Protokoll der Sitzung vom 10.06.2015

Was in dieser Studie leider zu erwähnen vergessen wurde, ist, dass die Zahl der offenen Stellen mit dem einigermaßen willkürlichen Faktor 7,14 multipliziert wurde. Die Begründung hierfür ist, dass nicht jede offene Stelle auch der Arbeitsagentur gemeldet werde. Dass dies aber in keiner Weise auf einen Mangel hindeutet, erkennt man an der Zahl der Arbeitslosen. Zudem werden Stellen in Unternehmen häufig auch intern besetzt. In jedem Fall wird auf diese Weise ein relativ ausgeglichenes Verhältnis – schwups! – zu einer dramatischen Meldung.

Die beiden genannten Beispiele zeigen, dass es einen tatsächlichen Bedarf an zwei Dingen gibt: erstens transparente und auf der Basis ausreichender Rohdaten basierende Berechnungen und zweitens eine kritische Hinterfragung der Politik, die mit diesen Zahlen gemacht wird.

Ich fange mit Letzterem an: Welches Interesse kann die Wirtschaft daran haben, dass die Zahlen künstlich nach oben gerechnet werden? Ich sage es Ihnen: niedrige Löhne. Der angeblich dramatische Mangel an Fachkräften müsste in einer funktionierenden Marktwirtschaft mit einer signifikanten Verbesserung der Arbeitsanreize – sprich: der Löhne – einhergehen. Das allerdings ist überhaupt nicht zu erkennen, im Gegenteil: Durch die Möglichkeit der billigen Anwerbung von Arbeitskräften aus EU- und Nicht-EU-Ländern hat man sogar noch eine wichtige Verhandlungsmasse bei allen Tarifverhandlungen hinzugewonnen.

Im Ergebnis führt das dazu, dass die Einstiegsgehälter für so dringend benötigte Ingenieure von 2013 auf 2014 nur um 0,9 % gestiegen sind. Bei den Pflegeberufen sieht es leider nicht besser aus.

Aber, meine Damen und Herren, natürlich gibt es in Sachsen auch Bereiche, in denen tatsächlich bereits ein Mangel herrscht oder in Zukunft vorhersehbar herrschen wird. Zum einen sind das spezialisierte mittelständische Betriebe in ländlichen Gegenden; zum anderen ist eine bedarfsgerechte und würdige Alten- und Krankenpflege bereits heute eine große Herausforderung in einem immer älter werdenden Land.

Nebenbei: Abgesehen von der ÖPNV-Strategiekommission vermissen wir jegliche Konzeption und Vision, wie eine Wiederbelebung des ländlichen Raumes gelingen

könnte. Sie können sich nicht allen Ernstes über einen Mangel an Fachkräften, also ein Symptom, beklagen, wenn Sie an der Ursache nichts ändern. Das Gleiche gilt für die Kinderarmut in Sachsen, die das Pflegeprogramm und auch alle anderen Probleme dieses Freistaates entscheidend verschärft.

Wir sehen also, dass wir auch und gerade hier spezifisch für Sachsen eine Analyse der Arbeitsmarktsituation brauchen, die valide und nicht interessengeleitet korrigiert ist.

Unser Antrag zielt daher auf Folgendes: Wir möchten die Einrichtung einer unabhängig arbeitenden Kommission erreichen, die speziell für Sachsen den Arbeitsmarkt analysiert und dabei die Ungenauigkeiten ausgleicht, die bei der Erhebung und Analyse der gesamtdeutschen Situation zwangsläufig auftreten.

Meiner Meinung nach versucht derzeit vor allem die Bundesagentur für Arbeit bzw. das dahinterstehende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, weitgehend objektiv und unabhängig Prognosen zu erarbeiten. Wahrscheinlich lautet deshalb die Zusammenfassung ihrer aktuellen Studie zum Fachkräftemangel – ich zitiere –: „Es lässt sich nichts Genaues sagen.“ Die Gründe hierfür sind vielfältig und zum Teil in der Analysemethode selbst begründet.

