Gehen wir an diesem Tag einmal zwei, drei Stunden zurück zur Debatte um Seifhennersdorf. Ich frage mich, mit welchem Recht Sie von Eltern, die wirklich in einer existenziell extrem schwierigen Situation sind, so kaltblütig das Akzeptieren, den Respekt und das Hinnehmen von rechtlichen Regelungen einfordern, wenn die Staatsregierung doch selbst in ihrem Umgang mit vielen Anregungen, Empfehlungen und Hinweisen des Datenschutzbeauftragten so ignorant ist.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In seinem Volkszählungsurteil von 1983 erkannte das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen als einen direkten Ausfluss der Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit an.
Seitdem ist geklärt – wir haben es in unsere Sächsische Verfassung ausdrücklich hineingeschrieben –, dass es grundsätzlich jeder einzelnen Person obliegt, über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen. Das Urteil und die anschließende Kodifizierung in unserer Verfassung sind ein wahrer Meilenstein für den Datenschutz, so wie wir ihn heute kennen. Es ist
unser aller Verpflichtung, dieses Urteil und dieses Grundrecht zu wahren. Ich hätte mir gewünscht, dass sich der Bundestag bei der Verabschiedung des Meldegesetzes dieser Verantwortung bewusst gewesen wäre.
Wie der Datenschutz in das gesamte gesellschaftliche Leben derzeit einbezogen ist, zeigt der Bericht des Datenschutzbeauftragten. Das Ausmaß des Datenschutzes ist dabei im privaten und im öffentlichen Bereich unterschiedlich ausgeprägt. Der Datenschutzbeauftragte sprach von einem Datenbrachland, das teilweise noch im Privatbereich vorhanden ist. Es gibt Bereiche, die von jeher mit personenbezogenen Daten sensibel umgehen – ich erwähne dazu nur den Bankenbereich, in dem das Bankgeheimnis seit jeher eine hohe Bedeutung hat –, in anderen Bereichen ist das noch sehr wenig im Bewusstsein der Bevölkerung.
Ich möchte dazu ein Beispiel nennen: Wir gehen heute ganz selbstverständlich mit Kundenkarten einkaufen. Gestern habe ich eine Payback-Karte von einer Drogerie bekommen. Aber was steht dahinter, wenn wir Punkte sammeln und ein Unternehmen bereit ist, für jeden Euro Umsatz, den wir machen, einen Cent dafür auszugeben, damit es weiß, wo und was wir eingekauft haben? Warum ist es so viel wert zu wissen, dass man in der Drogerie oder in einer Apotheke und welche Produkte man eingekauft hat?
Es sind die personenbezogenen Daten, es ist mein Einkaufsverhalten, was anderen Unternehmen richtig Geld wert ist. Das muss man sich meines Erachtens immer vor Augen halten, mit welch wichtigem Gut – das auch eine sehr hohe wirtschaftliche Relevanz hat – wir hier umgehen.
Gleiches gilt für den Arbeitnehmerdatenschutz. Was darf ein Arbeitgeber über seine Arbeitnehmer wissen? Was darf er speichern und was darf er verarbeiten? Wie gehen wir mit Arbeitgebern um, die neben den eigentlichen Arbeitnehmerdaten auch noch auf Datenbestände zurückgreifen können, in denen ihre Mitarbeiter gespeichert sind, die aus einem anderen Vertragsverhältnis herrühren? Wie schützen wir die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern?
Ich denke, auch in diesem Bereich ist das Bewusstsein bislang noch wenig ausgeprägt. Wir dürfen nicht glauben, dass mit der Videoüberwachung von Arbeitnehmern schon alles erledigt ist. Hieran müssen wir weiterhin arbeiten. Ich denke, das ist ein weites Aufgabengebiet, auch für den Datenschutzbeauftragten.
Im öffentlichen Bereich haben wir das Datenbrachland in vielen Bereichen bereits verlassen. Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, dass es noch weitere Aufgabenbereiche gibt, und wir müssen diesen in der Arbeit des Datenschutzbeauftragten Rechnung tragen.
Zwei Beispiele sind mir dabei besonders aufgefallen: Es sind zum einen die sozialen Netzwerke. Wir arbeiten heute viel mit sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und ähnlichen Diensten. Aber wie stellen wir sicher, dass diese sozialen Netzwerke, in die Menschen persönlich ihre Daten einstellen, die sie für den privaten Bereich nutzen möchten, nicht von öffentlichen Stellen dazu benutzt werden, öffentliche Aufgaben wahrzunehmen? Wie erfolgt dort der Datenschutz? Inwieweit darf beispielsweise ein öffentlicher Arbeitgeber, der eine Bewerbung von einem jungen Menschen erhält, der als Minderjähriger Daten bei Facebook eingestellt hat, diese Daten verwenden, wenn es darum geht, die Bewerbung zu beurteilen und dort entsprechend die Qualifikation zu unterstellen? Auch hier müssen wir entsprechend vorangehen. Ich denke, hierbei hat der Datenschutzbeauftragte den Finger in die Wunde gelegt.
