Protokoll der Sitzung vom 13.12.2012

Es ist auch das Thema angesprochen worden, wie wir die Berufsorientierung ausweiten können. Dort muss es endlich dazu kommen, dass Schule und Wirtschaft stärker kooperieren. Das setzt aber auch voraus, dass die Wirtschaft in der Schule Partner findet, und das setzt auch voraus, dass die Schule auch Schulabgänger und junge Menschen hat, mit denen die freie Wirtschaft etwas anfangen kann. Ich sehe selbst in meinem Privatleben, was heute teilweise von den Schulen kommt. Entschuldigung, aber da haben wir starken Verbesserungsbedarf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jetzt sehe ich, dass Herr Kollege Lichdi eine Kurzintervention vorzutragen

wünscht.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Schreiber, Sie sind hier in diesem Hause durchaus auch schon durch differenziertere Reden, man kann fast schon sagen, durch halb kritische Reden gegenüber der Politik Ihrer Fraktion aufgefallen. Aber was Sie hier gerade geboten haben, das war schäbig, und es war menschenverachtend.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Ich möchte das begründen. Ich empfinde es wirklich als schäbig, dass Sie, zumal Sie aus Dresden sind und es besser wissen müssten, beispielsweise die Ergebnisse des ersten Dresdner Bildungsberichtes nicht zur Kenntnis nehmen. Eine ganz klare Aussage war, dass stadteilbezogen der Bildungserfolg davon abhängt, wo ein Kind aufwächst, in welchem Stadtteil.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Das ist ein Skandal erster Ordnung. Wir als GRÜNE wollen uns mit diesem Skandal erster Ordnung nicht abfinden. Aber Sie wollen das, und das ist schäbig.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Das war eine Kurzintervention von Herrn Lichdi – und es reagiert prompt der angesprochene Herr Kollege Schreiber. Bitte.

Auch wenn ich mich bei Kollegen Lichdi jetzt wieder unbeliebt mache, weil ich ihn an dieser Stelle belehre: Herr Lichdi, ich würde Ihnen gern sagen, was im Bildungsbericht wirklich steht. Da geht es nämlich darum, dass nicht entscheidend ist, wo das Kind aufwächst, sondern in welche Schule in welchem Stadtteil es geht.

(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Das ist ein kleiner, feiner Unterschied. Den müssen Sie aber erst einmal verstehen. Genau deshalb, genau aus diesem Grund wollen wir keine Gleichmacherei.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wir fahren in der Rednerreihung fort. Für die SPD ergreift erneut Frau Dr. Stange das Wort. Frau Dr. Stange, Sie haben noch 3:41 Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schreiber, gut, dass Sie nicht mit zehn Jahren bereits entscheiden mussten, ob Sie Häuptling oder Indianer werden. Darüber reden wir nämlich.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

In Finnland gibt es übrigens ein anderes Menschenbild als in Deutschland. Sie waren gerade das beste Beispiel für dieses verquere, elitäre Menschenbild, das in Deutschland existiert.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Erst ein Abiturient, erst ein Akademiker ist ein Mensch in diesem Land. In Finnland haben wir ein egalitäres Menschenbild. Das äußert sich in der Aussprache „Kein Kind beschämen“. Was wir mit unserem Hürdenlauf im Bildungssystem machen, ist eine permanente Beschämung von Kindern.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Gestatten Sie ein Zwischenfrage?

(Zuruf der Staatsministerin Christine Clauß)

Sie können sich ja dann äußern, Frau Ministerin.

Frau Dr. Stange, können Sie mir bitte erklären, warum ein Kind in der Bundesrepublik Deutschland aus Ihrer Sicht beschämt wird, wenn es eine andere Schulart als das Gymnasium oder Ihre Schule für alle besucht? Warum wird dieses Kind beschämt, wenn es nach seinem Gusto, nach seinem Können, nach seinen Fähigkeiten beschult wird? Warum wird dieses Kind beschämt? Sie beschämen es doch, indem Sie hier solche Sätze formulieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Schreiber, wenn Sie einmal erlebt haben, wie Eltern und Kinder in dem Moment enttäuscht sind, in dem sie gehofft haben, die Empfehlung für das Gymnasium zu bekommen, diese aber nicht bekommen haben, was das für das Kind bedeutet, was das für die Eltern bedeutet und welcher Druck auf den Kindern und auf den Eltern lastet, werden Sie vielleicht verstehen, warum das eine Beschämung ist.

(Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Diese Beschämung können wir uns im Schulsystem sparen. Nicht nur Länder wie Finnland, sondern auch andere Länder zeigen, dass man auf eine solche Beschämung von Kindern verzichten kann.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Bläsner, nur zur Klarstellung: Ja, wir wollen mehr Durchlässigkeit. Ja, wir wollen mehr individuelle Förderung. Ja, wir wollen eine zweite Fremdsprache, wenn sie auch am Gymnasium eingeführt ist. Da sind wir überhaupt nicht unterschiedlicher Meinung. Aber nein, wir

wollen keine verpflichtende Oberschule, die nur ein neuer Name ist, die die Menschen nicht mitnimmt. Sie haben ja gestern beschlossen, sie verpflichtend einzuführen. Wir haben die Gemeinschaftsschule gemeinsam mit den Eltern, mit den Lehrern, mit den Schulträgern eingeführt.

Damit war es auch möglich – und das verkennen Sie immer wieder bei Ihrer Diskussion –, eine neue Schulkultur einzuführen. Die brauchen Sie nämlich, um Kinder individuell zu fördern, um eine inklusive Schule umzusetzen, um Durchlässigkeit zu schaffen. Das brauchen Sie, und das schaffen Sie nicht, wenn Sie 9 Millionen Euro in die Hand nehmen und meinen, Sie hätten damit eine neue Schule geschaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht noch ein letztes Wort: Wir wollten und wollen nach wie vor – und das werde ich dann gleich noch einmal dokumentieren – zwei gleichwertige Wege zum Abitur. Wir haben sehr wohl aus Hamburg gelernt, Herr Schreiber. In Hamburg hat sich genau dieses elitäre Bildungssystem durchgesetzt. Es waren nämlich die Chefärzte, die Juristen, die Akademiker, die letztlich diesen Bürgerentscheid bestimmt haben.

(Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Sie wollten, dass ihre Kinder privilegiert weiter auf das Gymnasium gehen können und nicht gestört werden. Das war der Hintergrund.

Wir haben niemals die Mittelschule als „Restschule“ bezeichnet. Wenn wir in diesem Land eine Restschule haben, dann ist das leider, leider am unteren Ende die Förderschule. Dorthin werden nämlich die Kinder abgeschoben, die nicht in dieses System passen. Wenn Sie eine andere Schule wollen, dann müssen Sie ans Schulgesetz ran, weil das Schulgesetz nach wie vor ein auslesendes System praktiziert. Damit kommen Sie mit der Durchlässigkeit an Ihre Grenzen!

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Vielleicht ist die CDU, wenn sie das jetzt so verteidigt, bereit, auch ihren Koalitionsvertrag mit Leben zu erfüllen, indem sie dann auch konsequent eine neue Schule gestaltet.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Das war Frau Dr. Stange für die SPD-Fraktion. Ich sehe den Wunsch nach einer Kurzintervention.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Dr. Stange, eines eint uns beide, aber nicht nur uns beide, sondern auch die ganze CDUFraktion und die ganze FDP-Fraktion, nämlich das Wissen darum, dass es für einige Schüler in der 4. Klasse zu früh ist zu entscheiden,

(Zuruf von der SPD: Für alle!)

ob sie künftig die Mittelschule oder das Gymnasium besuchen und den Realschulabschluss oder das Abitur machen. Genau aus diesem Grund wollen wir die Mittelschule zur Oberschule weiterentwickeln. Genau aus diesem Grund haben wir die verpflichtende zweite Bildungsempfehlung in der 6. Klasse eingeführt, um nämlich all denen, die sich in der 4. Klasse noch nicht entscheiden können, eine zweite Möglichkeit zu geben, um ihnen noch die Möglichkeit zu geben, auf das Gymnasium zu wechseln. Deswegen entwickeln wir die Mittelschule weiter, deswegen packen wir es an, machen Leistungsgruppen und führen die zweite Fremdsprache verbindlich ein, und zwar flächendeckend.

Das ist viel mehr wert als ein Modellversuch, der in einigen ausgewählten Orten in Sachsen durchgeführt wird. Das unterscheidet uns von Ihnen, und das unterscheidet die Bildungspolitik der schwarz-gelben Regierung von dem, was Sie wollen. Das, was Sie wollen, ist ein Wolkenkuckucksheim.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Karabinski. Wollen Sie reagieren? – Bitte, Frau Dr. Stange.