Was hat das alles mit der Braunkohle zu tun? Nun, ganz konkret: Der Klimawandel bedroht die Welternährung, die Wasserversorgung und den Weltfrieden und, wie vielleicht der eine oder andere schon bemerkt hat, auch die Sicherheit vor Naturkatastrophen, gerade auch in Sachsen. Wenn der Klimawandel also die elementaren Voraussetzungen der Freiheit bedroht, dann ist der Klimaschutz ein Mittel zum Schutz des Menschenrechtes auf Freiheit. Das international vereinbarte Klimaschutzziel, die Erwärmung der Erdatmosphäre bis 2100 auf 2 Grad zu begrenzen, dient diesem Schutz elementarer Menschenrechte.
Klimaziele ernst zu nehmen heißt anzuerkennen, dass wir in Europa, in Deutschland und damit in Sachsen unsere Emission bis zur Jahrhundertmitte um 90 % reduzieren müssen. Das wiederum erfordert bis 2050 eine vollständige Energieversorgung ohne Kohlendioxidausstoß. Mit anderen Maßnahmen ist die notwendige Verminderung nicht zu erreichen. Bestimmte industrielle Prozesse können in absehbarer Zeit kaum ohne Ausstoß von CO2 gefahren werden. In der Landwirtschaft wird es ebenfalls weiterhin Emissionen geben; denn Fleisch essen wollen viele von uns ja weiterhin.
Der Atomausstieg darf eben deshalb nicht zur Renaissance der Braunkohle führen, wie Sie von CDU und FDP es gern wollen. Mit jeder verbrannten Tonne Braunkohle wird mehr als eine Tonne CO2 in die Atmosphäre abgegeben. Da Braunkohlekraftwerke in der Regel nicht im Kraft-Wärme-Kopplungsbetrieb gefahren werden, sind auch die modernsten Braunkohlenkraftwerke der Welt, wie Sie immer so schön betonen, nichts anderes als Wolkenmaschinen, die die eingesetzte Energie zu mehr als 54 % vergeuden. Eine klimaverträgliche und generationengerechte Energieversorgung ist also nur ohne Braunkohleverstromung möglich. Dies zeigen einfachste arithmetische Überlegungen.
Herr Lichdi, vielen Dank. – Sie hatten eben von einer Renaissance der Braunkohle gesprochen. Meinen Sie, dass der CO2-Ausstoß und die Verschmutzung, die es zu DDR-Zeiten gab, jetzt wiederkommen, oder ist Ihnen bewusst, dass in der Zwischenzeit sehr viel für die Umwelttechnik sowie die Umwelterhaltung getan wurde?
Herr Kollege Heidan, ich befürworte nicht die Renaissance der Braunkohle. Das ist das erklärte Ziel der Staatsregierung und der Fraktion, der Sie angehören.
Mir ist durchaus bewusst, dass die CO2-Emissionen in Sachsen seit 1990 von ungefähr 120 Millionen auf derzeit 60 Millionen Tonnen zurückgefahren wurden. Allerdings ist das keine umweltpolitische Glanzleistung Ihrer Regierungsarbeit, sondern die schlichte Anpassung an den Effizienzstandard, der im Westen üblich war und ist. Deshalb können Sie sich nicht darauf berufen, dass Sie hier in Größenordnungen etwas geleistet hätten,
und die Debatte heute Morgen hat gezeigt, dass Sie die Braunkohleverstromung bis über das Jahr 2067 hinaus fortführen; denn wenn Sie nicht dieser Ansicht wären, dann dürften Sie Nochten II nicht genehmigen, was aber der Herr Innenminister mit seiner „menschenrechtlich orientierten“ Politik sicher tun wird.
