Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, sofern sie das Wort wünscht.
Meine Damen und Herren, wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abg. Klepsch. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Europa diskutiert über eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. In Deutschland ist die Rede vom Fachkräftemangel. Vor gut einer Woche schmückte sich Wirtschaftsminister Morlok mit dem Auszubildendenwettbewerb „WorldSkills“ in Leipzig und unterstützte diese Azubi-WM sogar mit einer Finanzspritze von 11 Millionen Euro, wie auf der Seite des SMWA zu lesen ist.
Zu den Jugendlichen aber, die nach der Schule nicht den Weg in eine Berufsausbildung finden oder die bereits in der Schule scheitern und ohne Schulabschluss keine Chance auf dem Ausbildungsmarkt haben, hört man vom Wirtschaft- und Verkehrsminister Morlok wenig bis nichts.
Dass die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zu Südeuropa bei uns deutlich niedriger ausfällt, ist auch eine Folge gezielter Arbeitsmarktpolitik und der Jugendberufshilfe. Doch was tut die Sächsische Staatsregierung? Sie lässt verschiedene Köche in der Berufsorientierung und in der Jugendberufshilfe herumrühren. Das Wirtschaftsministerium, das Sozialministerium und das Kultusministerium fühlen sich mehr oder weniger zuständig und sind da auch mehr oder weniger engagiert, das Haus von Frau Clauß noch am meisten. Das will ich durchaus betonen. Doch die Zutaten in diesem Eintopf sind einzig und allein ESFMittel, also EU-Gelder, deren Förderperiode Ende 2013 ausläuft.
Im Jahr 2002, also noch unter der rot-grünen Bundesregierung, hatte man das Problem benachteiligter Jugendli
cher beim Einstieg in den Arbeitsmarkt bereits erkannt. Man hat die Kompetenzagenturen als Modellprojekte entwickelt, die bis zum Jahr 2006 Erfahrungen mit der Berufsberatung und Berufseinstiegsbegleitung benachteiligter Jugendlicher sammelten.
Der Bund nahm Gelder des Europäischen Sozialfonds im Programmbereich „JUGEND STÄRKEN“, um über die Kompetenzagenturen genau die Jugendlichen zu erreichen, die besondere Unterstützung bei der Berufsorientierung und im Finden eines Ausbildungsplatzes brauchen. Das Programm richtet sich also ausdrücklich an Jugendliche, die die Schule bereits verlassen haben – das ist der Unterschied zur normalen Berufsorientierung –, und an Jugendliche, die auch von der Berufsberatung der Arbeitsagenturen nicht erreicht werden, sondern vielmehr eine Einzelfallbegleitung zwischen den verschiedenen Anlaufstellen benötigen. Das ist eine Einzelfallhilfe und begleitung, die in der Regel auch nicht durch die Eltern dieser Jugendlichen zu leisten ist.
Aus den bundesweit 144 Kompetenzagenturen in der ersten Projektphase wurden dann über 200 im Jahr 2011. Seit 2011 existieren dank der Verlängerung dieses Programms bis in dieses Jahr hinein 181 Kompetenzagenturen, 17 davon mit 24 Standorten allein in Sachsen. Im Zeitraum von 2008 bis 2011 haben in Sachsen 7 630 Jugendliche die Begleitung durch die Kompetenzagenturen genutzt. 18 % davon begannen danach eine Ausbildung, 22 % eine arbeitsfördernde Maßnahme und 10 % schlossen einen Arbeitsvertrag. Man sieht, das Projekt ist nicht erfolglos.
Mein ausdrücklicher Dank – das möchte ich an dieser Stelle sagen – gilt insbesondere den pädagogischen Fachkräften in den Kompetenzagenturen und in Schulverweigerung-Projekten.
