Protokoll der Sitzung vom 19.06.2014

Frau Köditz, zu Ihnen: Was ich mit dem Nationalsozialistischen Untergrund zu tun haben soll, erschließt sich mir auch nach Ihrer Rede immer noch nicht.

Was den Vorwurf einer angeblichen V-Mann-Tätigkeit angeht: Dazu habe ich mich im letzten Jahr sehr klar geäußert.

(Jürgen Gansel, NPD: Wer lesen kann, ist im Vorteil, Frau Köditz!)

Ich werde selbstverständlich nicht in diese Falle tappen, die Sie – irgendwie im Zusammenspiel mit staatlichen Behörden – mit einem dubiosen Dokument, das ich selbst übrigens noch nie gesehen habe, aufgestellt haben. Im Gegensatz zu Ihnen hatte ich in den letzten Jahren relativ oft Gelegenheit, als Parlamentarischer Berater in dem „Sachsensumpf“-Untersuchungsausschuss tätig zu sein. Das, was wir dort an Aktenmanipulationen seitens des Verfassungsschutzes gegen eine ehemalige Mitarbeiterin, eine Referatsleiterin, erlebt haben, hat mich veranlasst, mich auf keinen Fall auf dieses Niveau zu begeben und da irgendeine Klage anzustrengen, an dessen Ende ein „Dokument“ aus der Fabrik von Herrn Meyer-Plath oder von seinem Vorgänger, Reinhard Boos, hervorgezaubert wird. Auf diesen Quatsch werde ich mich nicht einlassen.

(Lachen des Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf den zweiten Aspekt im Titel der von uns beantragten Aktuellen Debatte eingehen: die NSA-Affäre. Auch hierzu erleben wir das gleiche Phänomen wie beim Nationalsozialistischen Untergrund. Es kommt heraus, dass ein Geheimdienst – in diesem Fall: ein ausländischer, die NSA – über viele Jahre hinweg in großem Stil Kommunikationsverbindungen im Ausland abgehört und damit gegen das in den jeweiligen Staaten – darunter die Bundesrepublik Deutschland – geltende Recht verstoßen hat.

Dass gegen deutsches Recht verstoßen wurde, ist, so denke ich, inzwischen unstrittig. Besonders bemerkenswert war natürlich der Umstand, dass selbst das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin Angela Merkel, einer engen Verbündeten der Vereinigten Staaten von Amerika, abgehört wurde.

Die Vorgänge im Detail werden noch aufzuarbeiten sein. Der Bundestag hat vor Kurzem einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Ich bin gespannt, was dort herauskommt; das ist immer ein bisschen schwierig mit Untersuchungsausschüssen. Wie man hört, mauert die Bundesregierung mit Informationen.

Interessant war eine Anhörung von Spitzenjuristen in dem Zusammenhang. Dort hat unter anderem der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, Stellung genommen und ausgeführt, dass durch diese Praxis, die auch der Bundesnachrichtendienst offenbar seit vielen Jahren betreibt – er will diese Aktivi

tät sogar ausbauen –, nicht nur gegen Grundrechte in der Bundesrepublik verstoßen wird, sondern dass sogar gegen die viel zitierten und von Ihnen immer wieder im Munde geführten Menschenrechte verstoßen wird, wenn Menschen in anderen Ländern abgehört werden. Papier sagte wörtlich: „Das sind Menschenrechte. Die stehen jedermann zu.“

Die Bundesregierung interessiert das alles offensichtlich nicht. Sie macht munter weiter mit ihrer Praxis. Wie mein Fraktionskollege Arne Schimmer schon sagte, plant der BND sogar den Ausbau seiner Abhörmaßnahmen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 3. Juni, der BND habe eine „Ausforschung auf Augenhöhe“ vor. Es hatte in der Woche zuvor in verschiedenen Medien Berichte gegeben, dass künftig in Echtzeit soziale Netzwerke bespitzelt und ausgeforscht werden sollen. Der BND will im Rahmen des Projektes „Strategische Initiative Technik“ – das klingt toll – digital aufrüsten und Plattformen wie Facebook oder Twitter ganz systematisch ausforschen.