Ein weiterer Punkt ist die Videoüberwachung. Darüber wurde hier schon diskutiert. Es geht einerseits um die polizeiliche Videoüberwachung, um die stationäre Videoüberwachung, aber es ist ein weiterer Bereich hinzugekommen, der erst ganz harmlos aussieht. Das sind die Webcams. Überall sieht man Webcams. Auf dem Dresdner Neumarkt wird alles schön beobachtet. Aber was ist hier mit den Persönlichkeitsrechten? Wie weit darf eine Webcam beispielsweise so detailgetreu sein, dass zu erkennen ist, wer mit wem über einen öffentlichen Platz geht, und es einfach ins Internet eingestellt wird?
Auch hierzu hat sich der Datenschutzbeauftragte verdient gemacht, indem er diese Frage mit den betroffenen Kommunen diskutiert und versucht hat, Lösungen im Sinne des Datenschutzes zu finden.
Das letzte Beispiel zeigt, wie wichtig die Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten für unsere Gesellschaft ist. In vielen Fällen ist es bereits ausreichend, wenn auf datenschutzrechtliche Sensibilität hingewiesen wird. Dazu benötigen wir jemanden wie Sie, Herr Schurig, der in gewohnt ruhiger, aber bestimmender Art die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen anmahnt und einfordert. Dafür möchte ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern im Namen der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag herzlich danken.
(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok – Julia Bonk, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte von der Möglichkeit einer Kurzintervention Gebrauch machen. Herr Biesok, Sie haben in aller Breite und auf verschiedene Felder bezogen die Notwendigkeit des Datenschutzes beschrieben. Das ist schön. Es ist gut zu sehen, dass dieses Verständnis bei Ihrer Fraktion ausgeprägt ist. Es war sehr allgemein und wenig auf den Bericht bezogen.
Angesichts der Wertschätzung, die Sie dem Thema gegenüber ausgedrückt haben, und angesichts der gestiegenen Aufgabenbedarfe, die Sie anerkannt haben in den Feldern, denen wir uns noch annehmen müssen, nehme ich das einmal als positives Signal und als Selbstverpflichtung für die anstehenden Haushaltsverhandlungen, es nicht bei dem jetzigen Entwurf zu belassen, sondern auch dort, wo sich Politik messen lassen muss, Entscheidungen nachzulegen, damit es nicht bei diesen allgemeinen Erklärungen bleibt, sondern auch landespolitisch etwas bewirkt wird.
Ich muss ehrlich sagen: Wenn ich eines nicht mag, dann ist es, wenn man eine Aufgabe für wichtig erachtet, sofort der Ruf nach mehr Geld kommt. Wir haben eine hohe Wertschätzung für die Arbeit des Datenschutzbeauftragten. Er muss eine angemessene personelle und materielle Ausstattung haben und er muss unabhängig sein.
In welchem Umfang es erforderlich ist, den bisherigen Haushaltsansatz zu korrigieren, ist Gegenstand der parlamentarischen Beratungen. Dort werden wir das klären. Aber ich lasse mich nicht darauf festnageln, dass, wenn ich eine Arbeit sachlich schätze, mich gleichzeitig moralisch dafür verpflichten muss, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war zu erwarten, dass in der heutigen Debatte wieder einmal Lobpreisung und Danksagung an Herrn Schurig dominieren werden. Natürlich schließen wir uns diesem Dank auch an.
Sie schmieren heute wieder einmal dem Datenschutzbeauftragten – bildlich gesprochen – etwas Honig ums Maul, während Sie ihm im gleichen Atemzug das Wasser abgraben. Eine Datenschutzkontrolle im nichtöffentlichen Bereich findet faktisch nicht statt. Einige meiner Vorredner hatten das bereits angesprochen.
Sie, Herr Schurig, finden in Ihrer Vorbemerkung zum 5. Tätigkeitsbericht im nicht öffentlichen Bereich sehr drastische Worte. Diese sollte man zur Kenntnis nehmen. Alles andere würde nämlich bedeuten zu akzeptieren, dass eine Datenschutzkontrolle im nicht öffentlichen Bereich nicht stattfindet. Oder ich frage den Vertreter der FDP: Passt das in Ihre Vorstellung von Wirtschaftsförderung,
dass bei ausufernder und grundrechtsverletztender Videoüberwachung in Gaststätten oder beim Arbeitnehmerdatenschutz bei Unternehmern nicht so genau hingeschaut wird?
Herr Biesok hat die Themen angesprochen, wofür ich ihm ausdrücklich dankbar bin. Aber wir erwarten auch, dass dann etwas geliefert wird, wie beispielsweise bei der Frage der polizeilichen Videoüberwachung, was wir anlässlich der Polizeigesetznovelle angesprochen hatten und Sie persönlich versprochen haben, dass etwas passiert, aber bis heute nichts passiert ist.
