Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Für die SPDFraktion Frau Dr. Stange, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der, wie ich hoffe, mehrheitlichen Beschlussfassung der vorliegenden Gesetzesnovelle zum Gedenkstättengesetz wird ein unwürdiges Kapitel sächsischer Gedenkkultur beendet.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an ein Zitat aus der Pressemitteilung des Zentralrats der Juden aus dem Jahr 2004. Das Gedenkstättengesetz, so wie es heute vorliegt, war im Jahr 2003 in Kraft getreten. „Das Gedenkstättenstiftungsgesetz“, so der Zentralrat der Juden in dieser Pressemitteilung, „berge die Gefahr, dass fundamentale Unterschiede zwischen den Verbrechen der Nationalsozialisten mit europäischer Dimension und denen in der Willkürherrschaft des Kommunismus in Ostdeutschland mit nationaler Dimension eingeebnet werden.“

Diese Kritik des Zentralrats der Juden und weiterer drei Verbände, dem VVN-BdA, dem Bundesverband der Opfer der NS-Militärjustiz und dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, führte zum Austritt dieser vier Verbände aus den Gremien der Stiftungsarbeit. Seit diesem Zeitpunkt haben sich verschiedene Personengruppen immer darum bemüht, diesen tiefen Riss in der Gedenkkultur Sachsens zu kitten, zu heilen und eine Novellierung des Gesetzes auf den Weg zu bringen.

Die SPD-Fraktion ist sehr dankbar dafür, dass es gelungen ist, die Opferverbände in einem jahrelangen Prozess durch einen Konsens zusammenzuführen – auch dank der klugen Moderation von Dr. Nees und der Unterstützung durch das Ministerium – und heute diese Gesetzesnovelle auf den Weg zu bringen.

Wie schwierig dieser Prozess ist, weiß ich aus eigener Erfahrung. Wir werden deshalb über Detailfragen hinwegsehen, die im Prozess der Novellierung hätten besser geklärt werden können, auch was die Ernsthaftigkeit der Aufnahme von Expertenmeinungen anbelangt.

Einzig und allein wichtig für uns ist, dass es mit dieser Novelle gelingt, die Mitwirkung der NS-Opferverbände in der Gedenkstättenstiftung des Freistaates Sachsen wieder zu erwirken. Die Zusage der Opferverbände, insbesondere des Zentralrats der Juden – auch wenn, wie Herr Kramer in der Anhörung sagte, „Kröten geschluckt werden müssen“ –, ist es aber wert, über diese Detailfragen hinwegzusehen und das hohe Gut der Novelle und der Klarstellung der unterschiedlichen Opferperioden deutlich anzunehmen.

Wir haben in Sachsen eine einzigartige Situation: Wir haben Orte der Gewaltherrschaft mit doppelter Vergangenheit wie kein anderes ostdeutsches Bundesland. Deswegen war es uns als SPD-Fraktion immer wichtig, dass wir eine Stiftung mit einem Stiftungsbeirat haben und dass keine Aufrechnung der Opfer und des Leides stattfindet, sondern dass ein gemeinsamer Konsens gefunden wird, wie wir diese authentischen Orte gestalten.

Das Leid der Opfer – Herr Prof. Schneider hat das vorhin sehr eindrucksvoll dargestellt – lässt sich nicht gegeneinander aufrechnen und nicht vergleichen, es ist immer einzigartig.

(Andreas Storr, NPD: Ein richtiges Mantra, was Sie hier vortragen!)

Das kollektive und gesellschaftliche Gedenken muss die Differenzierung der Diktaturperioden berücksichtigen. Die Verfolgung und die systematische Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden, von Sinti und Roma, von Andersdenkenden, von Behinderten und von Menschen anderen Glaubens ist ein Völkermord mit singulärem Charakter nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und in der Welt. Das muss im kollektiven Gedächtnis – auch in einem Gesetzestext – verankert sein.

(Andreas Storr, NPD: Ha, ha, ha! Das ist ja abenteuerlich!)

