Protokoll der Sitzung vom 28.11.2013

Impfschutz weiter verbessern – Kinder besser vor Krankheiten schützen

Drucksache 5/13063, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Impfpflicht für Kinder

Drucksache 5/12690, Antrag der Fraktion DIE LINKE,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: die Koalitionsfraktionen, dann DIE LINKE, SPD, GRÜNE und NPD. Für die Koalition beginnt Frau Jonas von der FDPFraktion. Bitte, Frau Jonas, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag reagiert die schwarz-gelbe Koalition auf eine Vielzahl aktueller Entwicklungen. Es sollte uns nachdenklich stimmen, wenn die Impfbereitschaft in der Gesellschaft mehr und mehr nachlässt. Natürlich ist es verständlich, dass das Bewusstsein für Krankheiten in den letzten Jahren und Jahrzehnten Stück für Stück nachgelassen hat,

weil Infektionskrankheiten wie Polio und Mumps aufgrund des Erfolges der Schutzimpfungen kaum noch auftreten. Sie werden damit nicht mehr wahrgenommen.

Man könnte sagen: Die Schutzimpfung wird Opfer ihres eigenen Erfolges.

(Beifall bei der FDP)

Kinderlähmung und Mumps gelten beispielsweise in Deutschland seit 1960 oder 1970 als praktisch nicht mehr existent. Daraus erwächst die Gefahr, dass sich die Menschen nicht mehr impfen lassen und dadurch diese Krankheiten wiederkehren.

Die Folgen davon sehen wir beispielsweise an katastrophalen Ausbrüchen. 2006 kam es zu einer Masernepidemie in Nordrhein-Westfalen. Keiner hätte damit gerechnet.

Die von der WHO geforderte Durchimpfungsrate von 95 % als wirksames Mittel zur Eindämmung von Krankheiten, wie eben der Masern, muss flächendeckend in Deutschland das Ziel sein.

In Gesamtdeutschland beträgt sie derzeit nur 73 % und ist damit ungenügend.

Sachsen hat hier aber eine Vorbildfunktion, und das sollte an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich erwähnt werden. 96,7 % aller Kinder waren im Jahr 2010/2011 in dem Schuljahr zur Kita-Untersuchung gegen Masern geimpft. Aber wir wissen, gerade bei Immunisierung gegen Masern benötigt es eben zwei Immunisierungen mit einem entsprechenden Abstand dazwischen.

Doch wir dürfen uns nun an dieser Stelle nicht ausruhen. Im Gegenteil. Im Juni berichtete das Robert-Koch-Institut über eine überdurchschnittliche Neuerkrankung an Masern in Sachsen. Bis zur 43. Kalenderwoche traten in ganz Mitteldeutschland insgesamt 100 Fälle auf. Letztes Jahr waren es zeitgleich zu diesem Zeitpunkt null Infektionen. Es gilt deswegen, das Problembewusstsein zu schärfen – für Eltern in ihrer Funktion für ihre Kinder.

Es müssen geeignete Maßnahmen und Methoden gefunden werden, um eben jene Durchimpfungsrate zu erhöhen. Hier sollten wir auf allen Ebenen und vor allem auch in allen Altersklassen ansetzen. Vorsorgeuntersuchungen müssen bereits frühzeitig das Thema aufgreifen und – ähnlich einer Stufenleiter – über Kita, Schule immer wieder weiterführen.

Es ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig. Einzelne Institutionen müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Hierbei können wir ruhig auch einmal Kritik üben, um die Ergebnisse zu hinterfragen: Wie steht es um die Rolle und die Wertschätzung des öffentlichen Gesundheitsdienstes? Lässt sich die Bedarfsplanung der Kinderärzte optimieren? Wer berät Eltern kompetent?

Mit dem Hygienemaßnahmenpaket haben wir im letzten Haushalt auch die Landesuntersuchungsanstalt gestärkt. Sie spielt eine wesentliche Rolle. Sie wird immerhin im Mittelpunkt der Anstrengungen stehen, wenn es darum geht, die Verhütung und die Bekämpfung von Infektionskrankheiten im Freistaat aktiv zu unterstützen. Tuberkulose und Masern sind glücklicherweise sehr selten. Dennoch beschäftigen sie auch in Sachsen unsere Landesuntersuchungsanstalt.

