Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten sind die Vorhersagen so genau eingetroffen wie bei dem Problem der Notarztversorgung in Chemnitz. Die „Freie Presse“ titelte am 10.01.2010 „Kritik an den Kassenärzten wächst“. Die Verantwortlichen des Rettungszweckverbandes Chemnitz/Stollberg kritisierten den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst, der damals auf die Nachtzeiten reduziert wurde, also nur noch ab 19 Uhr bis früh um sieben ansprechbar ist. Bereits damals, 2010, noch mit Bestehen des Bereitschaftsdienstes auch tagsüber, war es schwierig, die Rettungsdiensterfordernisse in Chemnitz abzudecken. Es gab bereits eine Steigerung der Zahl der Einsätze im Rahmen der Zwölf-Stunden-Dienste von sechs auf neun.
Berthold Brehm, zuständiger Bürgermeister in Chemnitz, führte in dem Artikel zu den Gründen aus, die Zahl der niedergelassenen Ärzte gehe zurück, Praxen würden
ersatzlos geschlossen – das kann ich für Chemnitz in bestimmten Bereichen nur bestätigen –, und das Durchschnittsalter sowohl der Bevölkerung insgesamt als auch der Ärzte wachse; von Letzteren wollten einige es sich nicht mehr antun, die große – auch körperliche – Belastung auf sich zu nehmen, als Notarzt zu fahren.
Bereits damals ist also die Problematik absehbar gewesen. Zu einer Zuspitzung kam es Weihnachten 2012, als von 18 Notarztdiensten fünf nicht abgesichert werden konnten. Das betraf die Weihnachtsabende des 24. und 25. Dezember; das war sehr kritisch.
Dass die Übernahme der Notdienste nicht unbedingt am Geld hängt, wurde hier schon angesprochen. Es ist vorgerechnet worden, dass man für einen 24-Stunden-Dienst eine Pauschale zwischen 800 und 1 200 Euro bekommen kann. Das Geld ist wohl nicht das Problem.
Allerdings muss man hinzufügen: Im Jahr 2012 wurde – Herr Bartl, Sie haben es gesagt – das System noch einmal verschoben, und zwar zuungunsten der einsatzstarken großen Städte.
Auch auf die hohe Arbeitsdichte im Krankenhaus ist schon hingewiesen worden. Herr Krauß, Sie können sich hier vorn hinstellen und sagen, Sie erwarteten ein größeres Engagement der Ärzte in Chemnitz.
Ich bin froh, dass die 36-Stunden-Dienste der Ärzte vorbei sind. Meine Schwester hat solche Dienste in Frankenberg geschoben und ist als Notärztin gefahren. Sie musste aber zum Teil bestimmte Sachen nehmen, damit sie überhaupt noch ihre Augen aufhalten konnte. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei, weil die EU mit ihrer Arbeitszeitrichtlinie das verboten hat.
Ich möchte nicht von einem Chirurgen operiert werden, der einen 24-Stunden-Dienst hinter sich hat. Wenn die Situation in den Krankenhäusern aber so prekär ist – Sie müssten sehr genau wissen, wie es in den kleinen Krankenhäusern im Erzgebirge aussieht; es sind einfach nicht genug Ärzte da –, dann können die Ärzte nicht noch zusätzlich als Notarzt fahren.
(Alexander Krauß, CDU: Im Erzgebirge haben wir kein Problem mit dem Rettungsdienst! Der funktioniert!)
Wir haben – für Chemnitz jedenfalls – einen neuen Lösungsvorschlag auf dem Tisch: Die ARGE will 1 Million Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Damit sollen im Chemnitzer Klinikum bis zu zehn Ärzte für den Notdienst eingestellt werden. Das ist ein weiteres Beispiel für die zunehmende politische Hilflosigkeit gegenüber diesem hochkomplexen Gesundheitssystem. Ich glaube, kaum einer durchsteigt noch die Wirkzusammenhänge.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Dienstverpflichtung von Ärzten in den Kliniken zum Notdienst Folgen hat, die
wir noch gar nicht absehen. Ich habe das Gefühl, dass manche meinen, man könne im Gesundheitsbereich an einer Schraube drehen und damit das Problem lösen. Wenn man an einer Schraube dreht, drehen sich jedoch drei Schrauben mit, was aber kaum jemand vermutet hat; die zusätzlichen Probleme müssen wir dann aber wieder lösen.
