Protokoll der Sitzung vom 10.06.2015

(Beifall bei der AfD)

Das war Herr Spangenberg. Ich wollte Sie, Herr Kollege Spangenberg, aber auch Ihren Vorredner, Herrn Kollegen Schreiber, der zwar nur einen kurzen Redebeitrag gehalten hat, noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen: Wenn Sie zum Mikrofon treten, sind Sie gehalten, auch den amtierenden Präsiden

ten anzusprechen. Das für die Zukunft als Hinweis, damit Sie es verinnerlichen können.

Wir sind jetzt am Ende der zweiten Runde angelangt. Gibt es weiteren Redebedarf? – Den kann ich nicht erkennen. Frau Staatsministerin Kurth, Sie wären nun am Zug, für die Staatsregierung zu sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das natürliche Erziehungsrecht liegt bei den Eltern. Unbeschadet dieses Rechts gehört die Familien- und Sexualerziehung zur Aufgabe der Schule. Und sie wird dort – auch fächerübergreifend – mit dem Ziel erteilt, den Schülerinnen und Schülern dieses Thema altersgemäß zu vermitteln und sie vertraut zu machen mit den biologischen, mit den ethischen, mit den kulturellen und mit den sozialen Tatsachen und Bezügen der Geschlechtlichkeit des Menschen und sie auf das Leben in Partnerschaft und Familie vorzubereiten.

Das geschieht vor dem Hintergrund des für jeden sächsischen Lehrplan geltenden Dreiklangs von Wissen, Werten und Kompetenzen. Dieser Dreiklang zeichnet unsere sächsischen Lehrpläne aus. Dabei sind Ziel, Inhalt und Form der Familien- und Sexualerziehung den Eltern rechtzeitig mitzuteilen und natürlich mit ihnen zu besprechen.

Meine Damen und Herren, wie schon erwähnt, hat das Sächsische Staatsministerium für Kultus im Jahr 2006 den Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung veröffentlicht. Im Ergebnis der Anhörung im Sächsischen Landtag im Jahr 2013 – darauf ist Herr Schreiber bereits eingegangen – habe ich angekündigt, den Orientierungsrahmen überarbeiten zu lassen. Wir brauchen keinen Antrag der LINKEN für die Überarbeitung des Orientierungsrahmens. Sie ist in Arbeit.

(Zurufe der Abg. Annekatrin Klepsch und Cornelia Falken, DIE LINKE)

Ich werde den Orientierungsrahmen natürlich im Ausschuss für Schule und Sport vorstellen und wir werden sicher darüber diskutieren. In der Überarbeitung des Orientierungsrahmens sollen in ausreichendem Umfang zeitgemäße Inhalte berücksichtigt werden. Das Sächsische Bildungsinstitut erarbeitet derzeit eine Neufassung, und, Frau Jähnigen, ich habe eine konkrete Terminangabe gemacht: Ende 2015, also im Dezember 2015 soll die Überarbeitung des Planes abgeschlossen sein und er soll veröffentlicht werden.

Abschließend möchte ich ein Beispiel für einen inhaltlichen Aspekt der überarbeiteten Fassung des Orientierungsrahmens geben. Wenn Geschlechtlichkeit durch Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht thematisiert wird, ist immer darauf zu achten, dass es auch Kinder und Jugendliche in der Lerngruppe geben kann, die sich physisch oder psychisch nicht den traditionellen Kategorien von männlich und weiblich zuordnen lassen bzw. die sich selbst nicht zuordnen können, unabhängig vom angeborenen eindeutigen oder uneindeutigen anatomi

