Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

Die Vorsitzende der Frauen-Union Marburg-Biedenkopf sagt: „Mit ihrer Entscheidung für Kinder haben diese älteren Mütter einen wesentlichen Beitrag für unsere umlagefinanzierte Rentenversicherung geleistet. Lebensleistung bedeutet nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Erziehung der Kinder. Diese Leistung muss endlich stärker anerkannt werden. Die aktuelle Rentenreform muss Verbesserungen für ältere Mütter bringen. Nur so lässt sich Altersarmut erfolgreich verhindern.“

Die Vorsitzende der Frauen-Union Rems-Murr, Roswitha Schenk, sagt: „Es ist Ausdruck der Gerechtigkeit, die Anrechnung der Kindererziehungszeiten für alle Mütter zu erhöhen.“ Die Erhöhung mindere, so Schenk, das Risiko der Altersarmut von Müttern. Frauen erhielten heute im Schnitt rund 500 Euro weniger Rente als Männer. Der Grund sei in den weiblichen Rentenbiografien zu suchen, die wegen der Kindererziehungszeiten große Lücken aufwiesen.

Gerade Frauen, die vor 1992 Kinder bekamen, werden, wenn sie in Rente gehen, zunehmend von der Absenkung des Rentenniveaus betroffen sein. Im Gegensatz zu jüngeren Frauen können die Frauengenerationen um und über 40 nicht mehr in ausreichendem Maße privat für das Alter vorsorgen. Altersarmut droht eben nicht nur im Einzelfall. Noch einmal Roswitha Schenk: „Wir müssen Kindererziehungszeiten stärker in der Rente anerkennen. Schließlich gilt: Ohne Kinder keine Rente!“

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – außer, dass es in der CDU noch viel mehr Fürredner dazu gibt: Junge Union, Kommunalpolitische Vereinigung, Evangelischer Arbeitskreis, Senioren-Union.

Ich denke, wir sind uns in dieser Position weitestgehend einig. Wir haben hier den kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden, und Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben in Ihrer Partei entsprechende Beschlüsse gefasst. Nun ist es an der Zeit, parlamentarisch aktiv zu werden. In unserem Antrag fordern wir die Staatsregierung auf, entsprechend auf Bundesebene aktiv zu werden, damit bestehendes Unrecht beseitigt wird.

Wir bitten Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Professor Schneider, Sie wollen sicherlich vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen. Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Vielen Dank, Herr Präsident! Frau Werner, Sie haben eine Reihe von Punkten durcheinandergebracht, die Herr Kollege Krauß in seiner Rede mit Sicherheit noch ansprechen wird.

Ich möchte mich nur auf einen Punkt beziehen, der in Ihrer Rede, aber auch schon in dem Antrag Ihrer Fraktion unrichtig dargestellt ist. Sie führen aus, dass die derzeitige Ausgestaltung des Systems der Anerkennung von Kindererziehungszeiten – drei Jahre – „bis heute dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes“ widerspreche. Das ist unrichtig. Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 2. Juli 1992, 1/BvL 50/87 u. a. – das waren die Fälle Weber und Rees – die Verfassungsmäßigkeit des gegebenen Regelungssystems mit der Anerkennung von drei Jahren Kindererziehungszeiten ausdrücklich akzeptiert und für verfassungsgemäß befunden hat. Streitig war allein – im Vorfeld – die Anerkennung von Kindererziehungsleistungen für die vor 1921 geborenen Frauen; das hatte andere Gründe. Verfassungsrechtlich jedenfalls war die Regelung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten – bis 1991 ein Jahr, ab 1992 drei Jahre – zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt, erst recht nicht durch das Bundesverfassungsgericht. Bei Ihnen fehlte mir die Auseinandersetzung mit diesem verfassungsrechtlichen Argument, insbesondere mit der Entscheidung Karlsruhes von 1992.

(Beifall bei der CDU – Christian Piwarz, CDU: Jetzt ist Klaus Bartl nicht da, wenn man ihn mal braucht!)

Frau Werner, Sie möchten auf die Kurzintervention antworten? – Bitte.

