Protokoll der Sitzung vom 10.05.2012

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es wird auch künftig nie zu spät sein, darüber zu reden. Ich kann es klar sagen: Man kann die beiden Systeme, die damalige Bundesrepublik und die DDR, mitnichten vergleichen, was diese Fragen der gesetzlichen Grundlagen, überhaupt des Leitbildes, angeht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich habe vorhin damit geschlossen, dass ich sagte: Die DDR hatte ein sozialistisches Leitbild. Sie hat sogar 1968 einen Ratgeber für ihre Jugendhilfekommission herausgegeben. Darin wird vorgegeben, dass man sich rund um das Elternhaus – natürlich ohne Kenntnis des Elternhauses – informieren soll, ob das Elternhaus überhaupt mit den sozialistischen Prinzipien konform geht. Das heißt, man hat in die privaten Lebensverhältnisse hineingehorcht. Wehe dem, sie stimmten nicht mit dem sozialistischen Persönlichkeits- und Familienbild überein. Das war nach Bericht der Kommission unter anderem auch ein Grund für die Einweisung in Heime.

Das war nicht nur Mitte der Sechzigerjahre ein Bericht des Generalstaatsanwaltes. Nein, das gab es bereits 1961 bis 1964 nach dem sogenannten Kahlschlagplenum des ZK der SED gegen die sogenannten Beataufstände. Damals kam die Beatbewegung, die westliche Musik. Jeder, der sich dem widmete, war gefährdet. Es ist auch nachgewiesen, dass er in Heime kommen konnte. 1965 kam der Rowdybeschluss. Das bedeutete, man musste nur lange Haare haben, Beatfan sein, als Gammler gelten, dann ging es ab ins Arbeitslager. 1973 fanden die Internationalen Weltfestspiele statt. Ich wusste es nicht und habe es auch erst im Bericht gelesen: Hunderte von Jugendlichen sind vorbeugend in Jugendwerkhöfe weggesperrt worden. Das war DDR-Realität.

Kinder zu aktiven Erbauern des Sozialismus zu erziehen war das Leitbild nach § 3 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der DDR. In die Heime, oftmals in die berüchtigten Spezialheime, zu denen – und jetzt hören Sie bitte genau zu – ein Kombinat der Sonderheime gehörte, kamen auch psychisch auffällige Kinder hinein, die unter Pharmaka standen bzw. gesetzt wurden. In die berüchtigten Jugendwerkhöfe kamen teilweise Kinder und Jugendliche hinein, die – oft politisch motiviert – mit dem System kollidierten. Das ist Aussage des Berichts. Das ist ein riesiger Unterschied zur BRD in der damaligen Zeit. Diese Systeme sind nicht vergleichbar. Die DDR war in diesen Fragen krank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Diesbezüglich krank waren die systemtragenden Leute, an der Spitze Margot Honecker mit ihrem Abteilungsleiter. Sie können gern den Namen nachlesen. Ich möchte ihn nicht in den Mund nehmen. Er steht im Bericht. Es ist bedauerlich und eigentlich pervers, dass dieser Professor sogar noch nach der Wende ein Buch veröffentlichen durfte, in dem er über die Jugendhilfe in der DDR schrieb. Ich war entsetzt. Es ist eine Verniedlichung. Er hat es negiert, dass in diesen Heimen oder Spezialheimen tatsächlich Arbeitszwang stattfand. Es steht in diesem Buch – ich kann nachher gern daraus zitieren –, dass man die Jugendlichen so bilden bzw. dahin führen wollte, dass sie bei der Rückkehr in die normale Welt wieder einer beruflichen Arbeit nachgehen und sich normal in die

Gesellschaft einfügen können. Es ist pervers, wenn man so etwas liest.

Ich bin froh, dass wir die heutige Zeit haben. Ich bin auch froh, dass endlich dieses Thema so in der Öffentlichkeit debattiert wird.

Da ich jetzt in der zweiten Runde nicht mehr viel Zeit habe, aber hier schon viele Worte gesagt wurden, möchte ich zumindest eines noch einmal sagen: Das zu verniedlichen lässt keiner zu. Dieses Thema ist unwürdig, in der Versenkung zu verschwinden.

(Beifall bei der CDU)

Die Debatte heute im Sächsischen Landtag ist ein Beginn. Wir werden das fortsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Für die einbringende Fraktion war das Frau Kollegin Strempel. – Bei der miteinbringenden Fraktion der FDP sehe ich keinen Redebedarf. Wir kommen jetzt in der Rednerrunde zur Fraktion DIE LINKE. Das Wort ergreift Frau Kollegin Klepsch.

Vielen Dank, Herr Präsident! Ich will mich zunächst bei Hanka Kliese und Elke Herrmann bedanken, weil sie sehr sachlich versucht haben, dieses schwierige Kapitel DDR-Geschichte darzustellen.

Ich sage es ganz bewusst: Es gibt da nichts schönzureden, aber wir brauchen eine sachliche Auseinandersetzung in der Debatte. Da müssen wir auch über das Personal reden, das dort beschäftigt war, über Erziehungsvorstellungen, was andere Kollegen schon angedeutet haben.