schen Geschlecht. Deshalb ist beim Sprechen über die Geschlechter immer auch Rücksicht auf Kinder und Jugendliche zu nehmen. Das ist eine große Herausforderung für unsere Lehrerinnen und Lehrer in jedem Klassenzimmer.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Es ist Rücksicht auf Kinder und Jugendliche zu nehmen, die aktuell oder in Zukunft durch Homo- oder Bisexualität, Intersexualität, Transgender oder Transsexualität eine Orientierung bzw. einen Lebensstil jenseits gewohnter heterosexueller Normen leben oder leben werden. Dies erfordert von unseren Lehrerinnen und Lehrern ein sehr hohes Maß an Selbstkontrolle, an Sensibilität beim Unterrichten sowie der alltäglichen Interaktion einerseits und Achtsamkeit gegenüber diskriminierendem Verhalten und Sprechen von Schülerinnen und Schülern andererseits. Dazu muss es Fortbildungsangebote für unsere Lehrerinnen und Lehrer geben. Auf diesem Weg müssen sie begleitet werden. Das tun wir. Bei der Überarbeitung des Orientierungsrahmens wird es eine Rolle spielen. Ich möchte erwähnen, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer schon heute sehr verantwortungsbewusst und sensibel mit diesem Thema umgehen und mit den Eltern, die die allererste Pflicht und Aufgabe haben, über dieses Thema aufzuklären, in ständiger Verbindung sind.

Für die Umsetzung dieser Aufgaben werden wir den Schulen umfassende Unterstützungsangebote unterbreiten, neben Fortbildungsangeboten auch Projekte vielfältiger Art; und ich bin mir ganz sicher, dass wir unsere Schulen mit Material, Informationen und der Begleitung von Lehrerinnen und Lehrern gemeinsam mit den Eltern ausrüsten werden, um das Thema zeitgemäß, gut, sensibel und auf unsere Kinder und Jugendlichen bezogen bearbeiten zu können.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das Schlusswort hat die Fraktion DIE LINKE; bitte, Frau Buddeberg.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gäbe jetzt noch viel zu sagen, und ich muss mich etwas beeilen, um es noch hinzubekommen. Zunächst ist mir aufgefallen, dass ein Punkt, der in meiner Rede sehr wichtig war, keine große Rolle gespielt hat, nämlich die Verletzung des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung. Ich bin schon der Meinung, wenn Sie den Antrag ablehnen, dann müssten Sie eigentlich begründen können, wie Sie das miteinander vereinbaren. Aber das habe ich nicht gehört.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Keine Verletzung!)

Zu Ihnen, Frau Raether-Lordieck: Nein, es ist nicht richtig; wir werden nicht warten, bis die Regierung so weit ist und diesen Orientierungsrahmen überarbeitet. Die Anhörung liegt zwei Jahre zurück. Seitdem ist nichts passiert. Die Anfrage von Frau Jähnigen hat ergeben, dass

er weiterhin in Überarbeitung ist und möglicherweise bis zum Ende des Jahres fertiggestellt wird – vielleicht; vielleicht auch erst am Sankt-Nimmerleins-Tag. Wir werden es erleben. Aber es ist nicht unsere Aufgabe als Opposition, darauf zu warten, dass die Regierung hier irgendetwas tut. Das hat die SPD auch nicht getan, als sie in der Opposition war. Das hat sie vielleicht inzwischen vergessen, es ist schon lange her. Aber ich erinnere sie gern daran.

Zu Herrn Schreiber. Die Frage zur fachlichen Debatte hat Frau Falken schon beantwortet. Der Antrag ist auch nicht neu, das sagt auch die Staatsregierung. Wir haben das hier schon rauf und runter diskutiert. Das ist nicht mehr der Punkt, sondern es geht darum, einen öffentlichen Diskurs darüber zu führen. Das ist genau das, was Sie einfordern. Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, wie das Medienecho war. Genau dort findet diese Debatte auch in der Öffentlichkeit statt.

Ich wollte kurz noch etwas zu dem Infragestellen der binären Kategorisierung von Frauen und Männern sagen, weil ich gemerkt habe, dass Sie das sehr beschäftigt. Das bedeutet nicht die Abschaffung von Mann und Frau, sonst hätten wir das so in den Antrag geschrieben.

(Heiterkeit bei der CDU und der AfD)

Das ist auch gar nicht unser Ziel, sondern es ist die Akzeptanz, dass mehr als zwei Geschlechter existieren,

(Zuruf der Abg. Ines Springer, CDU)

und wenn Sie Frau Kurth eben zugehört haben, dann haben Sie gehört, dass sie das ebenfalls erwähnt hat. Das ist nämlich keine Ideologie, sondern Realität.

