Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Fraktion DIE LINKE, Frau Abg. Kagelmann. Bitte, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in eine Situation komme, in der ich fast Mitleid mit meinem CDU-Landrat habe, der seit Jahren um einen nicht zu konsolidierenden Haushalt kämpft und dann immer wieder landespolitische Nackenschläge erhält.
Da ist es eben, Herr Schreiber, einfach so, dass die Kürzung der Jugendpauschale – auch wenn Sie es nicht mehr hören können – ein solcher grandioser Nackenschlag war, der unseren Kreis enorm belastet, und zwar bis in die Gegenwart.
Ich kann Ihnen jetzt nicht ganz folgen. Ich habe das akustisch nicht mitbekommen. Vielleicht können wir das auf anderem Weg klären.
Nur ein paar Zahlen dazu: Wir haben bis 2012 aufgrund der Kürzung der Jugendpauschale allein 14 % weniger Mittel in der präventiven Jugendhilfe einstellen können.
Das hört sich jetzt gar nicht so viel an, auch wenn ich Frau Herrmann folge, was dort unter anderem an Fachkräften aufschlägt. Das sind bei uns aber ganz erhebliche Mittel – 360 000 Euro –, weil wir im Jahr 2012 nur für 2,6 Millionen Euro überhaupt präventive Jugendarbeit finanzieren konnten.
15 Projekte und acht Vollzeitstellen sind weggefallen, was nicht unbedingt mit der Zahl der Sozialarbeiter gemein ist. Damit sind nur Projekte gemeint, die überhaupt über Fachkraftförderung finanziert werden. Nicht mitgezählt sind die zahllosen Kleinprojekte wie Jugendfreizeiten und Klubs etc., die dann noch den Bach heruntergegangen sind. Das mag Sie vielleicht nicht interessieren, aber in meiner Heimatstadt – sie ist nicht sehr groß, 10 000 Einwohner, das mag jetzt popelig klingen – gibt es inzwischen überhaupt kein Jugendzentrum mehr.
Ich finde, das ist traurig; denn, Herr Schreiber, meine Präferenz ist – das sage ich Ihnen ganz klar –, dass wir Angebote für alle Kinder und Jugendlichen vorhalten – das sagt nämlich das SGB VIII auch – und nicht nur für Kinder und Jugendliche, die Probleme haben.
Der Landkreis – und jetzt komme ich möglicherweise auf den aufgeregten Zwischenruf – versucht, das will ich gar nicht in Abrede stellen, gegenzusteuern. Wie macht er das? Das macht er natürlich immer mit dem verzweifelten Griff nach irgendwelchen Projekten vom Land und vom Bund. Meine Kollegin Frau Klepsch hat bereits ausgeführt, was dort das Problem ist. Es fehlt an Nachhaltigkeit und an den Folgemitteln danach, wenn dann einmal die glorreiche Modellförderung ausläuft.
Ganz fatal aus meiner Position heraus: Es wird versucht gegenzusteuern mit einem grandiosen Lohndumping bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der freien Träger. Das halte ich tatsächlich für eine riesengroße Schweinerei.
Jetzt sind wir beim hochgelobten Umsteuern seit 2013. Warum ist das zustande gekommen? Warum wurde hier etwas eingefroren? Warum hat der Landkreis Görlitz dann ein paar Brosamen vom Tischchen des Landes bekommen? Weil der politische Druck wächst. Das Positionspapier des Landkreistages ist ja nicht so aus der Kalten entstanden, sondern es wurde lange diskutiert. Es sind zumeist Ihre politischen Gefolgsgänger gewesen, die da zusammensaßen. Es braucht schon eine Zeit, damit man sich zu so einem Papier verständigt. Mein Landrat beispielsweise bekommt im Kreistag keinen Fuß mehr auf den Boden. Das ist sein Problem. Er hat Probleme, den Haushalt durchzubekommen. Wir hatten jetzt im Februar einen Sonderkreistag Jugendhilfe, wir werden im Juni das nächste Mal zu einem gemeinsamen Antrag der Oppositionsfraktionen diskutieren, und wir haben im März das Papier des Landkreistages ganz offiziell als Kreistag mehrheitlich unterstützt. Das ist doch die Situation. Sie erschweren doch Ihren eigenen Leuten die Arbeit vor Ort.
Auf der anderen Seite müssen wir in meinem Kreis jedes Jahr überplanmäßige Ausgaben einstellen. Das ist schon eine regelmäßige Übung für uns. 2013 waren es bereits
3,7 Millionen Euro Nachschuss im HzE-Bereich. Ich bitte Sie, das sind 20 % des Gesamtplanansatzes. Wie, meinen Sie, soll eine Kommune da noch finanziell klarkommen?