Richtig ist aber auch Folgendes: Die Richter haben eindeutig gesagt, dass man auch anders entscheiden könnte, dass der Gesetzgeber aber tatsächlich die Möglichkeit hat, das so auszuregeln.

(Christian Piwarz, CDU: Dann ist es nicht verfassungswidrig!)

Wir können uns sicherlich darauf verständigen, dass es das Ziel von uns allen ist, dass diese Rentenansprüche auch den Eltern zuerkannt werden, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Wenn Sie dieser Satz in unserer Antragsbegründung so sehr stört, können wir ihn gern streichen.

(Christian Piwarz, CDU: Das wäre der Wahrheit dienlich!)

Wir möchten gern zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Der gesunde Menschenverstand sagt auf jeden Fall, dass da eine Ungerechtigkeit besteht. Sie wären nicht

die ersten, die schon einmal versucht hätten, bestimmte Grundsätze zu verändern.

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Also halten wir fest: nicht verfassungswidrig!)

Wir fahren fort in der allgemeinen Aussprache. Herr Krauß für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, dass über die Rechtslage noch einmal intensiv diskutiert worden ist, auch von jemandem, der sich damit sehr, sehr gut auskennt, wie unser Prof. Schneider.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Vielen Dank, Herr Kollege!)

Die Rechtslage klingt schon in dem Antrag der LINKEN an: Für alle Kinder, die ab 1992 geboren wurden, werden den Müttern in der gesetzlichen Rentenversicherung drei Jahre als Kindererziehungszeiten anerkannt. Dabei wird übrigens das Durchschnittsgehalt zugrunde gelegt – Frau Kollegin Werner hat es gesagt –, das im Regelfall über dem liegt, was die Frau tatsächlich verdient hätte; denn als Berufseinsteiger verdient man meist etwas weniger als dann, wenn man am Ende der Karriereleiter steht. Die Regelung, für alle ab 1992 geborenen Kinder drei Jahre in der Rentenversicherung zu berücksichtigen, ist sicherlich unstrittig. Es ist gut, dass sie getroffen worden ist.

Richtig ist auch, dass es eine Ungleichbehandlung bedeutet, wenn Eltern von vor 1991 geborenen Kindern nur ein Jahr als Kindererziehungszeit angerechnet bekommen. Ich bin aber dankbar dafür, dass auch auf Folgendes deutlich hingewiesen worden ist: Will man eine neue Regelung einführen, muss man überlegen, wie man diese finanziert. Dass man angesichts dessen zunächst einmal eine Stichtagsregelung getroffen hat, ist für mich nachvollziehbar; ansonsten würde man überhaupt keine Veränderung mehr im Rechtssystem vornehmen können. Es ist also etwas Neues eingeführt worden, was aber in der Tat zu einer gewissen Ungleichbehandlung führt.

Das Thema „Altersarmut“ insgesamt ist uns wichtig. Wir wissen, dass Altersarmut in erster Linie weiblich ist. Eine Bestandsrentnerin in Sachsen bekommt 900 Euro im Durchschnitt. Die Frauen, die jetzt in den Ruhestand gehen, bekommen circa 670 Euro aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dann sind wir schon in dem Bereich der Grundsicherung, die im Durchschnitt bei 688 Euro liegt.

Insofern war es richtig, dass die Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen das Thema aufgegriffen und bei ihrer Zuschussrente genau diese Frauen im Blick hat, die wenig oder in Teilzeit gearbeitet haben, weil sie sich zum Beispiel um ihre Kinder gekümmert und deswegen eine niedrigere Rente haben. Das Thema ist also im Blick der Politik. Bei dem Thema muss man auch ansprechen, dass Frauen insgesamt eine Benachteiligung auf dem Arbeits

markt haben, auch heute noch. Aus meiner Sicht erleiden Frauen, die keine Kinder haben, diese Benachteiligung so gut wie nicht. Sie können die Karriereleiter genauso hoch klettern wie jeder andere. Schwierig wird es dann, wenn man sich für Kinder entscheidet.