Das ist deswegen so wichtig, weil wir in Deutschland leider wieder Anfänge der ursprünglichen Ursachen dieses Holocaust beobachten müssen:

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ausschluss von Menschen, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Verfolgung von Andersdenkenden –

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

bis hin zur Ausnutzung unserer Demokratie.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Das ist ein wesentlicher Grund dafür, warum wir als SPDFraktion seit dem Jahr 2004 darum kämpfen, dass die Novellierung dieses Gesetzes eine Klarstellung herstellt.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Ja, wir haben auch eine zweite Gewaltperiode: das Unrecht der SED-Diktatur und deren Verbrechen, in unser kollektives Gedächtnis aufzunehmen und aufzubereiten.

Sachsens Gedenkstätten sind in hohem Maße von beiden historischen Perioden der Gewaltherrschaft geprägt. Wir haben deshalb eine große Verantwortung – besonders als Landtag – im Umgang mit der Geschichte und vor allem mit der Sensibilität der Geschichte und deren Aufarbeitung. Ja, wir müssen und sollen – solange es noch möglich ist und solange sie noch leben – mit den Opferverbänden und ihren Initiativen zusammenarbeiten.

Ich kann es derzeit nicht verstehen und appelliere deshalb dringend an die Geschäftsführung der Stiftung, den Streit mit den Vereinen zu beenden, wie er in Zeithain zu eskalieren droht. Wir brauchen die Vereine, wir brauchen das bürgerschaftliche Engagement besonders an diesen Orten, denn sie werden uns helfen, das kollektive Gedächtnis authentisch zu gestalten.

Sächsische Gedenkstätten müssen dabei noch stärker als bisher – die Novellierung wird ihnen dabei ein Stück Grundlage geben – als authentische Orte des Begreifens und des Verstehens der Ursachen und der Folgen unmenschlicher Diktaturen weiterentwickelt werden. Sie sollen und müssen Orte außerschulischer und politischer Bildung sein. Denn je länger die Zeiten der Diktaturen zurückliegen, je älter die Opfer werden, die authentisch berichten können, desto schwieriger wird der Vermittlungsprozess und umso anders wird der Vermittlungsprozess auch an diesen authentischen Orten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Novellierung des Gesetzes wird die Stiftung in ihrer Arbeit und vor allem die Rolle der Opferverbände und Initiativen in den Stiftungsgremien stärken. Ich hoffe und wünsche, dass die Öffnung, die durch die Möglichkeit einer Satzungsgestaltung gegeben ist, zu einer fairen Betrachtung der unterschiedlichen Opferperioden innerhalb der Stif

tung führt, ohne dass es zu einem Zerfall des Stiftungsbeirates kommt.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass es gelungen ist, weitere potenzielle Gedenkstätten in die institutionelle Förderung aufzunehmen. Die Gedenkstätte der Euthanasieopfer in Großschweidnitz ist von Prof. Schneider bereits genannt worden. Aber auch die Zwangsarbeitergedenkstätte in Leipzig ist mehr als überfällig, dass sie endlich in eine institutionelle Förderung übernommen wird. Nicht zu vergessen ist dabei der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau, der mit seinem Verein eine sehr gute Arbeit leistet.

Ich möchte mich den Aussagen zur Gedenkstätte „Kaßberg“ anschließen, weil das in der Anhörung eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Gedenkstätte „Kaßberg“, die gerade im Begriff ist, eine Gedenkstätte zu werden – auch eine Gedenkstätte mit doppelter Vergangenheit –, hat mit dieser Gesetzesgrundlage eine Chance, ein Fundament zu bekommen, auch dauerhaft institutionell gefördert zu werden. Das hängt nicht davon ab, ob die Gedenkstätte im Gesetz erwähnt ist oder nicht, sondern ganz allein von den Rahmenbedingungen, die wir schaffen.