Beim Ranking der Landkreise bei der Heimunterbringung nimmt Görlitz einen Spitzenplatz ein. Sie wie ich, wir kennen die Ursache. Die ist offiziell bestätigt. Der Landkreis Görlitz ist der strukturschwächste und der ärmste Landkreis mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit. Da hilft uns eine Tonnenideologie, Frau Schütz, überhaupt nichts, wenn Sie hier Zahlen aufzählen, wie viel das Land wohin pumpt, es braucht vielmehr einen spezifischen Blick auf die konkreten Problemlagen. Weniger Kinder und Jugendliche auf der einen Seite bedeuten nicht unbedingt weniger Bedarf auf der anderen Seite.
Ich finde, Sie verhalten sich enorm egoistisch gegenüber Ihren Kommunen. Sie lassen Ihre Leute, die Kommunalpolitiker vor Ort, im Stich. Ich kann nur hoffen, dass wir demnächst bei den anstehenden Wahlen sehen, was Sie dafür als Quittung bekommen.
Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion spricht jetzt noch einmal Herr Abg. Schreiber. Bitte, Herr Schreiber.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kagelmann, bei aller Liebe, nur weil man hier besonders energisch auftritt und meint, die Dinge vielleicht besonders sprachgewandt auf den Punkt zu bringen,
heißt das noch lange nicht, dass die Dinge wahr sind, die Sie hier erzählen, und dass die Dinge strukturell, so wie Sie es darstellen, richtig sind.
Jetzt kommen wir doch einmal auf den Punkt. Ich finde es schon sehr schwierig und bin völlig konsterniert, weil ich gar nicht weiß, was wir gerade für eine Debatte führen. Führen wir jetzt gerade eine Föderalismusdiskussion? Es gibt laut deutschen Gesetzen – in diesem Fall heißt das Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz – klare Zuständigkeiten. Da können Sie sich hier vorn hinstellen und noch fünfmal völlig echauffiert sein, da steht nun einmal drin, was Sie als Landkreis Görlitz, was die Landeshauptstadt Dresden als Kommune, was der Landkreis Nordsachsen, was die Stadt Leipzig, die Stadt Chemnitz nun einmal für Aufgaben haben. Da steht nun einmal bis zum heutigen Tag drin, dass Sie zum einen für die Ausgestaltung und Bereitstellung der Mittel für die örtliche Jugendhilfe verantwortlich sind. Das steht eben – und ich habe vorhin selbst gesagt, dass man diese Diskussion führen muss – auch drin, dass Sie zuerst einmal für die Maßnahmen im Hilfe-zur-Erziehung-Bereich zuständig sind.
Das können Sie Ihrem Landrat selbstverständlich mitnehmen. Frau Schütz, wir wissen auch, dass der Landrat Lange Stellvertretender Landesvorsitzender der CDU ist. Das brauchen Sie nicht extra hereinzurufen. Vielen Dank für den Hinweis.
Fakt ist aber, dass ich in diesem Landtag oder auf der Staatsregierungsseite oder in den Koalitionsfraktionen noch niemanden gehört habe, der sich hingestellt und gesagt hat: Mensch, jetzt wollen die Lehrer schon wieder mehr Geld. Das sollen doch einmal die Kommunen bezahlen, immerhin gehen die Schüler ja vor Ort in die Schule.
Es ist vielmehr klar geregelt, dass für die Lehrerbezahlung der Freistaat Sachsen zuständig ist, für die Schulausstattung ist es die Kommune.
Entschuldigung, dann müssen wir eben die Gesetze ändern. Dann kommen Sie mit einem entsprechenden Gesetzesantrag, bringen den hier ein, nutzen Ihre Regierungsbeteiligung in Potsdam dazu, im Bundesrat einen Antrag einzubringen. Dann wird das Kinder- und Jugendhilfegesetz geändert, wenn Sie damit durchkommen. Dann machen Sie es doch einfach mal, aber halten Sie hier nicht solche Reden, die völlig konträr zur Gesetzeslage im Freistaat und in der Bundesrepublik sind.
(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Christine Clauß – Elke Herrmann, GRÜNE, steht am Mikrofon.)
Vielen Dank, Herr Präsident. – Patrick Schreiber, gibst Du mir recht, dass jenseits dieser Diskussion, ob die Bundesebene oder die Landkreise zuständig sind, das SGB VIII zum einen auch eine Gesamtverantwortung enthält und dass man zum anderen die Frage stellen muss, warum denn die Hilfen zur Erziehung steigen. Die Frage ist nicht: Wer bezahlt sie?, sondern: Warum steigen sie? Tatsache ist, dass das etwas mit Prävention zu tun hat und dass offene Kinder- und Jugendarbeit, für die das Land Geld zur Verfügung stellt, unter anderem Präventionsarbeit ist. Es geht nicht nur darum, das Geld irgendwie auszugeben.
