Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Sachsen, also in der Rahmenvereinbarung zwischen Freistaat und Kostenträgern, zum Beispiel die Motopäden mit aufgenommen worden sind. Die notwendige Rechtssicherheit wurde so für alle Akteure geschaffen. Dennoch offenbaren die Antworten auf die Große Anfrage weiteren Handlungsbedarf.

Weil sehr viele Punkte schon von Frau Herrmann referiert worden sind, möchte ich mich auf vier Punkte beschränken. § 5 Abs. 3 der Landesregelung Komplexleistung Sachsen sieht vor, dass in den interdisziplinären Frühförderstellen „mindestens drei Fachkräfte aus dem heilpädagogischen und dem medizinisch-therapeutischen Bereich fest angestellt sein müssen“. Ich gehe einmal davon aus, dass das in der Regel der Fall ist und dass es nur der Ausnahmefall ist, dass die Frühförderstellen Leistungen an niedergelassene Therapeuten abgeben müssen. Hierbei geht es ganz konkret um die Frage, ob denn die Kostensätze so ausgestaltet sind, dass der Mehraufwand, der bei einem Kind mit Behinderung gegeben sein kann, sich für den Träger auch widerspiegelt. Andererseits wäre der

Leistungsträger regelrecht dazu gezwungen, therapeutische Leistungen an Niedergelassene abzugeben. Das wäre nicht im Sinne des Erfinders.

Die neue Landesregelung Komplexleistung Sachsen führt mich zu der Frage, ob die Sicht der Träger im Vorfeld der Verhandlungen mit den Kostenträgern seitens des SMS eingeholt wurde und ob auf deren Vorschläge eingegangen wurde. Wie ist es denn bestellt mit der Partnerschaft von Leistungserbringern, Kostenträgern und SMS? Auch hier gilt: Nichts über uns ohne uns.

Die nächste Frage ist, ob die neue Landesregelung Komplexleistung Sachsen wirklich die Schwierigkeiten, die im Übergang von Frühförderung und Kindertagesstätten entstehen können, gelöst hat. Die Finanzierung aus den gleichen Töpfen darf nicht zu Konkurrenzkämpfen zwischen den Trägern führen, denn im Mittelpunkt einer Förderung steht das Kind, wenn wir den Anspruch haben, Zuständigkeitsauseinandersetzungen zum Wohle des Kindes zu vermeiden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Entschließungsantrag der GRÜNEN können wir aus verschiedenen Gründen sehr gern zustimmen. Er schafft zwei wesentlichen Problemen der Frühförderung Abhilfe. Einmal sollten Frühförderung und Integrations-Kita – das hat Frau Herrmann bereits angesprochen – nicht länger in einem konkurrierenden Verhältnis stehen. Hier darf es nicht länger um ein Entweder-oder gehen. Außerdem brauchen wir dringend eine Verbesserung der Übergänge von Frühförderung in die Grundschulen. Eine aktive Begleitung der Kinder in die Schuleingangsphase unter Zuhilfenahme der Kenntnisse der Frühförderung ist unabdingbar und findet viel zu selten statt. Hier lassen wir wichtige Ressourcen versiegen.

Meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, dass die Vorredner fast alle von der Frühförderung zur Inklusion gekommen sind, denn das gehört ja auch zusammen. Es ist genau so: Frühförderung ist ein kleiner und ganz wichtiger Schritt auf dem langen und, wie wir wissen, oft beschwerlichen Weg in die inklusive Gesellschaft. Wenn wir hier Optimierungen schaffen, sind wir schneller am Ziel.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Frühförderung, erbracht als Komplexleistung, wird sich erfolgreich der Aufgabe gestellt, durch zielgerichtete Übungen den individuellen Einschränkungen eines Kindes entgegenzuwirken. Frühförderung schließt die Bereiche Diagnostik, Behandlung und pädagogische Förderung ein sowie die Beratung der Eltern, deren Mitwirkung wichtig ist, deren Mittun aber auch Pflicht sein muss, um die Sorge für das Kind und um die bestmöglichen Entwicklungschancen zu gewährleisten.