Gestatten Sie mir einen letzten Hinweis auf die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen. Wenn wir es ernst meinen mit diesem Gesetz und der Öffnung der Anerkennung einzigartiger authentischer Gedenkstättenorte in Sachsen, dann müssen wir die Stiftung dazu in die Lage versetzen, das heißt, wir müssen ihnen das Geld dafür geben, diese authentischen Orte zu fördern. Ich denke, hierbei können wir vielleicht im Rahmen der Haushaltsberatungen noch etwas nachbessern. Wenn das Gesetz heute mehrheitlich angenommen worden ist, werden Sie vielleicht verstehen, dass dieses Geld gut eingesetzt ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Für die FDPFraktion Herr Abg. Tippelt, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein denkwürdiger und ein erfolgreicher Tag für unsere Demokratie. Wir dürfen heute wohl über eines der wichtigsten Gesetze der vergangenen zehn Jahre abstimmen. Das Gedenkstättenstiftungsgesetz und dessen Änderungen sind ein unerlässliches Instrument, um der Erinnerung und dem Gedenken an unsere Geschichte gerecht zu werden.

Kaum war die nationalsozialistische Diktatur beendet, folgte die kommunistische Unterdrückung. Es ist geradezu unsere Pflicht, die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten und an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Das ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass wir künftige Gefährdungen der Demokratie erkennen und ihnen rechtzeitig entgegenwirken können.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wie schwer es ist, auf die Interessen beider Opfergruppen Rücksicht zu nehmen, zeigte sich im Januar 2004, als mehrere NS-Opferverbände ihre Mitarbeit in den Gremien der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten“ beendeten. Ohne Zweifel ist für eine angemessene Gedenkstättenarbeit eine Beteiligung aller Opfergruppen wichtig. Nur mühsam gelang es, alle Beteiligten wieder an einen Tisch zu bringen und das Gedenkstättenstiftungsgesetz neu zu verhandeln.

In diesem Zusammenhang möchte auch ich Herrn Staatssekretär a. D. Dr. Albin Nees für seine Arbeit als Mediator danken. Mit seiner Hilfe gelang schließlich der Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht, ein Gesetzentwurf, der die Singularität des Holocaust vermittelt, ohne einer der beiden Diktaturen einen höheren Stellenwert einzuräumen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Erhalt der Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft ist für die demokratische Erinnerungskultur sowie die historisch politische Bildung grundlegend. Die Gedenkorte dienen dabei nicht nur der Erinnerung und vermitteln geschichtliches Wissen; sie regen auch die Auseinandersetzung über die Vergangenheit an und sensibilisieren für aktuelle und künftige Gefährdungen unserer Demokratie.

Um dem Anliegen, Geschichte aufzuarbeiten, weiterhin gerecht zu werden, haben sich alle Beteiligten dazu verständigt, weitere Orte des Gedenkens und des Erinnerns aktiv zu unterstützen. Neben den bereits bestehenden Erinnerungsorten sollen sechs weitere Gedenkstätten, unter anderem die Zentrale Hinrichtungsstätte in Leipzig und weitere drei Archive, gefördert werden, hier zum Beispiel das Martin-Luther-King-Zentrum in Werdau. Das ist ein ganz konkreter Erfolg, und das möchte ich hier klar hervorheben.

Lassen Sie mich kurz auf die aktuellen Äußerungen der SPD zum Gedenkort „Kaßberg“ zu sprechen kommen, die wir hier und in der Presse bereits mehrfach verfolgen konnten.

Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Warum stellen Sie sich als Verfechter des „Kaßberg“ dar, haben aber in der Ausschusssitzung nicht einmal einen Änderungsantrag gestellt? Sie haben ja noch nicht einmal – –

(Zurufe der Abg. Stefan Brangs und Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Frau Kliese hat noch nicht einmal ihr Stimmrecht im Kulturausschuss wahrgenommen!

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das ist doch ein starkes Stück!)

Mit ihrem Palaver in der Presse gefährdet Frau Kliese den mühsamen Kompromiss der vier Fraktionen und aller Beteiligten.

(Zurufe der Abg. Stefan Brangs und Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Sie selbst sagte in der Debatte im November 2011,

(Zurufe der Abg. Stefan Brangs)

dass es für sie kaum ein Thema gebe, das für Konkurrenzkämpfe politischer Parteien schlechter geeignet wäre als dieses.