(Beifall bei den LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD, und Annekathrin Giegengack, GRÜNE)
Die EU-Förderperiode läuft bekanntlich Ende 2013 aus. Die Ausgestaltung der Fördergelder ab 2014 ist in der Diskussion. Auch wenn es eine Folgefinanzierung geben wird, gibt es eine Finanzierungslücke, denn das Anschlussprogramm „JUGEND STÄRKEN plus“ soll laut Bundesjugendministerium zwar in diesen beiden Bausteinen weitergeführt werden, aber man plant die Förderschwerpunkte mit der Finanzierung erst ab 2015 – so die Entscheidung vom 15. März. Die Folge ist eine Finanzierungslücke von mindestens einem Jahr. Die ersten Entlassungen sozialpädagogischer Fachkräfte sind bereits ausgesprochen. Das besagen die Meldungen, die uns als Fraktion erreicht haben. Unter anderem droht im Landkreis Mittelsachsen und in der Stadt Dresden sowie an vielen anderen Stellen die Schließung.
Die sächsischen Kompetenzagenturen haben sich deshalb bereits im November letzten Jahres an die Staatsregierung gewandt. Sie haben Ministerpräsident Tillich einen Brief geschrieben und um Hilfe gebeten. Aber eine Antwort bekamen sie nicht. Erst nach telefonischer Nachfrage ließ sich die Staatskanzlei herab und antwortete im April dieses Jahres. Die Antwort war lapidar. Man verwies darauf, dass die Kompetenzagenturen eine reine Bundesinitiative seien und dass die Förderung benachteiligter junger Menschen beim Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt in der nächsten ESF-Periode fortgesetzt werden soll.
Zu diesem Zeitpunkt, nämlich einen Monat vorher, hatte das Bundesjugendministerium aber seine Förderschwerpunkte beschlossen und schon festgelegt, dass die Finanzierung erst ab 2015 läuft. Spätestens da hätte die Staatsregierung reagieren können.
Doch! Weder Herr Tillich – wie so oft nicht im Saal – noch die Minister haben an irgendeiner Stelle auf Bundesebene verhandelt. Wenn sie es gemacht haben, muss man fragen, was dabei herausgekommen ist. Oder haben sie sich wenigstens auf Landesebene Gedanken gemacht, wie die Kompetenzagenturen, die den Freistaat in der Jugendberufshilfe auch finanziell entlasten, erhalten werden können? Denn die Kommunen, die bisher schon in der Kofinanzierung sind, können ihre Finanzierung nicht ausweiten, oder sie müssen es auf Kosten anderer Bereiche der Jugendsozialarbeit tun. Die Jobcenter, die sich gern an der Finanzierung beteiligen würden, dürfen es nicht, weil das durch die Förderrichtlinie des Bundes ganz klar ausgeschlossen ist.
Noch ein Satz zu den Kommunen. Der Verweis in der Antwort der Staatsregierung auf die Kommunen ist aus meiner Sicht mehr als zynisch. Ja, nach SGB VIII ist die Bereithaltung von Angeboten der Jugendberufshilfe Sache der Kommunen, aber § 82 im SGB VIII sagt auch, dass die Länder – ich zitiere – „die Tätigkeit der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe und die Weiterentwicklung anzuregen und zu fördern haben“. Und: „Die Länder haben auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken und die Ju
gendämter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen.“ Die logische Folge daraus wäre, dass man dem auch finanziell Folge leistet.
Dass CDU und FDP die Jugendpauschale für die Kommunen vor nunmehr vier Jahren um fast ein Drittel abgesenkt und damit den jugendpolitischen Handlungsspielraum der Landkreise und kreisfreien Städte deutlich eingeschränkt haben, kann nicht unerwähnt bleiben. Man muss es immer wieder sagen.
Der Verweis der Staatskanzlei auf die Förderrichtlinie in der Absage an die Kompetenzagenturen ist darüber hinaus eine Halbwahrheit; denn in der oben erwähnten Förderrichtlinie steht auch – ich zitiere –, dass „im Sinne der angestrebten Nachhaltigkeit die Kofinanzierung in erster Linie aus kommunalen Mitteln und gegebenenfalls einer damit verbundenen Landesförderung erfolgen soll“. Das heißt, das Land ist sehr wohl in der Situation, die Finanzierung übergangsweise zu übernehmen.
Ich will das noch einmal betonen: Es geht uns als LINKE nicht darum, dass der Freistaat dauerhaft die Finanzierung der Kompetenzagenturen übernimmt. Es handelt sich ganz klar um ein Programm des Bundes. Doch es ist unverantwortlich, wenn die Staatsregierung auf die Kommunen verweist und sich bequem zurücklehnt; denn die gesellschaftlichen Folgekosten für die Betreuung der Jugendlichen, die nicht in eine Ausbildung vermittelt werden können, werden deutlich höher ausfallen als die Zwischenfinanzierung der Kompetenzagenturen für ein Jahr.