Kontrovers bleibt die Frage, ob wir eine Impfpflicht benötigen.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Ja!)

Hier stehen sich zwei Meinungen gegenüber, die sorgfältig abgewogen werden sollten. Das Recht auf einen eigenverantwortlichen Umgang mit seinem Körper und auf Selbstbestimmung steht auf der einen Seite. Das ist

uns sehr wichtig. Dies steht im Konflikt zu dem Allgemeinwohl und dem Schutz der Gesellschaft, ihrer einzelnen Mitglieder vor Ansteckung und Krankheit.

Gerade Kinder sind besonders schutzbedürftig. Gibt es ein Grundrecht auf den Schutz vor Krankheiten? Haben Kinder nicht ebenjenes Recht auf Schutz vor Krankheiten? Es bleibt zu fragen, ob man dem mit einem entsprechenden Modell gegenübertreten kann.

Welche Anreize müssen gefunden werden, um Eltern diese Notwendigkeit und die Bedeutung klarzumachen? Wir müssen daher vorrangig auf Prävention und Aufklärung setzen. Uns ist dabei auch völlig klar, dass es immer wieder Gründe geben wird, die ein Impfen aktuell oder permanent nicht zulassen, wo Interessen dem entgegenstehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schließlich müssen wir auch einen Blick auf den Impfschutz des Personals in unseren Einrichtungen werfen und entsprechend beratend darauf Einfluss nehmen. Wir müssen Möglichkeiten prüfen, wie die Informationsrechte über Impfraten in Kitas gestärkt werden könnten, welche Erfahrungen die Träger damit haben.

Wir haben mit diesem Thema noch viel vor. Das bisher Erreichte ist ein Erfolg, aber auch ein Weg, den wir konsequent weitergehen müssen. Lassen Sie uns daher gemeinsam gegen eine in Sachsen drohende Impfmüdigkeit vorgehen. Schauen Sie selbst einmal wieder in den eigenen Impfausweis, gleichen Sie – hoffentlich nicht bestehende – Defizite und Lücken aus und unterstützen Sie durch das Impfen das Wohl unserer Kinder und unserer Gesellschaft. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsministerin Christine Clauß)

Das war Frau Jonas für die Koalitionsfraktionen. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abg. Lauterbach. Bitte, Frau Lauterbach.

Danke, Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Peter Ustinov sagte einmal: „Die Kindheit ist jene herrliche Zeit, in der man dem Bruder zum Geburtstag die Masern geschenkt hat.“ Das ist lange her, aber es ist nicht uninteressant.

Das Thema Impfschutz und Impfpflicht beschäftigt uns im Landtag nicht das erste Mal. Eine gesetzliche Grundlage mit einem umfassenden Impfschutz liegt mit dem Infektionsschutzgesetz vor. Dazu gibt es eine Verordnungsermächtigung auf Bundesebene mit dem Ziel, bei sehr gefährlichen Viren eine Impfpflicht einzuführen. Es ist also alles gesetzlich geregelt. Trotz dieser vorhandenen gesetzlichen Grundlagen bekommen Sie das Problem eines umfassenden Impfschutzes nicht in den Griff.

Unter dem Motto „Deutschland sucht den Impfpass“ erinnert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung daran, den eigenen Impfstatus bei Masern zu prüfen. Frau Jonas hat weitere Maßnahmen genannt, aber insgesamt reicht das nicht aus.

Die Kampagne richtet sich vor allen Dingen an Jugendliche und junge Erwachsene. Von den bisher circa 1 600 Fällen an Masernerkrankungen in Deutschland in diesem Jahr sind es knapp zwei Drittel im Alter zwischen zehn und 40 Jahren. Da Masern jedoch hoch ansteckend sind, können sie sich in Schulen, Universitäten, am Arbeitsplatz oder bei Großveranstaltungen sehr schnell ausbreiten.

Liebe Frau Clauß, schließen Sie deshalb bei Ihrer Berichterstattung im Punkt 2 zum Antrag der Koalition die Erwachsenen mit ein. Auch wenn es im Antrag nicht gefordert ist, wird es doch ein einheitliches Bild ergeben; denn die Durchimpfungsrate bei Erwachsenen liegt im Durchschnitt bei circa 70 %. Impfen schützt also nicht nur Kinder. Aber die Impfpflicht für Kinder ist die Grundlage, auf der alles aufbauen muss.

