Protokoll der Sitzung vom 17.12.2013

Ein letzter Rat von mir vor Weihnachten: Halten Sie in Ihrer blinden Wut auf alles Ausländische einmal inne. Derjenige, weshalb wir und vielleicht auch Sie Weihnachten feiern, war mit seinen Eltern auch ein Asylbewerber.

(Zurufe von der NPD)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der SPD und der Staatsregierung)

Nächster Redner in der ersten Runde ist Frau Friedel; Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was die NPD uns hier mit dem Antrag vorschlägt, ist, dass man sich zum einen für die Beibehaltung der Optionspflicht stark machen und zum anderen generell auf die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft hinwirken möge. Sie macht dies mit recht markigen Worten: Türkische Menschen würden in Deutschland zwangseingebürgert. Es handele sich um ein Zwangsgeschenk, dem die Leute unterworfen werden. Das ist eine recht bigotte Argumentation. Sie ziehen für Ihren Antrag Isensee heran und zitieren ihn. Wir haben es tatsächlich mit einem Staatsrechtler zu tun, der von einer doppelten Staatsbürgerschaft nicht viel hält. Das mag eine legitime Meinung sein. Isensee ist ein recht staatszentrier

ter Verfassungsdenker. Wir sind in der Aktuellen Debatte etwas weiter.

(Andreas Storr, NPD: Ach so, deshalb darf es keine anderen Standpunkte geben?)

Herr Storr, hören Sie doch einmal zu.

Der Freistaat Sachsen existiert zwar in dieser Form erst seit dem Jahr 1990. Weit vorher haben hier jedoch schon Menschen gelebt. Seit ungefähr 700 000 Jahren ist das Gebiet besiedelt. Es ist besiedelt von verschiedenen Menschen verschiedener Volkszugehörigkeiten, verschiedener ethnischer Herkunft: Kelten, Germanen, Römer und so weiter. Ich muss Ihnen die Geschichte wahrscheinlich nicht erklären. Die Gleichsetzung von Staatsangehörigkeit und Nationalität, die aus Ihrem Antrag spricht, ist keine besonders lange und erfolgreiche Gleichsetzung in der Geschichte der Menschheit gewesen.

(Jürgen Gansel, NPD: Ein Produkt moderner Staatsentwicklung!)

Hören Sie doch einmal zu, Herr Gansel. Das ist eine Gleichsetzung, die verschiedene Staaten der Welt ausprobiert haben und vom Ende des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts vielleicht auch die eine oder auch die andere Funktion erfüllt haben. Die Welt hat sich weitergedreht. Wir leben mittlerweile in ganz anderen Loyalitäten und Lebensumständen.

Viele Menschen wechseln im Laufe ihres Lebens das Land, in dem sie wohnen. Viele Menschen verbinden mit einer Staatsbürgerschaft allein keine Nationalitätenfrage, sondern eine Frage der Zugehörigkeit, der demokratischen Teilhabe. Das ist das, was ein modernes und ein nicht staatszentriertes, sondern ein auf Freiheit und das Individuum zentriertes Verfassungsdenken ausmacht, eines, dem sich mittlerweile viele Staaten in der Welt zugewandt haben.

Auch in Deutschland gibt es die doppelte Staatsbürgerschaft in vielen Fällen. EU-Staatsbürger müssen, wenn sie sich in Deutschland einbürgern lassen, ihre alte Staatsbürgerschaft nicht abgeben. Man kann geteilter Meinung sein, ob man dies gut findet oder nicht. Wir halten dies für gut und sagen, dass man bitte allen die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit geben solle. Es gibt andere Fraktionen im Parlament, die sehen dies etwas anders und argumentieren fachlich, dass man nicht gegenüber zwei Staaten loyal sein kann. Das ist eine politische Auseinandersetzung, die man führen kann. Unterschiedliche Sichtweisen sind legitim. Wir sind der Auffassung, dass die Staatsbürgerschaft ein Teilhaberecht, ein Modus der Integration der demokratischen Teilhabe in einer Gesellschaft ist. Genauso wenig, wie ich meine Loyalität und emotionale Bindung zu meinen Vater aufgegeben habe, als ich meinen Mann geheiratet habe, ist es erforderlich, zu seinem Mutterland die emotionale Bindung aufzugeben, wenn man in ein neues Land zieht und dort leben möchte.

Ihre Rede und auch Ihr Antrag haben eigentlich deutlich gemacht, worum es Ihnen geht.

