Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Jedoch wollen wir – müssen wir – in Zukunft noch einiges besser machen. Das bedeutet: Wir brauchen einen modernen, wirksamen und effizienten Verfassungsschutz, der mit Transparenz arbeitet, damit die Informationen entsprechend Verwendung finden. Günther Schneider und

die Mitglieder der PKK haben sich bereits sehr intensiv damit befasst. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Expertenkommission für mich ein wichtiger Baustein im Ganzen.

Ich habe die unabhängigen Experten berufen und ihnen einen klaren Auftrag gegeben. Sie sollen den Istzustand analysieren, Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen prüfen und Verbesserungs- und Handlungsbedarf ableiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist wichtig, dass die Experten ihre Arbeit frei von äußeren Einflüssen erledigen können. Dazu zählt auch, die Arbeit nicht schon von vornherein zu diskreditieren. Das ist der Sache nicht zuträglich.

Damit bin ich wieder am Anfang meiner Ausführungen. Ich höre schon wieder ritualisierte Kritik. Ehe Sie auf der Grundlage der Diskussionen Ihres Antrags gegebenenfalls Vorwürfe gegen die Experten, deren Befugnisse, Arbeitsweisen, einen angeblich unzureichenden Untersuchungsauftrag oder eine aus Ihrer Sicht mangelnde Einbeziehung von parlamentarischen Gremien oder weiterer Expertise erheben, lassen Sie uns doch erst einmal den Bericht abwarten. Dann haben wir eine vernünftige Diskussionsgrundlage.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu brauchen Sie sich wahrscheinlich nicht mehr lange in Geduld zu üben. Voraussichtlich kommt der Abschlussbericht dieser Kommission schon im Februar. Ich werde ihn dann natürlich in geeigneter Art und Weise vorstellen.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Vor der Presse!)

Danach werden wir ihn nüchtern analysieren, und dann müssen wir schauen, was sofort umgesetzt werden kann, was mittelfristig angegangen werden muss und wozu wir etwas mehr Zeit brauchen.

Schließlich hat uns der Datenschutzbeauftragte in seinem Prüfbericht zur Aktenvernichtung noch Hausaufgaben aufgegeben. Deshalb möchte ich sagen: In diesem Gesamtkontext ist zumindest eine Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt aus meiner Sicht völlig entbehrlich und gegebenenfalls kontraproduktiv. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich zu Beginn das Wort ergriffen und insofern dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt, selbst zu entscheiden, wie mit dem Antrag umgegangen werden soll. Sollte der Antrag dann doch diskutiert werden, empfehle ich zumindest aus Sicht der Staatsregierung, von diesem Antrag derzeit Abstand zu nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE erhält Herr Dr. Hahn das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Ulbig, wir stellen in der Regel Anträge, damit sie dann auch im Plenum behandelt werden, und ziehen sie nicht deshalb

zurück, weil der Minister das Wort ergreift und denkt, dass damit alle Probleme aus der Welt seien. Das sind sie mitnichten.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich stelle fest: Sie sind durch unseren Antrag doch offenkundig etwas aufgeschreckt worden, sodass Sie gleich zu Beginn der Debatte reden wollten. Es ist zwar kein guter parlamentarischer Stil, dass der Antragsteller nicht – wie sonst üblich – zunächst seinen Antrag einbringen kann, aber wir kommen damit schon klar. In jedem Fall hat unser Antrag schon einmal Wirkung gezeigt. Uns ist das Thema nämlich auch wichtig, Herr Minister Ulbig. Wir hatten uns gewundert, dass Sie hier zuerst das Wort ergreifen wollen, wussten noch nicht genau, warum, aber wenn man das tut, dann sollte man dem Parlament, der Öffentlichkeit auch irgendetwas Konkretes mitzuteilen haben. Das habe ich Ihren Ausführungen leider nicht entnehmen können.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit dem Auffliegen des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ im November 2011 befinden sich die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland in einer tiefen Krise. Sie sehen sich – wie ich finde, zu Recht – existenziell gefährdet. Bis auf einige Rücktritte von Verfassungsschutzchefs ist aber in den zurückliegenden 16 Monaten nicht viel geschehen. Durchgreifende Reformen – Fehlanzeige. Rückhaltlose Aufklärung in den eingesetzten Untersuchungsausschüssen – Fehlanzeige. Übernahme politischer Verantwortung für die Pannen von Polizei und Geheimdiensten – Fehlanzeige. Abschaltung der V-Leute – Fehlanzeige. Stärkung der parlamentarischen Kontrolle – ebenfalls Fehlanzeige.

