Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Anfang dieses Jahres machte eine eigenwillige Meldung in Presse und Fernsehen die Runde: Brasilien stöhnt unter einer Raupenplage. Das ist schon ungewöhnlich, denn Brasilien ist bekannt für den großflächigen Anbau eines gentechnisch veränderten Maises. In diesem Falle handelt es sich um den Mais 1507 des Unternehmens Pioneer.
Nachdem man den Mais zwei Jahre angebaut hat, stellte sich im dritten Anbaujahr heraus: Die Raupen entwickeln sich prächtig. In dem Mais war allerdings ein Insektengift eingebaut, das eigentlich die Raupen abtöten sollte. Die Sorge unter den Kleinbauern in Brasilien ist inzwischen sehr groß. Es geht um Ernteverluste von 30 % und mehr. Es geht um ebenso große Einnahmenverluste. Das Saatgut war ohnehin teurer. Jetzt braucht man auch noch teure Insektizide und davon auch noch mehr, und die Anklage gegen Pioneer ist natürlich folgenlos.
Meine Damen und Herren, genau dieser Mais soll inzwischen nach Europa kommen. Die Zulassung ist theoretisch schon erfolgt. Ganz praktisch könnte es im nächsten Jahr losgehen.
In den Debatten auf EU-Ebene und in den Ministerräten der EU hat sich Deutschland immer vornehm der Stimme enthalten. Man hatte keine Meinung zu diesem Thema. Das ist schon verwunderlich, denn in Deutschland wird seit 2009 keine gentechnisch veränderte Pflanze mehr angebaut, nachdem es ein nationales Anbauverbot für den Mais der Sorte MON 810 gegeben hat. Deutschland befindet sich da in guter Gesellschaft: Deutschland, Frankreich, Ungarn, Österreich, Italien. Das alles sind Länder, in denen nationale Anbauverbote bestehen. Die EU erweist sich noch als ein Bollwerk gegen gentechnische veränderte Kulturen aus Übersee.
Genau zu diesem Zeitpunkt, also 2008/2009, als man den MON 810 national verboten hat, begann die Debatte darüber, ob denn das richtig sei. Entfalten die nationalen Anbauverbote Rechtswirksamkeit? Wie müssen Zulassungsverfahren ausgestaltet und Freisetzungskriterien formuliert sein?
Das Ziel dieser Debatten auf EU-Ebene war immer, die Landwirtschaft in den Mitgliedsstaaten zu schützen, insbesondere auch den Berufsstand der Imker. Aus dieser Debatte folgten zahlreiche Initiativen von EU-Staaten, aber auch von einzelnen deutschen Bundesländern. Die wollten nämlich die Bundesregierung treiben. Die wollten
Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und weiteren Bundesländern. Alle haben gesagt: Wir müssen hier dafür sorgen, dass Deutschland eine gentechnisch freie Zone bleibt. Bayern, Hessen, Thüringen und NordrheinWestfalen sind gleich mal dem Netzwerk „Gentechnikfreie Regionen in der EU“ beigetreten.
Und was macht Sachsen? – Nichts! Sachsen dackelt der Bundesregierung hinterher – zumindest bis jetzt. Inzwischen gab es großen Knatsch in der Koalition, denn diese Enthaltung widerspricht dem Koalitionsvertrag. Dort hatte man sich noch dazu bekannt, dass man anerkennen will, dass der Großteil der Bevölkerung Gentechnik in Deutschland nicht haben will. Die Enthaltung von Deutschland im EU-Ministerrat entsprach nun nicht diesem Koalitionsvertrag. Aufgrund dieser Kritik, auch persönlich an der Bundeskanzlerin, gab es wohl in dieser Woche inzwischen eine Einigung.
Nun zu unserem heutigen Debattenthema. Wir haben natürlich die Sächsische Staatsregierung – Staatsminister Kupfer – befragt: Wie sieht es denn mit eigenen Initiativen aus im Ländle Sachsen? Staatsminister Kupfer sagte daraufhin, dass man sich die Verantwortung ungern zuschieben lassen wolle, dass man sich allerdings einem bundeseinheitlichen Verbot nicht verschließen möchte.
