aller pädagogischen Fachkräfte zurück, die in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung tätig sind.

(Alexander Krauß, CDU: Es gibt keinen Vorwurf!)

Ich bitte jeden, sich mit Pädagogik im frühkindlichen Alter auseinanderzusetzen, bevor er solche Aussagen trifft.

(Alexander Krauß, CDU: Das würde ich mir manchmal auch von Ihnen wünschen!)

Das gebetsmühlenartige Abstellen auf die Bindungstheorie finde ich eindimensional und ermüdend.

Ich möchte auf das Betreuungsgeld in den nordischen Ländern eingehen; es ist schon angesprochen worden. In der Tat hat Norwegen seit 1998 das Betreuungsgeld; es umfasst circa 10 % des durchschnittlichen Monatslohns.

Die große Mehrheit der Leistungsempfänger sind in allen nordischen Ländern Mütter mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau oder Migrationshintergrund. Das sind diejenigen – wir haben schon mehrere Theorien gehört –, bei denen es besonders empfehlenswert ist, dass ihre Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen.

Insgesamt hatte das Betreuungsgeld eine sehr negative Auswirkung auf den Beschäftigungsgrad der Frauen. Auch deswegen ist die Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes rapide zurückgegangen. Norwegen hat die Konsequenz gezogen und schafft es zum 1. August dieses Jahres ab. Angesichts dessen frage ich mich, warum wir nicht diese Erfahrungen der skandinavischen Länder wahrnehmen können, damit wir nicht die gleichen Fehler bei uns machen.

(Alexander Krauß, CDU: Was ist mit Finnland?)

Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen: Ab 2013 – wir haben es mehrmals gehört – gibt es den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Einige Kommunen in Sachsen werden Probleme haben, genügend Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund unterstützen wir die Forderung der Linksfraktion, dieses Geld – man redet von circa 2 Milliarden, um die es da geht – eher in den Ausbau der frühkindlichen Bildung zu stecken, nicht nur, damit die Mütter und Väter tatsächlich Wahlfreiheit haben, sondern auch aus einem weiteren Grund.

Ich verweise hierzu auf eine Bertelsmann-Studie – die dürfte für Sie nicht verdächtig sein – unter dem Titel „Volkswirtschaftlicher Nutzen von frühkindlicher Bildung in Deutschland – Eine ökonomische Bewertung langfristiger Bildungseffekte bei Krippenkindern“. In dieser Studie wird der Einfluss des Besuchs von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen auf den späteren Schulbesuch untersucht. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich für den Durchschnitt aller Kinder die Wahrscheinlichkeit, später ein Gymnasium zu besuchen, mit dem Krippenbesuch von 36 auf 50 % erhöht. Diese Verbesserung der langfristigen Bildungschancen durch einen Krippenbesuch fällt bei den Kindern mit Migrationshintergrund und bei den Kindern, deren Eltern einen geringen Bildungsabschluss haben, noch höher aus: Von diesen Kindern gehen später zwei Drittel mehr auf das Gymnasium, wenn sie eine Krippe besucht haben. Wie es unser ehemaliger Bildungsminister immer gesagt hat: Auf den Anfang kommt es an. – Das sehen wir genauso. Deswegen unterstützen wir den Antrag der LINKEN.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE war das die Abg. Giegengack. – Für die NPDFraktion spricht jetzt Herr Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Achten Buch des Sozialgesetzbuches heißt es im zweiten Abschnitt unter dem Titel „Allgemeine Förderung der Erziehung und der Familie“ in

§ 16 Abs. 4 – Zitat –: „Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von einem bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden.“

Wir Nationaldemokraten sind den sächsischen LINKEN wirklich dankbar dafür, dass sie uns mit ihrem Nein zum Betreuungsgeld in ihrem eilig unserem Pro-Betreuungsgeld-Antrag hinterhergeschobenen Antrag somit einen noch breiteren Raum geben, die NPD-Position mit einem Ja zur Wahlfreiheit zu verdeutlichen.

