Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

Wir brauchen eine Bildungskette, die Kinder und Jugendliche an die Hand nimmt, wenn sie drohen an der Schule zu scheitern. Das muss auch Hand in Hand in die Berufsausbildung hineingehen, wenn sie an der Schule gescheitert sind. Es war der Versuch mit der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ der Bundesregierung, das zumindest anzustoßen.

Nun ist mir klar, dass der Freistaat nicht alles übernehmen können wird, aber – jetzt wiederhole ich, was ich im Juni 2011 gesagt habe –: „Es sind die Kinder und Jugendlichen des Freistaates und nicht die der Bundesregierung, es sind unsere Jugendlichen. Die wollen hier anschließend einen Job haben, die wollen hier Steuern einzahlen, die wollen hier ihre Lebensexistenz aufbauen. Von daher müssen wir uns Gedanken machen, wenn der Bund dann nicht mehr bereit oder in der Lage – wie auch immer – ist, solche Programme zu finanzieren, was wir dafür tun können.“

Ich will es kurzmachen: Wir haben im Juni 2011 ausführlich – ich nenne die Drucksache noch einmal – mit der Drucksache 5/5781 ein Landesförderprogramm für

benachteiligte Jugendliche eingefordert. Damals war die erste Phase der Bundesprogramme gerade ausgelaufen, die zweite Phase gekürzt weitergelaufen, und es war schon absehbar, dass wir nach 2013 eine Lücke haben werden.

Deshalb unterbreite ich noch einen Vorschlag – Sie haben bereits die Jobcenter in die Pflicht genommen, was die Kompetenzagentur anbelangt –: In der vergangenen Woche wurde verkündet, dass jetzt Praxisberater in die Schulen, in die sogenannten Oberschulen kommen sollen. Dafür stellt der Freistaat 1 Million Euro zur Verfügung. Nehmen Sie doch schlicht und ergreifend diese 1 Million Euro und setzen Sie das Programm „Die 2. Chance“ fort.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN)

Damit helfen Sie den Jugendlichen mit Sicherheit wesentlich mehr als mit dem x-ten Praxisbegleiter, der die Berufsorientierung auf den Weg bringen soll. Das ist Geld, das im Haushalt eingestellt ist. Es muss also nicht zusätzlich in die Hand genommen werden. Die Schulen werden entlastet, sodass sie keine 27 Seiten für einen Förderantrag ausfüllen müssen, um einen Praxisberater zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Wir unterstützen ausdrücklich diesen Antrag. Wir bleiben aber auch bei unserer weitergehenden Forderung, dass wir ein Landesförderprogramm für Sachsen benötigen, um benachteiligten Jugendlichen eine erfolgreiche Bildungskarriere zu ermöglichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Nun folgt die FDPFraktion mit Herrn Abg. Bläsner. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über zwei Projekte. Es geht einerseits um das Programm „Die Schulverweigerung – die 2. Chance“ als Teil der Initiative „JUGEND STÄRKEN“. Sie zielt darauf ab, Schulverweigerer wieder in die Regelschulen einzugliedern. Anderseits sprechen wir über das Programm „Kompetenzagenturen“. Sie setzen dann an, wenn trotz eines fehlenden Berufsabschlusses beispielsweise der Weg in das Berufsleben geebnet werden soll.

Schulverweigerung ist ein Prozess, der aufgrund unterschiedlicher Ursachen entsteht. Es beginnt mit Schulmüdigkeit und setzt sich mit Zuspätkommen oder hartnäckigem Fernbleiben fort. Die Gründe dafür sind verschieden. Sie können am Elternhaus, bei den Schülern selbst, vielleicht auch in der Schule oder am Mobbing liegen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder dieser Jugendlichen, ob nun selbst oder nicht selbst verschuldet, eine zweite Chance verdient hat. Ich glaube, dass es uns eint, dass wir diesen Jugendlichen diese Chance geben wollen und entsprechende Projekte benötigen.