Das gilt in vollem Umfang auch für das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz. Präsident Boos hat zwar seinen Hut genommen und wurde innerhalb des Ministeriums umgesetzt, sein Vizepräsident aber, der viele Jahre für den Rechtsextremismusbereich zuständig war und auch im Untersuchungsausschuss eine denkbar unglückliche Figur abgegeben hat, ist nach wie vor im Amt – ein Unding, wie nicht nur wir finden.

Aus Brandenburg wurde dann ein durchaus eloquenter Übergangspräsident eingeflogen, dessen befristete Amtszeit jetzt noch einmal verlängert wurde, der aber wohl in Sachsen keine echte Perspektive hat und demzufolge hier auch kaum Nachhaltiges wird bewirken können. Wir haben zwar im Landtag einen vorläufigen und durchaus sehr kritischen Abschlussbericht der Parlamentarischen Kontrollkommission behandelt und zur Kenntnis genommen. Der Innenminister hat jedoch bis heute nicht einmal ansatzweise erkennen lassen, welche personellen, strukturellen und organisatorischen Konsequenzen er daraus zu ziehen gedenkt. Nein, Herr Ulbig, nicht unser Antrag ist zu früh – Sie sind zu spät mit Ihren Konsequenzen aus der Krise.

(Beifall bei den LINKEN)

All das, meine Damen und Herren, ist in höchstem Maße unbefriedigend. Mir geht es wie dem Kollegen Jennerjahn von den GRÜNEN: Mir fehlt das Vertrauen in die Erneuerungsfähigkeit des Verfassungsschutzes. Auch der sächsische Innenminister Ulbig hatte offenbar nicht wirklich eine Idee, wie es mit den „Schlapphüten“ weitergehen soll. Nach dem alten Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ‘ ich einen Arbeitskreis“ präsentierte er der erstaunten Öffentlichkeit im Juli vergangenen Jahres eine sogenannte unabhängige Expertenkommission zur Neuordnung des Landesamtes für Verfassungsschutz. Von der Einsetzung dieser Kommission erfuhren die gewählten Volksvertreter aus Agenturmeldungen oder über Presseberichte. Weder konnte das Parlament auf dessen Zusammensetzung Einfluss nehmen, noch wurden die berufenen Mitglieder wenigstens im Nachgang den zuständigen parlamentarischen Gremien vorgestellt.

Weder der Innenausschuss des Landtages noch die Parlamentarische Kontrollkommission bekamen die Kommissionsmitglieder je zu Gesicht – geschweige denn, dass sie deren Tätigkeiten hinterfragen oder unterstützen konnten. Herr Ulbig, über eine Neuordnung des Landesamtes für Verfassungsschutz kann man nicht sinnvoll debattieren, wenn man den Bereich der parlamentarischen Kontrolle völlig außen vor lässt. Wie die Mitglieder der Kommission dazu aber Empfehlungen abgeben oder gar Vorschläge erarbeiten wollen, ohne je mit der PKK gesprochen zu haben, wird wohl ein Geheimnis des Innenministers bleiben.

Angesichts der eigenwilligen Umstände ihrer Einsetzung war die sogenannte Expertenkommission von Anfang an umstritten. Herr Minister, es geht nicht um Diskreditierung. Sie haben mit der Berufung, der Art und Weise und den Personen dazu beigetragen, dass die Kommission von Anfang an umstritten war. Bis heute kennen wir als Abgeordnete den tatsächlichen Arbeitsauftrag nicht. Das, was Sie hier gesagt haben, waren bestenfalls Schlagworte.

Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass der Minister das Parlament endlich präzise über den konkreten Arbeitsauftrag und die möglicherweise geschlossenen Verträge unterrichtet. Wir beantragen weiterhin, dass dem Parlament dargelegt wird, mit welchen Kompetenzen und Befugnissen die Mitglieder der Kommission im Einzelnen ausgestattet wurden, auf welcher Rechtsgrundlage ihre Tätigkeit erfolgt und in welchem Umfang dabei eine Einsichtnahme in die Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz erfolgen kann. Aus den bereits erwähnten Gründen wollen wir wissen, inwieweit in die Arbeit der Kommission Personen einbezogen wurden oder absehbar noch werden – insbesondere die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission.

Wir wollen ebenso Aufklärung darüber, aus welchen Gründen eine solche Einbeziehung bis dato unterblieben ist. Wir wollen nebenbei auch Auskunft darüber, auf welcher Grundlage und in welcher Höhe die Mitglieder der Expertenkommission vergütet werden. Letzteres möchten wir nicht deshalb, weil es sich bei allen drei

Personen um ehemalige langjährige hohe Beamte handelt, die entsprechende Pensionen beziehen, sondern weil gerade in der Öffentlichkeit immer wieder auch von Herrn Minister Ulbig die Unabhängigkeit der Kommission betont wird, die aber nach unseren Kenntnissen – ich komme gleich darauf zurück – durchaus infrage steht.

In der Tat muss man Folgendes sagen: Die Zusammensetzung des Gremiums war und ist umstritten. Der Kommission gehören drei Mitglieder an: die ehemalige Generalbundesanwältin Monika Harms, der frühere Verfassungsschutzchef von Baden-Württemberg Helmut Rannacher sowie Franz Josef Heigl, der Expräsident des Sächsischen Landesrechnungshofes. Herr Ulbig sprach in diesem Zusammenhang gar von einer „idealen Besetzung“. Wir als LINKE haben da erhebliche Zweifel.

Wie ist es nun wirklich um die Kompetenz und die Unabhängigkeit der genannten Personen bestellt? Monika Harms ist in ihrer Zeit als Generalbundesanwältin vor allem mit einem knallharten Law-and-order-Kurs bekannt geworden. Der Bundesgerichtshof – immerhin der Bundesgerichtshof – sah sich gleich mehrfach veranlasst, ihr Vorgehen bei Antiterrorermittlungen offiziell zu beanstanden. Meine Kollegin Kerstin Köditz verwies bereits im Juli 2012 darauf, dass Frau Harms im Jahr 2007 mit dem Negativpreis „Big-Brother-Award“ bedacht worden ist. Grund dafür war ihr exzessives Vorgehen gegen Kritiker des G8-Gipfels in Heiligendamm. Nicht zuletzt hatte Frau Harms Abhörmaßnahmen gegen Journalisten der „Tagesschau“ zu verantworten, die einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit darstellen. Ist das tatsächlich die geeignete Qualifikation für ein angeblich unabhängiges Expertengremium?

Dabei haben wir noch gar nicht über die parteipolitische Ausrichtung gesprochen. Nach allem, was bekannt ist, nennt Frau Harms ein Parteibuch der CDU ihr Eigen. Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass auch Herr Rannacher parteipolitisch bei den Schwarzen gebunden ist.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Sollte uns dies jetzt wirklich überraschen, Herr Piwarz? Herr Ulbig, ich gehe zu Ihren Gunsten einmal davon aus, dass Sie von all dem nichts gewusst haben. Ihnen ging es vor allen Dingen um Fachleute. Die Parteizugehörigkeit spielte dabei natürlich keine Rolle.

(Christian Piwarz, CDU: Nur schimpfen, meckern und herumkritteln!)