Wir wollen uns durchaus sachlich mit dem Antrag der LINKEN auseinandersetzen. Ich greife zunächst das heraus, was zustimmungsfähig ist. Ihre Feststellung aus der Begründung zu Ihrem Antrag, wonach der tatsächliche Ausbau der Kinderbetreuung den Erfordernissen hinterherhinke, mag zunächst stimmen. Allerdings übersehen Sie dabei, dass jeder der ganz erheblich bezuschussten Krippenplätze, der unbesetzt bleibt, dem Staat eine enorme Summe spart und uns dem Ziel, all jenen, die dies wirklich wollen, den Anspruch auf einen Krippenplatz zu sichern, wieder ein Stück näherbringt. Würde also eine adäquate Anerkennung der eigenen Erziehungs- und Betreuungsleistung der Eltern gesetzgeberisch installiert werden, so könnte dies auch helfen, den finanziellen Druck auf die Kommunen beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige zu verringern.

Stephan Fuchs vom Institut für Demografie, Allgemeinwohl und Familie e. V. bringt es auf den Punkt, wenn er im Newsletter des Instituts vom 28. April 2012 schreibt – wieder ein Zitat –: „Das monetäre Ausmaß des Erziehungsaufwandes zeigt sich erst dabei, wenn Eltern ausfallen und für sie der Staat einspringen muss. Die Erziehung“, dabei geht er auf Heimkinder ein, „von Kindern in Heimen kostet pro Kopf mehrere Tausend Euro im Monat.“ Ich darf hinzufügen: Jeder Krippenplatz wird vom Staat mit durchschnittlich rund 1 000 Euro monatlich bezuschusst. Dem stehen 100 bis 150 Euro geplantes Betreuungsgeld gegenüber. Dies wäre, für sich genommen, zu gering, um echte Wahlfreiheit herzustellen, aber aus der Sicht der NPD-Fraktion wäre es zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. Endlich würde deutlich gemacht, dass Kindererziehung kein bloßes Privatvergnügen von Eltern ist, sondern – so sagt es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Kinderbetreuungsurteil von 1998 – Zitat – „eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt“.

Noch einmal zur Kostenfrage. Die Kommission „Familie und demografischer Wandel“ der Robert-Bosch-Stiftung hat bereits im Jahr 2005 in ihrem Abschlussbericht darauf hingewiesen, dass – wieder ein Zitat – „in Nord- und Ostdeutschland längst Regionen entstanden sind, in denen 40 bis 60 Personen pro Quadratkilometer leben und eine ausdifferenzierte, auf einzelne Teilgruppen von Kindern orientierte Infrastruktur nicht mehr aufrechtzuerhalten ist“. Sie kommt deshalb zu dem Schluss, dass es sinnvoll

wäre, sich stärker an den französischen Erfahrungen zu orientieren, die durch eine Vielfalt unterschiedlicher Betreuungsangebote, häufig auch privat organisiert, die Nachfrage decken.

Zu den französischen Erfahrungen, meine Damen und Herren von den LINKEN, gehört auch die durchaus positive, die man dort mit einer parallel vorgehaltenen, qualitativ hochwertigen Betreuungsinfrastruktur und der Förderung der eigenen Erziehungstätigkeit mit einem monatlichen Betreuungsgeld von 530 Euro im Monat gemacht hat.

(Beifall bei der NPD)

Dennoch mögen Sie recht haben, wenn Sie beklagen, dass so oder so der Bundesanteil von 4 Milliarden Euro am Ausbau der Kinderbetreuung vorn und hinten nicht reichen wird. Ich könnte jetzt ironisch sagen: Deshalb haben Sie vermutlich auch den NPD-Antrag vom 19. März 2010 abgelehnt, weil wir darin bereits die Herstellung eines qualifizierten Rechtsanspruches und eine Entlastung der Kommunen anmahnten. Die NPDArgumentation lautete damals: Wenn schon einseitiger Ausbau der Kinderbetreuung, dann bitte finanziell vernünftig untersetzt und verfassungsrechtlich abgesichert.