Aktuell sind im Stellenplan des Datenschutzbeauftragten 22 Stellen ausgewiesen. Die Stelle eines Referatsleiters, der Ende vergangenen Jahres aus Altersgründen ausschied, wurde nicht wiederbesetzt und soll gestrichen werden. Wir unterstützen den Datenschutzbeauftragten in seiner Kritik zu dieser weiteren Stellenstreichung. Damit wird eine Verstärkung, die der Datenschutzbeauftragte in Konsequenz der Datenschutzskandale vor allem zur Bewältigung der Aufgabenübertragung zur Datenschutzkontrolle im nicht öffentlichen Bereich zugesprochen bekommen hatte, endgültig zurückgefahren. Wir halten das nicht für akzeptabel.
Im Vergleich zum vorangegangenen Berichtszeitraum sind fast 60 % mehr Beschwerden eingegangen, und die Anzahl der Beratungsanliegen ist um 160 % gestiegen.
Herr Seidel, ich habe es positiv vermerkt, dass Sie das hier vorgetragen haben. Diesbezüglich hat die Aussprache im Innenausschuss dann doch einen gewissen Lernerfolg oder Aufmerksamkeitserfolg gehabt. Allerdings sind wir sehr gespannt, inwieweit Sie dieser Erkenntnis beim Haushaltsplan Taten folgen lassen.
Ich erspare es Ihnen trotz der späten Stunde nicht, aus dem Bericht zu zitieren: „Dieses erhebliche Arbeitspensum zu bewältigen war nur möglich, indem einerseits dem doch recht zahlreichen Anfragen zu Vorträgen oder Schulungen bis zuweilen bis zur aktiven Teilnahme an Tagungen, Diskussionspodien oder ähnlichen Veranstaltungen nur in wenigen Ausnahmefällen entsprochen und andererseits die Durchführung von anlassfreien Kontrollen auf ein Minimum zurückgefahren worden ist. Gerade Letzteres schmerzt besonders, da die Erfahrungen zeigen, wie sinnvoll, das heißt wegen bestehender Datenschutzmängel notwendig und wegen der damit verbundenen öffentlichen Auswertungen für andere Unternehmen auch äußerst hilfreich derartige Kontrollen sind.“
Weiter heißt es: „Die Folgen sind ebenso absehbar wie fatal. Die Aufsichtsbehörde wird sich auch künftig in erster Linie mit der Bearbeitung von Eingaben befassen und daher überwiegend nur reaktiv tätig sein können. Die Tätigkeit im präventiven Bereich wird sich auch weiterhin im Wesentlichen nur auf die Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben, wie Tätigkeitsbericht, beschränken
Meine Damen und Herren, wir wollen keinen Datenschutz mit der Brechstange. Aber liest man den Bericht genau, dann erkennt man tatsächlich seltsame Vorstellungen von Persönlichkeitsrechten, denen in der Tat im nicht öffentlichen Bereich durch Kontrollen begegnet werden muss. Ich nenne die schleichende Gewöhnung der Gesellschaft an ausufernde Videoüberwachung, auch in Gaststätten, in Schwimmbädern, in Einkaufszentren oder auf öffentlichen Plätzen. Dies ist eben kein Grund, die Einhaltung der rechtlichen Voraussetzungen nicht einzufordern und nicht zu kontrollieren, sondern sollte Anlass zu verstärkten Kontrollen sein.
Auch sollte die Missachtung von Arbeitnehmer- und Sozialdatenschutz nicht zu einem allgemein akzeptierten Phänomen werden. Wenn beispielsweise – ich nannte das Beispiel schon im Ausschuss – ein Unternehmen Krankenlisten unternehmensöffentlich aushängt, um damit den Krankenstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu senken, dann ist es dringend geboten, dies öffentlich auszuwerten, anzusprechen und als kritikwürdiges Verhalten anzuprangern.
Schließlich braucht es Kontrollen, um festzustellen, ob es sich dabei eben nur um die berühmten schwarzen Schafe, wie immer gesagt wird, handelt oder ob es sich nicht vielleicht doch um ein sich immer weiter einschleifendes Arbeitgeberverhaltensmuster zur Überwachung und
Beim Blick in die Rubrik „Auch das gibt’s“ bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Dort verteidigt sich ein Unternehmen gegenüber dem Datenschutzbeauftragten, der ihn auf die zweckfremde Nutzung des datenschutzsensiblen Serverraumes aufmerksam gemacht hat, dass eine solche schon deshalb nicht vorläge, weil es sich um einen – man höre und staune – kombinierten Server- und Fahrradabstellraum handele.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Unterbesetzung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten ist unumgänglich. Wir halten daher eine Personalaufstockung von mindestens vier Stellen für dringend erforderlich und realisierbar. Dies fordern wir in unserem Entschließungsantrag.