Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

sollen, „wenn die Versammlung einen Bezug zu gefährlichen früheren Versammlungen aufweist“. Davon haben Sie jetzt nichts gesagt, Kollege Schiemann; Kollege Biesok auch nicht. Das ist die eigentlich sensible Bestimmung hierin, dass Sie dem Gefährdungstatbestand eine Ausweitung beifügen, wonach in Zukunft die Versammlungsbehörde überall im Lande sagen kann: Da gab es schon einmal eine gefährliche Versammlung, und weil es die schon einmal gegeben hat, lassen wir das nicht mehr zu. Diese Ausweitung des § 15 ist die eigentliche extensive und restriktive Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten.

Damit stellen Sie das bisherige Grundrechtsverständnis auf den Kopf. Für das Gesetz muss künftig nicht mehr die Versammlungsbehörde nachweisen, dass anzumeldende Versammlungen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind, sondern der Anmelder, der Grundrechtsträger, muss quasi nachweisen, dass sein Vorhaben nicht gefährlich ist. Das ist eine Umkehr der Beweislast, und das lässt mit Gewissheit die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Versammlungsrecht nicht zu. Es kann nicht angehen, dass die Nähe zu früheren Versammlungen entweder bereits die Annahme einer unmittelbaren Gefahr rechtfertigt oder im Sinne einer widerleglichen Vermutung indizieren soll. Das haben die Experten, das haben Prof. Morlok, Prof. Pestalozza und Prof. Poscher in der Anhörung nachdrücklich gesagt. Selbst der von Ihnen benannte Prof. Heckmann von der Universität Passau hat sich im Zuge der weiteren Anhörung von seiner ursprünglichen Position entfernt. Er hat Ihnen zum Beispiel zum Nachdruck seine warnenden Hinweise gegeben, dass das, was Sie mit der kommunistischen Gewaltherrschaft machen wollen – in der Reichweite des Urteils vom 4. November 2009 nicht hinzubekommen ist. Das steht darin. Ich kann es Ihnen nachher sogar wörtlich vorhalten, wenn Sie wollen.

Noch einmal: Dem Grundrechtsträger die Rechtsmäßigkeit des Freiheitsgebrauches im Versammlungsrecht aufzudrücken, anstatt dass der Staat durch das Vorliegen der Voraussetzungen seine Eingriffsbefugnis nachweisen muss, ist eklatant verfassungswidrig. Schon deshalb wird das Gesetz nicht halten.

(Holger Zastrow, FDP: Abwarten!)

Das werden wir sehen. Aber versprochen!

Dann kommt die Regelung, § 15 Abs. 2, in der Sie gewissermaßen die Orte aufzählen – das will ich jetzt nicht noch einmal im Detail wiedergeben –, wobei Sie die Kriterien gegen nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft, Widerstand gegen nationalsozialistische und kommunistische Gewaltherrschaft nennen oder wo Sie an „Opfer des Krieges“ erinnern, wozu Ihnen dann die Sachverständigen sagen: Jawohl, aber der postmortale Würdeschutz klingt irgendwann aus. Wieso können Sie noch Opfer von Kriegen, die 200 oder 300 Jahre zurückliegen, – – Wollen Sie die Bauernkriege zum Beispiel mit schützen oder was?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ja!)

Was ist das? Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, wenn Sie jetzt sagen: Opfer von Kriegen. Sie nennen hier einige Orte, die Sie meinen. Die sind alle Dresdenzentriert, mit Ausnahme des Völkerschlachtdenkmals, von dem die Experten sagen: Völkerschlachtdenkmal geht gar nicht, weil die Frage des Würdeschutzes der Opfer des Nationalsozialismus dort nicht geht. Das haben Sie gesagt.

(André Hahn, Linksfraktion: Das ist 200 Jahre her!)