Sie haben nicht über die EU-Staatsbürger gesprochen, die hier in Deutschland nicht ihre zweite Staatsbürgerschaft haben sollen. Sie haben nicht über die vielen anderen Menschen aus den mittlerweile 58 Ländern gesprochen, mit denen Deutschland solche Abkommen hat, dass doppelte Staatsangehörigkeiten geduldet werden. Menschen aus 58 verschiedenen Ländern dieser Welt können zwei Staatsbürgerschaften in Deutschland haben. Ihnen ist es einzig und allein um Türken gegangen. Das war Ihre Rede.

(Zurufe von der NPD)

Davon ist in Ihrem Antrag die Rede, davon ist bei Ihrem Redebeitrag schon die Rede gewesen. Die Angst, dass Deutschland in der Welt politisch nicht mehr bestehen könnte, wenn Menschen türkischer Herkunft die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, ist absurd. Die kann ich Ihnen auch gern nehmen.

Sie formulieren es so: Die Fähigkeit Deutschlands, sich politisch selbst zu behaupten, würde die doppelte Staatsbürgerschaft massiv untergraben. Diese Angst brauchen Sie nicht zu haben. Gegenüber wem muss sich Deutschland behaupten? Gegenüber anderen Staaten in der Welt? – Das macht man mit einer klugen Außenpolitik. Gegenüber der Wirtschaft? – Das macht man mit klugen politischen Rahmensetzungen. Gegenüber ökologischen

Herausforderungen? – Auch hier gilt es, politisch zu handeln. Die ethnische Herkunft seiner Bürgerinnen und Bürger wird für Deutschland kein Problem in der Herausforderung für die Zukunft sein, sondern im Gegenteil: Diese Vielfalt wird dazu beitragen, dass wir Herausforderungen lösen können. Wir können sie umso besser lösen, je mehr Teilhabe alle Menschen in unserem Land haben, weshalb sich die Staatsangehörigkeit breiter entwickeln wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Schimmer, Sie möchten eine Kurzintervention starten?

Herr Präsident! Ja, Frau Friedel, es ist in der Tat hochproblematisch, wenn massenweise türkische Staatsbürger hier eingebürgert werden. Das ist kein Rassismus, sondern das ist die Erkenntnis, dass wir massenweise Personen aus einem anderen Kulturkreis einbürgern, der völlig andere Positionen – beispielsweise, was die Gleichberechtigung der Frau angeht – und völlig andere Auffassungen vertritt, was die Gewaltenteilung angeht. Hier wird doch tatsächlich so etwas wie eine Fünfte Kolonne geschaffen, die einfach mit einem deutschen Pass ausgestattet wird. Da ist es sicherlich nicht radikal oder extremistisch, wenn man diese Auffassung äußert. Genau das hat doch unser früherer Innenminister, der Agrarminister wurde, Hans-Peter Friedrich, noch vor

einem Monat genauso im „Münchner Merkur“ gesagt. Er möchte nicht, dass sich hier in Deutschland dauerhaft eine türkische Minderheit bildet.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Er hat nämlich auch das Problem erfasst, dass die vielen Türken in Deutschland einem anderen Kulturkreis angehören und deswegen wesentlich problematischer sind als Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen. Ihr Parteifreund Thilo Sarrazin, den ich schon oft bei Veranstaltungen gehört habe, predigt bei jeder Veranstaltung genau das Gleiche; ich meine, er war nun wirklich ein hochrangiger SPD-Politiker, und diese Positionen werden ganz genauso auch in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vertreten. Sie tun so, als ob der Mensch ein völlig kulturblindes oder kulturfernes Wesen wäre, das überhaupt nicht durch Kultur geprägt wird. Das ist aber sehr wohl der Fall, und deswegen ist ein großes Problem, wenn jetzt einige Hunderttausend türkische Staatsbürger eingebürgert werden sollen.

Besten Dank.

(Beifall bei der NPD)

Frau Friedel, Sie möchten auf die Kurzintervention antworten. Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit. Bitte.

Vielen Dank. Ich versuche, es noch einmal ein wenig einfacher zu erklären, man kann es ja mal versuchen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der NPD: Bitte nicht zu einfach!)

Ich erzähle das auch immer in den Besuchergruppen. Es gibt etwas, was uns und die anderen Fraktionen ganz fundamental von der NPD-Fraktion trennt, und das ist unsere gemeinsam geteilte Überzeugung, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Man sieht an diesem Antrag von Ihnen wieder, dass Sie diese Überzeugung nicht teilen, denn Sie sprechen ausschließlich von Menschen aus anderen Kulturkreisen, die nicht die Rechte haben sollen, hier Staatsbürger zu sein. Über Menschen aus ähnlichen Kulturkreisen verlieren Sie kein Wort. Die vielen britischen, französischen oder amerikanischen Zuwanderer sind nicht Ihr Problem.