Die Leistungen der Frühförderung – das hat die Große Anfrage gezeigt – werden von vielen Akteuren komplementär erbracht, darunter von den interdisziplinären Frühförderstellen, den speziellen Förderstellen für Kinder mit Sinnesbehinderungen, den sozialpädiatrischen Zentren und den integrativen und/oder heilpädagogischen Kindertageseinrichtungen.

Wir haben hier in Sachsen ein gutes Netz an interdisziplinären Frühfördermöglichkeiten, das neben medizinischen auch pädagogische und soziale Aktivitäten umfasst. Ein individuelles ganzheitliches Förderkonzept, das die Eltern involviert und das auf das Lebensumfeld des Kindes Bezug nimmt, ist entscheidend für den Erfolg der Förderung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Sozialgesetzbuch IX ist die Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder umfassend geregelt. Ganz bewusst hat aber der Gesetzgeber damals auf die genaue Definition des Begriffes „Frühförderung“ verzichtet, um den Rehabilitationsträgern genügend Spielraum zur Umsetzung zu lassen.

Dass das in der Praxis häufig nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt, haben die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Umsetzung der interdisziplinären Frühförderung gezeigt – leider. Das liegt vor allem daran, dass die Länder diese Frühförderung jeweils in eigener Verantwortung regeln – oder eben auch nicht. Wenn ich mir beispielsweise die SPD-regierten Bundesländer anschaue, so ist das noch nicht überall der Fall. Bremen hat als einziges von zwei Bundesländern noch gar keine Rahmenvereinbarung und in Brandenburg gibt es diese Vereinbarung, die aber in der Praxis nicht wirksam wird.

Jedenfalls ist es richtig, dass die Bundesregierung nun Handlungsoptionen zur genauen Definition von Frühförderung prüft. Hier geht es vor allem um verbindliche Definitionen von Frühförderung, von praktischen, an den Bedarfen der Kinder ausgerichteten Leistungskatalogen oder einheitlichen Qualitätsgrundsätzen. Das wird sicherlich noch die Diskussion der Fachleute ergeben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Große Anfrage der GRÜNEN befasst sich dezidiert mit dem Verlauf der Frühförderung. Die Fragenkomplexe sind nach dem Motto aufgebaut: Wie wird es definiert? Wie erfolgt die Feststellung? Wie erfolgt die tatsächliche Förderung? Die Versorgungssituation wird aufgenommen und ansatzweise auch die qualitative Entwicklung der Frühförderung in Sachsen.

Häufig konzentriert sich aber die Große Anfrage auf rein statistische Abfragen. Wir haben also mit diesen Zahlen festgestellt, dass ein flächendeckendes Angebot an Frühförderstellen inklusive überregionaler spezialisierter

Frühförderstellen für Kinder mit Sinnesbehinderungen und sozialpädiatrischer Zentren, die Kinder jeden Alters behandeln, vorhanden ist. Um die Komplexleistung können die Frühförderstellen bei uns mit niedergelassenen Therapeuten kooperieren – und das empfinde ich nicht als

Nachteil, wie es meine Vorrednerin benannt hat, sondern das halte ich für eine weitere Möglichkeit der konstatierten Förderung der Kinder. Extravereinbarungen, wie es in den anderen Bundesländern nötig wäre, werden in Sachsen dafür nicht benötigt.