Ja, 200 Jahre. – Sie schreiben die zwei, drei Orte hinein und überlassen es praktisch allen Versammlungsbehörden der Kreise, nach ihrem Duktus, nach ihren Vorstellungen, nach ihren Prämissen und nach lokalen Erwägungen eine unübersehbare Zahl weiterer Orte und Zeiten hinzuzufügen, an denen keine Versammlungen stattfinden können.

Damit verstoßen Sie wiederum gegen den Gesetzesvorbehalt, der zwangsläufig bei Grundrechtseingriffen vorhanden ist. Grundrechtseingriffe, das ist beim Versammlungsrecht tatsächlich klar, sind nur qua Gesetz ausregelbar und nicht durch Entscheid von Versammlungsbehörden. Das ist überhaupt nicht durchhaltbar.

Mit dem, was Sie hier aufzählen, Herr Kollege Schiemann und Herr Kollege Biesok, sind Sie wirklich definitiv in dem Bereich, wo man sagt, Sie überschreiten die Schrankengesetze der Meinungsfreiheit. Das hat definitiv spätestens das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. November noch einmal klargestellt. Es kam für viele, auch für viele Verfassungsrechtler, für viele Menschen, die sich um das Versammlungsrecht und um einschlägige strafrechtliche Bestimmungen kümmern, völlig überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht so weit geht und sagt: Der Grundsatz aus dem Artikel 5 Abs. 2, dass die Meinungsfreiheit nur durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden kann, kennt eine Ausnahme. Aber was ist Würdeschutz, was ist das?

Was ist Gewaltherrschaft? Was ist diese Form, dass nur das allgemeine Versammlungsrecht eingeschränkt werden kann? Das kann ausnahmsweise in nur einem Fall durchbrochen werden: wenn es um Fragen der Verbrechen des Nationalsozialismus geht. Das Verfassungsgericht hat ganz klar gesagt, weshalb es ausnahmsweise in diesem Fall möglich ist. Es hat gesagt – ich zitiere –: „… weil sich das Unrecht in allgemeinen Kategorien des Schreckens, den die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, jedem Fassbaren entzieht“ und „… sodass die propagandistische Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen haben muss und ein Ausnahmeverbot des Sonderrechtes für meinungsbezogene Gesetze für diesen Fall – und nur für diesen Fall – möglich ist.“

Die Sachverständigen haben gesagt – der Sachverständige Poscher hat zudem im „Spiegel“ einen Beitrag veröffentlicht –, dass spätestens nach dieser Entscheidung vom

4. November vergangenen Jahres Ihre Problematik unter Berufung auf die Präambel des Freistaates Sachsen, die kommunistische Gewaltherrschaft mit hineinzunehmen, nicht mehr geht. Die Singularität der Sache hat auch das Verfassungsgericht betont. Dass Sie sehenden Auges – ob der Sensibilität dieser Frage – dennoch bei diesem Ansatz bleiben und keinen Zentimeter zurückgehen, ist einfach nur das, was man gemeinhin Ignoranz der Macht und der Mehrheit nennt.

(Marko Schiemann, CDU, schüttelt mit dem Kopf.)

Alle vier Verfassungsrechtler in der Expertenanhörung haben im Verlauf des Disputs – am Ende auch Prof. Heckmann, das betone ich noch einmal – klipp und klar gesagt, sie könnten es nicht unter Berufung auf die Präambel tun. Das geht nicht. Das entzieht sich ihrer Möglichkeit.

Sie haben das nicht gesehen, Sie haben es ignoriert. Sie wollten unbedingt die Totalitarismustheorie ins Versammlungsrecht transformieren. Das war Ihr Anliegen.

(Zurufe von der Linksfraktion)

Genau das verfolgen Sie! Das ist die Ideologie, die hinter dem steckt, was Sie jetzt nach dem Drei-weise-AffenPrinzip hier durchziehen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Schlimm ist, dass die FDP das mitmacht!)

Jawohl. Sie wollen das einfach nur ins Versammlungsrecht bringen. Das ist Ihr Ansatz, und um dieses Problem geht es.