Verpflichten wir die Klinikärzte zum Notdienst, könnte es dazu kommen, dass sich die Patientenliegezeiten in den Kliniken verlängern, weil der diensthabende Arzt gerade zum Notdienst ausrücken muss.
Wenn wir bei den Klinikärzten die Freiwilligkeit abschaffen, könnte ich mir vorstellen, dass ein immer größer werdender Prozentsatz der niedergelassenen Ärzte fragt: „Warum sollen wir es dann noch freiwillig machen?“
Stellen wir zusätzliche Mittel ein, um im Klinikbereich den Notarztdienst abzusichern, werden die niedergelassenen Ärzte bzw. die KV möglicherweise sagen: „Wenn die mehr Mittel bekommen, um das abzusichern, müssen wir auch im ambulanten Bereich entsprechend mehr bekommen.“
Wenn wir für die Klinikärzte eine höhere Arbeitsbelastung „produzieren“, indem wir verpflichtende Notdienste einführen, dann sinkt die Attraktivität dieses Berufsfeldes in den Kliniken noch mehr und noch weniger junge Ärzte werden in den Kliniken Dienst schieben oder sich im ländlichen Bereich niederlassen wollen.
Ich glaube, wir hatten noch nie so viele Ärzte und noch nie so viel Geld im System. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich das System etwas verselbstständigt hat. Wir müssen eine grundsätzliche gesetzliche Regelung treffen, um einen Ausweg zu finden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, dieses Thema ist wichtig; es wird noch wichtiger werden.
Kollege Bartl, es ist bei Weitem kein Chemnitzer Problem, was ich im Verlauf meiner Rede an Zahlen meines Heimatlandkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
Dennoch haben wir im innereuropäischen Vergleich immer noch ein recht gut funktionierendes System der Notfallversorgung – noch, wie ich betonen möchte. Es gibt eine duale Versorgung, die von Notärzten und kassenärztlichem Notdienst sichergestellt wird, auch außer
halb der Sprechzeiten. Nachts ist der Einsatz der Rettungshubschrauber nicht möglich. Aber es besteht natürlich immer noch die Möglichkeit, die Notfallambulanzen der Regelversorgungskrankenhäuser aufzusuchen.
Ich möchte einen Debattenversuch aus der Sicht eines Praktikers machen. Am kassenärztlichen Notdienst nehme ich selbst teil. Ich denke, man kann Notarztdienst und kassenärztlichen Notfalldienst nur gemeinsam betrachten.
Bereits in meinem allerersten KV-Dienst am 14.02.2010 „erwischte“ es mich: Gegen 22 Uhr wurde ich zu einem Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt gerufen. Ich war Ersatznotarzt; denn beide Notärzte, die in der Region verfügbar sind, waren damals durch einen Kleinflugzeugabsturz im Bereich der Zirnsteine gebunden. So war man plötzlich in der Situation, einen Notdienst mit übernehmen zu müssen. Das ist für den KV-Dienst, der immer häufiger herangezogen wird, nicht so einfach. Wir fahren nämlich mit dem eigenen Auto, das dann also dort steht, wo der Patient sich gerade befindet. Der RTW nimmt uns mit ins Krankenhaus. Wenn es ganz dumm kommt, muss er sofort zu einem neuen Einsatz, und man steht erst einmal da und versucht, sich zu seinem Auto zurückzukämpfen. Solche Einsätze kommen zunehmend häufiger vor.
Da wir im Moment auch über eine Dienstgruppenveränderung im KV-Dienst sprechen, habe ich mit der Dienstgruppe Neustadt und der Dienstgruppe Bad Schandau Gespräche geführt. Es gibt kaum einen niedergelassenen Kollegen, der nicht schon ersatzweise im Notarzteinsatz gewesen ist. Das ist auch logisch, was sich zeigt, wenn ich Ihnen die von Frau Staatsministerin Clauß bereitgestellten Zahlen von November 2012 für unseren Landkreis nenne: Lediglich im Notarztbereich Freital gab es keine Fehlzeiten. Der Notarztbereich Pirna hatte 2011 29 Diensteinheiten nicht besetzt, Heidenau 26, NeustadtSebnitz neun. Was wahrscheinlich das Kraut fett gemacht hat: Der Notarztbereich Dippoldiswalde hatte sage und schreibe 142 Fehldienstzeiten! Das ist durchaus problematisch. Der Notarzt aus Pirna ist dann auch durch Dippoldiswalde gebunden. Im Endeffekt greift man versuchsweise gern einmal in den KV-Dienst hinein.
