Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

dass es für sie kaum ein Thema gebe, das für Konkurrenzkämpfe politischer Parteien schlechter geeignet wäre als dieses.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Ich sehe es genauso. Das Sächsische Gedenkstättenstiftungsgesetz ist denkbar

ungeeignet für eine parteipolitische Instrumentalisierung.

(Zuruf der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Wir haben uns damals für die Errichtung eines Gedenkortes „Kaßberg“ ausgesprochen und verhandeln derzeit mit unserem Koalitionspartner über die Umsetzung im aktuellen Doppelhaushalt.

(Zuruf der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Darüber hinaus hat die Gedenkstättenstiftung stets die Möglichkeit, wie es schon Prof. Schneider sagte, weitere Einrichtungen zu fördern. Dennoch möchte ich das jetzt nicht weiter ausführen und dem Gesetz die Würde gewähren, die ihm zweifellos zusteht.

(Zurufe der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE, und Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Grundstein gelegt ist, dass nach einem langen Prozess des Dialogs nun endlich alle Opfergruppen wieder unter dem Dach der Sächsischen Gedenkstättenstiftung ihre Arbeit gemeinsam aufnehmen.

Ich bitte Sie um breite Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es gibt eine Kurzintervention. Frau Dr. Stange, bitte.

Da leider keine Zwischenfrage zugelassen wurde: Ich denke, Sie haben an den Reaktionen gemerkt, dass es ziemliches Entsetzen über Ihre Aussage gegeben hat. Offenbar haben Sie im Ausschuss nicht richtig hingehört. Wir haben jegliche – ich habe es gerade noch einmal gesagt – Bedenken oder Bagatelländerungen – so will ich es einmal nennen – am vorliegenden Gesetzentwurf „liegen lassen“, weil die Gefahr bestand, dass die FDP durch eine Intervention aus dem Konsens aussteigt.

Ich sage es noch einmal sehr deutlich: Deswegen haben wir keinen Änderungsantrag zum „Kaßberg“ gestellt. Das war der Grund. Vielleicht akzeptieren Sie an dieser Stelle einmal die Wahrheit!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Tippelt, bitte.

Es ist dennoch nicht nachvollziehbar, dass Sie nach der Ausschusssitzung zu „dapd“ und anderen Presseagenturen etc. rennen und den gemeinsamen Entwurf kritisieren.

(Andreas Storr, NPD: Schauen Sie sich die Pressemitteilung an! – Jürgen Gansel, NPD: Vertragt euch!)

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Aussprache fort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Januar 2012 stellte ein vom Deutschen Bundestag beauftragtes unabhängiges Expertengremium unter

Leitung von Prof. Longerich den ersten Antisemitismusbericht der Bundesrepublik Deutschland vor. Judenfeindliche Einstellungen sind in „erheblichem Umfang in der deutschen Gesellschaft verankert“: Es sind 20 bis 25 %. Antisemitismus sei auch jenseits der rechtsextremen und islamistischen Milieus zu beobachten. Es gebe mittlerweile eine „bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken“.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Damit bestätigt dieser Bericht die im vergangenen Jahr abgeschlossene Heitmeyer-Studie. Diese weist einen steigenden Trend bei Fremdenfeindlichkeit, bei Rassismus, bei der Abwertung von Behinderten, bei Obdachlosen, aber auch bei Langzeitarbeitslosen nach. Weit verbreitete Feindlichkeit, alte Klischees und Unkenntnis gegenüber Sinti und Roma werden bei fast der Hälfte der Bevölkerung deutlich.

Warum sage ich das an dieser Stelle? Weil wir damit bei einer zentralen Aufgabe von Gedenkstätten und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sind. Gedenkstätten ermöglichen durch einen unmittelbaren Zugang zur Vergangenheit eine Auseinandersetzung sowohl mit der Geschichte des jeweiligen Ortes als auch mit den Verbrechen, die Gesellschaft und Staat zur Zeit des Nationalsozialismus, aber auch während der sowjetischen Militäradministration und der SED-Diktatur begangen haben.

Sie machen die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen menschlichen Verhaltens möglich: Ignoranz, Duldung, Mittun, aber auch Widerstand. Gedenkstätten ermöglichen nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit der persönlichen Verantwortung für eine demokratische Gesellschaft, eine kritische Auseinandersetzung mit politischen und ethischen Fragen der Gegenwart. Damit haben sie eine hervorgehobene Bedeutung, dass das Bewusstsein einer Gefährdung der Zivilisationsprozesse immer wieder wachgehalten wird.

Gerade weil es so wichtig ist, sich der persönlichen Verantwortung bewusst zu werden, bin ich froh, dass

beispielsweise mit dem Gedenkort Sachsenburg die frühen Konzentrationslager eine angemessene Beachtung in der sächsischen Gedenkstättenlandschaft erfahren. Diese Lager stehen für Unmenschlichkeit und Gewalt als Instrument politischer Machtausübung, sie stehen für Ausgrenzung und Diskriminierung Andersdenkender in der Gesellschaft. Das ist kein Moment des Gestern, sondern es könnte – wie ich anfangs gezeigt habe – aktueller nicht sein.

Meine sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Weil die Arbeit der Gedenkstätten für die historisch-politische, aber auch die ethische Bildung unserer Gesellschaft so wichtig ist, muss sie auf eine solide rechtliche Basis gestellt werden. Das Errichtungsgesetz aus dem Jahr 2003 tat dies leider nicht. Von Beginn an rief es grundsätzliche und scharfe Kritik hervor und blieb doch fast zehn Jahre unverändert.

