Protokoll der Sitzung vom 14.12.2012

Einführung der Polizeireform „Polizei.Sachsen.2020“ aussetzen

Drucksache 5/10646, Antrag der Fraktion der NPD

Hierzu können die Fraktionen in folgender Reihenfolge in der ersten Runde Stellung nehmen: NPD, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile Herrn Gansel das Wort für die einreichende Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem in dieser Plenarwoche wieder die rituellen Ablenkungsdebatten in Gestalt des Kampfes gegen rechts geführt wurden, will die NPD am vierten Plenartag ein Thema ansprechen, das die Sachsen wirklich umtreibt und beschäftigt, nämlich die seit Jahren wachsende Kriminalität, die nicht nur, aber auch eine absehbare Folge der Grenzöffnung nach Osten war.

Die NPD fordert im vorliegenden Antrag, die wachsende Kriminalität in Sachsen nicht bloß zu verwalten, sondern wirksam zu bekämpfen. Dazu ist aus unserer Sicht die Reform „Polizei.Sachsen.2020“ zumindest befristet

auszusetzen.

Wir fordern – erstens – die bereits begonnene Umsetzung des Projektes „Polizei.Sachsen.2020“, insbesondere den Personalabbau, wenigstens so lange auszusetzen, bis sich die Kriminalitätsbelastung wieder auf das Niveau vor der Grenzöffnung am 21. Dezember 2007 eingependelt hat. Wir fordern – zweitens –, die Bundesregierung zu veranlassen, im Winterhalbjahr zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens an den Grenzübergangsstellen zur Tschechischen Republik und zur Republik Polen den Grenzverkehr wieder zu kontrollieren und dazu die in Sachsen tätige Bundespolizei zumindest befristet personell aufzustocken.

Die Begründung liegt aus Sicht der NPD auf der Hand. Im letzten Quartal hat sich die Eigentumskriminalität, die seit dem Wegfall der Grenzkontrollen am 21. Dezember 2007 ohnehin massiv zugenommen hat, erneut dramatisch verschärft. Für weite Teile der Bevölkerung, aber

auch für Unternehmen der Bauindustrie, der Landwirtschaft und des Handels im grenznahen Bereich ist diese Entwicklung nicht mehr hinnehmbar und oftmals sogar schon existenzbedrohend.

Die Polizei ist angesichts des Ausmaßes der Kriminalität, der polizeilich ausgedünnten Personaldecke, der Überalterung des Polizeiapparates und vielfältiger Ausrüstungsmängel oftmals nicht mehr in der Lage, die Sicherheit der sächsischen Bürger zumindest in den Grenzregionen in ausreichendem Maße zu gewährleisten.

Allein die vielfältigen Presseschlagzeilen der letzten zwei Monate zeigen, auf welchen Feldern der Polizeistatistik dramatische Ausschläge zu verzeichnen sind. Es ist deshalb aus Sicht der NPD nur zynisch, wenn die Staatsregierung die vielfältigen Ängste und Gefährdungen der Sachsen im grenznahen Bereich als „subjektiv gefühlte Kriminalität“ abqualifiziert.

Einige Zahlen: Die Computerkriminalität nahm von 2010 auf 2011 über 30 % zu, nicht eingerechnet ist die hohe Dunkelziffer. Im gleichen Zeitraum wurden in Sachsen 9,5 % mehr Fahrräder gestohlen. Ende Oktober 2012 musste Innenminister Ulbig einräumen, dass im Freistaat zu diesem Zeitpunkt bereits 8 % mehr Einbrüche zu verzeichnen waren als im Vorjahreszeitraum. Der Präsident der Dresdner Handwerkskammer, Jörg Dittrich, schlug am 26. November dieses Jahres Alarm, weil immer mehr Kammermitglieder die Sicherheitslage ihrer Betriebe als schlecht einstufen.

Für die NPD ist es eine grobe Unverantwortlichkeit, um nicht zu sagen eine Sauerei, wenn die Staatsregierung außer Sonntagsreden und symbolpolitischen Handlungen nichts unternimmt, um die Grenzkriminalität zulasten einheimischer Bürger und einheimischer Betriebe wirksam zu bekämpfen. Wir reden hier nicht nur über steigende Versicherungskosten für viele Betriebe, sondern wir sprechen hier über die akute Gefährdung von Arbeitsplät

zen gerade dort, wo Arbeitslosigkeit und Lohndumping sowieso schon unerträgliche Ausmaße angenommen haben, beispielsweise im Landkreis Görlitz.

