Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

Für Sie als Opposition ist es leicht, Forderungen zu stellen und erst recht, wenn man sich damit Erfolg in der Wählerschaft verspricht, sehr geehrte Damen und Herren.

(Zuruf von der SPD)

Aber wir verfahren nicht so. Wir wollen uns Schönwetter in der Bevölkerung weder über Schulden noch zulasten künftiger Generationen erkaufen. Wir haben die Einsicht in die Notwendigkeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion – Lachen bei der Linksfraktion und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bitte die Lautstärke etwas zu dämpfen. Es gibt den Wunsch nach Kurzinterventionen. Frau Dr. Stange, Sie haben jetzt die Möglichkeit für eine Kurzintervention.

Sehr geehrter Herr Präsident! Da Frau Schütz leider keine Zwischenfrage zugelassen hat, möchte ich dennoch etwas dazu sagen. Frau Schütz, Ihre Rede war, glaube ich, auf die Notwendigkeiten des Doppelhaushaltes 2011/2012 gerichtet. Wir bewegen uns aber gerade in den Sparmaßnahmen des Jahres 2010.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

All das, was Sie gesagt haben, mag sicherlich notwendig sein, zum Beispiel dass man mit den Betroffenen spricht. Dann hätte man aber die Zeit jetzt nutzen können, um mit den Betroffenen zu sprechen, und sie nicht vor vollendete Tatsachen stellen und mit dem Rasenmäher über die Jugendeinrichtungen gehen sollen.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Ich hoffe, dass Ihre Rede nicht nur leeres Gerede am Pult gewesen ist, sondern dass tatsächlich mit den Einrichtungen gesprochen und nicht mit dem Rasenmäher gekürzt wird.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Klaus Tischendorf, GRÜNE)

Frau Schütz, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall. Damit kommen wir zur zweiten Kurzintervention durch den Abg. Lichdi.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Schütz, Sie haben hier – ich möchte nicht sagen tränenreich, aber eindrucksvoll – fast eine Blut-, Schweiß- und Tränenrede gehalten, sich in die Brust geworfen und waren von Ihrem eigenen Mut sehr ergriffen.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion)

Das möchte ich Ihnen gern zugestehen. Sie haben gesagt: Wir müssen schauen, wie wir die Strukturen mit den 10 Euro verbessern; wir brauchen Reformen. Das haben Sie gesagt. Aber wenn wir uns jetzt auf Ihren Gedanken einlassen, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie skizzieren, wie Sie mit diesen 10 Euro Strukturen tatsächlich verbessern wollen. Darüber haben Sie keinen Ton verloren. Auch Kollege Schreiber hat darüber keinen Ton verloren. Ich hoffe, dass die Redner der Koalition auf diesen entscheidenden Punkt vielleicht noch eingehen, anstatt sich hier allein an ihrem eigenen Mut zu besaufen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Herr Schreiber, Sie möchten auch das Instrument der Kurzintervention nutzen. Aber Frau Schütz steht am Mikrofon, und ich würde gern ihr den Vorzug geben, dass sie auf die Kurzintervention eingehen kann. Sie können dann im Anschluss Ihre eigene Kurzintervention starten. – Frau Schütz, Sie haben das Wort.

Ich denke, es ist notwendig, darauf zu antworten. Ich habe mich nicht mit einem mich selbst überragenden Mut in die Debatte geworfen, sondern wollte den Ernst der Lage, in dem wir uns befinden, noch einmal deutlich darstellen. Der Freistaat zieht sich nicht von heute auf morgen aus der gesamten Kinder- und Jugendarbeit zurück, sondern trifft tatsächlich notwendige Einschnitte, und das mit Blick auf die zukünftigen Haushaltsjahre. Das, was dieses Jahr notwendig geworden ist, entlässt uns in den nächsten Jahren nicht aus der Verantwortung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Schreiber, möchten Sie noch kurzintervenieren? – Das ist nicht der Fall. Damit beschließen wir die erste Runde mit Frau Schüßler von der NPD-Fraktion. – Sie möchten dann nur zum Änderungsantrag sprechen. Dann frage ich die Staatsregierung, ob sie bereits jetzt im Anschluss an die erste Runde sprechen möchte. – Das ist nicht der Fall.

