Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

(Christian Piwarz, CDU: Natürlich!)

obwohl sie ihre Miete gezahlt, aber die Mietkaution nicht hinterlegt haben?

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Halleluja, wir gehen komischen Zeiten entgegen.

Herr Stange, ich bitte Sie jetzt das dritte Mal!

Jetzt wissen wir, wo diese Staatsregierung und diese Koalition gegenüber den Mieterrechten stehen.

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Sie müssen den Rechtsstaat verstehen! Hauptleistungen; das müssen Sie mal lernen! – Weitere Zurufe)

Ich hätte doch die Bitte an die Redner, dass sie sich nicht erst drei Mal auffordern lassen, wenn die Redezeit abgelaufen ist.

Meine Damen und Herren! Gibt es aus den Fraktionen noch Redebedarf zu diesem Thema? – Wenn das nicht der Fall ist, schließe ich die 2. Aktuelle Debatte ab.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 3

2. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes

Drucksache 5/8625, Gesetzentwurf der Fraktionen

der CDU, der FDP, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/10348, Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien

Es gibt eine allgemeine Aussprache. Es beginnt die CDUFraktion. Danach folgen SPD, FDP, GRÜNE, DIE LINKE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Ich erteile Herrn Prof. Schneider von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! „Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt.“ Hannah Arendt hat diesen Satz geprägt, ein Satz, dem vieles innewohnt und den wir beherzigen müssen, den sich eine offene, eine demokratische, eine pluralistische, eine liberale Gesellschaft verinnerlichen muss.

Der Völkermord an Millionen Menschen durch das nationalsozialistische Deutschland, zum Beispiel an Juden, Sinti und Roma, ist das mit Abstand dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Der Holocaust gründete auf dem vom NS-Regime propagierten Antisemitismus. Er zielte auf die vollständige, systematische Vernichtung der europäischen Juden. Er stürzte Millionen Menschen, ganze Familien in tiefstes Unglück. Es war ein Verbrechen, das von deutschem Boden ausgegangen ist.

Im Zusammenhang mit dem Holocaust gedenke ich auch – und nicht zuletzt – der Euthanasieverbrechen. Mit der von Hitler auf den Tag des Kriegsausbruchs, den 1. September 1939, zurückdatierten sogenannten Euthanasieerklärung wurde der gezielte Massenmord an psy

chisch kranken und geistig behinderten Menschen eingeleitet.

Eine dunkle Rolle nahm die damalige Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz während der NS-Zeit ein. Im Rahmen der systematischen Ausrottung des von den Nazis so bezeichneten „lebensunwerten Lebens“ kam der Landesanstalt ganz erhebliche Bedeutung zu. Bis zum 24. August 1941, dem sogenannten Euthanasiestopp, wurden dabei nachweislich 2 445 Patienten in Sammeltransporten von Großschweidnitz in die Tötungsanstalt nach Pirna-Sonnenstein verbracht. Im Zuge der „Medikamenten-Euthanasie-Maßnahmen“ wurden die Opfer durch die Kombination von Medikamentenüberdosis und Mangelernährung zu Tode gebracht. Berüchtigt war die sogenannte Großschweidnitzer Giftkur. Mit ihr wurden bis zum Kriegsende noch einmal mindestens – soweit ist es erwiesen – 3 272 Menschen ermordet.

Großschweidnitz – ich empfehle die Lektüre der Homepage der Gemeinde – arbeitet nun daran, eine Gedenkstätte zu Ehren der über 5 700 Opfer auf dem Friedhof zu errichten. Es soll eine zentrale Stätte des Gedenkens für die Euthanasieopfer des gesamten Landkreises Görlitz entstehen.

Meine Damen und Herren! Wer weiß, wem ist bekannt, dass in Deutschland noch bis in die Achtzigerjahre die Todesstrafe vollstreckt worden ist? Auch an diese Opfer gilt es sich zu erinnern.

In der Leipziger Südvorstadt befand sich ab 1960 die „Zentrale Hinrichtungsstätte der DDR“. In einem streng abgetrennten Teil der Strafvollzugseinrichtung AlfredKästner-Straße wurden die ausgesprochenen Todesurteile unter absoluter Geheimhaltung vollstreckt. Todesurteile standen bereits vor Prozessbeginn fest und waren mit der SED-Führung abgestimmt. Dazu reichte die Staatsanwaltschaft den Vorschlag auf Verhängung der Todesstrafe beim Politbüro ein. Dieses nickte die Vorlage in der Regel ab. Später war oft nicht einmal mehr das Politbüro involviert. Offenbar – ich gebe zu, das ist eine Vermutung – trafen zuletzt Einzelne allein die Entscheidung über Leben oder Tod.

