Protokoll der Sitzung vom 30.04.2015

Meine Damen und Herren, nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frau Abg. Dr. Maicher, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Plädoyer von Frau Dr. Petry, die europäischen Institutionen zugunsten nationaler Parlamente zu schwächen, werde ich jetzt wieder zu dem vorliegenden Antrag sprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Lautes Lachen bei der AfD)

Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag vorgelegt, aus dem nicht klar hervorgeht, worauf die Verfasserinnen eigentlich abzielen. Wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, dass Deutsch als Arbeitssprache der Beamtinnen und Beamten in den EU-Institutionen stärker Anwendung findet, oder wünschen Sie sich, dass für Bürgerinnen und Bürger sowie Parlamentarierinnen und Parlamentarier Dokumente der EU-Institutionen zeitnah ins Deutsche übersetzt werden? Die Gleichberechtigung der deutschen Sprache als Arbeitssprache in den EU-Institutionen ist nämlich nicht gleichzusetzen damit, wie gut und wie schnell Übersetzungsleistungen erbracht werden.

Der vorliegende Antrag schafft es nicht, beides sachlich voneinander zu trennen. Geht es um die zweite Frage, dann betrifft es nicht nur die deutsche Sprache. Grundsätzlich ist die Bedeutung der Sprachen – und zwar aller Sprachen in Europa – für die Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente in EU

Angelegenheiten mit dem Vertrag von Lissabon geregelt. Im Zuge dieses Vertrages wurde für 2008 eine überarbeitete Übersetzungsstrategie angekündigt; im gleichen Jahr hat die Europäische Kommission diese auf unbestimmte Zeit verschoben.

Es steht außer Frage, dass die nationalen Parlamente ihre Mitwirkungsrechte nur dann vollumfänglich wahrnehmen können, wenn beratungsrelevante EU-Dokumente den Parlamentarierinnen und Parlamentariern zeitnah und vollständig in ihrer Muttersprache zur Verfügung gestellt werden. Schon allein im Hinblick auf die Beteiligungsrechte der nationalen Parlamente im Rahmen der Subsidiaritätsfrühwarnsysteme ist eine Reform der aktuellen Übersetzungspraxis dringend notwendig.

Europa lebt von seiner kulturellen und sprachlichen Vielfalt und es gilt diese Vielfalt der Sprachen zu schützen und zu fördern. Dies ist und bleibt eine wichtige gemeinsame Aufgabe von uns allen. Die Bürgerinnen und Bürger besitzen jeweils mit ihrer Muttersprache in der EU den wichtigsten Schlüssel dazu, eine Verbindung zu ihrer Heimat Europa, aber auch zu den europäischen Institutionen aufzubauen.

Es ist uns klar, dass das Bekenntnis zur europäischen Vielsprachigkeit mit erheblichen Übersetzungskosten verbunden ist, über die auch gesprochen werden muss.

Man muss auch darüber sprechen, dass bei der Sprachvielfalt in Europa die manuelle Übersetzung Grenzen hat. Automatische Übersetzungsverfahren werden die Zukunft sein. Dafür braucht es Forschung und Entwicklung für Übersetzungstechnologien. Die EU nennt das „cracking the language barrier“ in ihrer digitalen Agenda, und auch über diese Kosten muss gesprochen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, in Ihrer Begründung weisen Sie darauf hin, dass weniger als 20 % der Bediensteten der Europäischen Kommission über Deutsch-Kenntnisse verfügten und dass die praktische Anwendung der deutschen Sprache als Arbeitssprache stärker mit Leben zu füllen sei.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Wir sehen den Zusammenhang mit der erwünschten Übersetzungsdienstleistung nicht. Auch sind hierfür ganz andere Maßnahmen notwendig als für die Sicherstellung der zeitnahen Übersetzung von Unterlagen. Dann müssten Sie von der Förderung von Deutsch-Kursen für EUBeamtinnen und -beamte schreiben.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Dann fände sich in Ihrem Antrag zumindest ein Hinweis auf eine positive auswärtige Kulturpolitik wieder, die Deutsch als Fremdsprache in den Schulen der EUMitgliedsstaaten fördert, um so auch Deutsch als Arbeitssprache in den EU-Institutionen zu fördern. Nichts davon ist in Ihrem Antrag zu lesen. Ihr Antrag ist leider ohne Substanz und enthält keinen einzigen Vorschlag, wie Ihre Forderungen eigentlich verwirklicht werden sollen.

Wir können diesem Antrag nicht zustimmen und werden uns der Stimme enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Es gibt den Wunsch nach einer zweiten Runde. Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Schiemann. Sie haben das Wort, Herr Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meinem ersten Redebeitrag habe ich versucht, deutlich zu machen, wie wichtig ein Europa in Vielfalt ist. Es ist wichtig, dass möglichst viele Völker ihre Muttersprache in die Arbeit dieser Europäischen Union einbringen können. Dieser Staatenverbund ist eben etwas anderes als ein Einheitsstaat mit einer einheitlichen Amts- und Arbeitssprache. Wir haben Vielfalt; diese möchte ich nicht missen. Dazu gehören übrigens noch über 60 Minderheitensprachen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Die will Ihnen doch niemand nehmen!)