(Beifall bei den LINKEN)

Wenn Sie dieses Argument bringen – das ich schon nicht mehr hören kann –, dass die Mehrheitsmeinung akzeptiert werden muss, dann möchte ich Ihnen darauf antworten, dass der Umgang mit Minderheiten ein Prüfstein für die Demokratie ist und nicht umgekehrt.

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Aber Minderheiten bestimmen nicht, was die Mehrheit macht! – Dr. Stefan Dreher, AfD: So ist es!)

Wenn Sie von uns einfordern, dass wir tolerieren, dass Menschen Homosexualität ablehnen, dann muss ich sagen: Das ist ein völlig absurdes Argument, das ich zurückweise. Ich werde Intoleranz nicht tolerieren, weil das auch überhaupt keinen Sinn ergibt.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf von der CDU)

Zu Baden-Württemberg bin ich der Meinung – aber das können wir vielleicht noch einmal an anderer Stelle ausdiskutieren, Herr Schreiber –, dass die Ideologisierung vor allem von der anderen Seite stattgefunden hat, wenn Sie sich noch einmal anschauen, an welchem kleinen Satz sich das entzündet hat.

DIE LINKE will die Sexualbildung nicht bestimmen, das steht auch gar nicht in unserem Antrag. In unserem Antrag steht: „Die Sexualbildung soll inhaltlich und methodischdidaktisch auf den neuesten Stand sexualwissenschaftlicher und soziologischer Erkenntnisse gebracht werden.“ Ich empfehle Ihnen, Herr Schreiber, und allen anderen auch, sich auf den neuesten Stand zu bringen. Dann gehe ich davon aus, dass Sie am Ende unserem Antrag zustimmen müssten, und ich bitte Sie, dies auch zu tun. Das war es.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung. Ich stelle die Drucksache 6/1539 zur Abstimmung. Wer möchte zustimmen? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden. Der Tagesordnungspunkt ist damit beendet. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 10

Fachkräftemangel in Sachsen

Drucksache 6/1780, Antrag der Fraktion AfD

Auch hierzu wird es wieder eine Debatte geben. Die einreichende Fraktion beginnt, danach folgen CDU, DIE LINKE, SPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich erteile nun der AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2000, mitten in der Hochphase der sogenannten New Economy, begann der Siegeszug eines Begriffs, der heute in der Gesellschaft breit anerkannt ist. Die Behebung des sogenannten Fachkräftemangels durch Ausbildungsinitiativen und qualifizierte Einwanderung ist längst parteiübergreifendes Politikziel in Deutschland geworden. Hinterfragt wird dieser Mangel in der öffentlichen Debatte kaum noch. Die Behauptung, die er transportiert, wird vielmehr gemeinsam als erwiesene Tatsache akzeptiert. Verantwortlich dafür sind alarmierende Schlagzeilen, wie die folgenden ersten drei Suchergebnisse bei Google belegen: „SPIEGEL ONLINE“, 29.05.2015: „Fachkräftemangel könnte halbe Billion Euro kosten“. „manager magazin“,

29.05.2015: „Deutschland droht Wachstumseinbruch durch fehlende Fachkräfte“, Studie der Boston Consulting Group: „Deutschland droht in naher Zukunft ein Mangel von fast 8 Millionen Arbeitskräften“ oder in der „Sächsischen Zeitung“: „Fachkräftemangel in Sachsen – sechs von zehn offenen Stellen nicht besetzt.“

Diese häufig nicht mehr hinterfragte Berichterstattung eröffnet vor allem gut artikulierten Interessengruppen eine große Spielwiese, den Fachkräftemangel als Kampfbegriff für die Durchsetzung von Einzelinteressen zu verwenden. Der Erfolg dieses Begriffs liegt vor allem schon in seiner Unbestimmtheit begründet. Was ist eigentlich eine Fachkraft? Nach Definition des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist eine Fachkraft jeder, der eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen hat. Wo und unter welchen Standards er diese Ausbildung abgeschlossen hat, ist nicht Bestandteil der Definition, obwohl es dringend notwendig wäre.