Alle Einrichtungen in Sachsen arbeiten auf fachlich hochwertigem Niveau – auch das hat die Anfrage gezeigt. Die Fachkräfte sind gut ausgebildet – sowohl im pädagogischen als auch im Heilmittelbereich –, und mit dem hohen Engagement, der Einsatzbereitschaft und der Motivation setzen sich die Mitarbeiter der Frühförderstellen für behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder ein. Für diese nicht immer ganz einfache Aufgabe und auf alle Fälle aber immer große Herausforderung möchten wir uns als FDP-Fraktion auch an dieser Stelle recht herzlich bedanken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsministerin Christine Clauß)

Frau Abg. Schüßler, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt, habe ich Ihre Große Anfrage mit ziemlich gemischten Gefühlen durchgelesen. Gerade Sie, also die GRÜNEN, die es mit traditionellen Werten wie Ehe und Familie oder auch nur mit der Zuordnung der Geschlechter nicht so genau nehmen, für die jeder nur mögliche Lebensentwurf erst einmal machbar ist – gerade Sie fahren wahre Heerscharen von Sozialpädagogen, Psychologen und anderen Professionellen auf, wenn das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist.

Das bezieht sich nicht auf jene Kinder, die unter einer klassischen Behinderungsform leiden – hier werden wir immer einen Verbesserungsbedarf haben, dem auch im Rahmen der Frühförderung Rechnung zu tragen ist. In dieser Hinsicht ist Ihre Anfrage durchaus verdienstvoll; darin kann ich mich meinen Vorrednern gern anschließen.

Die Sächsische Staatsregierung stellt aber in einer ihrer Antworten zutreffend fest: „Die Aufgabenstellungen haben sich in den letzten Jahren verändert. Nicht mehr an erster Stelle stehen die klassischen Behinderungsformen wie manifeste geistige und körperliche Behinderungen, sondern allgemeine Entwicklungsauffälligkeiten unklarer Genese, gefolgt von psychosozialen Auffälligkeiten.“

Wir haben es also, meine Damen und Herren, bei einer Vielzahl der Kinder, über die wir im Rahmen der Komplexleistung Frühförderung sprechen, buchstäblich mit Kindern unserer Zeit zu tun, die eben auch unter den üblichen Krankheiten leiden, die unser Zeitgeist so hervorbringt.

Wir können uns natürlich darüber unterhalten, wie wir das Angebot der Komplexleistungen finanziell stärker unterfüttern, mit Fachkräften ausstatten und die Vernetzung der beteiligten Institutionen vorantreiben – völlig richtig und notwendig, gar keine Frage.

Aber ich möchte Ihnen an dieser Stelle lieber noch einmal die Risikofaktoren für psychosoziale Auffälligkeiten bei Kindern aufzeigen, wie sie beispielsweise Prof. Sohns für die Fachhochschule Nordhausen am 27. November 2010 benannt hat: „Ihre Ressourcen können sich häufig nicht mehr aus kontinuierlichen familiären Hilfestrukturen speisen. In den Ballungsgebieten leben heute über 50 % der Menschen in Singlehaushalten. Ein Drittel der Ehen werden geschieden. Die zunehmende Schnelllebigkeit stellt höhere Anforderungen an die Verarbeitungsfähigkeit, fehlende oder fluktuierende Bezugs- und Orientierungspunkte stellen höhere Anforderungen an die Beziehungsfähigkeit, und die Freiheit ständiger Entscheidungsflexibilität bewirkt eine Relativität von Grenzsetzungen und den zunehmenden Verlust von verbindlichen Umgangsformen, Disziplin und Respekt.“

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Analyse, die recht deutlich aufzeigt, wie Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit der modernen Lebensentwürfe, in der Kinder aufwachsen – aufwachsen müssen –, zu ihrer Verunsicherung beitragen, zu ihrer zunehmenden Bindungsunfähigkeit und im schlimmsten Fall eben auch zu seelischen Behinderungen.

Mein eigener Landkreis, der Landkreis Zwickau, spricht in der Begründung seiner überplanmäßigen Ausgaben, die im Bereich Sozialhilfe, bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen oder auch in der Jugendhilfe geleistet werden müssen, in dem Zusammenhang von einem „erhöhten Konfliktpotenzial in den Familien“ und von ständig steigenden Fallzahlen.

Weitere Gründe sind übrigens auch ständig erhöhte Standards und Maßstäbe in der Leistungserbringung, und das wiederum ist auch auf die UN-Behindertenrechtskonvention zurückzuführen.