In diesem Zusammenhang möchte ich den Mitarbeitern dieser Projekte danken. Ich selbst konnte letztes Jahr im Rahmen des Perspektivwechsels an der CJD Heidenau einen Einblick gewinnen, die Arbeit der Pädagogen wertschätzen lernen und sehen, was Jugendliche vor Ort machen. Das ist ein wichtiges und gutes Programm. Es ist aller Ehren wert, was dort vor Ort getan wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen steht bundesweit in den Bildungsvergleichen immer weit oben. Es gibt natürlich das Problem – man kann es nicht wegdiskutieren –, dass es zu viele Schüler ohne Abschluss gibt. Fast jeder zehnte Schüler geht ohne Abschluss aus der Schule. Es sollte das Ziel sein, mittelfristig die Anzahl der Schulabgänger ohne Anschluss zu halbieren. Dafür benötigen wir die entsprechenden Projekte.

Neben den bundesfinanzierten Programmen, die heute auf der Tagesordnung stehen, unterstützen wir als Land eigene Projekte, die sich diesem Thema widmen. Mit ESF-Mitteln unterstützen wir beispielsweise das Projekt „Kompetenzentwicklung für Schüler“. Bei diesem Projekt geht es darum, die Lernmotivation von Schülern zu fördern, die sich von der Schule distanziert haben. Wir fördern das Projekt der Jugendberufshilfe, das den Über

gang in die Ausbildung, vor allen Dingen bei benachteiligten jungen Menschen, unterstützt. Natürlich geben wir auch viel Geld für die entsprechende Förderrichtlinie Jugendpauschale aus. Damit können Projekte im Bereich der Schulsozialarbeit und -verweigerung finanziert werden.

Die vom Bund angeschlossenen ESF-Projekte – das sagte mein Kollege Oliver Wehner bereits – sind auf sechs Jahre angelegt. Inwiefern sich diese deutschlandweit bewährt haben, wird derzeit auf Bundesebene evaluiert. Die Forderung, die entstehende Lücke mit Landesmitteln zu füllen, greift zu kurz. Es ist ein mühsamer Weg, diese Projekte fortzusetzen. Es bedarf einiger Gespräche auf Bundesebene. Wie mein Kollege Oliver Wehner bereits angeführt hat, lohnt es sich, diesen Weg zu gehen. Landesmittel für ehemalige Bundesprojekte ein- und damit dieses Signal zu setzen, wäre der falsche Weg. Wir sollten alles dafür tun, die Arbeit, die vor Ort stattfindet, fortsetzen zu können, damit die Arbeit mit diesen und ehemaligen Schülern ohne Hintergrund weitergeführt werden kann.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren! Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nun Frau Abg. Giegengack. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Morgen wird es hier im Hause um die Nutzung der Erfolge der WorldSkills und um die Verbesserung der Qualität der sächsischen Ausbildung gehen.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder das Ziel angesprochen, gerade eben auch von Herrn Bläsner, dass wir die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss senken wollen. In Sachsen liegt sie derzeit bei 9,3 %. In diesem Zusammenhang geforderte Maßnahmen sind die Steigerung der Qualität der Schulabschlüsse – auch das wird morgen im Landtag Thema sein –, die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit und der Ausbau ausbildungsbegleitender Hilfen sowie die Beratung aus einer Hand für Jugendliche, die drohen, abgehängt zu werden.

In diesem Zusammenhang ist es schon sehr unglücklich, dass die Staatsregierung mehr oder weniger tatenlos zusieht, wie ein erfolgreiches Programm, nämlich das Bundesprogramm „JUGEND STÄRKEN“, nach sechs Jahren ESF-Förderung ausläuft, ohne dass klar ist, wie es nach dem Jahr 2014 weitergehen wird.

Es geht zum einen um das Programm „Die Schulverweigerer – die 2. Chance“, welches sich an Schüler ab dem Alter von zwölf Jahren richtet, deren Hauptschulabschluss durch aktive oder passive Schulverweigerung gefährdet ist. Es geht ebenfalls um das Programm „Kompetenzagenturen“, das bereits angesprochen wurde und das junge und

sozial benachteiligte Menschen und solche mit individuellen Beeinträchtigungen bei den Übergangsproblemen von der Schulzeit in den Beruf unterstützt.