DIE LINKE hat sich damals verschämt in der Diskussion weggeduckt. Jetzt tischen Sie uns das als neue Erkenntnis auf und versuchen, Ihr leicht durchschaubares gendergerechtes Süppchen zu kochen, indem Sie Betreuungsgeld gegen Kinderkrippenbetreuung ausspielen. Dabei gehen Sie in Ihrem Antrag mit keiner Silbe auf das Thema Wahlfreiheit ein. Ganz klar: DIE LINKE misstraut der Institution Ehe und Familie sowieso grundsätzlich. Sie sehen Ihre neomarxistischen, gesellschaftszersetzenden Experimente gefährdet, weil die Erziehungsverantwortung nämlich dahin zurückkehren würde, wo sie hingehört: in die Hand der Eltern. Dazu zitiere ich ebenfalls noch einmal das Grundgesetz: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ – So Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz.

(Vereinzelt Beifall bei der NPD)

Herr Krauß, dort steht „Pflicht“, nicht nur „Aufgabe“, wie Sie gesagt haben.

Meine Damen und Herren, die NPD-Fraktion wird dem Antrag der LINKEN somit nicht zustimmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Für die NPD-Fraktion sprach der Abg. Müller. – Wir könnten jetzt, wenn es zu diesem Tagesordnungspunkt weiteren Redebedarf aus den Fraktionen gäbe, eine weitere Rednerrunde eröffnen. Diesen kann ich jetzt aus den Fraktionen heraus – ich lasse mich gern eines Besseren belehren – nicht feststellen. Damit erteile ich Ihnen, Frau Staatsministerin, das

Wort. Frau Staatsministerin Clauß spricht für die Staatsregierung; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich beginne mit zwei Zitaten und schaue dabei auf die linke Seite: „Jeder Mensch muss das Recht auf eine selbstbestimmte Lebensführung haben“, und: „Wir erkennen die Gleichwertigkeit aller Lebensentwürfe und Familienformen an und bewerten keine davon als besser oder schlechter.“

(Heiterkeit des Abg. Andreas Storr, NPD)

Diese beiden Zitate stammen nicht aus dem leider immer noch fehlenden Gesetz des Bundes zum Betreuungsgeld, sie würden aber sehr wohl gut hineinpassen; denn das Betreuungsgeld ist ein Ausdruck von Wahlfreiheit. Eltern sollen frei entscheiden dürfen, ob sie – aus welchen Gründen auch immer – ihr Kind in eine Krippe geben oder es selbst zu Hause erziehen. Denn so individuell, wie Familie gelebt wird, so unterschiedlich sind die Lebenslagen mit all ihren Herausforderungen. Es geht dabei nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch, und ich möchte eben nicht, dass sich Eltern für die eine oder die andere Entscheidung noch rechtfertigen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Es sind die Eltern, denen ich es zuallererst zutraue, das Beste für ihr Kind zu wollen und es beim Aufwachsen mit der jeweils bestmöglichen Betreuungsform zu versorgen. Ihr Antrag, sehr geehrte Damen und Herren von der Linksfraktion, will Eltern diese Wahlmöglichkeit nehmen; denn die eingangs zitierten zwei Sätze sind der Anspruch in Ihrem Wahlprogramm für diese Legislaturperiode.

(Alexander Krauß, CDU: Hört, hört!)

Gilt dieser Anspruch noch, und wenn ja: Gilt er auch für Familien? Wenn er noch gilt, dann unterstützen Sie Eltern in ihrer Wahlfreiheit. Nicht Kita statt Betreuungsgeld. Wir tun das eine, ohne das andere zu lassen, und gerade in Sachsen zeigen wir seit 20 Jahren, dass beides sehr wohl gut funktioniert. Wir haben Krippenplätze in einer Zahl und einer Höhe der Elternbeiträge, die den Bedürfnissen unserer Eltern weitgehend Rechnung tragen, und wir haben seit nunmehr 20 Jahren gute Erfahrungen mit unserem Landeserziehungsgeld. In unserem Koalitionsvertrag steht, dass wir das Landeserziehungsgeld weiterentwickeln wollen, und das werden wir umsetzen, wenn wir wissen, wie und wann das Betreuungsgeld kommen wird.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Die Debatte um das Betreuungsgeld geht mittlerweile an der Lebenswirklichkeit unserer Familien vorbei. Der Staat muss Eltern und Kindern Angebote unterbreiten, darf sie jedoch nicht bevormunden. Die Evaluation unseres Landeserziehungsgeldes von 2009 zeigt deutlich, dass

