Herr Krauß, Sie haben gerade beklagt, was Sie als Mitglied des Kreistages eines Landkreises erleben mussten. Ich sage Ihnen, was seit Jahr und Tag in diesem Freistaat passiert: Was die Kosten der Unterkunft angeht, so leben die Landkreise auf Kosten der kreisfreien Städte. Das ist eine Tatsache. Deswegen meinen wir, dass es notwendig ist, die wirklich entstehenden Nettoaufwendungen durch Zuschüsse – auch des Bundes – abzugelten. Eine Formel, die die Bevölkerungszahl zur Grundlage hat, bildet nie und nimmer ausreichend ab, welche Fälle in den jeweiligen Kommunen tatsächlich auftreten. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Mieten in den kreisfreien Städten, also in den Großstädten, erfahrungsgemäß wesentlich höher sind als im ländlichen Raum und demzufolge den Großkommunen höhere Kosten entstehen.
Wollen wir die Sozialgerichte weiterhin damit belasten? Die dortigen Richter können ohnehin kaum noch über ihre Aktenberge schauen, weil immer mehr Klagen von Bewohnern der Großstädte eingehen; die Kommunen verlieren aber eine Klage nach der anderen.
Auf den anderen Punkt, den Sie angesprochen haben, werde ich bei der Einbringung der Änderungsanträge eingehen. Schon an dieser Stelle möchte ich Ihnen mitteilen: Von Ihrer Haltung zu unseren Änderungsanträgen wird es abhängen, wie wir uns zu diesem Gesetzentwurf verhalten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Dritte Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II hat – Herr Dr. Pellmann erwähnte es schon – in den Ausschüssen des Landtages einige Zeit zugebracht.
Es wurde im Juli 2012 eingebracht – das sind also nicht ganz zwei Jahre, Herr Dr. Pellmann – und wird heute verabschiedet.
Es ist ein Ausführungsgesetz, von dem es im Vorblatt heißt, dass ohne seine Verabschiedung aktuelles Bundesrecht nicht umgesetzt werden könne. Nach nunmehr anderthalb Jahren wird es umgesetzt. Es ist gut zu wissen, dass in Sachsen Verwaltung auch ohne Regierung funktioniert und trotzdem alles seinen rechten Gang geht.
Der Gesetzentwurf wurde im mitberatenden Finanzausschuss sechsmal von der Tagesordnung genommen. Grund war scheinbar ein Änderungsantrag, der aber noch nicht einmal richtigen Beratungscharakter hatte und damit keine Grundlage für die Diskussion im Ausschuss bilden konnte.
Dann wiederum wurde der Gesetzentwurf so eilig zur Verabschiedung vorgelegt, dass wir im federführenden Sozialausschuss einen Vorbehaltsbeschluss fassen mussten, noch bevor der Finanzausschuss abschließend beraten konnte. Ein solches Verfahren ist – das lässt sich im Nachhinein sagen – durchaus fragwürdig.
Nun könnte man meinen: Was lange währt, wird gut. – Der vorliegende Gesetzentwurf jedoch zeigt: Je weniger man regiert und je länger bestimmte Prozesse dauern, desto mehr freuen sich trotzdem alle über irgendein Lebenszeichen der Regierung und der sie tragenden Fraktionen; aber der Inhalt des Ganzen rückt in den Hintergrund.
Herr Dr. Pellmann ist schon darauf eingegangen: Der vorliegende Gesetzentwurf klärt nicht eine einzige inhaltliche Frage. Ich nenne nur wenige Beispiele: Was sind angemessene Kosten? Sind pauschalierte Regelungen empfehlenswert oder haben sie auch Nachteile? Wie erfolgt die Verteilung der tatsächlichen Belastung in Sachsen? Inwiefern folgen die Finanzen?
All diese Fragen können weder die Staatsregierung noch die sie tragenden Fraktionen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beantworten. Dieser ist vielmehr die Grundlage für das künftige Agieren der kommunale Ebene, nach dem Motto: Ihr könnt jetzt all das tun, was ihr möchtet. Ihr könnt entsprechende Satzungen verabschieden, pauschalieren oder weiter so abrechnen wie bisher.
Neu ist, dass sich die Staatsregierung über ein zusätzliches Testat für eventuelle Prüfungen des Bundesversicherungsamtes absichert. Die Kommunen jedoch werden bei Streitigkeiten weiterhin auf den Rechtsweg verwiesen.
Eine intensive Debatte über den Gesetzentwurf hat nicht stattgefunden. Gleichzeitig vermisse ich eine Debatte darüber, wie mit der unterschiedlichen Belastung der Landkreise und der kreisfreien Städte in Sachsen durch soziale Leistungen zukünftig umgegangen werden soll. Wir haben darüber vorhin im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe beraten. Diese Debatte wird uns wieder einholen, spätestens bei der Reform der Eingliederungshilfe und wenn es darum geht, wie die steigenden Ausgaben für Hilfen zur Pflege gedeckt werden können. Im Grund hat uns die Debatte schon eingeholt; denn die steigenden Ausgaben im Kinder- und Jugendbereich sind bereits jetzt ein Thema.