Aber das lässt sich so einfach gar nicht machen; denn im KV-Dienst sind nicht bloß Internisten oder Allgemeinmediziner tätig. Auch HNO- und Augenärzte fahren mit. Einen kinderärztlichen Dienst haben wir auch nicht mehr; die sind ebenfalls integriert. Zukünftig werden wir in meinem Dienstbereich eine Radiologin haben, deren Schwerpunkt eigentlich im Bereich bildgebender Verfahren liegt.
Ferner erhöht sich der Altersdurchschnitt immer mehr; nicht wenige Kollegen sind jenseits der 60 Jahre. In meinem KV-Bereich ist einer dabei, der 74 Jahre alt ist. Dessen akutmedizinische Zeit liegt 40 Jahre zurück. Zu sagen: „Sie sind jetzt im Notarzteinsatz“, sehe ich schon als sehr schwierig an.
Die Notärzte sind oft nicht Fachärzte, sondern Assistenzärzte in Weiterbildung zum Facharzt; aber sie sind eben
täglich in der Notfallversorgung tätig und daher auch am meisten firm auf diesem Gebiet. Der ländliche Raum hat aber das Problem, dass selbst die Regelversorgungskrankenhäuser zunehmend unter Ärztemangel leiden. Das ist aber Ergebnis Ihrer falschen Leuchtturmpolitik und Ihrer nicht stattgehabten Bevölkerungspolitik. Die Folgen baden wir jetzt auch im Gesundheitswesen aus.
Das Gros der Notärzte stellen die Krankenhäuser. Meines Wissens sind Rehakliniken bisher weitgehend nicht in den Notarztbereich integriert. Die KV-Dienstgruppen – mit zunehmendem Durchschnittsalter und abnehmender
Ärztezahl – müssen nun zwangsläufig stärker in dieses System integriert werden. Das hat der Antrag der Koalition unter dem Titel „Rettungsdienst und kassenärztlichen Bereitschaftsdienst stärker verknüpfen“ auch zum Inhalt.
Man kann sich hinterher schlau hinstellen und sagen, 46 % der Einsätze seien aus notfallmedizinischer Beurteilung keine Notarzteinsätze, wie es auf Seite 2 der Antwort der Staatsregierung steht. Aber das ist eine Retrospektivbetrachtung. Der Disponent in der Rettungsleitstelle muss das ad hoc entscheiden. Ich möchte nicht derjenige sein, aufgrund dessen Entscheidung ein Patient Schaden genommen hat, weil er den KV-Dienst mit längerer Wartezeit hingeschickt hat anstatt des Notarztes, der dann zwar frei gewesen wäre, aber nicht dahingeschickt wurde.
Ich denke, das ist ein Thema, das uns noch lange beschäftigen wird. Ich denke, ich stehe dazu nicht zum letzten Mal hier am Pult.
Herr Müller sprach für die NPD-Fraktion. Wir sind jetzt am Ende der ersten Rednerrunde angelangt und eröffnen eine zweite. Für die einbringende Fraktion DIE LINKE spricht Herr Pellmann. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben bereits in der bisherigen Debatte erlebt und sind auch dankbar, dass es eine sehr konstruktive Debatte gewesen ist. Ich hoffe, ich kann mich daran beteiligen.
Zunächst möchte ich mich allerdings – und das aus freiem Herzen – dem Dank anschließen, der bereits geäußert wurde, an alle Beschäftigten im Rettungsdienst;
denn hier geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren, wirklich im Leben um einen ganz sensiblen Bereich. Genau deshalb haben wir das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt, nämlich, weil wir dazu beitra
gen wollen, dass bestimmte Defizite, die es durchaus gibt, angesprochen und möglichst beseitigt werden. Ich erwarte also – das natürlich in erster Linie, da es eine Frage der Verantwortungsverteilung ist – von der Staatsregierung, dass sie noch in dieser Legislaturperiode eine ausführliche Analyse vorlegt, in der die Schwachstellen des Systems deutlich genannt werden. Ich erwarte dann zugleich auch Schlussfolgerungen.