Herr Staatsminister Kupfer, dazu sage ich: Jetzt können Sie sich ja positionieren, jetzt scheint es ja eine Einigung auf Bundesebene zu geben. Ich frage Sie, ich frage die Koalition: Wie halten Sie es mit der Gentechnik in Sachsen? Ich hoffe, wir bekommen in der heutigen Debatte ein einheitliches Stimmungsbild, das wir dann auch in der Diskussion mit dem Berufsstand, der aus meiner Sicht nicht gar so klar zu der Frage steht, –
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat von Konfuzius beginnen: „Wer mit seinen Worten einen grundsoliden Eindruck erweckt, verdient zwar
eigentlich Lob, dennoch ist zu prüfen, ob er wirklich eine edle Gesinnung hat oder sich einfach nur wichtig macht.“
Genau das vermute ich in dem speziellen Fall, denn die Landwirtschaft in Sachsen hat echt andere Probleme, als über Gentechnik zu diskutieren, zumal es keine zugelassenen Pflanzen gibt und auch die Landwirte selbst aus verschiedenen Gründen sehr, sehr vorsichtig sind. Sie könnten, wenn Sie denn dieses Nichtthema hier weiter profilieren wollen, genauso gut über die Winterreifenpflicht in der Sahara sprechen oder über ausufernde Bedienungsanweisungen von Mikrowellen, in die in Amerika ja auch hineingeschrieben werden muss, dass Haustiere nicht zum Trocknen in die Mikrowelle gehören. Sie können genauso gut an dieser Stelle verlangen, dass in der Sächsischen Verfassung ein Verbot der Todesstrafe steht. Das alles sind Dinge, die selbstverständlich sind, und deswegen verstehe ich diesen Grund der Aktuellen Debatte überhaupt nicht. Ich wünsche mir im Gegenteil denselben Eifer, wenn es darum geht, andere Pflanzen zu verbieten, zum Beispiel Cannabis.
Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass die Einführung neuer technischer Entwicklungen schon immer umstritten war. Ich bringe da recht gern das Beispiel vom Telefon. Vor 125 Jahren wurde dieses Thema folgendermaßen diskutiert: Die Welt war sehr skeptisch auf Mister Bells tonerzeugendes Ungeheuer. In Boston, Philadelphia und New York kam es zu Massendemonstrationen gegen die Nutzanwendung. In Chicago streikten die Postboten, weil sie Arbeitslosigkeit befürchteten. Auch in Berlin hat sich eine erboste Dame beim Generalpostmeister beschwert. Ich möchte aus diesem Beschwerdebrief zitieren: „Mit Sicherheit“ – heißt es in dem Beschwerdeschreiben – „würden meine drei Töchter Zeugen sittenloser Gespräche werden und großen seelischen Schaden erleiden. Ich verlange von Ihnen, Herr Generalpostmeister, dass die Telefondrähte, die über mein Dach wegführen, sofort entfernt werden.“
Ähnliche Beispiele lassen sich bei verschiedensten Themen finden. Wer sich mit dem Bau der Wasserleitung in Berlin oder der Kanalisation befasst, kann da genauso gut die tollsten Geschichten erleben. Heute wissen wir alle, dass das dringend notwendig und richtig war.
Wir nehmen natürlich auch die öffentliche Meinung zur Kenntnis, die zu dem Thema herrscht. Mittlerweile sind wir so weit, dass es in Deutschland zur Nutzanwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen keine Forschung mehr gibt. Wir wissen aber, dass es in den letzten 25 Jahren mehr als 150 Projekte zur Sicherheitsforschung mit einem Aufwand von über 100 Millionen Euro gegeben hat, die über das Bundesforschungsministerium gefördert wurden. Komischerweise konnte man dabei nichts feststellen, was es rechtfertigt, diesen Anbau zu verbieten. Größere Gefahr für unsere Biodiversität usw. sind Neophyten.
Selbstverständlich sind gentechnisch veränderte Pflanzen kein Allheilmittel in der Landwirtschaft, sondern es gilt auch hier, ackerbaulichen Grundsätze zu beachten. Es ist genau wie mit Allrad bei Glatteis. Auch damit kann man die Physik nicht überlisten. So gilt es auch für einfachste ackerbauliche Grundsätze, die man mit gentechnisch veränderten Pflanzen nicht außer Kraft setzen kann.
Die Raupen, die sich in Brasilien entwickelt haben, sind keine Folge des gentechnisch veränderten Maises, sondern sie sind eine Folge von Monokulturen. Wenn der Mais nicht gentechnisch verändert wäre, hätten sie sich genauso entwickelt.
Zwei Worte noch zu gentechnisch veränderten Regionen. Definiert ist – wie man im Internet nachlesen kann –, dass zwei Drittel der Fläche mit nicht gentechnisch veränderten Pflanzen bewirtschaftet werden müssen. Einzelne Landwirte sind daran überhaupt nicht gebunden. Es ist also wieder ein Scheingefecht, was Sie hier vorführen.
Schließlich sei gesagt: Sollte es zu einem Verbot gentechnisch veränderter Pflanzen kommen, werden wir dagegen keine Verfassungsklage erheben. Es wird auch keinen Protestanbau vorm SMUL geben. Wir werden auch keine Feldzerstörung von Nicht-GVO-Pflanzen durchführen, sondern das tapfer ertragen. Wir werden die Stimmung der Bevölkerung respektieren.