Zu § 15 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzentwurfes. Zu den verschiedenen Orten habe ich bereits etwas gesagt. Diese Lex-Dresden-Konstellation durchbricht wieder den Grundsatz, dass nur allgemeine Gesetze zulässig sind. Da stimmt Ihre Binnenlogik nicht.

(Marko Schiemann, CDU: Doch!)

Ich als Chemnitzer frage Sie, Kollege Schiemann: Weshalb sind die Tausenden Opfer des Luftwaffenangriffs auf Chemnitz am 5. März 1945 weniger Würdeschutz wert als jene von Dresden?

(Beifall bei der Linksfraktion und der NPD)

Weshalb stehen diese nicht in dem Gesetz? Erklären Sie mir das doch bitte einmal! Woher nehmen Sie denn die Berechtigung, die Weisheit, diese Obrigkeitsentscheidung zu sagen: Dresden ja, Leipzig nein und Chemnitz nicht?

(Zurufe der Abg. Christian Piwarz und Marko Schiemann, CDU)

Wie denn das? Warum ist es Ihnen wert, das in Dresden zu regeln und in Chemnitz nicht? Das ist in der Binnenlogik unstimmig. Das wissen Sie ganz genau. Sie wollen – das hat Kollege Biesok mit jedem Satz gesagt – ein Sondergesetz für den 13./14. Februar. Sie wissen auch, dass es nicht wesentlich über den 13./14. Februar hinaus

halten wird, aber Sie haben mit dem Gesetz, mit Hausdurchsuchung und vorher mit allem Drum und Dran Ihre Muskeln spielen lassen. Ich sage einfach: Das ist das Gegenteil von dem, was unserer Demokratie voranhilft, und das Gegenteil von dem, was uns hilft, die Verherrlichung von Nationalsozialismus für die Zukunft zu verhindern. Das ist das ganze Gegenteil davon!

Wer zur Verminderung von Neonazismus das Versammlungsrecht reparieren muss, der gibt sich in seinen Möglichkeiten sehr bescheiden. Das kann der Weg wohl nicht sein!

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Der gibt sich selbst auf! – Beifall bei der Linksfraktion)

Der gibt sich selbst auf! – Wir werden noch einen umfänglichen Änderungsantrag einbringen, den ich dann erläutere. Deshalb sage ich nichts zur Art und Weise, wie das Gesetz in die Welt kommen soll, also zu den formalen Fragen.

Ich sage nur noch etwas: Wenn Sie den Gesetzentwurf so durchpeitschen und durchsetzen – völlig uneinsichtig für jedes sachliche, verfassungsrechtliche und rationale Argument –, werden wir im Sinne des Würdeschutzes und im Sinne dessen, dass er nicht durch Verfassungsstreitigkeiten verschleißt, den Präsidenten des Sächsischen Landtages auffordern, von seinen Pflichten entsprechend Artikel 76 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung Gebrauch zu machen und die Ausfertigung dieses eklatant verfassungswidrigen Gesetzes zu verweigern. Zum ersten Mal in den 19 Jahren, seitdem es den Landtag gibt, werden wir den Präsidenten auffordern, ebenso wie es in einem anderen Zusammenhang, beim Luftfahrtsicherungsgesetz, als Aufforderung an den Bundespräsidenten Köhler gegangen ist, dass man Maschinen, in denen Zivilisten sitzen, wegen Terrorismusgefahr nicht abschießen darf. Das werden wir unserem Herrn Präsidenten antragen und sagen: Herr Präsident, Sie sind nach Artikel 76 Abs. 1 verpflichtet, vor der Ausfertigung auch eine inhaltliche Verfassungsmäßigkeitskontrolle vorzunehmen. Wenn Sie diese vornehmen, werden Sie sehen, dass Sie dieses Gesetz nicht unterschreiben können. Das können Sie nicht ausfertigen.

In diese Not werden Sie Ihren Präsidenten damit bringen. Wenn er es dennoch tut, dann sehen wir uns in Leipzig. Das bedauern wir; denn es ist für Politik kein Weg, sich vor Gerichten herumzustreiten.