Meine Damen und Herren! Eine klimaverträgliche und generationengerechte Energieversorgung ist also nur ohne Braunkohleverstromung möglich. Selbst die wenig ambitionierten Ziele der Bundes- und der Landesregierung für 2020 lassen sich nur mit der Abschaltung von Braunkohlekraftwerken erreichen, jedenfalls, wenn Sie an dem Reduzierungskonzept, das Sie noch zu CDU/SPDZeiten verkündet und jetzt bestätigt haben, festhalten. Wenn aber mit einem Ausstieg aus der Braunkohle die wirtschaftliche Freiheit einiger weniger Energiekonzerne eingeschränkt wird, dann geschieht dies gerade zum Schutz vieler Millionen Menschen.
Der zweite Grund ist der Schutz der Heimat. Wer mit dem Hinweis auf den möglichen, aber von der Bevölkerung abgelehnten Einsatz von CCS oder die stoffliche Nutzung neue Tagebaue genehmigen will, der nimmt in Kauf, dass es zur Abbaggerung weiterer Dörfer und großflächiger Naturzerstörung kommt.
Sie müssen sich das einmal vor Augen führen. Der Braunkohlentagebau könnte so von der Lausitz bis kurz vor Frankfurt (Oder) ausgeweitet werden. Eventuelle Endlager für abgeschiedenes CO2 unter bewohntem Gebiet bei Beeskow und Neutrebbin könnten den Frieden in den betroffenen Regionen gefährden, und Sie wissen, wie sich die Menschen dort zu der Perspektive der Verklappung von CO2, von CCS unter Tage stellen.
Durch den Braunkohlentagebau verloren in den vergangenen 80 Jahren mehr als 78 000 Menschen in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier ihre Heimat. 261 Orte verschwanden ganz oder teilweise. Weitere Abbaggerungen von 20 Dörfern mit 4 300 Einwohnern sind geplant. In Sachsen sollen dem Tagebau Nochten die Dörfer Rohne, Mulkwitz, Mühlrose und Klein Trebendorf mit insgesamt 1 300 Einwohnern weichen. Außerdem – das ist leider in der öffentlichen Debatte untergegangen – hat die MIBRAG die Erweiterung ihres Tagebaues Vereinigtes Schleenhain beantragt, wodurch die Existenz des Ortes Kieritzsch mit 300 Einwohnern auf dem Spiel steht. Ich habe auch des Öfteren darauf hingewiesen: Sie haben in Ihrem Landesentwicklungsplan auch darüber hinaus die Vorsorge getroffen, dass noch weitere Dörfer dem Braunkohlenabbau zum Opfer fallen können.
Die langfristigen Folgen der Tagebaue für Natur und Landschaft kann jeder an den Restlöchern – mit den langfristigen Sperrungen, die so nicht geplant waren, wie etwa in der Lausitz und der braunen Spree – selbst besichtigen.
Wiederum bedeutet die Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit zweier Konzerne den Schutz der Heimat vieler Tausender Menschen und insbesondere der sorbischen Kultur, für die Sie sich ja nur in Sonntagsreden engagieren.
Der dritte Grund ist die wirtschaftliche Zukunft der Lausitz und des Leipziger Südraumes. Sie gehören zu den strukturschwächsten Gebieten Deutschlands, und Sie sagen immer: Na ja, da sind wir ja froh, dass wir die Braunkohle haben.
Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der große Strukturwandel in den Braunkohlegebieten hat bereits in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts stattgefunden. 1989 gab es in den beiden Revieren noch 140 000 direkte Arbeitsplätze – 140 000! Davon gingen in den letzten 20 Jahren bereits 93 % verloren, und derzeit arbeiten in der sächsischen Lausitz und im mitteldeutschen Revier weniger als 3 000 Personen in Tagebauen und Kraftwerken, und es werden kontinuierlich weniger; und selbst, wenn Sie die Braunkohle noch bis ins Jahr 2100 fortsetzen, wird die Zahl der Arbeitsplätze ganz bestimmt nicht wachsen. Zehn Landkreise – und davon die Hälfte mit Braunkohlenabbau – liegen beim „Zukunftsindex“ von „Handelsblatt“ und Prognos unter den schlechtesten 10 % der Bundesrepublik, das müssen Sie sich einmal klarmachen.