Kultus- und Sozialministerin haben es immer wieder betont, wenn wir über Schulsozialarbeit oder Fachkräftemängel gesprochen haben: Wir brauchen jeden Jugendlichen.
Die Kompetenzagenturen leisten gute Arbeit darin, jeden Jugendlichen zu erreichen und den Weg in die Berufsausbildung zu ebnen. Doch die Kompetenzagenturen können nur gut sein, wenn das Betreuungsverhältnis stimmt. Es ist ein Unterschied, ob man 1 : 15 oder 1 : 40 oder möglicherweise 1 : 130 Jugendliche betreuen muss. Das ist die Perspektive, wenn das mit der Finanzierung nicht geklärt wird. Die Arbeit der Fachkräfte muss also gesichert und darf nicht nach einer mehrmonatigen Pause oder gar einer Schließung der Projekte aufgebaut werden.
Ich komme zum Schluss: Da es offenbar keine Bereitschaft der Sächsischen Staatsregierung gab, im Interesse der Kompetenzagenturen und der Schulverweigererprojekte aktiv zu werden, hatte sich die Diakonie Sachsen vor wenigen Tagen an die Fraktionen von CDU und FDP gewandt. Es hieß – so entnahm ich es den Medien –, dass der CDU-Arbeitskreis für Soziales die Vorschläge prüfen wolle.
Werte Kollegen von der CDU, der Ball liegt bei Ihnen, der Staatsregierung bei der Übergangsfinanzierung für die 17 Kompetenzagenturen in Sachsen auf die Sprünge zu helfen und die Projekte „Die 2. Chance“ abzusichern. Ich
Vielen Dank, Frau Klepsch. – Für die CDU-Fraktion spricht mein Namensvetter Herr Abg. Oliver Wehner. Sie haben das Wort, Herr Wehner.
Herr Präsident! Allein schon die nette Begrüßung ist Aufforderung genug, nach vorn zu kommen. Jedoch will ich auch zum Antrag sprechen. Frau Klepsch hat gesagt, dass sie unsere Antwort mit Spannung erwartet. Ich will natürlich ein klein wenig mehr auf die Sachlichkeit abstellen. Ich unterbreite Ihnen auch einen Lösungsvorschlag.
Wir sind uns sicherlich erst einmal grundsätzlich darüber einig, dass die Kompetenzagenturen eine sehr gute Arbeit machen. Wir kennen die Kompetenzagenturen aus den Landkreisen. Wir haben den Nachweis, dass sie gute Arbeit leisten, zum Beispiel vom Landratsamt, vom Jobcenter und aus persönlichen Gesprächen vor Ort. Ich kann also sagen, dass mit dem CJD bei uns vor Ort, das Christliche Jugenddorf, mit Herrn Zimmermann immer ein sehr gutes Zusammenarbeiten ist. Wir schätzen die Arbeit, sind vor Ort – die Kollegen sind auch hier – und wir haben miteinander Gespräche geführt.
Falls es Zwischenfragen gibt, lasse ich sie gern zu. – Wir haben mit den Verantwortungsträgern gesprochen. Wir haben über die Finanzierung gesprochen – erst zuletzt im Arbeitskreis. Natürlich ist es auch eine strategische Frage. Ob man dann als Freistaat Sachsen sofort schreit „Ja, wir machen das!“ – wir haben das auch bei den Mehrgenerationenhäusern –, wenn der Bund eine Finanzierung oder ein Projekt anschiebt und dann aus der Verantwortung geht, ist die Frage.
Das ist zumindest nicht unser Ansatz, denn wir sagen: Wir können den Kuchen nur einmal verteilen. Deshalb halten wir uns daran und schauen erst einmal, ob man das auch anders finanzieren kann. Genau das ist der Punkt.
Genau. – Es besteht nämlich die Möglichkeit, dieses Angebot – Sie haben es angesprochen – über die SGB-IIFörderung, nämlich über die Jobcenter, zu finanzieren.