Wir erleben das gleiche Reaktionsmuster: Ein Geheimdienst macht nicht nur Fehler, sondern verstößt gegen Recht und Gesetz. Angesichts dessen wird aber nicht etwa endlich die Notbremse gezogen und der Geheimdienst – in seiner jetzigen Form zumindest – abgeschafft. Nein, die Geheimdienste erhalten sogar zusätzliche gesetzliche Befugnisse. Das erleben wir im Zusammenhang mit dem NSU, wo alle möglichen „Abwehrzentren“ und sonst irgendetwas etabliert werden; wir haben das in Sachsen schon erlebt. Auf der größeren – auch internationalen – Ebene passiert das genauso. Der Bundesnachrichtendienst soll weltweit richtig mitspitzeln dürfen. Das lehnen wir von der NPD ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Herr Szymanski sprach für die NPD-Fraktion. Wir gehen in der zweiten Runde weiter. Ich sehe Gesprächsbedarf bei der Fraktion GRÜNE. Herr Jennerjahn, bitte.

Herr Präsident, vielen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Herrn Biesok: Wir können die Debatte über Herrn MeyerPlath gern führen. Aber ich lehne es ausdrücklich ab, das im Rahmen einer von der NPD beantragten Debatte zu tun.

(Beifall der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE)

Kommen wir zurück zu dem Thema der Aktuellen Debatte! Das ist offenkundig der peinliche Versuch der NPD, die Debatte über den 3. Untersuchungsausschuss vorzuziehen und irgendwie noch die Deutungshoheit zu erlangen. Frau Köditz hat es schon angedeutet: Diese Debatte werden wir ausführlich im Rahmen des Juli-Plenums führen.

(Holger Szymanski, NPD: Wir werden uns beteiligen, Herr Jennerjahn!)

Deshalb beschränke ich mich hier auf einige kurze Anmerkungen.

Ja, es gibt viele Fragen, was die Arbeit von Geheimdiensten betrifft. Es wird auch Schlussfolgerungen geben müssen. Das alles ist seit zweieinhalb Jahren Gegenstand von lebhaften politischen Diskussionen.

Nur zur Erinnerung: Mit der Ausspähpraxis der NSA und der möglichen Zusammenarbeit deutscher Behörden in diesem Zusammenhang beschäftigt sich jetzt ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Bundestages, eingesetzt auf Betreiben von GRÜNEN und LINKEN, aber auch mit den Stimmen von CDU und SPD. Zum NSU hat es wirklich eine Vielzahl von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gegeben: im Bundestag, in Thüringen, in Bayern, in Sachsen; weitere sind in Vorbereitung.

(Holger Szymanski, NPD: Es gibt aber keine praktischen Ergebnisse, Herr Jennerjahn!)

Das ist auch Ihnen mittlerweile zur Kenntnis gekommen.

Die Diskussion wird geführt; sie wird auch weiterhin geführt. Wir brauchen die Diskussion.

(Holger Szymanski, NPD: Die Geheimdienste werden weiter ausgebaut!)

Was wir allerdings nicht brauchen, ist der verschwörungstheoretische Schwachsinn, den Sie hier präsentieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir wissen mittlerweile, dass Geheimdienste ein Verhalten an den Tag legen, das für mich persönlich mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar ist.

(Holger Szymanski, NPD: Ganz genau!)

Das hat dazu geführt, dass beispielsweise meine Partei und meine Fraktion die Auflösung von Verfassungsschutzbehörden fordern. Andere Parteien wollen nicht die Auflösung der Behörden fordern, aber weitreichende Reformen erreichen.

Wenn Sie hier versuchen, das Bild zu malen, die Gewalt, die von vielen Ihrer Parteimitglieder und der Neonaziszene insgesamt ausgeht, sei staatlich gesteuert, um eine an und für sich friedliche nationale Opposition zu diskreditieren, dann ist das, mit Verlaub, Schwachsinn.

