Protokoll der Sitzung vom 21.01.2010

An Frau Giegengack gerichtet: Vielleicht ist es nicht in Ihrem Wohnumfeld angekommen, aber unsere Forderung nach Zusatzzahlungen und auch nach Bonifallbezug hat sich im Planungsbereich Torgau-Oschatz bewährt; wir verbreiten nun einmal keine heiße Luft, denn das wäre ja klimaschädlich.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Dr. Müller, NPD-Fraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf zwei meiner Vorrednerinnen eingehen. Frau Giegengack, Sie sprachen zu Recht den lokalen Versorgungsbedarf in überversorgten Gebieten an und kritisierten zu Recht die Nichtanwendung des neuen § 34a der Bedarfsplanungsrichtlinie. Allerdings würde selbst bei deren Anwendung das Problem nicht gelöst werden, da es keine Interessenten für diese Bereiche gibt. Die Praxen werden teilweise ausgeschrieben, zum Beispiel bei den Kollegen, die in Altersruhestand gehen, aber es gibt im Normalfall keinerlei Bewerber, obwohl freie Stellen vorhanden wären.

Zu Frau Neukirch: Die Bürgerversicherung, eine Einheitskrankenkasse wäre selbstverständlich auch unsere Vorstellung. Wir haben das wiederholt auch in diesem

Raum schon thematisiert. Das löst aber zum Beispiel nicht das demografische Problem, das uns jetzt ereilt.

Zurück zu den Anträgen: Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode bereits entsprechende Anträge und Anfragen gestellt und wurden teilweise darauf verwiesen, dass es entweder in die Zuständigkeit des Bundes oder der ärztlichen Selbstverwaltung fallen würde. Die Vorgängerin der Gesundheitsministerin Clauß, Frau Orosz, hat immer wieder gesagt, dass es in Sachsen in erster Linie ein Verteilungsproblem sei. Ich denke aber, wir sind schon irgendwo als Legislative dieses Landes in der Pflicht, selbst auch aktiv zu werden. Egal von welcher Fraktion bestimmte Anregungen kamen, die Dinge, die sich innerhalb der letzten Legislatur entwickelt hatten, sind teilweise vernünftig. Wir als NPD-Fraktion begrüßen, dass zunächst die Altersgrenze bei den Niedergelassenen aufgehoben wurde. Sie verschiebt zumindest das Problem erst einmal. Sie löst das Problem nicht, weil irgendwann auch die älteren Kollegen in den Ruhestand gehen wollen. Wir haben aber zumindest mehr Zeit gewonnen.

Negativ ist natürlich – da stimmen wir mit der Fraktion DIE LINKE überein – der Wegfall der Sicherungszulage. Deshalb werden wir auch den Antrag der Linksfraktion unterstützen.

Die Finanzen sind nicht das alleinige Problem. Die Ursachen liegen in der Vergangenheit und insbesondere bei der demografischen Entwicklung. Zum einen geht es um die Alterung der Patienten. Wenn das Durchschnittsalter steigt, steigen auch die Erkrankungshäufigkeit und die Erkrankungsschwere. Das zieht einen erhöhten Behandlungsbedarf nach sich. Zum anderen, wenn man sieht, wie viel Jugend noch in Sachsen ist, außer in den Ballungszentren in Dresden und Leipzig, dann fehlt einfach der Nachwuchs in den Bereichen. Um einen Studienbeginner bis zur Zulassungsfähigkeit zu bringen, sind schon allein durch die Regelstudienzeit sechs Jahre nötig. Da darf kein Freisemester oder Zusatzsemester enthalten sein. Es kommen noch einmal fünf bis sechs Jahre Facharztausbildung hinzu. Wir haben also mindestens eine Entwicklung von elf bis zwölf Jahren, die bei jetziger Umsetzung von Plänen nötig wäre, um mehr Leute in die Lage zu versetzen, in die Niederlassung zu gehen. Die Bekämpfung dieser Probleme ist somit innerhalb einer Legislaturperiode nicht mehr möglich. Deshalb sollte man dennoch aktiv werden.

Um ein paar konkrete Maßnahmen zu zeigen, haben wir als NPD-Fraktion einen relativ umfangreichen Änderungsantrag eingebracht, in dem wir aus NPD-Sicht vordergründig aktuelle Probleme bei der ärztlichen Niederlassung thematisieren. Zum einen ist es so, dass der freie Beruf des niedergelassenen Arztes in vielen Bereichen kein freier Beruf mehr ist. Da kommen wir zum finanziellen Aspekt. Die Deckelung der Arzthonorare führt natürlich dazu, dass in vielen Praxen bereits nach zwei der drei Quartalsmonate das mögliche Budget aufgebraucht ist. Ich frage in diesem Zusammenhang:

Welcher Handwerker würde denn jedes Quartal einen Monat ohne Bezahlung arbeiten?