Laut der Dresdner Handwerkskammer bewerten 60 % der Handwerker im Landkreis Görlitz ihre Sicherheitslage als schlecht. Viele in diesem Plenum erinnern sich sicher auch noch an die Berichte im „Sachsenspiegel“, wo man anfänglich vielleicht seinen Augen und Ohren nicht traute, als berichtet wurde, dass im grenznahen Bereich mittlerweile regelmäßig auf landwirtschaftlichen Höfen Traktoren gestohlen werden. Traktoren werden dann in Polen gefunden, die auf deutschem Territorium gestohlen wurden. Ich erinnere daran, dass das Auto der Tochter von Bundesverteidigungsminister de Maizière von der Polizei als gestohlen gemeldet wurde und dann in Höhe Bautzen auf dem Weg nach Polen, mit einem Polen am Steuer, aufgegriffen wurde.

(Volker Bandmann, CDU: Der ist doch verurteilt worden!)

Ich erinnere an viele andere Fälle, zum Beispiel an den Diebstahl eines Leichentransporters und dass dann diese Leichen in Polen auftauchten.

Es gibt für alle, die nicht ganz blind für die Alltagsentwicklung im grenznahen Bereich sind, zahlreiche Beispiele, dass die Eigentumskriminalität infolge der Grenzöffnung regelrecht explodiert.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Nicht nur im Landkreis Görlitz – dazu wird sich sicher Herr Bandmann auf seine unnachahmlich kompetente Weise zu Wort melden –

(Volker Bandmann, CDU: Sagen Sie noch etwas zu dem Urteil über die NPD! – Alexander Delle, NPD: Was hat das mit dem Antrag zu tun?)

schlagen die Handwerksbetriebe Alarm. Auch in Dresden sehen sich mittlerweile 25 % der Handwerksbetriebe von Kriminalität bedroht. Im Landkreis Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge sind es 21 %, und im Landkreis Bautzen sehen 20 % der Handwerksbetriebe ihre Betriebe unter Sicherheitsaspekten gefährdet.

So ist es für die NPD nur allzu verständlich, dass der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter vor der Umsetzung der Polizeireform, der Überalterung des Polizeiapparates und natürlich dem Stellenabbau bei der Polizei selbst warnt.

Eine erschreckende Problemignoranz und Kaltschnäuzigkeit ließ in diesem Zusammenhang der neue sächsische Landespolizeipräsident, Rainer Kann, erkennen. Zwar will auch er der Bekämpfung der Grenzkriminalität seine Aufmerksamkeit widmen. Gleichzeitig versucht er, die kriminalitätsgeplagten Sachsen in den Grenzregionen mit einer naiven Phrase abzuspeisen. Ich zitiere: „Ein Leben in Freiheit bedeutet immer ein Leben in Sicherheit.“

Meine Damen und Herren! Es ist aber eben nicht so, dass ein Leben in Freiheit automatisch ein Leben in Sicherheit bedeutet. Das bedeutet es noch viel weniger angesichts himmelweit geöffneter Grenzen. Mit dem vorliegenden Antrag – und damit schließe ich – fordert die NPD, endlich Konsequenzen zu ziehen aus dem dramatischen Kriminalitätsanstieg infolge des unverantwortlichen

Wegfalls der Grenzkontrollen, und bittet um Zustimmung.

(Beifall bei der NPD)

Für die Koalition spricht Herr Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass ich heute den letzten Redebeitrag für die Koalition im Jahr 2012 halten kann. Etwas gequält bin ich angesichts dieses Antrages, zu dem ich reden soll, obwohl es sich dabei um ein wichtiges Thema handelt.

Ich denke, es bedarf nicht der NPD und schon gar nicht dieses Antrages, um die durchaus wichtige und ernsthafte Debatte über die Frage der Polizeistruktur zu führen. Es ist auch schier unerträglich, dass es gleich wieder beginnt mit Ausländerkriminalität, Kriminalität im Grenzbereich.

(Andreas Storr, NPD: Das ist aber Fakt!)

Wir haben uns den Herausforderungen der Kriminalitätsentwicklung zu stellen. Mit einem aktuellen Fall zum Thema Ausländerkriminalität möchte ich einsteigen. Die Staatsanwaltschaft hat heute bekannt gegeben, dass Metalldiebe vor Gericht stehen, nämlich drei Tatverdächtige, die über 20 Taten im Bereich zwischen Niedercunnersdorf, Neugersdorf und Herrnhut begangen haben. Es handelt sich um drei Deutsche, der Wortführer 24 Jahre alt, die sich für diese Serie zu verantworten haben.

Natürlich ist Kriminalitätsbekämpfung eine zentrale Aufgabe und dieser müssen wir uns stellen. Aber dieser Populismus in der Sache hilft uns nicht weiter. Wenn wir uns anschauen, wo wir tatsächlich stehen, dann ist noch einmal zu sagen: Die Polizeireform 2020, sicherlich auch geprägt durch die politisch vorgegebene Zielsetzung, den Personalbestand an den allgemeinen Durchschnitt der Polizeistärken der Länder anzupassen, ist als Erstes auf Grundlage der Zuarbeiten und der Diskussion der Polizei selbst entstanden. Die Frage der Organisationsstrukturen hat die Polizeiführung Sachsens ohne Beteiligung der Politik formuliert.