Somit starten wir die zweite Runde in der allgemeinen Aussprache. Ich erteile dem Abg. Wehner das Wort; bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schreiber, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten heute Stärke bewiesen und die Dinge wiederholt, die Sie in Ihrer eigenen Fraktion gesagt haben. Sie haben sich wirklich sehr gut erziehen lassen. Das ist sehr, sehr schade.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Wo ist er denn?

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Er hat keine Zeit! Es interessiert ihn nicht!)

Okay, er muss mir nicht direkt zuhören. Er bekommt das nebenbei mit. Frau Herrmann, ich glaube, Sie bekommen eine Antwort auf Ihre Frage nach dem Konzept. Es ist schon bemerkenswert, es geht nicht allein um Sperre, sondern wir haben es auch mit inhaltlichen Fragen zu tun. In der Staatsregierung wird die Ansicht vertreten, dass der Aufbau der Freien Wohlfahrtspflege im Freistaat Sachsen abgeschlossen sei und deshalb die Förderung in den nächsten Haushaltsjahren eingestellt werden könne. 2011/2012 könne sie reduziert werden und ab 2013 wäre sie gar nicht mehr erforderlich.

Herr Ministerpräsident, wo sind Sie denn jetzt?

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Er sitzt immer woanders! – Klaus Bartl, Linksfraktion: Weil er auf der Flucht ist! – Heiterkeit bei der Linksfraktion)

Der Sächsische Landtag hat es mit der Mehrheit der Opposition geschafft, Sie in den Saal zu bitten. Ich denke, Sie sollten die Gelegenheit nutzen, hier vor den Abgeordneten konkret Stellung zu beziehen, auch zu den inhaltlichen Dingen, die heute hier diskutiert werden.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Das sind Sie auch den vielen jungen Menschen und Sozialarbeitern vor dem Sächsischen Landtag schuldig, die hier eindrucksvoll ihre Meinung kundgetan haben.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie diese Haltung nicht korrigieren, dann bin ich mir sicher – und auch die Mitglieder meiner Fraktion werden mich in dieser Ansicht unterstützen –, dass Sie auf dem besten Wege sind, im Freistaat Sachsen sowohl die gesellschaftliche Solidarität als auch die in der BRD seit über einem Jahrhundert manifestierte enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Freier Wohlfahrtspflege aufzukündigen. Und dies, obwohl Sie verfassungsrechtlich nach Artikel 20 und 28 den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialstaat festgeschrieben haben, damit den Wohlfahrtsverbänden verfassungsrechtlich garantiert wird, dass soziale Leistungen keine milde Gabe von Staat und Wirtschaft an hilfebedürftige Menschen, sondern bürgerschaftlich gestaltete Lebensstandardisierungen sind und das bürgerschaftliche Engagement fördern. Das haben Sie

besonders in den letzten Jahren immer hochgehalten. Dazu sollten Sie sich äußern.

Herr Schreiber, vielen Dank für Ihre Hilfestellung zur Haushaltssperre.

(Heiterkeit der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Lassen Sie mich aber sagen – und Sie wissen das sehr wohl –: Die Krise, in der wir uns befinden, haben nicht die sozial Schwachen verursacht, nicht die Verbände der Freien Wohlfahrt

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

und auch nicht alle anderen im Bereich der sozialen Arbeit. Sie sollen jedoch erneut bluten, weil das Soziale bei Ihnen offenbar doch nicht die notwendige Priorität genießt. Sie wissen sehr genau, zur Durchführung aller Aufgaben sind die Dienste und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege auf öffentliche Finanztransfers angewiesen, welche durch die Träger ohnehin durch Eigenmittel ergänzt werden. Es ist doch gar keine Frage und ein alter Grundsatz in der Freien Wohlfahrt: Die öffentlichen Mittel werden nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit eingesetzt. Sie unterliegen sowohl der internen als auch der externen Prüfung durch die Sozialleistungsträger. Es gibt Qualitätssicherungsmaßnahmen als wichtige Voraussetzung für die notwendige Vertrauensbasis zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern.

Meine Damen und Herren! Es geht hierbei keineswegs darum, an liebgewonnen Gewohnheiten festzuhalten. Es geht aber um die Menschen, die voll oder teilweise auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen sind, weil sie behindert, pflegebedürftig, arbeitslos, obdachlos, Asyl suchend, sozial ausgegrenzt oder diskriminiert sind. Es geht um Menschen, die in unserer Gesellschaft nur unzureichende Möglichkeiten haben, ihre Vorstellungen zur Lösung der sie bedrängenden Nöte und Probleme in das Handeln der Gemeinschaft einzubringen. Sie werden oftmals nur wenig wahrgenommen oder gar übersehen.