sich in Sachsen die Hälfte aller Eltern wünscht, ihr Kind auch im zweiten oder im dritten Lebensjahr zu Hause betreuen zu können. 40 % aller Eltern würden ihre Kinder gern länger als geplant selbst betreuen, wenn es ihre finanziellen Verhältnisse erlauben würden; und das Landeserziehungsgeld wird sehr individuell gezahlt. So war uns sehr wichtig: Nur Beträge von weniger als 10 Euro werden monatlich nicht ausgezahlt. Gleichzeitig ist auch eine Teilzeitarbeit bis zu 30 Stunden wöchentlich zulässig. Alle diese Familien sind auf den monetären Zuschuss angewiesen, um sich diesen Teil der Elternzeit auch finanziell leisten zu können.

Aber – das betone ich nochmals – wenn das Kindeswohl verlangt, dass eine Betreuung in der Krippe oder einem Kindergarten ratsam ist, dann gibt es auch in unserem Gesetz die Möglichkeit, diesen Familien im Interesse der Kinder neben dem Landeserziehungsgeld auch den Besuch der Tageseinrichtung zu ermöglichen, oder wenn andere familiäre Härtefälle eintreten, beispielsweise bei Schulausbildung oder Studium. Das ist Wahlfreiheit, und das ist Verantwortung.

Frühförderbedarf und Elternunterstützung können doch nicht erst im zweiten Lebensjahr greifen. Wir wissen, worauf es ankommt. Das wurde doch hier schon gesagt. Auf den Anfang kommt es an. Dort greifen unsere frühen Hilfen in den Netzwerken für Kinderschutz und unser Kindergesundheitsschutzgesetz.

„Die Fraktion DIE LINKE orientiert sich an den realen Problemlagen von Kindern und Eltern.“ Das ist ein weiteres Zitat aus Ihrem Wahlprogramm. Wenn auch das noch gültig ist, werden Sie Ihren Antrag wohl noch modifizieren oder noch besser zurückziehen müssen.

Ich wiederhole mich gern: Bleiben wir auf dem Boden der familiären Realitäten und diskutieren wir zuallererst aus den Augen der Eltern und ihrer Kinder.

Lassen Sie mich noch kurz auf die beiden anderen Punkte des Antrags eingehen. Günstige betriebliche Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen, liegt in erster Linie in der Verantwortung der sächsischen Unternehmen. Diese engagieren sich bereits, weil sie den Mehrwert von Familienfreundlichkeit längst erkannt haben. Den Unternehmen wird auch nichts anderes übrig bleiben, wenn ich mir den Fachkräftebedarf ansehe.

Der Unternehmensmonitor „Familienfreundlichkeit 2010“ weist aus, dass der Anteil der Unternehmen, ihren Beschäftigten Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu machen, kontinuierlich gestiegen ist. Ich nenne nur eine Zahl: In Sachsen haben wir eine Frauenerwerbsquote von 69 % und, um auch die Männer nicht zu vergessen, eine Spitzenposition im Bundesvergleich bei der Inanspruchnahme der Vätermonate durch sächsische Väter. Die sächsische Allianz für Familien, ein Zusammenschluss von Partnern aus Politik und Wirtschaft, engagiert sich ebenfalls seit Januar 2008 unter Federführung des Staatsministeriums für Soziales und Verbrau

cherschutz für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf das Ausgangsthema Betreuungsgeld zurückkommen. Wir stehen für die Wahlfreiheit. Der Rechtsanspruch ab dem Jahr 2013 ist für Bund, Länder und Gemeinden ein gemeinsamer Kraftakt, den wir im Interesse unserer Familien gern stemmen und ab 1. August 2013 als geltenden Rechtsanspruch auch erfüllen wollen.

Noch einmal zu der Diskussion des Betreuungsgeldes und die Anrechnung auf SGB-II-Leistungen. Hierzu sage ich deutlich: Wenn das Betreuungsgeld eine Anerkennung der Erziehungsleistung sein soll, dann ist mir jede Familie, in der Kinder aufwachsen und erzogen werden, gleich wichtig. Die Würdigung dieser Erziehungsleistungen von anderen Sozialleistungen abhängig zu machen, halte ich aus diesem Grunde für den falschen Weg.