Für die Lausitz und den Südraum Leipzigs kann der Ausstieg deshalb eine große Chance sein. Der überwiegende Anteil der Beschäftigten in der Kohle wird innerhalb der nächsten 20 Jahre in Rente gehen. In der deutschen Braunkohlewirtschaft sind heute 60 % der Beschäftigten älter als 46 Jahre. Für die übrigen 1 500 Beschäftigten muss eine berufliche Perspektive jenseits der Kohle entwickelt werden. Ein vollständiger Ausstieg aus der Braunkohleverstromung kann schrittweise mit dem Auslaufen der bereits genehmigten Tagebaue erfolgen. Ein Wehklagen über ein plötzliches Wegbrechen von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen ist deshalb völlig fehl am Platz. Es ist genügend Zeit, jetzt den geordneten Ausstieg zu planen und eine Strategie zu erarbeiten, wie unter den sich verändernden Rahmenbedingungen Menschen für frei werdende Stellen in anderen Berufsfeldern qualifiziert und zugleich neue Jobs geschaffen werden könnten. Wenn Sie zum Beispiel die Feldes- und Förderabgabe jetzt nicht einfach bei Vattenfall abgeben würden, sondern sich dafür engagieren würden, wie es auch der Sächsische Rechnungshof tut, dann könnten Sie vielleicht auch die Mittel akquirieren, um tatsächlich für die Region etwas zu bewirken.
(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Staatsminister Sven Morlok: Das stimmt doch gar nicht, Herr Lichdi!)
Für die überwiegende Mehrheit der Menschen und ihre Kinder in den strukturschwachen Gebieten, die keinen gut bezahlten Job bei Vattenfall oder der MIBRAG haben, kann ein entschlossener Ausbruch aus der ökonomischen Monostruktur nur von Vorteil sein. Der über Jahrzehnte verschleppte und heute noch problematische Strukturwandel im Ruhrgebiet sollte uns ein abschreckendes Beispiel sein. So sollten wir es hier nicht machen.
Meine Damen und Herren! Wiederum bedeutet die Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit zweier Konzerne den Schutz der Zukunftschancen vieler Tausender Menschen nachfolgender Generationen. Wir können im Zeitraum 2020 bis 2030 den Braunkohlestrom komplett aus erneuerbaren Energien ersetzen.
Meine Damen und Herren, das ist keine technische und auch keine ökonomische Frage, sondern das ist allein eine Frage des politischen Willens. Dass Ihnen dieser politische Wille fehlt, mussten wir hier oft genug zur Kenntnis nehmen.
Aber wenn wir den Weg des Braunkohleausstiegs gehen würden – ich bin davon überzeugt, Vattenfall wird Sie mit seinem Rückzug aus Deutschland dazu zwingen –, dann schützen wir die Zukunftschancen der betroffenen Region, dann schützen wir die Heimat und wir schützen auch die Freiheitsrechte sehr vieler Menschen.
Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Es gibt Entscheidungen im politischen Leben, da wäre die Chance, sich deren Wirkung für eine ferne Zukunft in einer Glaskugel anschauen zu können, mehr als verlockend. Aber da wir diese Chance nicht haben, müssen wir uns diskursiv auf eine Entwicklungsrichtung verständigen.
Ein solcher Diskurs kann durchaus einiges an Schärfe gewinnen, je größer die Veränderungen scheinen, die eingeleitet werden sollen, und je größer die Besitzstände sind, die es infrage zu stellen gilt. Nichts weniger als das erleben wir gerade.
Die Energiewende ist eine technische Revolution und gerade in dem Moment, in dem die Politik die Größe der Aufgabe begreift, weicht sie erschrocken Schritt für
In der Oberlausitz hat dieser Diskurs nun sein vorläufiges Ende gefunden. Ich berichtete heute bereits anlässlich der Aktuellen Debatte darüber. Jetzt ist die Staatsregierung am Zug, das Innenministerium muss den Plan prüfen und genehmigen. Nach dem Braunkohleplan soll für die Oberlausitz erst einmal alles beim Alten bleiben. Kohle wird in dieser Region seit über 100 Jahren gefördert. Daraus resultierte ohne Zweifel ihr wirtschaftlicher Aufschwung. Dafür wurden Eingriffe in Natur und Landschaft hingenommen, dafür mussten Menschen immer wieder umgesiedelt werden. Das eine war ohne das andere nicht zu haben.