Liebe Kollegin Herrmann! Das dachte ich bisher auch. Denn in meiner Zeit – ich bin seit 2004 im Dresdner Jugendhilfeausschuss – sind die kommunalen Mittel für die offenen Angebote, die Präventionsangebote etc. pp. von sage und schreibe 6,9 Millionen Euro auf mittlerweile knapp 11 Millionen Euro gestiegen. Es gibt nicht nur Görlitz, Frau Kagelmann. Trotzdem liegen wir bei den HzE-Maßnahmen – nageln
Sie mich jetzt nicht fest – bei mittlerweile über 50 Millionen Euro und müssen zweimal im Jahr eine Nachtragsvorlage von zwei bis drei Millionen Euro nachschieben.
Also hat es anscheinend nicht nur etwas mit dem Einsatz von Mitteln in der Kinder- und Jugendhilfe zu tun, sondern es hat etwas – das habe ich hier schon 20-mal gesagt – mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Wenn es mittlerweile eine Internetsprache, eine SMSSprache gibt und anstatt ich und dich nur noch i und di geschrieben wird, dann muss ich mich nicht wundern, wenn der Jugendliche am Ende in einer Bewerbung keine ordentliche deutsche Sprache mehr schreiben kann. Hört doch auf, so zu tun, als liege es nur daran, wie viel Geld der Staat in kinder- und jugendhilfliche Angebote gibt! Das ist doch völlig illusorisch.
Ich dachte bisher auch, dass es daran liegt. Aber die Landeshauptstadt Dresden beweist mir, dass es eben nicht so ist – schade, leider.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Gibst Du mir Recht, dass in dem Papier nicht nur die Ausstattung der Jugendhilfe angesprochen ist, sondern die Landräte auch benannt haben, dass Jugendhilfe Ausfallbürge für andere Bereiche ist, zum Teil eben auch für Bereiche, für die die Staatsregierung zuständig ist? Ich nenne beispielhaft Frauen- und Kinderschutz oder die Schuldnerberatung. Sind das nicht auch wesentliche Einflussfaktoren, die dort benannt wurden?
Natürlich sind das Einflussfaktoren. Wenn man sich die konkreten Beispiele anschaut, dann muss ich aber ganz deutlich sagen, dass gerade Suchtberatung und Kinderschutz Bereiche sind, bei denen wir explizit im Haushalt im Vergleich zum Entwurf der Regierung noch einmal aufgestockt haben. Dass das im Zweifel nie ausreicht, um alles zu hundert Prozent und zur Zufriedenheit aller auszufinanzieren, darüber sind wir uns wahrscheinlich einig. Politik ist am Ende tatsächlich die Kunst, das Geld so einzusetzen, wie es scheinbar am gerechtesten ist.
Wir könnten natürlich viel mehr finanzieren, dann machen wir es wie NRW, dann machen wir es wie Rheinland-Pfalz, dann machen wir es wie Frau Kraft, der jedes Jahr der Haushalt vom Verfassungsgericht um die Ohren gehauen wird, weil er einfach nur über Schulden und auf Pump finanziert ist. Wir nehmen das Geld, das vorhanden ist, um in diesem Freistaat Sachsen positiv voranzukommen.
Ja, genau, Herr Homann, es ist doch nicht so, wie Sie es hier darstellen. Ich will Sie vielleicht einmal aufklären, wie HzE funktioniert. Sie haben gerade gesagt, der Freistaat lasse die betroffenen Kinder, die Hilfe brauchen, im Stich. Entschuldigung, ich bekomme einen großen Lachkrampf. Setzen Sie sich bitte einmal mit den Gesetzlichkeiten auseinander. Das ist rein rechtlich gar nicht möglich, weil die Kommune nämlich bezahlen muss, wenn das Kind Hilfe zur Erziehung braucht, und deshalb steigen doch die Zahlen. Also, hören Sie doch auf, so zu tun, als würde hier irgendwer irgendwen irgendwie im Stich lassen. Das ist doch nur reiner Populismus, den Sie hier bringen. Gibt es denn auf Bundesebene – ich glaube, mittlerweile haben Sie sogar die meisten Bundesländer unter SPD-Ägide – einen Gesetzentwurf seitens der A-Länder, also der SPDLänder, zu einer Novellierung der Gesetzlichkeiten zu Hilfen zur Erziehung? Steht im Koalitionsvertrag irgendetwas drin? Ist von der SPD irgendetwas hineingekommen?
Ich beende den Satz noch. – Hat sich Frau Kraft etwa bei der Schulsozialarbeit durchgesetzt? Ich lese nichts im Koalitionsvertrag. Schade, schade!