(Holger Szymanski, NPD: Es gibt zig Belege!)

Insofern ist die heutige Debatte ein beredtes Beispiel für die Art, in der Sie agitieren. Sie formulieren Fragen, die in der Tat viele Menschen haben. Aber statt darauf seriöse Antworten zu geben, ergehen Sie sich in Andeutungen, stellen diese Andeutungen als Tatsachen dar, ohne auch nur einen einzigen handfesten, greifbaren Beweis zu liefern.

Ich komme auf Ihren Debattentitel zurück. Sie stellen die Frage: „Wer schützt unsere Verfassung vor dem Verfassungsschutz?“ Damit erwecken Sie den Eindruck, als seien Sie das. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus?

Ich habe im Zitateschatz einiger Ihrer Parteikameraden geblättert. Ich zitiere Udo Voigt – Sie erinnern sich möglicherweise: das war der Parteivorsitzende, der vor Malle-Holger in Ihrer Partei an der Macht war –, der sich am 24. September 2004 in der extrem rechten „Jungen Freiheit“ wie folgt geäußert hat: „Es ist unser Ziel, die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor 15 Jahren die DDR abgewickelt hat.“

(Jürgen Gansel, NPD: Friedlich! Das müssen Sie dazusagen!)

„Dies geht offensichtlich auch über die Wahlurne.“

Dann komme ich zu Herrn Udo Pastörs, Ihrem jetzigen Parteivorsitzenden. Er hat am Aschermittwoch 2009 eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten. Ich zitiere einige Passagen, um zu verdeutlichen, wovon wir hier eigentlich reden: „Wenn wir einen Schulterschluss haben, dann sind wir auch wieder in der Lage, anzugreifen dieses System! Auf der Straße – und in den Parlamenten!

Dann geht es weiter in der Rede: „Wer Selbstrespekt hat und Stolz entwickelt hat auf das, was er ist und in seiner Ahnenkette geworden ist, der wird sich wehrhaft dieser muselmanischen Bedrohung entgegenstellen. Mit Herz, mit Verstand und wenn nötig, auch mit Hand.“

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Hört, hört!)

Das ist auch die Rede, in der Pastörs die Bundesrepublik Deutschland als „Judenrepublik“ bezeichnet hat. Tun Sie also nicht so, als würden Sie sich für Demokratie und Verfassung interessieren. Sie sind Verfassungsfeinde durch und durch!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch bei der NPD)

Das war Herr Jennerjahn für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich frage jetzt: Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen in dieser 2. Aktuellen Debatte? – Das kann ich nicht erkennen. Damit hätte die Staatsregierung das Wort. Gibt es Redebedarf? – Bitte, Herr Staatsminister Martens.

(Holger Szymanski, NPD: Oh, Dr. Martens muss wieder ran!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Debatte hätte die Chance geboten, dass man sich über einen Diskurs verständigt, wie man in diesem Land mit dem Landesamt für Verfassungsschutz umgeht, was man an ihm hat, was man von ihm gerne möchte. Aber ich glaube, dass die NPD nicht die geeignete Fraktion darstellt, um ernsthaft über dieses Thema zu debattieren. Das, was Sie heute hier geboten haben, war

kein Diskussionsbeitrag, sondern nur die Offenbarung einer tief greifenden Paranoia, die Sie hier seit zehn Jahren in diesem Parlament umtreibt.

(Beifall des Abg. Oliver Fritzsche, CDU)

Da wird der NSU, meine Damen und Herren, zu einem Konstrukt der Geheimdienste, als würde es sich um irgendwelche außerirdischen Wesen handeln, die vom Verfassungsschutz erfunden und geschickt worden sind, um die NPD zu diskreditieren.

(Holger Szymanski, NPD: Was haben Sie denn vorhin getrunken?)