Dann können wir uns sammeln, und dann würde ich Sie bitten, die Rede fortzuführen. Die Bemerkung, dass es keine Spraydosen gab, hat jetzt natürlich für Heiterkeit gesorgt, aber ich bitte, dass wir uns dem Tagesordnungspunkt wieder zuwenden. Herr Bartl, fahren Sie bitte mit Ihrer Rede fort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Das Problem ist, dass der Antrag – sosehr ich die Sensibilität, sosehr wir die umstrittene Problematik bei den Betroffenen sehen – falsch ansetzt. Das Leben hat doch gezeigt, dass uns dieses 39. Strafrechtsänderungsgesetz, das sogenannte Graffiti-Bekämpfungsgesetz, mit der Vereinfachung der Verfolgung von Graffitiaufbringung, auch wenn die Substanz der Sache nicht beschädigt ist –
allein die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes macht es strafbar, und es gibt die Heraufsetzung des Strafrahmens auf immerhin zwei Jahre Freiheitsstrafe, Androhung für Graffitiaufbringung, ohne Beschädigung der Substanz –, eben nicht eine Verringerung der Anzahl der Straftaten bzw. der Handlungen gebracht hat. Wenn man die Statistik bemüht, stellt man fest: Es hat zu keiner Verringerung geführt. Jedenfalls wird das in Ihrem eigenen Antrag, dem Antrag der Koalitionsfraktionen, so dargestellt.
Das Problem ist, dass wir mit der gesellschaftlichen Debatte bzw. dem Streit um dieses Phänomen nicht vorankommen, wenn wir nur vordergründig reagieren und etwa nur auf Repression bzw. Strafverfolgung setzen nach dem Motto – ich will es vereinfacht sagen –, es müsse nur schärfer vorgegangen werden. Dazu hat Herr Kollege Karabinski eine wesentlich differenziertere Auffassung dargestellt, die in mancherlei Hinsicht für mich durchaus akzeptabel ist.
Hört man in die Insiderszene hinein, so bekommt man auf die Frage, weshalb weder die Absenkung der Schwelle der Strafbarkeit noch die Strafmaßerhöhung Sprayer abhielten, zu sprühen – auch illegal –, folgende Erklärung:
Erstens. Eine große, auch international strukturierte Szene agiert oft illegal, weil sie mangels ausreichender legaler Alternativen dazu gezwungen wird.
Die zweite Erklärung: Graffiti – auch solche, die illegal auf Häuser, Anlagen, Transportmittel etc. gesprüht werden – werden von den Menschen, die diese Subkultur vertreten bzw. verteidigen, für sich angenommen – bitte schön!
(Marko Schiemann, CDU: „Subkultur“! – Weiterer Zuruf von der CDU: Das ist doch keine Subkultur! – Kerstin Köditz, DIE LINKE: Doch! Mensch, Sie verstehen ja gar nichts von dem Thema!)
Graffiti werden als Antwort auf die tägliche Markenbombardierung gesehen. Graffiti gelten als Widerstand gegen die Werbewelt – besser: als Persiflage auf die Werbung –, weil mit den gleichen Mitteln gearbeitet wird: Der öffentliche Raum wird mit Werbung zugepflastert; Graffiti nimmt sich den Raum selbst und gibt sich einen Markenraum als Gegenangriff. Möglichst oft und überall auftauchen, Elemente der Wiederholung – genau wie bei der Werbung.
Das alles ist nachzulesen in dem schon in Bezug genommenen Interview mit dem Graffiti-Künstler Helge „Bomber“, veröffentlicht übrigens unter der Überschrift: „Graffiti – legal, illegal, scheißegal“. Das habe ich nur zitiert.
Drittens. Graffiti werden von einem erheblichen Teil von Menschen – meist jüngeren Alters – unverändert als
Kunst, ob in einer Ausstellung im geschlossenen Raum oder auf Freiflächen gesprüht, sozusagen als Straßenkunst eingestuft.
Graffiti-Crews sehen sich als Vertreter einer Subkultur – das können wir als Hohes Hohes Haus gern zur Kenntnis nehmen; wir können es aber auch ignorieren – und wollen mit dieser Kunstform ihren Idealismus, ihre Identität, ihre kulturelle Auffassung ausdrücken.