Eine Unterbrechung in der Förderung ist Gift in der sozialen Arbeit. Das haben wir schon mehrmals hier im Haus diskutiert, insbesondere bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bei denen Konstanz und Vertrauensbildung eine sehr zentrale Rolle spielen. Schulverweigerungsprojekte dienen der Reintegration der Kinder und Jugendlichen in die Schule oder Ausbildung, wobei die Lehrer und Eltern hierbei häufig überfordert sind und unterstützt werden müssen, sodass diese Jugendlichen wieder Tritt fassen. Den Lehrkräften fehlt häufig die Zeit, um mit schwierigen Schülern umzugehen. Außerdem verfügen nicht viele Schulen über entsprechende Schulsozialarbeiter, wie wir im letzten Plenum ausführlich diskutiert haben.

Die Schulverweigerungsprojekte sind sinnvoll und richtig. Die Zahlen dazu haben wir bereits gehört. Im Moment befinden sich in Sachsen in diesem Programm

3 500 Jugendliche. Bundesweit kehren über 60 % der durch die 2. Chance betreuten Jugendlichen in die Schulen zurück. Das sind Zahlen, die durchaus für sich sprechen.

Die Staatsregierung kann sich nun darauf zurückziehen, dass sie nicht in die Abstimmung des operationellen Programmes des Bundes involviert ist und es sich bei „JUGEND STÄRKEN“ um ein Bundesprogramm handelt. Es kann darüber gestritten werden, wie sinnvoll es ist, die Staatsregierung für die Fortführung eines Programms in die Pflicht zu nehmen, das nicht das ihre ist. Ich weiß nicht, welcher Vorredner es sagte: Es sind und bleiben sächsische Jugendliche. Wir können uns nicht herausreden, dass wir die Probleme der sächsischen Jugendlichen mit Bundesgeldern lösen, und wenn diese nicht mehr fließen, sie eben Pech gehabt haben. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir müssen unter Umständen eine Anschlussfinanzierung schaffen, bis das neue Programm wieder greift. Deshalb würden wir uns dem Antrag der LINKEN anschließen. Wir halten es für unerlässlich, dass die Gruppe der 12- bis 16-Jährigen nicht von einer Förderung ausgeschlossen wird. Die präventive Arbeit muss so früh wie möglich beginnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Nun folgt die NPDFraktion. Herr Abg. Löffler, bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Kompetenzagenturen und Schulverweigerungsprojekten handelt es sich nach meiner Überzeugung zuallererst um Reparaturbetriebe. So traurig es ist:

Gesellschaftliche Fehlentwicklungen wirken sich in den Familien und auch im Schulbetrieb derart aus, dass eine wachsende Zahl junger Menschen den Anforderungen nicht gerecht wird. Deshalb wird sich die NPD-Fraktion dem Anliegen nicht verschließen, aber auch weiter die Ursachen dieser Fehlentwicklungen benennen, sie kritisieren und Veränderungen fordern.

Der Verlauf der Debatte hat es gezeigt: Es war von Beginn an bekannt, dass diese Projekte von Fördermitteln abhängen, die Ende 2013 auslaufen. In der Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Horst Wehner vom Dezember 2012 gab Frau Ministerin Clauß deshalb an, dass die genannte Initiative nicht wie gehabt weiter gefördert werde, sondern es sollen die Einzelprogramme in einem neuen Gesamtprogramm fortgeführt und weiterentwickelt werden.

Ferner verwies sie auf die Tatsache, dass konkrete Aussagen, wie es ab dem Jahr 2014 weitergeht, zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich seien, da das operationelle Programm für den Bund gerade erstellt werde und die gesamte Budgetlinie noch nicht geklärt sei. Weiter heißt es: Dieser interne Abstimmungsprozess des Bundes erfolgt ohne die Beteiligung der Länder. Dabei blieb es erst einmal. Monate verstrichen, ohne dass konkrete Zahlen auf den Tisch kamen. Die Verunsicherung der Mitarbeiter in den Kompetenzagenturen und den Schulverweigerungsprojekten kann ich mir lebhaft vorstellen. Gerade diese Pädagogen brauchen ihre Nerven für ihre tägliche Arbeit mit den Jugendlichen.