Noch viel gravierender ist: Wenn man der ärztlichen Ethik folgt und seine Verordnung vornimmt, aber stets an eine entsprechende Deckelung gebunden ist, die dazu führen kann, dass man aus Budgetdeckelungssicht bestimmte Medikamente oder Physiotherapie nicht verordnen sollte, weil das Praxisbudget aufgebraucht ist, ist das für uns kein Weg. Wir sind der Meinung, es müsste eine PositivNegativ-Liste geben. Was positiv gelistet ist, muss der Arzt entsprechend seinem beruflichen Ethos auch verordnen können, ohne dass er eine Regresskeule fürchten muss.

Weiterhin ist es für die niedergelassenen Ärzte im ländlichen Raum so, insbesondere für die älteren Kollegen, dass alle Hausbesuche bei Wind und Wetter, nachts und bei Schnee mit eigenem Pkw gefahren werden müssen. Hier sollte dringend darüber nachgedacht werden, ob ein Hausbesuchsdienst nicht über einen Taxibetrieb organisiert werden kann. Manche Städte machen das von sich aus. Ich denke, das wäre eine Sache, die generell umzusetzen wäre.

Ein weiteres Thema sind die überversorgten Gebiete, ein Problem, dass es dort Flächen gibt, die alles andere als überversorgt sind. Das lösen wir nicht dadurch, dass man allein das „Siegel“ streicht und dort die Niederlassungsmöglichkeit einräumt. Es sind leider die Interessenten nicht mehr vorhanden. Das hängt wiederum mit der demografischen Entwicklung zusammen.

Die sich abzeichnende demografische Katastrophe führt natürlich auch zu einer soziokulturellen Verarmung der ländlichen Räume. Wer lässt sich denn gern in einem Entleerungsraum nieder? Das ist ein Terminus, den Sie – das muss ich einmal sagen – in der Enquete-Kommission der letzten Legislatur geprägt haben; der kommt nicht von uns. Aber man muss das wirklich einmal so ansprechen.

Ich denke, das ist ein anderer Teil unseres Änderungsantrages, der an die Staatsregierung gerichtet ist. Vielleicht sollten Sie die niedergelassenen Kollegen in einer von der Staatsregierung ausgehenden direkten Befragung nach deren Sorgen und Nöten, also insbesondere den Gründen der Niederlassung oder Nichtniederlassung, fragen und das nicht der ärztlichen Selbstverwaltung überlassen.

Ich denke, jetzt habe ich die ganzen Dinge relativ umfassend erläutert. Ich bitte in dem Zusammenhang auch für unseren jetzt von mir gleich mit eingebrachten Änderungsantrag um Zustimmung. Wir werden dem LinkenAntrag zustimmen. Beim Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN würden wir uns gern enthalten. Es sei denn, es wird jetzt punktweise abgestimmt. Dann würden wir dem Punkt 1 zustimmen und uns beim Punkt 2 enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Wird von den Fraktionen noch einmal das Wort gewünscht? – Herr Abg. Pellmann, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Im Unterschied zu der Zeit vor zehn Jahren, als ich auch an diesem Pult stand, kann ich heute erkennen, dass sich über die Fraktionen hinweg alle darüber einig sind, dass es in Sachsen bereits Ärztemangel gibt, der sich sogar verstärken könnte. Das ist eine neue Botschaft.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Ja!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will auch nicht nachtragend sein, aber es wäre uns bereits heute besser geholfen, hätten Sie damals – insbesondere als die CDU noch allein regierte – die Vorschläge, die ich von diesem Pult aus unterbreitet habe, zumindest einmal geprüft.

Ich stimme überhaupt nicht denen zu, die heute gesagt haben, Sachsen hätte sich besonders frühzeitig um diese Sache gekümmert. Das stimmt so nicht. Ich weiß noch, von den damals im Landtag Vertretenen war es lediglich Frau Volkmer, die mit mir übereinstimmte; von der SPD,

(Stefan Brangs, SPD: Ja!)

wer sich nicht mehr erinnern kann.

Hätten wir damals in diesem Hause wenigstens ein Aufeinanderzugehen in wichtigen Sachfragen gehabt, dann könnten wir uns heute vielleicht manches sparen.

Dennoch, meine ich, müssen wir uns die Frage stellen. Ich unterschätze durchaus nicht, dass die Staatsregierung manches auf den Weg gebracht hat, wenn auch verspätet und vereinzelt.

Deshalb sage ich heute hier und mit ziemlicher Deutlichkeit: Wenn wir feststellen, dass bei allem Bemühen die Maßnahmen – durch die Bänke aller Fraktionen hinweg, zumindest der meisten –, die wir versucht haben, nicht zu dem gewünschten Resultat geführt haben, wir keine Trendwende, wie es so schön heißt, geschafft haben, dann müssen wir doch andere und gegebenenfalls auch bislang nicht im Fokus gewesene Debatten führen und zu neuen Überlegungen kommen.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion: So ist es!)

Das ist genau das Problem, vor dem wir stehen. Denn eins ist doch klar: Damals, als ich das erste Mal über das Thema sprach, um das Jahr 2000 herum, hatten wir ein Defizit von etwa 100 Ärzten. Heute streiten sich die Gelehrten. Haben wir 600? Manche gehen auch von 1 000 aus. Dieser Streit ist deshalb so unterschiedlich, weil wir eben nach wie vor die alten Richtlinien haben. Insofern sage ich jetzt schon: Wir stimmen dem Antrag der GRÜNEN zu, weil er genau in dieser Frage den Finger in die Wunde legt.