(Unruhe bei der CDU)

Aber wenn man als Opposition nichts anderes hat, wenn Argumente überhaupt nichts zählen – auch nicht, wenn die Argumente aus dem Mund von überhaupt nicht in irgendeiner Form einer Partei zurechenbaren Verfassungsexperten kommen –, dann bleibt nichts anderes, als Sie als erste Gewalt durch die dritte Gewalt auf den Boden der Verfassung zurückzuholen.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Andreas Storr, NPD)

Für die SPDFraktion spricht Frau Abg. Friedel; bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich unterbreche das juristische Seminar und will die Kolleginnen und Kollegen und auch die Besucher daran erinnern, worum es in dem Gesetz eigentlich geht – allen verfassungsrechtlichen Ziselierungen zum Trotz.

In Sachsen haben wir derzeit eine geltende Rechtslage, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit betreffend. Wir haben das Versammlungsgesetz des Bundes, das auch an diesem 13. Februar, genauso wie am 14., 15. und 18. Februar, gilt. Wenn wir hier im Landtag kein anderes Gesetz beschließen, wird das Versammlungsgesetz des Bundes gelten. Manche tun hier so, als hätten wir einen rechtsfreien Raum. Das ist nicht der Fall.

(Kerstin Köditz, Linksfraktion: Richtig!)

Dieses Versammlungsgesetz des Bundes sagt, unter welchen Umständen in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eingegriffen werden kann. Das Versammlungsgesetz des Bundes sagt: Eine Versammlung kann verboten werden, wenn ihre Durchführung die öffentliche Ordnung und Sicherheit unmittelbar gefährdet oder wenn sie an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte an die Naziherrschaft erinnert, und dort die Würde der Opfer durch eine solche Versammlung verletzt würde. Das sagt das geltende Versammlungsrecht.

Man muss feststellen – wie das hier vorn in den Zwischenfragendialogen etwas ausgeblendet worden ist –, dass die Landeshauptstadt Dresden in den letzten zehn Jahren nie versucht hat, auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes des Bundes ein Verbot der rechtsextremen Aufmärsche am 13. Februar zu erreichen. Das hat Dresden nie versucht.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Aber es ist ja gut, dass in diesem Jahr – mit oder ohne neues Versammlungsgesetz – die Landeshauptstadt Dresden das in jedem Fall tun muss.

Das Versammlungsgesetz des Bundes sagt: Ein solcher Ort ist das Holocaust-Denkmal in Berlin. Andere Orte werden durch Landesgesetz bestimmt. Das ist heute unsere eigentliche Aufgabe. Das ist der Regelungsbedarf in Sachsen. Wir sollen bestimmen, welche Orte als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnern. Das ist unsere gesetzgeberische Aufgabe.

Nun haben CDU und FDP einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich zwar auch mit der Aufgabe beschäftigt, Orte zu definieren, darüber hinaus aber eine ganze Menge mehr machen will.

Beginnen wir bei den Orten: Uns wird vorgeschlagen, als solche Gedenkstätten das Völkerschlachtdenkmal in

Leipzig, die Frauenkirche und den Neumarkt in Dresden und – nur am 13. und 14. Februar – die gesamte Dresdner Innenstadt zu definieren. Das sind die drei Vorschläge.

Was ist davon zu halten? Das Völkerschlachtdenkmal ist zwar eine Gedenkstätte, allerdings nicht wirklich für die Opfer der Naziherrschaft. Wir haben die Frauenkirche und den Neumarkt. Ich hätte Zweifel, das als Gedenkstätte zu bezeichnen. Es ist ein Ort mit symbolischer Bedeutung – das ist gesagt worden –, aber wir finden auf dem Neumarkt ebenso eine Menge Hotels, Bierhäuser, eine Seniorenresidenz und eine Apotheke. Dort mit einer Gedenkstätte zu argumentieren wird schwierig.