Sie sagen, es geht nicht. Sie haben auch recht. Denn es geht nicht, wenn es eine Teilfinanzierung ist. Es geht aber dann, wenn es eine Vollfinanzierung ist, und im nächsten Jahr, 2014, ist der Bund nicht mehr in der Förderperiode.
Ich sage Ihnen das deshalb, weil ich mich gestern mit dem Landratsamt extra dazu abgestimmt habe und von dem Sozialbeigeordneten diese Information noch einmal ausdrücklich bekommen habe. Von daher können wir die Sache endlich einer Lösung zuführen. Sie sagen: Es ist bereits ein Jahr vergangen. – Heute kommen Sie mit Ihrem Antrag. Nun kann man sagen, dass das vielleicht ein Jahr zu spät ist, denn die Entscheidungsträger bzw. die Betroffenen in den Gremien haben über Monate hinweg miteinander gesprochen.
Letzten Endes ist hier eine Lösung absehbar. Deswegen finde ich es ganz richtig, dass der Freistaat Sachsen eben nicht sagt „Ja, wir zahlen das alles!“, sondern dass man mit den Jobcentern diesbezüglich zusammenarbeitet. Deswegen werde ich meiner Fraktion empfehlen, den Antrag abzulehnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Datum vom 06.07. erhielten wir alle den „Pressespiegel“ des Landtags. Da war justament – die Pressestelle hatte sich dabei sicherlich nichts gedacht – auf einer Seite getitelt „Ministerin Kurth sucht Schüler für den Jugendknast“, und der andere Artikel lautete „Projekte für Schulverweigerer gefährdet“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass beides auf einer Seite stand.
Die Problematik ist von Annekatrin Klepsch sehr deutlich dargestellt worden. Es geht um Jugendliche in den beiden Programmen „Kompetenzagentur“ und „Die 2. Chance“, die dringend unsere Unterstützung benötigen, zum einen bei „Die 2. Chance“ – vor allem dann, wenn sie Schulverweigerer sind, also während der Schulzeit, darüber ist jetzt noch wenig gesagt worden –, zum anderen dann, wenn sie mit einem schlechten Abschluss keine Chance haben, in eine Berufseinbildung direkt zu kommen – Stichwort „Kompetenzagenturen“.
Wir wissen, dass der überwiegende Teil dieser Jugendlichen – aktuell sind es etwa 14 500 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren, die im Freistaat Sachsen arbeitslos sind – keine Ausbildung, keine berufliche Ausbildung, keinen Schulabschluss haben und damit in der Arbeitslosigkeit landen. Ich will nicht sagen, dass die dann alle im Jugendknast landen. Das will ich damit nicht zum Ausdruck bringen. Aber ich sage: Die Gefahr, dass solche Jugendlichen von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, ist groß.
Von daher unterstütze ich das, was von den LINKEN hier vorgelegt wurde: dass wir dringend eine Überlegung hier im Freistaat brauchen, was wir mit sozial benachteiligten Jugendlichen, und zwar im Sinne einer – ich verwende den Begriff jetzt einmal anders – Bildungskette, einer Unterstützungskette tatsächlich machen.
Zurzeit haben wir ein Nebeneinander von Maßnahmen. Ich greife einmal „Die 2. Chance“ heraus: Ich hatte bei unserer Debatte im Juni 2011 – da hatten wir den ersten Antrag eingebracht, Herr Wehner, das ist also nicht erst im vergangenen Jahr gewesen, schon vor zwei Jahren haben wir auf das Auslaufen dieser Programm aufmerksam gemacht – ein Beispiel von einem Schüler in der 5. Klasse, 13 Jahre – also schon mehrfach sitzengeblieben – hingewiesen, der über das Projekt „Die 2. Chance“ tatsächlich eine zweite Chance erhalten und hoffentlich mittlerweile – ich weiß es nicht – seinen Schulabschluss gemacht hat.
Wir brauchen eine Bildungskette, die Kinder und Jugendliche an die Hand nimmt, wenn sie drohen an der Schule zu scheitern. Das muss auch Hand in Hand in die Berufsausbildung hineingehen, wenn sie an der Schule gescheitert sind. Es war der Versuch mit der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ der Bundesregierung, das zumindest anzustoßen.