Die Kommunen sind ohne Frage für die Daseinsvorsorge zuständig, stoßen derzeit aber in allen Bereichen an ihre Grenzen. Wenn man Subsidiarität richtig definiert, kommt man zu dem Ergebnis, dass in einem solchen Fall auch das Land zuständig ist. Davor drücken sich allerdings die Staatsregierung und die sie tragenden Fraktionen. Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist ein weiterer Beleg dafür.
Wir als SPD verschließen uns der überfälligen Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Abrechnung der Kosten für die kommunale Ebene nicht. Angesichts der zahlreichen offenen inhaltlichen Fragen werden wir uns bei der Abstimmung aber enthalten.
Vielen Dank, Frau Neukirch. – Nun für die FDP-Fraktion Frau Abg. Schütz. Bitte, Frau Schütz, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Erarbeitung des Gesetzentwurfs hat lange gewährt, und es ist ein gutes Gesetz geworden. Immerhin sind die wesentlichen Ände
Bereits im Jahr 2012 sind mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch den Bund die Grundlagen für die fortgesetzte Sicherstellung der sogenannten Hartz-IVLeistungen, also der Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern II und III, gelegt worden.
Die Problematik, dass die Zusammenarbeit der Bundesagentur für Arbeit mit den kommunalen Trägern der Sozialhilfe nicht regelkonform war, ist Ihnen wahrscheinlich noch bekannt. Auch das wird mit dem Gesetz bereinigt. Mit dem genannten Bundesgesetz wird die Erbringung der Leistungen aus einer Hand sichergestellt und auf Landesebene heruntergebrochen. Das erforderte die Anpassung des sächsischen Regelwerks entsprechend dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf.
Wir begrüßen es außerordentlich, dass bis Ende 2013 die Nettoausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – das ist eine Leistung, die immer häufiger vor Ort gewährt werden muss – zu 75 % vom Bund getragen wurden. Seit dem 01.01.2014 erstattet der Bund die Kosten zu 100 %.
Die Länder müssen sich für den Erhalt der Mittel natürlich der Aufsicht des Bundes unterstellen. Da es für die entsprechende Aufgabenwahrnehmung im Rahmen einer Bundesauftragsverwaltung bisher keine Grundlage gab, brauchen wir dieses Gesetz.
Wir haben dazu in der Ausschusssitzung einige Diskussionen geführt. Im Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz wurde die Frage aufgeworfen, ob diese Kontrolle der Mittelverwendung gerechtfertigt sei. – Ja, da der Bund die Kosten erstattet bzw. eigene Gelder weitergibt, erscheint es angemessen, dass er darüber wachen kann, wie dieses Geld eingesetzt wird bzw. was mit dem Geld passiert.
Die Kommunen haben die Mittel bisher nicht im Rahmen der Auftragsverwaltung weitergereicht, sondern letztlich selbst aufgebracht. Insofern hat sich durch das neue Bundesgesetz eine neue Sachlage ergeben. Da die Mittelverwendung ohnehin nachgewiesen werden muss – es sind nicht mehr eigene Gelder –, ist insoweit das Argument, mit dem Testat zur Rechnungsprüfung gehe eventuell Mehrarbeit einher – Frau Neukirch hat es noch einmal angesprochen –, sachlich nicht korrekt. Schließlich prüft der Rechnungshof heute schon einzelne Kommunen, die diese Leistungen bisher aus eigenen Haushaltsmitteln erbringen mussten.
Mit dem Gesetz werden viele Regelungen getroffen, die Rechtsklarheit herbeiführen; das begrüßen wir. Allerdings muss die weitere Entwicklung im Zusammenhang mit den Ausführungsgesetzen zu den Sozialgesetzbüchern beobachtet werden. Die Erstattung der Kosten der Unterkunft ist bereits genannt worden. Der Gesetzentwurf lässt das nach wie vor offen. Dennoch müssen wir uns die tatsächlichen durchschnittlichen Kosten im Freistaat Sachsen
anschauen. Die Mietkostenexplosion in Dresden – auch in anderen Städten sind Steigerungen zu verzeichnen – zeigt, dass es erhöhte Nachfrage gibt. Da ist es nach FDPAnsicht nicht die richtige Lösung, nach einer Mietpreisbremse auf Bundesebene zu suchen, sondern stattdessen Anreize zu schaffen, um mehr Wohnungen zu vernünftigen Preisen – auch hier in Dresden – zu schaffen.