Das bringt, nebenbei bemerkt, ein ausgewiesener Soziologe, Hartmut Salzwedel von der Technischen Universität Berlin, auf den Punkt, indem er einschätzt – nachzulesen übrigens auf der Internetseite des Goethe-Instituts unter der Überschrift „Trends – Junge Szene – Popkultur“ –: „Graffiti ist ein soziales Problem, weil die Sprayer keine anderen Regeln als ihre eigenen akzeptieren. Ihr größter Widerspruch besteht zwischen dem Bedürfnis, von möglichst vielen Menschen wahrgenommen zu werden, und der gleichzeitigen Codierung ihrer Botschaften.“
Auf dieser Ebene müssen wir debattieren, umso mehr, als die Nazi-Fraktion das Thema auf die Ebene des Kriminellen oder sogar Schwerstkriminellen heruntertransformieren will.
Ich will es noch einmal ausdrücklich sagen: Wir sind auf der Seite der Teile des Antrags, die darauf setzen, mit Überlegung an das Problem heranzugehen, mehr legale Flächen zu schaffen, wo immer diese Möglichkeit gegeben ist, den Graffiti-Künstlern, die wirklich als solche gelten können, einen Raum zu geben, in dem sie entsprechend kommunizieren können, gemeinsam mit den Graffiti-Künstlern, die solche tatsächlich sind, gegen die blanken Schmierereien vorzugehen, die in keiner Weise vertretbar sind, und vor allem darüber nachzudenken, wie man auf die Art und Weise, in der es Leipzig und Dresden tun, im Gespräch mit den jungen Leuten zu einer Veränderung der Situation kommen kann.
Dort, wo tatsächlich strafbare Handlungen begangen werden, soll logischerweise das Gesetz seine Geltung erhalten und durchgesetzt werden.
(Beifall bei den LINKEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE – Jürgen Gansel, NPD: Am besten einen runden Tisch bilden! Graffiti als Eigentumsveredelung!)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der Antrag in den Geschäftsgang kam und ich davon Kenntnis erhielt, erinnerte ich mich an eine Zeit, in der wir auch innerhalb der SPD über das Thema diskutierten. Grundlage war schon damals ein Antrag; Kollege Pohle hat es bereits gesagt.
Am 28.01.2000 hatten wir einen ähnlichen Antrag – es war ebenfalls ein Berichtsantrag – auf der Tagesordnung. Die Staatsregierung wurde in mehreren Punkten aufgefordert, über die Situation zu berichten.
Heute liegt uns wieder ein Berichtsantrag vor. Sieben der acht Punkte betreffen erneut Berichtsanträge.
Angesichts dessen stellen sich mir einige Fragen: Warum dauert es 14 Jahre, bis man sich erneut mit einem Berichtsantrag beschäftigt? Wenn man etwas regeln will, soll man konkrete Vorschläge unterbreiten.
Dass es so lange gedauert hat, kann daran liegen, dass man nicht mehr so richtig weiß, welche Themen man setzen soll. Dann geht man in das EDAS und schaut, was schon einmal Gegenstand der Debatte war. Man sollte sich aber genau anschauen, wie damals die Debatte lief. Ich will einen Exkurs machen: Im März 2000 gab es dazu eine Debatte zwischen Volker Bandmann und meinem Vorvorvorvorvorgänger als PGF, dem Urgestein Peter Adler.
An dieser Stelle möchte ich herzliche Genesungswünsche an Volker Bandmann übermitteln. Ich hoffe, dass es ihm bald besser geht.
Peter Adler war morgens mit der S-Bahn hierhergefahren und sah Schmierereien. Dann gab es eine Debatte zwischen Volker Bandmann und ihm über die Frage: Ist das alles kriminell? Ist das Sachbeschädigung? Ist das Schmiererei oder Kunst?
Ich muss sagen: Selbst nach 14 Jahren sind wir nicht viel weiter gekommen. Damals gab es den Versuch, sich an der rot-grünen Bundesregierung abzuarbeiten. Es war nämlich der Vorwurf erhoben worden, man schütze mit dem Erscheinungsbild-Paragrafen 303 des Strafgesetzbuches nicht das, was eigentlich geschützt werden müsse. Mittlerweile hat es eine Änderung gegeben, und zwar mit den Stimmen der damals oppositionellen CDU im Bund.
