Protokoll der Sitzung vom 27.11.2013

Sie sehen also, meine Damen und Herren, dass es eine Menge zu tun gibt, und ich werde Ihnen unsere konkreten Vorschläge dann bei der Einbringung des Entschließungsantrages noch erläutern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Mackenroth.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Mann! Mit Freuden stellt sich die Regierungskoalition der von Ihnen gewünschten Generaldebatte: Wie steht es um unsere sächsischen Hochschulen nach der Einführung des Bologna-Prozesses? Es geht Ihnen um Lehre und Studium. Dass Sie die Forschung weggelassen haben, hat seine

guten Gründe. Da gibt es möglicherweise noch weniger zu kritisieren als im Bereich der Lehre. Das haben Kollege Dr. Meyer und unsere Ministerin heute Morgen nun wirklich sehr eindrucksvoll belegt. Also Lehre und Studium.

Ein Kriterium für deren Güte ist ganz sicher die Einschätzung der Betroffenen. Die Abstimmung der Studierenden mit den Füßen geht weiter deutlich in Richtung Sachsen. Mehr als 50 000 Bewerbungen zum Wintersemester sind erfreulich. Bundesweit steigen die Studierendenzahlen weiter an. In Sachsen sind sie nach der gestrigen Statistik des Bundesamtes leicht rückläufig, bleiben aber dennoch erfreulich und rechtfertigen die Feststellung: Unsere sächsischen Hochschulen sind fürs Studium so attraktiv wie nie – für Ausländer, für Studierende aus anderen Bundesländern und auch für unsere Landeskinder – und für die Lehrenden ganz genauso.

Unsere Hochschulen sind, wenn man sie mit anderen Bundesländern vergleicht, gut aufgestellt, ordentlich ausfinanziert, nicht nur die Exzellenzuniversität. Dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, ist auch richtig, weil es schließlich um Steuergeld geht. Bei uns sind die Zuschussvereinbarungen ausverhandelt. Es herrscht

Planungssicherheit. Wir haben ordentliche Strukturen und eine ordentliche Betreuungsrelation, allerdings einen Investitionsrückstau, an dem es zu arbeiten gilt.

Die zentralen Themen Ihrer Großen Anfrage haben Sie schon genannt: Studierbarkeit, Masterplatzmangel,

Perspektiven für Absolventen auf dem Arbeitsmarkt, Implementierung von Qualitätssicherungssystemen und Mobilität.

Erinnern wir uns. Der Bologna-Prozess beabsichtigte und leitete eine durchgreifende Umstellung des Hochschulsystems für folgende drei Hauptziele ein: Mobilität, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit mit dem Ziel bundes- und europaweit vergleichbarer Abschlüsse, zweistufiges System, die sogenannten konsekutiven Studiengänge, besser bekannt als Bachelor und Master, Verkürzung der Ausbildung. Der erste Abschluss sollte berufsbefähigend sein; auch daran muss man einmal erinnern. 80 % sollten das machen, 20 % sollten weitergehen. Dadurch sollte die Attraktivität des europäischen Hochschulraumes insgesamt gesteigert werden.

Kritik – auch das, Kollege Mann, haben Sie zu Recht gesagt – gab es von Anfang an: unzureichende Vorbereitung, knappe Ressourcenausstattung der Hochschulen, stoffliche Überladung der Regelstudiengänge, kleinteilige Prüfungspraxis, zunehmende Trennung von Forschung und Lehre, Verschulung der höheren Bildung auf Kosten individueller akademischer Freiheit und Ausreifung der Persönlichkeit. Schließlich haben manche eine angeblich marktorientierte drittmittelabhängige Hochschulstruktur unter Vernachlässigung der Grundlagenforschung beklagt.

Wir haben in diesem Hohen Haus – ich darf daran erinnern – bereits genau zu diesem Thema im Jahr 2009 debattiert. Es ist in der Tat unbefriedigend, dass die damals konstatierten Mängel noch nicht flächendeckend

beseitigt sind. Wie sieht es heute aus? Zwei aktuelle Expertenmeinungen:

Erstens. Der Wissenschaftsrat als grundsätzlich nachdrücklicher Befürworter des Bologna-Reformprogrammes kann keine Qualitätssteigerung in der Hochschullehre durch die Programmakkreditierungen feststellen. Das ist ein ziemlich vernichtendes Urteil, wie ich finde.