24 Amts- und Arbeitssprachen gibt es. Deutsch gehört zu diesen 24. Ich bin froh, dass wir heute über dieses Thema sprechen können; denn das, was meine Vorrednerin von den LINKEN hier abgeliefert hat, ist Ausdruck entweder von Arroganz oder von Ignoranz. Sie von den LINKEN haben anscheinend kein Verständnis dafür, dass Sprache nicht nur ein Mittel zur Beschreibung von technischen Abläufen ist. Sprache in ihrer Vielfalt ist in Europa Kulturträger, Gewissen, Erinnerung. Sie erleichtert auch die Verständigung zwischen den Völkern. Wer seine Muttersprache nicht achtet, der wird auch die Sprachen seiner Nachbarn nicht schätzen.

(Beifall bei der CDU und der AfD)

Das können Sie von vielen, vielen Menschen, die Großes geleistet haben, lernen. Ich wiederhole es: Wer sich selbst nicht achtet, wird auch seinem Gegenüber schlecht gegenüberstehen.

(Beifall bei der CDU und der AfD – Zuruf von der AfD: Der wird nicht geachtet!)

Muttersprache ist etwas, was Werte beschreibt und an die nächsten Generationen weitergibt.

Mein Kollege hat vorhin mit Vehemenz auf Goethe, Schiller, Fichte und Lessing hingewiesen. Deren Werke sind in unserer Muttersprache verfasst, in der Sprache, die uns geprägt hat.

(Beifall bei der CDU und der AfD)

Unsere Muttersprache hat uns auch in dunklen Zeiten geprägt, von denen wir Abstand halten wollen.

Ich spreche auch noch meine sorbische Muttersprache, und darauf bin ich stolz. Es ist das legitime Recht einer jeden Nation, die Forderung zu erheben, die eigene Muttersprache möge in den großen europäischen Institutionen vertreten sein.

In der französischen Verfassung ist klar definiert: Die Sprache der Französischen Republik ist Französisch. Darauf können die Franzosen stolz sein.

Wir haben eine solche Regelung in unserer Verfassung nicht.

(Zuruf von der CDU: Noch nicht!)

Wir haben sie nicht. Aber wir dürfen unsere Muttersprache leben und ihre Verwendung auch in der Europäischen Union entsprechend einfordern.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ihre Sprache will Ihnen doch niemand wegnehmen, Herr Schiemann! Warum vermitteln Sie den Eindruck, wir wollten die Muttersprachen verbieten?)

Sie sind aufgeschreckt, weil Sie jetzt erst mitbekommen, welche Ignoranz Ihre Vertreterin hier zum Ausdruck gebracht hat.

(Beifall bei der CDU und der AfD – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie hat von der Vielfalt gesprochen!)

Jetzt komme ich zu dem nächsten Punkt, den Mehrkosten.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie können auch auf Sächsisch reden! Dann ist es einfacher!)

Ich sage Ihnen: Wer diese Europäische Union wegen ihrer Sprachenvielfalt kritisiert und die daraus entstehenden Mehrkosten beklagt, der sägt an der Zukunft dieser Europäischen Union und bringt Sargnägel ein; denn die Sprache verbindet.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Letzter Punkt! Die Bürger der Europäischen Union sind Teil der Entwicklung dieser Europäischen Union. Sie haben das Recht, nicht nur Petitionen an die Europäische Union zu übermitteln; sie haben auch das Recht, mitzugestalten. Deshalb erwarte ich, dass zum Beispiel bei öffentlichen Konsultationen diejenigen, die sich in ihrer Muttersprache einbringen wollen, das Recht haben, dies zu tun, das heißt, die Muttersprache als Amtssprache zu nutzen, ob es Polnisch, Slowenisch, Kroatisch, Litauisch, Französisch oder eben Deutsch ist. Dieses Recht dem Bürger Europas abzuschneiden, was die LINKEN wollen, und Sprache nur als Mitteilungsmittel herabzuwürdigen, das lehnen wir deutlich ab.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Antrag enthält vielleicht nicht alle Punkte, die von meinen Vorrednern noch vorgeschlagen worden sind. Es mag sein, dass wir das eine oder andere vergessen haben. Aber auf einen wichtigen Umstand haben wir hingewiesen: dass auch Deutsch als Arbeitssprache in der Europäischen Union angewendet werden muss – so, wie es vertraglich zugesichert worden ist.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der AfD)

Meine Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen

der Fraktionen? – Herr Abg. Mann. Sie haben das Wort, Herr Mann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die zweite Runde nutzen, um kurz zu reagieren – dafür sind zweite Runden im Regelfall da –, und zwar auf die Äußerungen der Vorredner von den Oppositionsfraktionen.

Ich beginne chronologisch: Frau Klotzbücher, Sie haben Kritik an unserem Antrag geübt. Ja, die EU hat 24 Amtssprachen. Sie hat aber nur drei Arbeits- oder Verfahrenssprachen. Das ist ein Unterschied. Dieser Hinweis ist wichtig. Wir haben diesen Antrag eingebracht, weil dieser Unterschied auch praktische Auswirkungen hat.

Frau Maicher, Sie haben Ähnliches angesprochen und auch interessante Vorschläge gemacht. Es steht Ihnen frei, einen eigenen Antrag zu stellen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der in den von Ihnen zitierten Worten „cracking the language barrier“ im schönsten EU-Deutsch zum Ausdruck kommt. Da dieser Unterschied besteht, werden die praktische Zusammenarbeit und das Verhandeln auf europäischer Ebene manchmal erschwert. Es lohnt sich, gemeinsam darüber nachzudenken, was man tun kann.