Ihre im Kabinett getroffene und heute bereits heftig kritisierte Entscheidung zur Kürzung im Sozialhaushalt kommt einem sozialen Kahlschlag gleich. Sie wird dazu führen, dass die Interessen der auf Unterstützung angewiesenen Menschen nur eine unzureichende Vertretung erfahren. Sie sorgen dafür, dass die Freie Wohlfahrt künftig diesen Menschen nicht mehr im erforderlichen Umfang helfen kann.

Allein im Vogtlandkreis werden beispielsweise im Bereich der Suchthilfe circa 800 Menschen betreut. Greifen die Kürzungen, können circa 100 Leute nicht mehr betreut werden. Die Folge ist nicht die Einsparung im Haushalt, sondern eine ganz andere wirtschaftliche Belastung. Sie müssen in die staatliche stationäre Unterbringung zurückgeführt werden. Dazu müssen Sie wissen, dass eine stationäre Unterbringung circa 92 000 Euro

kostet. Das multiplizieren Sie einmal mit 100. Wir sollten darüber schon gemeinsam reden.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Natürlich verschließen wir uns nicht der Realität. Es ist einfach arrogant und unverschämt, wie Sie hier mit der Opposition umgehen, sie solle Zahlen einbringen und dergleichen mehr. Sie sind doch genau diejenigen, die uns die Zahlen vorenthalten. Sie stellen uns vor vollendete Tatsachen, und wir sollen mit unserem Antrag nichts weiter, als mit Ihnen gemeinsam über Lösungswege zu diskutieren.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich Folgendes sagen: Sozialpolitik – das hatte ich erwähnt – ist keine isolierte Sonderpolitik, sie ist vielmehr integraler Bestandteil einer allgemeinen Gesellschaftspolitik. Die Stellung des Sozialen kann also nicht unabhängig von den wirtschaftlichen und ökonomischen Zusammenhängen definiert werden. Erfolgreiche Sozialpolitik ist aber auf eine Wirtschaftspolitik angewiesen, die Ökonomie, Soziales und Ökologie immer im Zusammenhang sieht. Insoweit gilt es für die Wohlfahrtspflege klarzustellen, dass es bei der Erneuerung bzw. Sicherung der sozialen Hilfesysteme auch um eine für die Wirtschaft wichtige Voraussetzung geht. Der Fachkräftemangel, meine Damen und Herren, ist ein beredtes Beispiel dafür. Es handelt sich hier um einen Prozess, der sachlich geführt und kommuniziert werden muss. Vollendete Tatsachen, wie jetzt vorgeführt, schaffen Unmut, Unsicherheit und bedrohen den sozialen Frieden.

Meine Damen und Herren! Unser soziales Gemeinwesen braucht das freiwillige soziale Engagement möglichst vieler Bürger. Es gilt der Grundsatz der Subsidiarität, der aktuell im Sozialgesetzbuch nach wie vor verankert ist. Dabei meint Subsidiarität nicht etwa den Rückzug aus der staatlichen Verantwortung. Sie meint vielmehr lediglich die praktische Erbringung staatlicher Aufgaben durch die Tätigkeit freier gesellschaftlicher Kräfte, die zur Bearbeitung der anstehenden Aufgaben geeignet erscheinen.

Der Subsidiaritätsgedanke wird zum Beispiel deutlich durch die Arbeit der Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftshilfe, Krankenhilfe, ehrenamtliche Hilfe, Engagement in Kirchengemeinden und säkularen Vereinigungen und hier mit Leben erfüllt. Er ist in der Freien Wohlfahrtspflege elementar, meine Damen und Herren, und Sie sind dabei, dies alles aufs Spiel zu setzen.

Der Aufbau der Freien Wohlfahrt ist nicht abgeschlossen. Zugegeben, er muss kritisch hinterfragt werden. Die Reform der Hilfesysteme und deren Angebote sozialer Einrichtungen und sozialer Dienste verlangt nach mehr Transparenz und Bürgernähe, fordert mehr Beteiligungsrechte und die konsequente Ausrichtung auf die Förderung von Eigeninitiative und Selbsthilfe. Es geht letztlich um die Ermächtigung der Einzelnen, ihr Leben selbst zu meistern.