Aber inzwischen hat sich einiges geändert. Vor allem wissen wir heute viel besser Bescheid, welche teuren Nachwehen mit dem angeblich so billigen Braunkohlestrom verbunden sind. Wir wissen um die Zusammenhänge zwischen Energieproduktion, CO2-Ausstoß und Klimawandel. Wir spüren bereits ihre Wirkung am Wetterverlauf. Heute gibt es die Alternativen, die vor 25 Jahren fehlten. Die erneuerbaren Energien haben großes Potenzial. Geändert hat sich auch die wirtschaftliche Bedeutung der Kohle für die Gesamtregion, insbesondere nachzulesen am Verhältnis von Arbeitsplätzen und Umsiedlern. Kollege Lichdi wies bereits auf die Arbeitsplätze hin, die seit dem Jahr 1990 verschwunden sind. Es sind circa 95 %.
Heute stehen im Planungsprozess Oberlausitz circa 1 500 Arbeitsplätze in Kraftwerk und Tagebau einer gleichgroßen Anzahl von Menschen gegenüber, die umgesiedelt werden müssen – manche bereits zum zweiten Mal in ihrem Leben. Wie viele ihre Arbeit durch die Erweiterung des Tagebaus verlieren, hat man auf Nachfrage dagegen nicht ermitteln können. Dass allerdings viele Menschen weiterhin den Landkreis verlassen werden, davon kann man getrost ausgehen – trotz Braunkohle oder gerade wegen der Braunkohle.
Geändert haben sich auch die Anforderungen an eine intakte Umwelt, die künftigen Generationen hinterlassen werden soll. Im Planverfahren wurden diese und andere Schutzgüter definierten Entwicklungszielen gegenübergestellt und Umsetzungsmaßnahmen festgelegt. Genau hier beginnen die Probleme.
Ich möchte exemplarisch drei Beispiele nennen: Zum Schutzgut Klima heißt es beispielsweise im Umweltbericht, der Teil des Braunkohleplanes ist, dass zur Prüfung des globalen Klimaschutzes keine Kriterien und Indikatoren existieren und sich die Verbindung zum Kraftwerk Boxberg planverfahrens- und umweltrechtlich nicht herstellen lässt.“
Das soll heißen: Die Genehmigung des Tagebaus Nochten II hat erst einmal nichts mit dem Kraftwerk Boxberg und dessen klimaschädigendem CO2-Ausstoß zu tun. Deshalb wurde sie schlichtweg nicht bewertet. Patholo
Ein weiteres Beispiel. Bei der Abwägung zur energiepolitischen Notwendigkeit der Tagebauerweiterung wurde eine Alternativenprüfung vorgenommen. Ihr Fazit – ich zitiere –: „Der vollständige und ersatzlose Verzicht auf die Weiterführung des Tagebaus wäre ab dem Jahr 2027 mit einem Versorgungsausfall für das Kraftwerk Boxberg verbunden.“ – Toll! Das wird nicht bezweifelt.
Abzuwägen war dagegen, wie lange welche Menge Kohlestrom für die Energieversorgung des Landes benötigt wird oder ob der Strombedarf sukzessiv aus anderen Quellen bezogen werden kann. Ich verweise an dieser Stelle auch auf das erst in diesem Jahr bestätigte Energie- und Klimakonzept der Region. Darin wird aufgezeigt, welche Potenziale an erneuerbaren Energien allein in der Lausitz stecken. Bis zum Jahr 2020 wären danach 64 % erneuerbarer Strom möglich – wohlgemerkt: nach einem mittleren Szenario, also nicht einmal nach einer Maximalberechnung.
Es geht nicht um Alternativen für den Antragsteller Vattenfall, sondern um Alternativen für die Gesellschaft. Das war zu untersuchen.