Zweitens. Am 1. September erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ein bildungspolitisches Interview mit Prof. Julian Nida-Rümelin unter dem bemerkenswerten Titel: „Wir sollten den Akademisierungswahn stoppen“. Zwei Thesen von ihm will ich herausgreifen.

Erste These: Die Studenten haben die Dreijahresregel nicht mitgemacht. Die Reform sah vor, dass 80 % der Studenten nach drei Jahren aus der Uni in Richtung Arbeitsmarkt ausscheiden und 20 % dableiben und im Master weitermachen. Da hat man amerikanische Werte als Vorbild genommen. Die Studierenden bei uns planen ihr Studium andersherum. 80 % wollen weiter studieren. Eine schöne Ironie ist auch, dass man inzwischen wieder bei der gleichen Studienlänge angekommen ist, etwa bei fünf bis sechs Jahren. Diese war und ist beim Magister und beim Diplom ähnlich.

Zweite These: Vor der Bachelorreform gab es teilweise gigantische Abbrecherzahlen. Die Abbrecherquote ist aber in den neuen Studiengängen im Schnitt sogar höher als in den alten Diplom- und Staatsexamensgängen.

Ich idealisiere das alte Studium überhaupt nicht, sondern fand und finde es untragbar, dass wir 80 oder mehr Prozent Studienabbrecher in bestimmen Fächern hatten. Das durfte nicht so bleiben. Aber das hatte erkennbare Ursachen, die mit der Bachelorreform nichts zu tun hatten. Die Bologna-Reform hat da nicht geholfen. Wie wir den hohen Abbrecherquoten wirksam begegnen, werden wir gleich noch unter einem gesonderten Tagesordnungspunkt debattieren.

Festzustellen ist: Die mit der Bologna-Reform verbundenen Hoffnungen sind nicht, jedenfalls nicht vollständig, manche sagen sogar: nicht erfüllt worden. Bologna ist nicht umkehrbar, das will ich für uns ebenso klar feststellen. Aber wir sollten das Instrumentarium anpassen, auch an regionale Bedürfnisse und an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes.

Was ist zu tun? Kollege Mann, Sie haben eben schon einiges gefordert. Sie sagen, die Regierung soll in der Wirtschaft mehr für den Bachelorabschluss werben – einverstanden. Sie kritisieren zudem, dass an einigen – nicht an allen – Hochschulen die Qualität der Lehre intern nur ungenügend überprüft werde – das finde ich richtig und vor allen Dingen angenehm differenziert. Sie sagen, für einen Leistungsvergleich, wie vom Hochschulgesetz eigentlich gefordert, fehlen die verbindlichen Kriterien und Standards. Auch da ist was dran und das lässt sich hören.

Sie fordern aber auch – und haben dies gerade getan – mehr Masterstudienplätze an Universitäten und anderen Hochschulen. Diesbezüglich habe ich meine Zweifel, ob das der richtige Weg ist. Noch einmal: Bis zu 80 % wollen weitermachen. Ihre Forderung – die ja auch Sie, Kollege Gerstenberg, im Jahre 2009 in der Debatte klar artikuliert haben: alle brauchen einen Masterplatz –; diese Ihre Forderung –

(Torsten Herbst, FDP: Alle, die wollen!)

Alle, die wollen, ja, genau. –; diese Ihre Forderung wäre in unseren Augen nicht nur Gleichmacherei, sondern wahrscheinlich sogar das Ende des Bologna-Prozesses. Ich glaube nicht, dass noch mehr Masterstudienplätze der Stein der Weisen wären. Vielmehr kommt es für mich darauf an, die Attraktivität zunächst des Bachelor zu steigern, und zwar deutlich.

Das Problem dabei ist wohl, dass sich die Kultur an unseren Hochschulen noch nicht wirklich verändert hat und dass die Studierenden immer noch überzeugt oder zu oft davon überzeugt sind, dass eigentlich nur der Master ein richtiger Abschluss ist.