Heute kommt das Thema wieder auf die Tagesordnung. Ich frage: Was hat Sie von Schwarz-Gelb daran gehindert, in einem Antrag konkret zum Ausdruck zu bringen, was Sie wollen?
Möchten Sie Heiko Maas, den sozialdemokratischen Bundesjustizminister, zum Thema machen, weil er mit der Mietpreisbremse die Eigentumsschützer und die auf den Markt Vertrauenden hier im Landtag vielleicht geärgert oder herausgefordert hat?
Warum passiert übrigens nichts beim Thema Prävention? Welches Verhalten führt zu so „schrecklicher“ Verwahrlosung und fortwährender Sprühtätigkeit? Was sind die Gründe dafür, und warum setzt man sich nicht mit ihnen auseinander?
Wie reagieren die Koalitionsfraktionen? Sie versuchen in ihrem Antrag, die Stadt Leipzig als negatives Beispiel anzuführen. Oops! Kann es sein, dass wir bald Kommunalwahl haben? Die Koalition versucht, beides zu vermischen: einen Angriff auf den Bundesjustizminister mit
einer unzutreffenden Darstellung der Situation in Leipzig. Nach Auffassung der Koalition gibt es dort den größten Anstieg an Kriminalität im Zusammenhang mit Graffiti. Der Anstieg ist aber nur minimal im Vergleich zu anderen Städten.
Dann tritt Kollege Pohle auf den Plan und sagt: Wir müssen schnell reagieren! Wir brauchen eine Botschaft für den Kommunalwahlkampf! Unser schönes Leipzig verwahrlost wegen sozialdemokratischer Untätigkeit! – Soll das das Thema sein?
Ach, Sie nicken auch noch? Wunderbar. Dann ist klar, welches Schauspiel gerade abläuft. Vielen Dank, dass Sie genickt haben.
Die Frage ist: Was wollen Sie wirklich? Wie wollen Sie mit diesem Thema umgehen? Was ist denn genau Ihr Problem? Warum soll man nicht darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, eine solche Subkultur in bestimmtem Maße zu fördern?
Wo ist das Problem? Es kommt doch auf die Form der Förderung an. Wir müssen natürlich den Aspekt des Eigentums im Blick haben. Aber wir müssen auch zum Thema machen, inwieweit wir bereit sind, auch solche Formen von Kultur in unserer Gesellschaft zu akzeptieren und ihnen einen Freiraum zu geben. Das muss doch möglich sein.
Aber ich vermute etwas anderes – das haben Sie bestätigt –: Es geht Ihnen nur um Wahlkampfgerassel. Sie möchten heute hier erleben, dass die Opposition – in dem Fall: die SPD – den Antrag ablehnt, damit Sie dann zu den Eigentümerverbänden ziehen und ihnen sagen können: „Die böse SPD tut nichts dagegen! Die böse Opposition will nicht dagegen kämpfen, dass Häuser vollgeschmiert werden!“ Damit versuchen Sie Wahlkampf zu betreiben.
Wir werden einen Strich durch Ihre Rechnung machen, weil das so einfach nicht funktionieren wird. Wir werden diesem Antrag zustimmen, weil nicht mehr darin steht als im Jahr 2000. Das heißt, 14 Jahre haben Sie gebraucht, um einen neuen Berichtsantrag zu schreiben, der sich in der Sache keinen Millimeter nach vorn bewegt. Sie versuchen wieder nur populistisch so zu tun, als hätten Sie sich dieser Probleme angenommen. Dann hätte man daraus einen vernünftigen Antrag machen sollen.
Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, kann ich nur noch meinen Kollegen Parlamentarischen Geschäftsführern Herbst und Piwarz empfehlen: Überweisen Sie den Antrag doch an den Ausschuss zurück. Dann können Sie eine Anhörung durchführen und noch mehr Fragen stellen
und noch mehr Berichtswesen führen. Das können Sie dann alles denjenigen vorlegen, denen Sie vorgaukeln wollen, Sie hätten etwas getan. In Wirklichkeit beschäftigen Sie sich nicht mit den Dingen, die wir aus unserer Sicht eigentlich mit dem Thema verbinden sollten, sondern Sie zünden Nebelkerzen. Das machen Sie seit 14 Jahren. Das ist wenig überzeugend. Wir wollen uns nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass wir bei Berichtsanträgen unsere Zustimmung verweigern. Deshalb werden wir einem weiteren Bericht zustimmen.