Was ist das Ergebnis dieser Organisationsstruktur? Wir werden von 13 254 auf 11 280 Polizeibeamten nach unten gehen, das heißt, wir liegen immer noch deutlich über der Polizeistärke der Flächenländer West. Die Struktur ist den Herausforderungen angepasst worden. Wir haben uns auch in der Fläche mit 424 Beamten im Postendienst und in Bürgerpolizisten aufgestellt. Was die Kriminalitätsentwicklung selbst betrifft, so möchte man feststellen, dass es in diesem Jahr eine erhebliche Entwicklung gegeben hat, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Doch was hat das mit einer Grenzöffnung zu tun?

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

2007 hatten wir die Grenzöffnung, – –

Sie sollten einmal zuhören. Ich erwarte nicht, dass Sie es verstehen, aber versuchen Sie es einfach einmal!

und 2007 hatten wir 308 000 Straftaten in Sachsen, 2011 293 000. Das sind 4,6 % weniger. Im Mittelmaß der fünf Jahre haben wir eine Stagnation der Kriminalitätsentwicklung. Das heißt, die Grenzöffnung hat offensichtlich nicht zu einer signifikanten Anhebung der Kriminalitätsrate im Durchschnitt in Sachsen geführt. Wir haben seit 2011 einen deutlichen Rückgang im Bereich der KfzDiebstähle zu verzeichnen, nämlich von 13,5 %.

Zum Schluss bleibe ich dabei. Natürlich müssen wir auch der Bevölkerung im Grenzbereich ein Sicherheitsgefühl geben. Natürlich müssen wir uns auch dem Kriminalitätsanstieg widmen, aber nicht politisch-ideologisch verbrämt mit der Diskussion gegen europäische Nachbarn, mit denen wir die Zusammenarbeit pflegen wollen, sondern sachlich-konstruktiv. Diesen Diskussionsprozess führen wir gern mit allen, aber nicht mit Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Als nächster Redner spricht Herr Dr. Hahn.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mich beschleicht immer ein mulmiges Gefühl, wenn sich gerade die Nazis als angebliche Interessenvertreter der Polizei und als Wahrer der inneren Sicherheit hier in Sachsen aufspielen. Sie, meine Damen und Herren von der NPD, sind weder das eine noch das andere.

Gerade auch wegen Ihrer Aufmärsche, wegen Ihrer Propagandadelikte, wegen Ihrer rechten Gewalttaten und nicht zuletzt wegen Ihrer Bedrohung von Leib und Leben bei anders Aussehenden, anders Denkenden, anders Glaubenden und anders Liebenden müssen jedes Jahr Tausende Polizistinnen und Polizisten in den Einsatz geschickt werden. Insofern ist Ihr Antrag heuchlerisch und verlogen.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Alexander Delle, NPD: Bloß, weil wir ein Grundrecht wahrnehmen!)

Herr Hartmann hat es eben angedeutet, dass der Antrag zudem eine offenbar tief verinnerlichte Europa- und Ausländerfeindlichkeit dokumentiert. Die Überschrift kommt ja noch ganz harmlos daher. Wer sollte schon etwas dagegen haben, wachsende Kriminalität wirksam zu bekämpfen? Auch die Aufforderung nach Aussetzung der Polizeireform „Polizei.Sachsen.2020“ ist ja nicht grundsätzlich falsch, und die demokratischen Oppositionsfraktionen haben gerade erst in dieser Woche entsprechende Änderungsanträge in der Haushaltsdebatte gestellt.

Doch wenn man sich dann die beiden Punkte genauer ansieht, geht es der NPD eigentlich um etwas ganz anderes. Im Punkt 1 wird fälschlicherweise suggeriert, dass der Anstieg der Kriminalität vor allem oder sogar ausschließlich auf die Erweiterung des Schengen-Raumes und den damit verbundenen Wegfall der Grenzkontrollen zurückzuführen sei. Das ist schlicht Unfug. Ganz offenbar sollen dadurch vor allem weiter Ressentiments gegenüber unseren Nachbarn in Polen und Tschechien geschürt werden.

(Jürgen Gansel, NPD: Dafür sorgen die Nachbarn schon selbst!)

Im Punkt 2 wird dann die Katze richtig aus dem Sack gelassen. Im Winterhalbjahr sollen zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens zunächst wieder spontane und sporadische Grenzkontrollen eingeführt werden, und es wird dazu aufgefordert, die in Sachsen tätige Bundespolizei aufzustocken. Im Kern geht es der NPD um die Rückgängigmachung des europäischen Einigungsprozesses, um die Abschottung gegenüber unseren unmittelbaren Nachbarn und letztlich damit um nationalistische Politik.

(Zuruf von der NPD: Richtig!)

Ich bin sehr sicher, dass das die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten hier in diesem Haus nicht mitmachen wird.