Vor zwei Wochen erst hat der Chef der BASF, Kurt Bock, in einem Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ beklagt, dass das Niveau eines chinesischen Hochschulabsolventen im Fach Chemie in Deutschland in etwa der Qualifikation eines Chemielaboranten entspricht. Der Begriff Fachkraft ist also rhetorische Allzweckwaffe, mit der sich letztlich jeder arbeitende Mensch, das heißt auch praktisch jede Erwerbsperson, identifizieren kann.

Was ist ein Mangel? Ob Mangel herrscht, wird von denjenigen, die ein Gut nachfragen, anders beurteilt, als von denjenigen, die es anbieten. Ein 58-jähriger Ingenieur auf Stellensuche wird kaum über einen Mangel an Ingenieuren klagen.

Wir sehen, die Beurteilung, ob ein tatsächlicher Mangel an tatsächlichen Fachkräften vorherrscht, wird bereits durch die hinreichend diffuse Definition der Begrifflichkeiten erschwert.

Aber werden wir einmal konkret und betrachten eine Branche, bei der wohl jeder von Fachkräften spricht: bei den Ingenieuren, die auch und gerade in Sachsen stark nachgefragt sind. Die genaue Höhe der Nachfrage variiert dabei mit jeder Studie und Berechnungsmethode zwischen „etwas“ und „dramatisch“. Karl Brenke, Arbeitsmarkt- und Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, hat für die Ingenieure eine simple Rechnung aufgestellt. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes liegt der Altersdurchschnitt erwerbstätiger Ingenieure bei 43 bis 44 Jahren; etwa 30 % sind älter als 50 Jahre, davon die Hälfte – rund 100 000 – älter als 55 Jahre. Von diesen werden allerhöchstens 20 000 pro Jahr in den Ruhestand gehen.

Altersbedingt ersetzt werden müssen pro Jahr also etwa 20 000 Ingenieure. Konjunkturbedingt aber hat in den letzten Jahren darüber hinaus die Zahl der Arbeitsplätze für Ingenieure zugenommen, im Durchschnitt um etwa 11 000 Stellen pro Jahr. Zusammengesetzt mit den Altersabgängen, macht das also einen Bedarf von etwa 30 000 Ingenieuren pro Jahr aus.

Die Studentenzahl in den Ingenieurwissenschaften stieg laut Statistischem Bundesamt im letzten Jahrzehnt um fast 100 000 auf rund 384 000. Im Jahr 2010 wurden bereits mehr als 50 000 Abschlussprüfungen für Ingenieure erfolgreich absolviert. Hier ist eher ein „Schweinezyklus“ als ein Mangel zu erkennen.

Meine Damen und Herren! Ich setze beispielhaft eine Berechnung einer großen deutschen Interessengruppe für Ingenieure aus dem Jahr 2011 dagegen. Im April 2011 seien 90 400 offene Stellen für Ingenieure zu verzeichnen gewesen. Im gleichen Zeitraum waren 22 284 Ingenieure arbeitslos gemeldet. Hieraus ergibt sich eine Ingenieurlücke von circa 80 700 Personen und ein Anstieg von 124,5 % im Vergleich zum Vorjahr.

Was in dieser Studie leider zu erwähnen vergessen wurde, ist, dass die Zahl der offenen Stellen mit dem einigermaßen willkürlichen Faktor 7,14 multipliziert wurde. Die Begründung hierfür ist, dass nicht jede offene Stelle auch der Arbeitsagentur gemeldet werde. Dass dies aber in keiner Weise auf einen Mangel hindeutet, erkennt man an der Zahl der Arbeitslosen. Zudem werden Stellen in Unternehmen häufig auch intern besetzt. In jedem Fall wird auf diese Weise ein relativ ausgeglichenes Verhältnis – schwups! – zu einer dramatischen Meldung.