Ich habe einen Freund, dessen Frau Rechtsanwaltsfachangestellte ist. Als sie nach dem zweiten Kind wieder einsteigen wollte, hat die Rechtsanwältin gesagt: Mit zwei Kindern sind Sie ja gar nicht mehr so leistungsfähig. Es gibt zwar Kündigungsschutz, aber man bekommt die Leute doch irgendwie los und kann sie rausdrängen. Dieses asoziale Verhalten können wir uns nicht leisten. Darunter leiden Frauen auch. Diese Benachteiligung besteht objektiv. Es besteht auch die Einschränkung, dass man sagt, eine Frau, die sich für Kinder entscheidet, kann nicht so viel leisten. Die befördern wir auch mal nicht und sie kommt für höhere Ämter nicht infrage. Auch wenn eine Frau sagt, sie möchte mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und in Teilzeit arbeiten, wird sie im Regelfall benachteiligt, insbesondere auch bei der Rente. Insofern ist es richtig, über das Thema zu sprechen.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Sie sehen, dass uns die Zielrichtung des Antrages eint. Sie haben die Forderung der Frauenunion aus MarburgBiedenkopf zitiert, die sicher nicht handlungsleitend für uns sein wird, aber wichtig ist, was unser Bundesparteitag zu dem Thema beschlossen hat. Dort wurde gesagt, wir wollen eine Annäherung haben.

Man kann sich aber nicht nur hinstellen, wie das bei den LINKEN verbreitet ist, und irgendetwas fordern, möglichst immer das Blaue vom Himmel, sondern man muss ein Gesamtkonzept mit Gegenfinanzierung vorlegen. Da wird es schwierig. Sie haben ja noch nicht einmal gesagt, um wie viel Geld es geht. Bei der Frage, wie wir die Gegenfinanzierung aufbringen, ist Ehrlichkeit gefragt. Wenn wir dort keine Antwort haben, brauchen wir die Forderung gar nicht aufzumachen. Das ist meine Sicht. Wir brauchen ein Rentenkonzept, das insgesamt stimmig ist.

Man könnte auf den Bundeshaushalt verweisen und dort etwas herausnehmen, aber es werden jetzt schon 80 Milliarden Euro für die Renten entnommen. Das ist der größte Posten im Bundeshaushalt. Man kann also nicht immer nur auf den Bundeshaushalt verweisen. Insofern fehlt uns das bei den LINKEN. Die machen keine klaren Vorschläge, fordern das Blaue vom Himmel und weisen keine Gegenfinanzierung nach. Das gehört für uns zu einem ordentlichen Antrag dazu. Auf die handwerklichen Fehler, die mit dem Antrag verbunden sind, hat Kollege Schneider schon hingewiesen.

Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Christine Clauß)

Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Neukirch.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DIE LINKE nutzt das Thema Rente weiterhin zur Profilierung, was angesichts der aktuellen Rentendebatte sehr nachvollziehbar ist. Allerdings ist das Herausgreifen eines einzelnen Punktes aus der gesamten Rentendebatte schon etwas fragwürdig. Die Formulierung des Antrages ist so gewählt, dass man auch nichts falsch machen kann, wenn man dem Antrag zustimmt, weil sich das formulierte „Sich-dafür-Einsetzen“ vom Ergebnis her so interpretieren lässt, dass man diese Forderung in ein Gesamtkonzept einbinden kann.

Deshalb sowohl zum Antragsbegehren als auch zur Einordnung in den Gesamtkontext ein paar Gedanken: Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten geschah in der Geschichte der Rentenversicherung relativ spät, ist aber nicht erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zwingend geworden. Das Umlageverfahren als konstituierendes Prinzip in der Rentenversicherung beruht auf einem Generationenvertrag, der bis dahin nur zwei Generationen berücksichtigt hat, nämlich die der Erwerbstätigen und der Rentner. Mit dem Rückgang der Geburtenrate wurde offensichtlich, dass noch eine dritte Generation in das System einbezogen werden muss, das ist die Generation der Kinder. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht 1992 klargestellt: dass es sich bei dem Generationenvertrag um einen Drei-Generationen-Vertrag handelt und nicht um einen Zwei-Generationen-Vertrag.