Zentraler Kritikpunkt war, dass das Gesetz einer Analogisierung und Relativierung von NS-Verbrechen Vorschub leiste und eine gleichberechtigte Interessenvertretung der Opfergruppen ausschließe. Der Konflikt zwischen den Verbänden der Opfer der NS-Diktatur und jenen der Opfer der sowjetischen Militäradministration und der SEDDiktatur, erreichte durch die Austritte mehrere Opferverbände und des Zentralrates der Juden aus den Stiftungsgremien bundesweite Aufmerksamkeit.

Ich bin froh, dass wir diese für Sachsen beschämende Phase heute endlich abschließen können.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Das zu beschließende Gesetz basiert auf einem Konsens, der von fast allen Opfergruppen sowie Gedenkstätten- und Aufarbeitungsinitiativen unter Leitung des ehemaligen Staatssekretärs Dr. Albin Nees in der Konsultationsklausur erarbeitet wurde. Ja, es ist ein Konsens, auch wenn ihn manche Teilnehmer eher als Kompromiss sehen. Auf jeden Fall ist es niemandes Idealkonstrukt, so wie auch die Idealvorstellungen der einreichenden Fraktionen voneinander abweichen.

In der Anhörung wurden verbliebene Mängel dieses Gesetzentwurfes genannt und Vorschläge zu deren Behebung unterbreitet. Ich bedauere es sehr, dass wir diesen Anregungen nicht einmal in den Fällen folgen konnten, in denen sie nicht in das Ergebnis der Konsultationsklausur eingreifen bzw. nur redaktioneller Art sind. Aber hierzu war unter den einbringenden Fraktionen leider kein Konsens herzustellen – das insbesondere an Herrn Tippelt gerichtet.

Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf daher in seiner unveränderten Form zustimmen, denn diese schwer erarbeitete und hoch sensible Einigung enthält die vier von meiner Fraktion wiederholt geforderten Änderungen.

Das Gesetz benennt jetzt klar die unterschiedlichen diktatorischen Herrschaftssysteme und weist auf die kategorialen Differenzen zwischen dem Nationalsozialismus und den Verbrechen unter der SMAD und in der

DDR hin. Die Singularität des Holocaust, des systematischen Völkermordes an sechs Millionen Juden und einer halben Million Sinti und Roma, wurde deutlich herausgestellt.

Der Bildungsauftrag, dessen Erfüllung insbesondere im Hinblick auf die jungen Menschen in unserem Lande von großer Bedeutung ist, wurde klar formuliert.

Die Reihe der Einrichtungen, die institutionell gefördert werden sollen, wurde erweitert. Dadurch kann nun endlich die Arbeit der Zwangsarbeitergedenkstätte in Leipzig und des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau auf eine solidere Basis gestellt und die lange geforderte Einrichtung der Gedenkstätten KZ Sachsenburg sowie Frauenhaftanstalt Hoheneck in die Wege geleitet werden.

Schließlich wurde im Gesetzentwurf eine Satzungsermächtigung formuliert, welche die gleichberechtigte Vertretung aller Opfergruppen sichern soll.

Es ist jetzt Aufgabe der Stiftung, die gesetzlichen Veränderungen und den großen inhaltlichen Konsens konstruktiv umzusetzen. Noch bestehende Unklarheiten, wie die paritätische Besetzung der Gremien, können per Satzung im Sinne der Verbände geregelt werden. Hier stehen auch Sie, Frau Staatsministerin von Schorlemer, als Vorsitzende des Stiftungsrates in der Verantwortung.

Wir als demokratische Fraktion dieses Landtages stehen in der Verantwortung, in der laufenden Haushaltsrunde die finanzielle Basis für die Umsetzung des Gesetzes zu schaffen. Der bisherige Ansatz dürfte kaum ausreichen, um die bestehenden und neu entstehenden Gedenkstätten angemessen zu fördern. Es wäre beschämend, wenn wir heute hier im Plenarsaal die Arbeit der Gedenkstätten- und Aufarbeitungsinitiativen wortreich würdigen und sie morgen mit ihren teilweise existenziellen Finanzierungsproblemen allein lassen würden. Ich denke hierbei nicht nur an die im Gesetz ausgeführten Gedenkstätten, sondern auch an die ehemalige MfS-Untersuchungshaftanstalt Chemnitz-Kaßberg. Diesbezüglich kann ich mich den Worten von Prof. Schneider und Frau Dr. Stange nur anschließen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss den Verbänden und den Trägervereinen für ihr großes Engagement danken, das sie tagtäglich in der Gedenkstättenarbeit zeigen. Ich möchte ihnen aber ebenso für die Arbeit in der Konsultationsklausur danken, mit der sie die Grundlagen für unsere heutige Entscheidung gelegt haben. Sie haben es geschafft, einander zuzuhören, Gräben zuzuschütten und Vertrauen für die weitere Arbeit aufzubauen.

Wir als demokratische Landtagsfraktionen sollten daraus lernen, auf welche Art und Weise wir untereinander Fragen der Erinnerungspolitik diskutieren. Die eindringliche Rede von Herrn Prof. Schneider hat mich da sehr hoffnungsvoll gestimmt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Für die Linksfraktion Herr Külow, bitte.

(Jürgen Gansel, NPD: Jetzt kommt die Stalinorgel!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute beschließen wir im Landtag die Novellierung des Sächsischen Gedenkstättengesetzes. Diese Entwicklung wurde möglich, weil die NS-Opferverbände ihre Mitarbeit in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten wieder aufgenommen haben. Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich, weil damit – wie es meine beiden Vorredner gesagt haben – ein unwürdiges und beschämendes Kapitel der sächsischen Erinnerungspolitik beendet worden ist. Aber sind damit alle erinnerungspolitischen Fragen wirklich geklärt?

Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden brachte die weiter bestehenden Bauchschmerzen der NS