Das wäre noch konsequent, und dann würden Sie sich auch auf dem Boden des Grundgesetzes befinden, wenn Sie sagen würden: Wir wollen generell keine doppelte Staatsbürgerschaft, für niemanden, egal, aus welchem Kulturkreis. – Aber Sie differenzieren nach guten und nach bösen Menschen. Die einen verdienen das, die anderen werden zu einem riesigen Problem für Deutschland. Das ist die Grundauseinandersetzung, die wir mit Ihnen immer führen und immer führen werden. Unserer Auffassung nach sind alle Menschen gleich viel wert. Sie sehen das anders. Deswegen haben Sie hier, in diesem Haus und in dieser Demokratie keinen Boden.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Gillo, Sie möchten auch eine Kurzintervention tätigen?

Prof. Dr. Martin Gillo: Ja, zu den vorherigen Rednern.

Herr Gillo, Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Sie können eine Kurzintervention nur auf den Redebeitrag von Herrn Schimmer starten.

(Zuruf von der NPD: Nein, von Frau Friedel, Herr Präsident!)

Ja, ich korrigiere mich, das ist richtig.

Ich unterstütze voll die Argumente der Frau Friedel und freue mich natürlich, dass die Große Koalition in ihrem Vertrag das Ende der Optionspflicht versiegelt hat, und ich freue mich, dass wir in diese Richtung gefunden haben.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Deutschland haben Sie versiegelt!)

Meine Damen und Herren, mir liegt noch ein Redebeitrag für eine zweite Runde vor. Ich frage, ob Herr Storr davon Gebrauch machen will. – Herr Storr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu welcher himmelschreienden Ungerechtigkeit die doppelte Staatsbürgerschaft im Ergebnis führt, machen die Vorgänge rund um den vor einem Jahr am Berliner Alexanderplatz totgeprügelten Jonny K. deutlich. Der Haupttäter, Onur U., setzte sich nach seiner Tat in die Türkei ab, und schnell wurde deutlich, dass Onur U. neben seiner deutschen Staatsbürgerschaft auch noch die türkische Staatsbürgerschaft erworben hatte, da nach türkischer Rechtslage türkischstämmige Bürger auch nach ihrer Einbürgerung die türkische Staatsbürgerschaft wiedererwerben können, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben zu müssen. Diese Wiedereinbürgerungspraxis ist nicht nur grob illoyal gegenüber Deutschland, sie ist auch illegal, weil deutsche Behörden darüber nicht informiert werden und die betroffenen Personen weiterhin an Wahlen in Deutschland teilnehmen, obwohl sie gegen geltendes deutsches Staatsbürgerschaftsrecht verstoßen.

Die türkische Staatsbürgerschaft hat man dann für den Nationalstolz und die Volkszugehörigkeit, die deutsche für den unbeschränkten Zugang zu allen Sozialleistungen, also für das leibliche Wohlbefinden. Im Fall Onur U. verschaffte die doppelte Staatsbürgerschaft dem Straftäter auch noch Schutz vor der Auslieferung nach Deutschland. Da platzte Neuköllns SPD-Bezirksbürgermeister, Heinz Buschkowsky, der Kragen, der in seiner Kolumne für die

Bildzeitung am 6. Februar dieses Jahres schrieb: – ich zitiere –:

„Mein Gerechtigkeitsgefühl rebelliert. Ihres auch? Der Spott dieses Typen und unsere Ohnmacht lassen mich über Sinn und Unsinn der doppelten Staatsangehörigkeit nachdenken. Wozu braucht ein normaler Mensch eigentlich zwei oder gar noch mehr Pässe? Es kann Rosinenpickerei sein, um hier oder dort Vorteile im Sozialsystem bei der Krankheits- oder Altersversorgung oder beim Aufenthaltsrecht abzugreifen. Ein anderer ist wohl, dass mehrere Staatsangehörigkeiten das Abtauchen, die Flucht und den Schutz vor Bestrafung für Missetaten ermöglichen. Mehrstaatlichkeit erleichtert Kriminalität und dient denen, die Unrechtes im Schilde führen.“

So deutlich kann sich nur ein Sozialdemokrat ausdrücken, der die drastischen Realitäten jeden Tag selbst vor Augen geführt bekommt,

(Beifall bei der NPD)