Sukzessive wurde deshalb schon seit 1986 der Zusammenhang zwischen Rente und Kindererziehung in die gesetzliche Rente eingepreist. Die Ausweitung der Leistungen durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2001 war aus meiner Sicht ein enormer Fortschritt. Wäre damals nicht die Grenze des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1992 einbezogen worden, hätte aus meiner Sicht diese Regelung überhaupt nicht funktioniert, weil sie mit enormen Kosten verbunden war. Bei einem Sozialversicherungsprinzip im Umlageverfahren muss man bei solchen Größenordnungen der Kosten auch auf die Risiken, die sich für das System insgesamt ergeben, Rücksicht nehmen. Deshalb war das damals ein enormer Fortschritt, der zu einer guten Ausweitung der Absicherung geführt hat.

Das ist mittlerweile zehn Jahre her und wir reden in der Rentenversicherung über ganz andere Probleme, die aus meiner Sicht – das will ich deutlich sagen – nicht durch das Umlageverfahren entstanden sind, sondern durch Maßnahmen, die eine Schwächung des Umlageverfahrens beinhaltet haben. Das Umlageverfahren, das ist in der Wissenschaft unbestritten, konnte die Risiken der Wirtschaftseinbrüche und der Finanzwelt gut abfedern, jedoch der Ausbau der privaten Säule in der Rentenversicherung führte dazu, dass das Ziel der gesetzlichen Rente, die Lebensstandardsicherung, geschwächt wurde. Mit der Schwächung dieses zentralen Prinzips haben wir nach unten das Problem der Armutssicherung, die die gesetzli

che Rente zunehmend nicht mehr leisten kann. Deshalb ist eine Rentenreform dringend notwendig.

Bei der derzeit geführten Diskussion um die Reform der Rente muss man sehen, wie man die berechtigten Forderungen des Antrags der LINKEN, denen ich zustimmen würde, in die komplexen Herausforderungen einbaut. Die Frauen, die durch eine solche Änderung nicht mehr nur 25 Euro, sondern 82 Euro pro Kind erhalten würden, haben völlig zu Recht einen deutlichen Gewinn. Aber es stellt sich beim Studium Ihres Antrages die Frage, ob Sie die bevorstehenden Zugänge in die Rente meinen oder auch die Bestandsrente. Das macht einen großen Unterschied, ist aber im Antrag nicht konkret benannt. Der Unterschied liegt zwischen 200 Millionen Euro Mehrkosten im Jahr oder 5 bis 7 Milliarden Euro, wie das Bundesministerium schätzt; die Angaben gehen da auseinander. Ursprünglich waren es einmal 12 Milliarden Euro. Da mag ich mich jetzt nicht festlegen.

Es stellt sich die Frage, ob in Zukunft für die Armutssicherung der Frauen nicht andere Dinge wichtig sind, wie zum Beispiel das Aufrechterhalten des Rentenniveaus oder die Angleichung des Rentenwertes zwischen Ost und West, gern auch alles, wenn es leistbar und finanzierbar ist. Dazu hat Alexander Krauß schon etwas gesagt. Sie suggerieren mit solchen einzeln herausgenommenen Antragsinhalten eine einfache Rentenwelt, die es nicht gibt.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Nehmen wir das Beispiel Rentenwert. Wenn wir den angleichen, was passiert dann mit dem daran gekoppelten Hochrechnungsfaktor für die niedrigen Einkommen im Osten? Fällt er dann weg?

(Beifall der Abg. Petra Köpping, SPD)

Sie würden dann Bestandsrentner besserstellen, aber zulasten der zukünftigen Rentnergeneration.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Deshalb muss man feststellen, dass es eine sehr komplexe Angelegenheit ist. Wir in der SPD diskutieren deshalb zurzeit verschiedene Maßnahmen, die wir abwägen, priorisieren und in ein gesamtes Rentenkonzept einbringen müssen.

Ich komme zum Fazit. Wir unterstützen prinzipiell das Anliegen und können mit der Formulierung des Antrages leben, weil dies die Gesamtdiskussion auf Bundesebene zulässt.