Die Infektionskrankheiten werden von vielen als Kinderkrankheiten angesehen, weil sie Kinder am häufigsten betreffen. Das bedeutet aber nicht, dass sie harmlos sind. Die Infektionen sind trotz moderner Medizin meist nur schlecht oder gar nicht behandelbar. Medikamente behandeln die Symptome, nicht die Erreger.

Eine Impfung bietet die Möglichkeit, das Immunsystem an einem ungefährlichen Gegner zu trainieren. Infektionen dagegen können Kinder in ihrer Entwicklung zurückwerfen und schwere gesundheitliche Schäden verursachen. Deshalb ist die Impfung der wirksamste Schutz.

Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte stellt fest: Dies ist eine alte Forderung unseres Berufsverbandes. Die hohe Zahl von Masernerkrankungen in Deutschland zeigt, dass die bisherigen Impfkonzepte nicht genügend wirken. Damit richten sie ihre Forderungen an die Politik.

Wir als Abgeordnete müssen uns stärker für ein nationales Impfkonzept einsetzen, um die Ziele der WHO, insbesondere die Ausrottung der Masern, zu erreichen.

Werte Abgeordnete! Impfzwang hat in Deutschland Tradition. Schon 1807 wurde in Bayern die obligatorische Pockenschutzimpfung eingeführt. Seit 1875 musste jedes Kleinkind gegen Pocken geimpft werden. Um in eine Schule aufgenommen zu werden, musste ein Impfschein vorgelegt werden.

Der Erfolg gab dem Gesetzgeber recht. Der letzte natürliche Pockenfall in Deutschland trat 1972 ein. Weltweit sind die Pocken seit 1980 ausgestorben. Bei Masern gibt es keine Impfpflicht und auch keine solche Erfolgsgeschichte.

Seit es Impfungen gibt, gibt es auch Menschen, die dem skeptisch gegenüberstehen. Das ist okay so. Etwa 10 % der deutschen Bevölkerung stehen Impfungen kritisch gegenüber. Knapp 3 % sind erklärte Impfgegner. Aber:

Wollen junge Menschen in den USA studieren oder ein Auslandspraktikum absolvieren, haben sie einen Impfschutz nachzuweisen, ohne Ermessen.

Die Impfquote bewegt sich in Deutschland zwar auf hohem Niveau, reicht aber nicht aus, um Krankheitsausbrüche zu verhindern. Um die Krankheit zu eliminieren, wäre eine Höchstzahl von 80 Fällen möglich. Im 1. Halbjahr gab es aber circa 1 100 Fälle. So ist das Ziel der WHO, bis 2015 Masern auszurotten, in Deutschland nicht zu schaffen. Die Einführung einer Impfpflicht für Masern scheint hierfür ein notwendiges Mittel zu sein.

Das rechtliche Instrumentarium mit dem Infektionsschutzgesetz und der Verordnungsermächtigung zur Impfpflicht muss umsetzbar sein, denn es wird immer ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sein. Aber wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist, muss die Allgemeinheit ausreichend Schutz erfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 1959 den Impfzwang für verfassungsmäßig erklärt.

Zusammenfassend muss ich sagen: Die Impflücken bei Erwachsenen sind sicherlich problemlos statistisch nachzuweisen, aber nicht problemlos zu schließen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.07.1959 ist auf seine Aktualität zu prüfen und auch anzuwenden.

Besonders begrüße ich in Ihrem Antrag, dass der Impfschutz für Flüchtlinge und Asylbewerber angeboten werden soll; denn Viren machen an Ländergrenzen keinen Halt. Da unser Antrag jedoch der weitreichendere ist, werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten, und da eine Impfpflicht für Masern sicher unausweichlich ist, stimmen Sie bitte unserem Antrag zu.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Frau Lauterbach für die Fraktion DIE LINKE. Die Fraktion der SPD ist an der Reihe. Es spricht Frau Abg. Neukirch; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig, dass wir das Problembewusstsein für den Impfschutz auch in Sachsen weiter diskutieren müssen und dass dieses Problembewusstsein vor allem zu wirkungsvollen Impfquoten führen muss. Es ist unbestreitbar und sicherlich bei allen Fraktionen Konsens, dass Impfungen zu den wirkungsvollsten und kostengünstigsten präventiven Maßnahmen der modernen Medizin gehören.