Des Weiteren gehört die Übernahme der Kosten für Behinderte über 65 Jahren dazu. Im Freistaat ist eine unausgewogene Entwicklung der Kostenbelastung zu beobachten. Dieser Aufgabe müssen wir uns annehmen. Für diese Ungleichgewichte brauchen wir künftig eine stärkere Verantwortung der kommunalen Familie insgesamt. Ich kann nur an den Sächsischen Städte- und Gemeindetag appellieren, sich dem Papier des Landkreistages in dieser Frage anzuschließen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wurde langwierig diskutiert und mit zahlreichen Stellungnahmen versehen. Es sind verschiedene Änderungsanträge eingearbeitet worden, unter anderem auch, dass es keine weitreichende Rückwirkung der jetzt zu beschließenden Regelungen gibt. Auch das ist ein wichtiger Verdienst, auch meinerseits. Ich kann Sie nur auffordern, lassen Sie uns das Verfahren dazu heute abschließen und stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch mich hat es gewundert, wie lange dieser Gesetzentwurf gebraucht hat, bis wir heute im Plenum darüber beraten können, umso mehr als ich annehme, wenn ein Verfahren so lange dauert, dass dann auch die Gelegenheit ist, mit den Landkreisen zu einer Einigung bezüglich des Testats Rechnungsprüfung zu kommen. Es wurde schon angesprochen, dass die Landkreise eine andere Auffassung haben. Ohne das zu bewerten, ist es auf alle Fälle so, dass die Aufwendungen für die Landkreise steigen werden. Deswegen wäre in der Zeit die Gelegenheit gewesen.
Ich möchte Sie von der Koalition hören, wenn wir als Opposition in die kommunale Hoheit eingriffen und was Sie uns erzählen würden, aber Sie machen das und müssen sich zu Recht die Vorwürfe des Landkreistages in dieser Hinsicht anhören und auch die Vorwürfe von uns, dass Sie dort keine Regelung geschaffen haben.
Ansonsten wurden zwei Punkte besonders diskutiert. Das ist zum einen die Möglichkeit der Satzungsermächtigung für die Kommunen, die im Gesetz enthalten ist. Das wurde kritisiert, weil an eine Satzung sehr hohe rechtliche Anforderungen gestellt werden und noch nicht geklärt ist,
ob in jedem Einzelfall die Kommunen diesen Anforderungen gerecht werden können. Aber es ist eine Möglichkeit, die nicht unbedingt wahrgenommen werden muss. Deshalb werden wir uns diesem Thema nicht verschließen, zumal die Einbeziehung des Kreistages von Vorteil ist, wenn man über solche Dinge diskutiert.
Herr Dr. Pellmann hat schon auf die Themen hingewiesen, die leider bei diesem Gesetz keine Rolle gespielt haben, also die Ungleichgewichtung von Landkreisen und kreisfreien Städten, was die Kosten der Unterkunft angeht. Die Pauschalierungsmöglichkeit, die zum anderen im Gesetz ebenfalls enthalten ist, lehnen wir komplett ab. Eine Pauschalierung mit einer Verfahrensvereinfachung zu begründen ist ja nur ein Teil der Wahrheit. Der wesentliche Teil liegt wahrscheinlich darin, dass die Sozialgerichte in der Vergangenheit immer wieder mit diesem Thema befasst waren und man hofft, dem hier die Spitze abbrechen zu können und dadurch weniger Verfahren zu haben. Aber dass die Pauschalierungen den realen Ansprüchen nicht genügen, belegen die zahlreichen Klagen.
Erst Ende Februar hat eine alleinerziehende Mutter in Riesa sich mit ihrer Klage durchgesetzt. Das Sozialgericht Dresden hat der Frau und ihrem Sohn insgesamt 442,20 Euro statt der zuvor 321,60 Euro zugesprochen. Es wurde in diesem Verfahren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung angemessener Wohnkosten fehle und nicht nachvollziehbar sei bereits die Bildung eines Vergleichsraumes von Coswig, Meißen, Riesa und Weinböhla.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie mit diesem Gesetz nicht angefasst. Sie haben sich davor gedrückt, und diese Probleme werden weiter bestehen. Die Kommunen brauchen die Pauschalierung nicht als ein Instrument, das ihnen hilft, die Kosten der Unterkunft und Heizung auf den Landesdurchschnitt abzusenken.
Kollegin Schütz hat gerade vor mir gesagt, dass damit die Möglichkeit eröffnet wäre, damit die Kommunen sich mehr Mühe geben und die Städte nicht so hohe Kosten hätten. Die Kosten sind ja nur der eine Punkt des Ganzen. Es steht auch nicht genügend Wohnraum zur Verfügung, der den Bedingungen entspricht. In der Landeshauptstadt Dresden ist es für Alleinerziehende schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden. Deshalb bleiben Familien mit Kindern bei steigenden Mieten auf dem Wohnungsmarkt auf der Strecke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die Sie nicht gelöst haben. Wir denken, das ist eine vergebene Chance. Wir werden dem Gesetzentwurf deshalb nicht zustimmen, aber wir werden uns auch nicht verweigern, sondern uns enthalten.