Ich möchte dem Sozialministerium empfehlen, die Expertisen, die es gibt, und vor allem den Heimbericht auf die eigene Internetseite zu stellen. Der Bericht über SEDOpfer und Unrechtsbereinigung steht ja auch dort. Beim Thüringer Sozialministerium kann man die ganzen Expertisen finden und sich auch vertieft damit beschäftigen. Das wäre eine Anregung für Sachsen.

Frau Strempel, ich habe mitnichten versucht, Recht gleichzusetzen, da es selbstverständlich unterschiedliche Rechtssysteme mit einer unterschiedlichen Rechtsauffassung waren.

(Peter Schowtka, CDU: Das war überhaupt kein Rechtssystem, das war ein Unrechtssystem!)

Es ist sicher auch berechtigt, Kritik an den pädagogischen Vorstellungen der DDR zu üben, genauso wie wir auch im Rückblick kritisch auf die pädagogischen Vorstellungen der Heime der Fünfziger- und Sechzigerjahre der alten Bundesrepublik schauen. Nicht umsonst gab es dort die Aufarbeitung.

(Sebastian Fischer, CDU: Das ist überhaupt nicht vergleichbar, das hat nichts miteinander zu tun!)

Frau Strempel, ich muss Sie dann doch fragen: Was wollen Sie mit dieser Debatte? Frau Strempel, liebe CDU, wollen Sie den Opfern helfen oder wollen Sie sich nur an der DDR abarbeiten?

(Proteste bei der CDU)

Wenn wir hier darüber diskutieren, muss es uns darum gehen, den Opfern zu helfen und darüber zu sprechen, wie wir ein Hilfe- oder Therapiesystem aufbauen können und wie wir rentenrechtlich endlich für eine Unterstützung sorgen können.

(Beifall bei den LINKEN – Zurufe von der CDU)

Das Arbeitslager Rüdersdorf, auf das Sie abgezielt haben, in das tatsächlich nach dem Bericht Anhänger der Beatbewegung eingesperrt wurden, wurde nach einem Jahr, 1967, wieder aufgelöst.

Ich will noch auf ein paar Fakten kommen. Was waren denn Gründe für die Heimeinweisung? Ich zitiere da aus dem Katalog „Analyse Einweisungsgründe 1964“: „Am häufigsten waren es Disziplinschwierigkeiten, Schulverweigerungen und Arbeitsbummeleien, als Zweithäufigstes Diebstahl, Sachbeschädigung und unberechtigte KfzBenutzung. Punkt 3 waren sexuelle Delikte, Punkt 4 Körperverletzung, und natürlich wurden leider auch junge Menschen wegen Passvergehen und Staatsverleumdung in Spezialheime und Jugendwerkhöfe eingewiesen.“

Wir müssen aber bei den Heimformen noch ein wenig differenzieren. Es gab die normalen Kinderheime für Kinder, die zu Hause verwahrlost sind oder keine Eltern hatten und normale Schulen besucht haben. Es gab dann die problematische Einrichtung der Spezialheime für Schwererziehbare mit den Jugendwerkhöfen wie in Torgau, und ich glaube, wir sind uns darin einig: Torgau war wirklich die Endstation vor dem Gefängnis, eine Endstation repressiver Erziehung.

(Christian Piwarz, CDU: Die moralische Endstation war das!)

Ja, dann sind wir uns ja einig.

Es gab Durchgangsheime, es gab das Kombinat der Sonderheime für psychisch Kranke. Es gab Dauerheime für Säuglinge und Kleinkinder, und es gab 14 % konfessionelle Heime, in denen überwiegend behinderte Kinder betreut wurden, weil andere Kinder kaum noch in die Heime eingewiesen wurden.

Ich hatte angedeutet, dass ich gern noch einmal über die schwierige Personalsituation dort sprechen möchte. Das ist wirklich etwas, von dem man auch für die Zukunft noch etwas in Sachen Heimerziehung lernen kann. Der Beruf des Heimerziehers wurde nämlich erst nach Kriegsende geschaffen, und wenn man sich Statistiken anschaut, so haben 1954 nur 20 % der beschäftigten Heimerzieher(innen) überhaupt über eine pädagogische Ausbildung verfügt, 80 % waren angelernt. Erst Ende der Siebzigerjahre waren über 94 % der Heimerzieher ausgebildete Fachkräfte. Allerdings musste dort das Ministerium für

Volksbildung konstatieren, dass die wenigsten ausgebildeten Erzieher, die an den Instituten für Lehrerbildung studiert haben, überhaupt in den Spezialheimen arbeiten wollten. Wissen Sie, warum? Sie wurden schlechter bezahlt, und sie wurden nur mit Zwangsabordnung und Zwangsverpflichtung in diese Spezialheime geschickt. Das war problematisch für die dortige Situation, da es natürlich zu Demotivationen geführt hat, und es gab eine hohe Personalfluktuation.

Wenn wir heute von Beziehungsarbeit in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sprechen, dann ist so etwas sehr zu berücksichtigen.