Die Förderung traditioneller Familienformen und konservativer Werte wäre daher aus unserer Sicht das beste Präventionsprogramm gegen psychosoziale Auffälligkeiten oder daraus entstehende psychosomatische Beschwerden, gerade auch bei Kindern.

Die GRÜNEN aber interessieren sich jetzt mehr für die Vergütung und die Abrechnungspraxis im Rahmen der Frühförderungsverordnung. Es ist auch in Ordnung, sich hierzu Gedanken zu machen; aber es besteht eben auch die Gefahr, dass – wie zum Beispiel in der „Ärztezeitung“ vom 10. September steht – Sachsen künftig vor allem für eine Frühförderungsbürokratie zahlen muss, statt wirklich in die Frühförderung selbst – und dort in den präventiven Kinderschutz – zu investieren.

Worum es Ihnen tatsächlich geht, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, zeigen eigentlich mehr Ihre Fragen nach der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, also dem Gedanken der Inklusion im Zusammenhang mit der Frühförderung.

Treffenderweise – das muss auch einmal lobend erwähnt werden – stellt die Staatsregierung richtig: „Leistungen der Frühförderung erhalten behinderte und von Behinde

rung bedrohte Kinder gerade aufgrund ihrer (drohenden) Behinderung und speziell auf den individuellen Förderbedarf ausgerichtet. Da Kinder ohne Behinderung einen solchen individuellen Förderbedarf nicht haben, benötigen sie keine Frühförderung. Leistungen der Frühförderung können daher nicht inklusiv erbracht werden.“

Meine Damen und Herren, das ist das Schöne: Es gibt also auch noch Kinder, die keinen speziellen Förderbedarf haben. Wir sollten dafür sorgen, dass das die Regel wird. Dafür wäre wiederum eine echte Wertevermittlung, eine Vermittlung von Normen und Werten, sowie Hilfe für junge Familien – damit meine ich nicht nur finanzielle, sondern auch ideelle Unterstützung – ein wirklich guter Anfang.

Gleich noch zu dem Entschließungsantrag: Wir könnten insoweit zustimmen. Aber vielleicht kann Frau Herrmann noch einmal erklären, wie sie sich bei Punkt II1d) die strukturelle und finanzielle Hindernisbeseitigung vorstellt. Ansonsten würden wir uns enthalten.

(Beifall bei der NPD)

Wird weiter von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Frau Staatsministerin, möchten Sie gern sprechen? – Dann wäre es jetzt soweit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ihnen liegt nun die Antwort auf die Große Anfrage vor, die Antwort auf 19 Themenkomplexe mit knapp 200 überwiegend statistischen Fragen, die häufig noch nach Jahren, Regionen oder Einrichtungen aufgeschlüsselt sind. An dieser Stelle auch meinerseits ein Dank an alle Ämter und Einrichtungen, die uns ihre Daten trotz Sommerferien zugeliefert haben.

Inzwischen liegt auch der Abschlussbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor. Ich bin gespannt, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Ich werde das selbstverständlich bei der nächsten Ministerkonferenz einbringen.

Die nun vorliegende umfangreiche Datensammlung bestätigt das, was bereits vor Beantwortung der Großen Anfrage bekannt war:

Erstens: Die Komplexleistung Früherkennung und

Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder hat sich im Freistaat auf hohem Niveau flächendeckend etabliert.

Zweitens: Anders als andere Bundesländer haben wir ein dichtes Netz an diagnostischer und auch therapeutischer Infrastruktur.

Drittens – das ist mir ganz besonders wichtig – arbeiten bei uns Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin, Frühförderstellen, sozialpädiatrische und andere spezialisierte Zentren und niedergelassene Therapeuten kooperativ

zusammen. Dafür haben wir seit 2005 als eines der ersten Bundesländer eine Regelung auf Landesebene geschaffen, die dieses Jahr novelliert wurde.