Der Bachelor ist deutlich besser als sein Ruf, aber trotzdem ist er bisher nicht richtig akzeptiert. Eine Rückkehr zum früheren Zustand ist kaum denkbar – auch nicht zum Diplom –; aber wir sollten auch in diesem Punkt nach Fächern differenzieren. Dort, wo etwa der bisherige Dipl.Ing., der Magister, Markenzeichen und Alleinstellungsmerkmal ist, sollten unsere Hochschulen diesen erhalten – nicht statt Bologna, nicht neben Bologna, sondern Bologna-konform.

Ein zweiter Punkt, den Sie ebenfalls schon angesprochen haben, Herr Kollege Mann, ist mir besonders wichtig: die Qualitätssicherung. Der Weg zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Studierenden und unserer Hochschulen sowie zur Exzellenz führt allein über Klasse und nicht über Masse. Das sagt sich leicht. Ich empfehle, wenn man einen Weg sucht, wie das geschehen kann, erneut bei Nida-Rümelin nachzuschlagen. Erst der Leistungsvergleich sichert Qualität. Man nennt das auch, wir sollen lernen, vom Besseren zu lernen. Diese Qualitätssicherung ist zu implementieren, durchzusetzen – auch gegen letzte Widerstände an unseren Hochschulen. Auch hierfür gibt es ohne Wenn und Aber unsere Unterstützung.

Bei der Einführung von Bologna gab es schließlich einen richtigen, leider oft vernachlässigten Grundgedanken: Unterschiedliche Qualitäten gibt es auch bei den Studenten. Zahlreichen akademischen Indianern stehen wenige akademische Häuptlinge gegenüber.

Wir sollten uns vornehmen, für jeden eine seinen Fähigkeiten entsprechende Perspektive an unseren sächsischen Hochschulen zu schaffen. – Wie das gehen kann, werde ich in der zweiten Runde in Erwiderung auf Ihre Vorschläge darlegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU, des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE, und bei der Staatsregierung)

Für die Fraktion DIE LINKE Herr Prof. Besier, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Verdienst der Großen Anfrage der SPD zum Stand der Umsetzung des Bologna-Prozesses liegt in der empirischen Fundierung von Problemen, die wir seit Langem debattieren – Herr Kollege Mackenroth hat auf das Jahr 2009 verwiesen; 2012 hatten wir das Bologna-Problem hier auch schon einmal verhandelt.

Zunächst zum Verhältnis Bachelor–Master–Diplom.

Vergleicht man die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Bachelor- und Masterstudienplätze, so komme ich auf ein Verhältnis von 2,1 zu 1; ich bin nicht auf 3 zu 1 gekommen, wie Sie, Herr Kollege Mann. Wie auch immer, es ist traurig genug, wenn man davon ausgeht, dass die Studierenden das Recht haben, sich zu entscheiden, nach dem Bachelor auch noch den Master draufzusetzen. Wenn wir freilich darauf bestehen, Herr Kollege Mackenroth, dass es dabei bleiben soll – 80 % Bachelor und 20 % Master –, dann wird uns dieser Engpass bei den Masterplätzen weiterhin beschäftigen. Die Nachfrage nach den Masterplätzen ist jedenfalls ungebrochen hoch.

Die Modularisierung der Studiengänge ist zwar abgeschlossen, allerdings führen bekanntlich nicht alle modularisierten Studiengänge zu Bachelor- oder Masterabschlüssen. An der hiesigen Technischen Universität Dresden ist das Verhältnis besonders auffällig: Hier haben sich 37,1 % der Studienanfänger in Diplomstudiengängen immatrikuliert; 33,6 % beim Bachelor und 4,6 % beim Master.

Die alten Abschlüsse – also Magister und Diplom – scheinen insbesondere in den MINT-Fächern auf dem Vormarsch zu sein. Hier besteht Regulierungsbedarf, das ist keine Frage, denn wir sind uns anscheinend einig, dass es kein Zurück mehr hinter Bologna gibt. Wir können also nicht diese alten Studiengänge – aus welchen Gründen auch immer; das wäre zu analysieren – weiter befördern und in dieses Verhältnis bringen, wie wir es an der TU Dresden haben.

Vorschläge, die auch die Staatsregierung in der Vergangenheit unterbreitet hatte, wonach von der 6+4-Struktur des Bachelor-Mastersystems auch in Richtung 7+3 oder 8+2 abgewichen werden kann, sind derzeit nur an wenigen Hochschulen in nennenswertem Umfang umgesetzt. Hier müsste man ebenfalls nachbessern und – das habe ich an anderen Universitäten außerhalb Sachsens beobachtet – Alternativstrukturen aufbauen, sodass die einen durchaus die 6+4-Struktur wählen können und andere die 8+2-Struktur. Das würde den Studienverlauf zugunsten der Studierenden liberalisieren.