Es muss uns nun also vor allem darum gehen zu klären: Wie können die 6 Millionen Euro, die Sachsen zur Verfügung stellt, in Therapieangebote sowie in den Rentenausgleich fließen, und ist es möglich, auch im Nachhinein den Teilfacharbeiter als Berufsabschluss anzuerkennen? Denn die meisten früheren Heimkinder leiden darunter, dass sie nicht einmal einen anerkannten Berufsabschluss in der Bundesrepublik haben und von Hartz IV leben müssen. Das ist die Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD – Peter Schowtka, CDU: Seid bereit! – Immer bereit!)

Für die Fraktion DIE LINKE war das Frau Klepsch. – Nun sehe ich am Mikrofon 2 Bedarf für eine Kurzintervention. Bitte, Frau Kollegin Herrmann.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte etwas aus der Rede der Kollegin Klepsch aufgreifen, da ein wenig das Thema anklang: In welcher Situation sind jetzt eigentlich die Erzieherinnen und Erzieher aus diesen Kinderheimen – aus welchen auch immer? Wir geraten natürlich in die Gefahr, einesteils etwas zu relativieren, andererseits müssen wir auch den Erzieherinnen und Erziehern die Gelegenheit bieten, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen, ohne daraus eine Schuldzuweisung zu machen.

Deshalb, denke ich, ist es wichtig, dass sich die Einrichtungen, die es heute noch gibt – ich weiß, dass die Stadt, aus der ich komme, die "Kinderarche" macht –, ihrer Vergangenheit öffnen. Das ist besser möglich als in den alten Bundesländern, da meist ein Trägerwechsel stattgefunden hat und man sich relativ unbelastet der Vergangenheit stellen kann. Aber ich denke, es ist notwendig, über die Vergangenheit in den Einrichtungen auch innerhalb dieser zu sprechen. Manchem Betroffenen, manchem Kind oder Jugendlichen, das bzw. der in einer solchen Einrichtung war, würde es wahrscheinlich schon helfen, mit seiner eigenen Vergangenheit zurechtzukommen, dass er sie heute besuchen und sehen kann, wie das Leben in dieser Einrichtung ist, und aus dieser Sicht nochmals reflektieren kann. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, auch nicht an die Erzieherinnen und Erzieher. Es geht darum, eine gute Situation zu schaffen, um sich mit

diesen Fragen in der Gesellschaft breit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der CDU, den LINKEN, der SPD und der FDP)

Das war die Kurzintervention von Frau Kollegin Herrmann. – Frau Klepsch, wollen Sie reagieren? – Nein. Damit fahren wir weiter in der Rednerreihe fort. Meine Frage an die SPD, Frau Kollegin Kliese: Wollen Sie nochmals das Wort ergreifen? – Das sehe ich nicht. Die GRÜNEN, Frau Herrmann? – Die NPD? – Bitte. Der Abg. Löffler ergreift erneut das Wort für die NPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt natürlich die Frage der Verantwortlichkeit. Ja, es ist richtig, Margot Honecker war Ministerin für Volksbildung. Aber um ein gewisses System umzusetzen und durchzusetzen, braucht man einen entsprechenden Apparat. Zu diesem Apparat gehörten natürlich die Funktionäre der SED-Kreis- und -Bezirksleitungen genauso wie die Funktionäre auf der Ebene der Räte der Kreise und der Räte der Bezirke mit den Verantwortlichen für Jugendhilfe und Volksbildung. Die Frage steht: Hatten Sie Kenntnis von den Fehlentwicklungen, und, wenn ja, warum haben Sie nicht auf diese Fehlentwicklungen reagiert? Vielleicht könnten uns die heutigen Abgeordneten einmal darüber Aufklärung geben, warum sie damals nicht gegen diese Fehlentwicklungen das Wort erhoben haben.

Wir sollten nicht nur bei der Aufarbeitung weit zurückliegenden Unrechts bleiben; denn sexuellen Missbrauch und Gewalt in der Erziehung gibt es leider auch heute noch im Übermaß. Haftentschädigungen für Sexualstraftäter und Forderungen nach Straffreiheit bei Inzest sind allerdings genau die falschen Signale.

Danke schön.

(Beifall bei der NPD)

Das war Herr Löffler für die NPD-Fraktion. – Wir sind am Ende der zweiten Runde angekommen und könnten in eine dritte Runde eintreten. Aber ich sehe schon, Frau Strempel hat keinen Redebedarf mehr. Gibt es aus den Fraktionen noch weitere Rednerinnen und Redner, die das Wort ergreifen wollen? – Das sehe ich nicht. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Es ergreift Frau Staatsministerin Clauß.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Verschiedene Ereignisse der letzten Wochen haben mich sehr bewegt. Dazu gehört der Bericht zur DDR

Heimerziehung, dessen Vorstellung in Berlin und die Gespräche mit den ehemaligen Heimkindern genauso, wie mich die Ausstrahlung der Dokumentation „Honeckers Sturz“ von Eric Friedler aufgeregt hat.