Es geht nach meinem Dafürhalten zumindest um drei Hauptfragen, die wir beantworten müssen und die wir als Aufforderung an die Staatsregierung zu richten haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob Sie es Runden Tisch oder wie auch immer nennen mögen, wir brauchen eine konzertierte Aktion aller Beteiligten unter Federführung der Staatsregierung, damit wir endlich ein Konzept, ein Gesamtkonzept zur Beseitigung oder zumindest zur Dämpfung des Ärztemangels erreichen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Jede einzelne Maßnahme mag gut und schön sein, aber wir müssen sie zu einem Gesamtkonzept bündeln. Darum bitte ich wirklich herzlich. Natürlich ist die Staatsregierung im Amt. Aber es ist immer hilfreich, wenn an solchen konzertierten Aktionen die demokratische Opposition angemessen beteiligt wird. Sie können unsere Vorschläge verwerfen, gern. Aber Sie sollten sie zunächst prüfen.

Ja, die GRÜNEN haben recht. Ich hatte auch vor, einen solchen Antrag zu stellen. Aber wenn Sie eher da waren, dann gratuliere ich Ihnen. Wir brauchen wirklich eine realistische Bedarfsplanung.

(Beifall des Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE)

Was nützen uns die Ausgangspositionen der Jahre 1990/1991? Ich will nicht nur den demografischen Faktor ins Spiel bringen, sondern auch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur durch massenhafte Abwanderung.

Und – auch das ist hier schon gesagt worden – wenn es um Maßnahmen geht, dann ist eben die Regierung in besonderer Verantwortung. Mir sind doch die gesetzlichen Bestimmungen bekannt. Natürlich kann die Staatsministerin nicht von heute auf morgen die Kassenärztliche Vereinigung davonjagen. Das weiß ich auch. Aber es geht eben nicht nur um die Rechtsaufsicht. Wenn wir feststellen, dass dort die Säge klemmt oder es nicht ausreicht, dann muss im Sinne der Fachaufsicht nachgeholfen werden. Wenn auch das nicht reicht, muss man eine Bundesinitiative ergreifen, bei der unter Umständen auch die Kassenärztliche Vereinigung – wir wissen ja, wie sie historisch entstanden ist – auf den Prüfstand kommt. Darum geht es.

Das Dritte: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute nicht zum ersten Mal einen Antrag gestellt, bei dem wir den Freistaat Sachsen unmittelbar in die finanzielle Mitverantwortung nehmen wollen. Um mit einem Missverständnis aufzuräumen: Unser heute gefordertes Programm soll nicht das 60 000-Euro-Programm ersetzen. Es sollte eigentlich eine Ergänzung dessen sein. Dass heute dargestellt wird, dass das andere Programm faktisch stillschweigend ausgelaufen ist, ist schlimm genug. Ich halte es gelinde gesagt für einen Skandal,

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

dass man ein Programm auslaufen lässt, obwohl es einen Bedarf gegeben hat. Aber ich habe immer gesagt: Allein

die Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung reicht nicht aus.

Noch eine Bemerkung zu dem 200 000-EuroFörderprogramm: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein klassisches Programm zur Förderung der Wirtschaft. Wir haben es geahnt. Vielleicht kann Frau Staatsministerin dann schon einmal die Zahlen nennen. Wir haben eine Anfrage eingereicht, um einmal zu erfahren, inwieweit dieses Programm überhaupt bei den Ärzten angekommen ist. Ich habe sehr große Zweifel. Wahrscheinlich kann ich es an einer Hand abzählen. Also brauchen wir ein zusätzliches Programm. Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen. Eine abschließende Bemerkung dazu: Ja, ich stimme all denen zu, die sagen, das Finanzielle ist nicht das alleinige; völlig klar. Entscheidend ist, was die Ärzte tagtäglich leisten. Davor habe ich große Achtung. Für die Misere kann der einzelne Arzt gar nichts. Das ist eine Misere des Systems.

Ich sage deutlich: Wenn dem so ist, dass wir ein solches Programm brauchen, dann müssen wir es am Ende auch durchsetzen. Da will ich allen sagen, ich bin ja nun kein Vertreter der kapitalistischen Ideologie. Das können Sie von mir wirklich nicht behaupten.

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Das ist doch klar, ja.

Aber wenn man mich hier belehren will, dass das Finanzielle gar nicht das Wichtigste ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, da werde ich ja fast zum Kapitalisten, um Ihnen das zu widerlegen. Es ist doch völlig klar. Sie können hier doch reden, was Sie wollen. Natürlich ist vieles wichtig. Aber wenn das Finanzielle nicht dahintersteht, dann passiert überhaupt nichts.

Was haben mir meine Großväter – die haben den Kapitalismus schon erlebt, bevor wir ihn hatten – gesagt? Die haben mir gesagt: Junge, denke daran, Geld regiert die Welt. – Ich habe es damals nicht geglaubt, aber es ist wirklich so.

(Beifall bei der Linksfraktion)