Es kann grundsätzlich diskutiert werden, ob eine Flexibilisierung des Systems wünschenswert ist und welche Vorteile sie bringen kann. Das ist ja durchaus offen. Sie bietet ein Einfallstor – das müssen wir beachten – für das Zurückdrehen des Bologna-Prozesses in dem Sinne, dass das schnelle Erlangen eines Abschlusses im Sinne einer schnelleren Verwendungsfindung auf dem Arbeitsmarkt damit zurückgedrängt werden kann. Je länger wir also für den Bachelor brauchen, umso mehr gehen wir in Richtung Vergangenheit und kommen auf die fünf bis sechs Jahre.

Ein grundsätzliches Problem beim Übergang vom Bachelor in den Master besteht darin, dass Abschlusszeugnisse oft nicht rechtzeitig vorliegen. Herr Kollege Mann hat schon darauf hingewiesen, dass dann vorläufig immatrikuliert wird und Ähnliches. Etwa die Antwort auf Frage 1.10 zeigt, dass noch immer sehr wenige Studiengänge in Teilzeit oder berufsbegleitend angeboten werden, wenn wir das Angebot insgesamt betrachten.

An den Hochschulen bzw. in den einzelnen Fachbereichen liegen die Anteile jener Alumni, die ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit abgeschlossen haben, teilweise im einstelligen Bereich, sehr oft unter 30 %.

Zum Thema Studienabbrüche sind leider keine Daten enthalten. Kleine Anfragen etwa des Kollegen Schmalfuß wurden stets mit dem Hinweis beschieden, dass wir dazu in Sachsen keine Daten vorliegen hätten; wir kommen im nächsten Tagesordnungspunkt noch einmal darauf zurück.

Zur Umsetzung der Modularisierung: Stark schwanken, teils naturgegeben, teils veränderbar, die Zahl semesterübergreifender Module in Studiengängen sowie die Anzahl von Prüfungsleistungen in Modulen. Ersteres ist problematisch, weil Module mit langer Laufzeit die Flexibilität des Studienverlaufes minimieren und unter Umständen zu verlängerten Studienzeiten führen können. Bei der Anzahl von Prüfungsleistungen ist idealiter eine Chancengleichheit zumindest innerhalb der Fächergruppen anzustreben. Vereinzelt gibt es bei Quantitäten der ECTS-Zuordnung von Modulen auch noch Ausreißer, vor allem nach oben.

Landläufig hat sich inzwischen die Modulgröße mit 5 bis 10 Credit Points etabliert. Hierzu hatte die Kultusministerkonferenz Vorgaben unterbreitet. Zu große Module führen mitunter zu eingeschränkten Möglichkeiten der Kompensation schlechter Prüfungsergebnisse und zur Häufung von Prüfungsleistungen.

Auch die Prüfungsvoraussetzungen in den Modulen unterscheiden sich jeweils stark. Es wäre im Detail zu prüfen, ob dabei Unterschiede gemacht werden, die sich mit den Eigenheiten des jeweiligen Fachs nicht rechtfertigen lassen.

Zur Qualitätskontrolle ist von meinen beiden Vorrednern schon viel gesagt worden.

Schließlich: Bologna ist mehr als Modularisierung. Hinsichtlich der Erhöhung der europäischen Mobilität von Studierenden und der gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen besteht nach wie vor großer Hand

lungsbedarf. Es ist nicht so, dass die Mobilität in größerem Umfang zugenommen hätte.

Nach wie vor wird – auch unter Einbezug aktueller Forschungsergebnisse zum Thema „Lernen und Wissensvermittlung“ – an der Verschulung der Stoffvermittlung Kritik geübt. Wir sind mit einer Reihe von Untersuchungen konfrontiert, in deren Ergebnis uns vorgeworfen wird, dass unter dem Bologna-Prozess das Bulimie-Lernen stark zugenommen habe.

Weiterhin wird festgestellt, Frontalunterricht ersetze die akademische Auseinandersetzung mit Inhalten, für die oft keine Zeit bleibe.