Der Blick auf den Vollzug der Todesstrafe offenbart einen schrecklichen Ablauf: War der zum Tode Verurteilte in Leipzig eingetroffen, wurde er zunächst in eine Verwahrzelle verbracht, wo man ihn über die bevorstehende Vollstreckung informierte. 15 Minuten vor der Hinrichtung wurde er mit auf den Rücken gefesselten Händen zum Hinrichtungsraum gebracht. Anwesend waren bei der Hinrichtung der Leiter der Strafvollzugseinrichtung, der zuständige Staatsanwalt, der Leiter des Haftkrankenhauses Leipzig-Meusdorf als Arzt, der Scharfrichter, zwei Gehilfen sowie – in der Regel – ein Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit.

Bis 1967 wurden die Todesurteile in Leipzig mit der Guillotine vollstreckt. Nach einer Änderung des Strafgesetzbuches richtete man ab 1986 mit einem „unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt“ hin.

Zur Vollstreckung des Todesurteils mittels Guillotine schnallten die beiden Scharfrichtergehilfen den Verurteilten auf ein bewegliches Brett, das nach vorn geschoben werden konnte, bis sich das Genick unter dem Fallbeil befand.

Das Fallbeil wurde anschließend entriegelt und trennte den Kopf vom Rumpf. Die Gehilfen ließen den Körper ausbluten, indem sie ihn an den Beinen nach oben hielten und ihn zusammen mit dem Kopf in einen Sarg legten.

Bei der Vollstreckung mittels Genickschuss als zweite Methode wartete der Scharfrichter bereits im Hinrichtungsraum hinter der Tür, wenn die Gehilfen den Verurteilten hereinführten. Er trat unbemerkt von hinten an das Opfer heran und schoss diesem aus nächster Nähe in das Hinterhaupt. Die beiden Gehilfen vernagelten den Sarg und brachten diesen mit einem „Barkas“ in das Krematorium auf den Leipziger Südfriedhof. Der Sarg wurde nicht noch einmal geöffnet, sondern umgehend und unter Geheimhaltung verbrannt.

Im Vorfeld wurde sichergestellt, dass sich kein uneingeweihtes Personal in der Einäscherungshalle befand. Die Leichname wurden unter den Stichworten „Anatomie“ oder „Abfall“ registriert. Ablauf und Umstände der Hinrichtungen unterlagen strengster Geheimhaltung. Auf den Totenscheinen waren Todesursache und -ort stets gefälscht. Angehörige erfuhren teilweise erst mit erheblicher Verzögerung vom Schicksal ihrer Angehörigen, ihrer Familienmitglieder.

Meine Damen und Herren! Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen, was sich daraus – ich füge hinzu: für heute – ergibt. Immer wieder erschrecken wir darüber – wir sehen das Tag für Tag auch in den Medien –, was Menschen einander anzutun in der Lage sind. Wir müssen dieser von mir eben beschriebenen Verbrechen gedenken, die in unterschiedlichen Diktaturen und an unterschiedlichen Orten in Sachsen begangen worden sind.

Das schulden wir zunächst den Angehörigen der Opfer und ihren Hinterbliebenen, aber wir müssen die Erinnerung daran auch wachhalten und die richtigen Lehren daraus ziehen. Das gilt für alle, die sich dem Respekt anderer, auch Andersdenkender, verpflichtet sehen und die einen bürgerlichen, freiheitlich-demokratischen Staat bejahen. Das ist unsere Verpflichtung gegenüber dem Heute, auch und gerade gegenüber unseren Kindern.

Meine Damen und Herren! Der zur heutigen Lesung gestellte Gesetzentwurf widmet sich der Novelle des Gedenkstättenstiftungsgesetzes. Ich darf daran erinnern, dass die Verfassung des Freistaates Sachsen vor 20 Jahren ausweislich ihrer Präambel unter dem Eindruck der – ich zitiere – „… leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft …“ steht.

Der Ihnen heute vorliegende Gesetzentwurf enthält seinerseits eine Präambel, in der es unter anderem heißt: „Für den Freistaat Sachsen gehört die Auseinandersetzung

mit der nationalsozialistischen Diktatur und der kommunistischen Diktatur, insbesondere der SED-Diktatur, sowie deren Verbrechen zu den Kernelementen der demokratischen Erinnerungskultur, die eine europäische Dimension besitzt.“

So gesehen ist die heutige Novelle ein besonderes Gesetz. Das neue Gedenkstättenstiftungsgesetz wird im Kontext zur Verfassung des Freistaates Sachsen stehen. Das Gesetz sehe ich als eine Gesetzgebung von gesamtgesellschaftlichem Rang an. Es ist daher gut und wichtig, dass es aus der Mitte des Landtages herrührt. So soll es auch künftig bleiben.