Dann kann ich noch ein Angebot machen, zwar weniger für den Antragsteller, aber vielleicht für den einen oder anderen, der mit uns mal koalieren möchte, wenn es denn notwendig sein sollte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Die SPD hat sich auf Bundes- wie Landesebene ganz klar gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen bekannt und positioniert. Die wichtigsten Gründe seien
kurz genannt: Erstens. Verbraucherschutz. Mehr als 80 % der Deutschen lehnen Genfood ab; es ist schon angeklungen. Deshalb müssen wir verhindern, dass durch Unterlaufungsstrategien solche Produkte klammheimlich auf Ihrem Teller oder in Ihrem Warenkorb landen.
Zweitens. Der ökonomische Nutzen darf bezweifelt werden. Er bleibt fragwürdig. Monopolstrukturen, insbesondere amerikanischer Hersteller, stellen Wettbewerb und damit auch Nachhaltigkeit infrage. Aber auch die Wirtschaftlichkeit selbst darf bezweifelt werden. Ich verweise hier auf das Protokoll im Bundesrat von SPDLandwirtschaftsminister Erwin Sellering und die Studie der University of Cambridge, die den Pestizideinsatz, Ernteerträge und die Sortenvielfalt verglichen hat bei gentechnisch verändertem Mais, Raps und Soja und konventionellen Sorten. „Diese kam zu dem Ergebnis – das sollten sich gerade die Landwirte mal anhören –, dass die Kombination von herkömmlichem Saatgut und guter Feldpflege, wie sie bei uns in Westeuropa praktiziert wird, die Erträge schneller wachsen lässt als die in den USA praktizierte Gentechnik-Anbaumethode.“
Drittens. Die Risiken erscheinen auch bis heute kaum beherrschbar. Gentechnisch veränderte Sorten sind eine akute Bedrohung für die Biodiversität, die extreme volkswirtschaftliche Kosten zur Folge hätten. Das kann man schon heute in China und Mexiko beschauen.
Wir können aber auch ein kleines Beispiel nehmen: So enthält die aktuell debattierte Gentechnik-Maissorte 1508 ein Pflanzengift. Erst in einer Anhörung des Umwelt- und Landwirtschaftsausschusses im März hat ein Imker dazu zu Protokoll gegeben: „Wenn dieser Genmais in Deutschland zugelassen wird, dann brauchen wir nicht mehr weiter über Bienenschutz zu reden, weil damit alle, alle bisherigen Gefährdungen von Bienen in den Schatten gestellt werden.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier wird auch die Widersprüchlichkeit im Agieren der Koalition deutlich, die diese Anhörung zusammen mit uns, den LINKEN und den GRÜNEN beantragt hat. Dass die CDU und maßgeblich die Bundeskanzlerin zuletzt bei der Abstimmung um ein Verbot der Genmaissorte 1507 eine unrühmliche Rolle gespielt hat, ist bekannt. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, bin ich froh, dass die SPD im Bundestag morgen in einem Koalitionsantrag maßgebliche Positionen der Regierung zu gentechnisch veränderten Pflanzen durchsetzen wird.
Erstens wird die Bundesregierung darin aufgefordert, bei den Verhandlungen auf EU-Ebene ein nationales Ausstiegsrecht rechtssicher zu verankern und somit durchzusetzen. Dadurch wird unser Selbstbestimmungsrecht gestärkt.
Zweitens. Es soll in Zukunft auch eine Option zum Ausstieg aus Genpflanzenanbau nach Zulassung geben, zum Beispiel auch nach einem Regierungswechsel.
Drittens. Die Bundesregierung soll sich für eine praktikable Kennzeichnungspflicht für Tierprodukte einsetzen, welche mit genveränderten Pflanzen als Futterpflanzen hergestellt wird.
Viertens. Die GVO-Staaten sollen zu effektiven Maßnahmen zum Schutz vor Ausbreitung von gentechnisch veränderten Pflanzen verpflichtet werden. Die SPD hat in der Bundesregierung also den Verbraucherschutz gestärkt, die Risikovorsorge gestärkt und das Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsstaaten gegenüber wirtschaftlichen Interessen gestärkt.
Herr Staatsminister, die Debatte ist die Chance, sich zu erklären, bevor Sie bundesweit allein stehen. Frau Kagelmann hat schon auf diverse Initiativen, nicht nur von Rot-Grün, sondern auch von CSU, Schwarz-Grün und anderen Ländern, verwiesen. Die Mehrzahl der Bundesländer lehnt es ab – zuletzt im März im Bundesrat. Sachsen war nicht dabei. Die SPD hat einen klaren Standpunkt bezogen und mit LINKEN und GRÜNEN bereits im April 2011 einen Acht-Punkte-Plan für eine gentechnikfreie Landwirtschaft unterbreitet.