Ganz sicher wird der Minister alle Vorwürfe parteipolitischer Erwägungen mit Abscheu und Empörung zurückweisen und betonen, dass auch ein Sozialdemokrat dem Gremium angehört. Macht das die Sache wirklich besser? Ich muss es etwas vorsichtig formulieren, um den ehemaligen Rechnungshofpräsidenten nicht irgendwie zu verletzen. Persönlich ist Herr Heigl ein netter Kerl. Von Geheimdiensten, vom Verfassungsschutz, von nachrichtendienstlicher Tätigkeit sowie vom Einsatz von V-Leuten hat er jedoch schlichtweg keine Ahnung.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Herr Piwarz, Herr Heigl ist mehr oder weniger das sozialdemokratische Alibi in einem CDU-dominierten Gremium. Genau deshalb – das zeigt, wie Sie sich darüber aufregen – wollten und wollen wir mit unserem Antrag Transparenz herstellen.

Vielleicht kann der Innenminister das Parlament auch noch darüber aufklären, was es mit den Vorwürfen gegen den ehemaligen baden-württembergischen Verfassungsschutzchef Rannacher auf sich hat. Es wird behauptet, dass unter dessen Leitung ein Mitarbeiter des dortigen Amtes, der den Ku-Klux-Klan über staatliche Überwachungsmaßnahmen informiert hat, aus Gründen des Quellenschutzes nicht strafrechtlich verfolgt wurde. Miro Jennerjahn hat das vor wenigen Tagen in einer Presseerklärung öffentlich gemacht.

Es gab und gibt also in vielen Punkten dringenden Klärungsbedarf. Ich hatte eigentlich gehofft, dass der Innenminister die heutige Debatte dazu nutzt, diese offenen Fragen zu beantworten und vor allem das Parlament endlich darüber in Kenntnis zu setzen, was er als Minister mit dem Landesamt für Verfassungsschutz vorhat.

Man kann natürlich immer wieder neue Kommissionen einsetzen. Herr Minister, irgendwann wird man aber Farbe bekennen müssen. Am Ende entscheidet die Politik über die Zukunft der Geheimdienste in unserem Land. Für meine Fraktion möchte ich abschließend Folgendes sagen: Wir als LINKE glauben nicht mehr an die Reformierbarkeit des Verfassungsschutzes in der bisherigen Form.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Herr Piwarz, und genau deshalb plädieren wir für eine geordnete Abwicklung dieser Institution.

(Christian Piwarz, CDU: Die Krokodilstränen können Sie doch lassen!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion spricht nun Herr Abg. Hartmann.

(Staatsminister Markus Ulbig: Herr Hartmann!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich entschuldige mich dafür, dass ich zwei Minuten gebraucht habe. Ich musste mich erst fassen. Herr Hahn, Sie schaffen es doch noch, mich mit einer gewissen Sprachlosigkeit zu segnen. Ich glaube, dass Sie sich mit diesen Ausführungen gerade selbst diskreditiert haben. Sie waren aus meiner Sicht leicht erschreckend, aber durchaus bezeichnend. Sie würdigen verdiente Persönlichkeiten herab. Ich frage mich besorgt Folgendes: Haben Sie nur halb so viel wie so mancher derer geleistet, die Sie gerade aus meiner Sicht diskreditiert haben?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich finde es gut und richtig, dass wir eine Expertenkommission haben, die durch das Sächsische Staatsministerium des Innern berufen wurde. Es ist eine Expertenkommission, die in der Tat unabhängig an der Klärung der offenen Fragen im Zusammenhang mit der zukünftigen Struktur und möglichen Defiziten im Landesamt für Verfassungsschutz mitwirken soll.

Ich möchte an dieser Stelle eines deutlich machen: Den Mitarbeitern des Landesamtes für Verfassungsschutz gebührt unser Respekt und Dank für ihre Arbeit.

(Lachen bei der NPD – Jürgen Gansel, NPD: Mannomann!)