An dieser Situation ändert auch eine Pressemitteilung von Ministerin Christina Schröder nichts. Am 12. Juni 2013 äußerte sie nur nebulös: „Die Initiative ‚JUGEND STÄRKEN‘ wird auch in der neuen Förderperiode des Europäischen Sozialfonds von 2014 bis 2020 mit neuem Konzept weitergeführt.“

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird sich weiterhin für sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf einsetzen und die Kommunen bei der Initiierung individueller Angebote für diese Zielgruppe unterstützen. Daher ist ein neues Programm für die ESF-Periode 2014 bis 2020 in Planung, das die erfolgreichen Instrumente der bisherigen Programme der Initiative „JUGEND STÄRKEN“ weiterentwickelt und in einen neuen kommunalen Kontext einbettet.“

Mitarbeiter in den Projekten stehen somit vor der Entscheidung, ob sie abwarten wollen, bis sich etwas tut, oder ob sie sich für neue Tätigkeiten – zum Schuljahresbeginn etwa – neu bewerben sollten. Bei den Trägern der Projekte entstand verständlicherweise Alarmstimmung, wie es in der Erklärung der Diakonie von Ende Juni zum Ausdruck kam.

Um die Finanzierungslücke zu schließen, hofft die Diakonie auf das Land Sachsen. Der Vorschlag, der Freistaat könnte die Jugendprojekte mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds unterstützen, die in Sachsen nicht abgerufen wurden: Das Land Sachsen sieht diese Finan

zierungsmöglichkeiten nicht und verweist auf den Bund. Der Sprecher des Sächsischen Sozialministeriums, Ralph Schreiber, sagte: Der Zeitraum muss entweder vom Bund zwischenfinanziert werden oder der Bund muss sein neues Programm so auflegen, dass es ab 2014 gilt.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß schlägt in die gleiche Kerbe: „Die Programme, die der Bund begonnen hat, möge er, bitte schön, auch fortsetzen.“ Dennoch habe man sich mit den Projektträgern verständigt, nach Lösungen zu suchen. Krauß weiter: „Die Kompetenzagenturen machen eine sehr gute Arbeit, die sehr wichtig ist. Wenn man benachteiligten Jugendlichen jetzt nicht hilft, sind das welche, um die wir uns 60 Jahre und länger kümmern müssen.“

Die Projekte müssen also ohne Unterbrechung fortgeführt werden. Die NPD-Fraktion wird deshalb diesen Antrag unterstützen. In der „Badischen Zeitung“ von gestern war in einem Artikel zu lesen, dass der Staatssekretär Lutz Stroppe vom Bundesfamilienministerium in Lahr zu Gast bei einer Schulklasse war. In einem Absatz heißt es: „Zum Schluss hatte Stroppe noch eine gute Nachricht für den Jugendmigrationsdienst mitgebracht. Das Programm ‚JUGEND STÄRKEN‘ soll nahtlos im kommenden Jahr in das Programm ‚JUGEND STÄRKEN plus‘ übergeführt werden. Es fehle einzig noch die Mittelfreigabe durch die Europäische Union.“

Ja, was denn nun? Läuft die Förderung tatsächlich ab 2014 nahtlos weiter und betrifft das insbesondere auch die wichtigen Schulverweigerer-Projekte? – Solange das nicht abschließend geklärt ist, ist dieser Antrag von uns Nationaldemokraten zu unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es für eine zweite Runde Redebedarf? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage jetzt die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Frau Staatsministerin Clauß, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir sind uns einig, wir brauchen jede und jeden, jetzt und auch in Zukunft. Deshalb unterstützen wir in Sachsen besonders die von Arbeitslosigkeit und Benachteiligung betroffenen Jugendlichen, zum Beispiel auch innerhalb der nächsten ESF-Förderperiode ab 2014.