Neben der Präambel, die sich als Leitlinie des Gesetzes versteht, sind in der Novelle weitere wichtige Neuerungen verankert. Gegenstand und Zielstellung der Stiftung werden unter Beachtung der Anliegen sämtlicher Opfergruppen klarer, präziser und konkreter gefasst. Zudem wird dem allmählichen Verschwinden der Erfahrungs- und Zeitzeugengeneration Rechnung getragen und der Bildungsauftrag für die Stiftung gestärkt.

Der Einfluss der sächsischen Opferverbände sowie der Gedenkstätten- und Aufarbeitungsinitiativen auf die Arbeit des Stiftungsrates wird gestärkt. Durch eine Ausweitung des Katalogs der institutionell zu fördernden Gedenkstätten wird der Bedeutung von Gedenkstätten für die demokratische Erinnerungskultur Rechnung getragen.

Letzteres führt mich zu einer Ergänzung; ich hoffe zu einer Klarstellung. Neben der Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig und der Gedenkstätte zu Ehren der Euthanasieopfer in Großschweidnitz – das waren die beiden eingangs genannten Beispiele – sollen als Institutionen weitere Gedenkstätten und Aufarbeitungsinitiativen

gefördert werden.

Das ist eine wesentliche Neuerung gegenüber dem bisherigen Gesetz. Wichtig ist es mir zu betonen, dass der Katalog – siehe § 2 Abs. 4 des Gesetzentwurfes – kein Ausschlusskriterium für weitere Gedenkorte darstellt. Ich nenne ausdrücklich das mittlerweile bekannt gewordene Beispiel „Kaßberg“ in Chemnitz. Ebenso wenig gibt es eine Art – auch dies haben wir diskutiert – Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Gedenkorten, wie zwischen den genannten und den nicht genannten – etwa dem „Kaßberg“.

Anders ausgedrückt: Jeder Gedenkort – sei er ausdrücklich genannt oder sei er nicht aufgeführt in der Liste – ist zu fördern. Er muss nur die Voraussetzungen eines tragfähigen Konzeptes erfüllen, und er muss die Gesamtfinanzierung der Gedenkstätte sicherstellen. Das war eine Anregung, die seinerzeit Frau Kollegin Dr. Stange eingebracht hat, für die ich dankbar bin.

Meine Damen und Herren! Es erfüllt mich mit großer Zufriedenheit, dass wir heute gemeinsam den Gesetzentwurf zum Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes abschließend behandeln dürfen. Es ist gut, dass wir dies aus der Mitte des Landtages tun.

Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich bei allen beteiligten Fraktionen. Mein herzlicher Dank geht an den früheren Staatssekretär im Sozialministerium, Herrn Dr. Albin Nees, der den Mediationsprozess zwischen den Opfergruppen moderiert hat. Als Ergebnis dieses Mediationsprozesses, meine Damen und Herren, liegt der Gesetzentwurf vor. Er ist die Grundlage der vorliegenden Novelle, die das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst zu Beginn der Legislaturperiode auf den Weg gebracht hat. Auch Ihnen, Frau Staatsministerin von Schorlemer, und Ihren verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich für das Geleistete.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist nach langem Dissens der Schlussstein eines Konsensprozesses zwischen den beteiligten Opfergruppen. Alle Verbände sind nunmehr in die Stiftungsgremien zurückgekehrt. Das ist ein großes Verdienst. Eine gemeinsame Arbeit wird damit auch in Zukunft möglich sein. Die Arbeit beginnt jetzt. Wir müssen sie weiterhin begleiten – gemeinsam, so bitte und hoffe ich. Wir alle gemeinsam haben ein neues Haus gebaut. Nun gilt es, dieses mit Leben zu erfüllen. In diesem Sinne stellt der heutige Gesetzentwurf in der Tat einen neuen Anfang dar.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht nur auf Worte an, die die Erinnerung wachhalten, es kommt vor allem auf die Gespräche miteinander an, auf das Verstehen des Geschehenen, aber auch auf die Lehren, die wir daraus ziehen. Ich bedanke mich nochmals bei allen Beteiligten und bei allen einreichenden Fraktionen für die gemeinsame Arbeit. Ich bin mir sicher: Solange uns die Menschlichkeit miteinander verbindet, ist es egal, was uns trennen mag.

Vielen Dank.