In der zweiten Rederunde werde ich skizzieren, wo meiner Meinung nach zum Teil gravierende Schwachstellen der Arbeitsmarktanalysen liegen und wie wir uns die Arbeit der beantragten Kommission vorstellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Krauß.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es erst einmal für gut, dass wir über das Thema Fachkräftebedarf sprechen.

(Staatsminister Martin Dulig: Richtig!)

Ich habe mir erlaubt, den Begriff Fachkräftebedarf aufzugreifen. Ihre Überschrift heißt „Fachkräftemangel in Sachsen“ und Sie haben uns erklärt, dass es keinen Fachkräftemangel gibt. Warum schreiben Sie es dann in die Überschrift hinein? Sie hätten zumindest ein Fragezeichen dahinter setzen sollen, wenn Sie der Ansicht sind, dass es keinen Fachkräftemangel gibt – zumal es berechtigte Argumente gibt, es so zu sehen. Das nächste Mal vielleicht etwas klarer formulieren.

Nichtsdestotrotz will ich noch einmal auf die Begriffe eingehen. Sie haben ja selbst definiert, dass es eine Definition für „Fachkraft“ gibt, und in Ihren Antrag schreiben Sie hinein, es gibt keine Definition.

Wenn beispielsweise ein chinesischer Arzt kommt und ein chinesisches Arztzeugnis vorlegt, ist es doch nicht so, dass er sofort arbeiten darf. Es findet bei der Landesdirek

tion eine Prüfung statt, in der geprüft wird: Hat er die Qualifikation, ist es vergleichbar mit unseren Studienrichtungen? Deswegen prüfen wir ja die Anerkennung der Berufsabschlüsse, was manchmal gar nicht so einfach ist. Aber nach dem Motto, es gibt hier jemanden, der in China eine Ausbildung gemacht hat, und dann kommt er hierher und ist gleich Fachkraft – so einfach ist die Welt nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Wirtschaftsstandort Sachsen profitiert natürlich davon, dass wir auch in Zukunft genügend gute Fachkräfte haben werden, und deswegen ist es gut, darüber zu sprechen, wie uns dies gelingt.

Ich will einen Blick auf den Ausbildungsmarkt werfen; denn wenn wir über ausreichend Ausbildungsplätze verfügen, dann werden wir auch künftig Fachkräfte haben. In Sachsen gibt es nach dem aktuellen Stand mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Nach den Zahlen vom Mai verzeichnen wir 10 032 unbesetzte Stellen und auf der anderen Seite 8 881 unversorgte Bewerber. Natürlich ist dies nicht alles passfähig, weil es Berufe gibt, die mehr gefragt sind als andere; aber es zeigt sich, dass sich fundamental etwas geändert hat, weil wir ganz viele Jahre hatten, in denen es deutlich mehr Bewerber als Ausbildungsplätze gab. Deswegen ist es wichtig, heute darüber zu sprechen. Wir haben die Frage zu klären: Brauchen wir eine Evaluierungskommission, die den tatsächlichen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Sachsen in den kommenden Jahren ermittelt – ja oder nein? Es lohnt sich einmal darauf zu schauen, was es bereits gibt.

(Staatsminister Martin Dulig: Genau!)

Es gibt die Bundesagentur für Arbeit, die für mich keine staatliche Behörde ist, weil dort auch der Staat einen gewissen Einfluss in den Aufsichtsgremien hat, genauso, wie auch die Arbeitnehmer und Arbeitgeber einen Einfluss haben. Ich glaube, dass damit auch eine gewisse Unabhängigkeit gegeben ist.

Die Bundesagentur für Arbeit erstellt monatlich Engpassanalysen auch für den sächsischen Arbeitsmarkt. Sie können diese Analysen jeden Monat einsehen: Wie lange dauert es, eine Stelle zu besetzen? Nehmen wir das Beispiel eines Klempners. Das dauert in Sachsen derzeit 111 Tage. Es gibt in Sachsen 944 Arbeitsstellen, die als offen gemeldet sind, wo jemand gesucht wird. Ich finde schon, dass das einen relativ guten Anhaltspunkt dafür bietet, ob ein Mangel herrscht oder nicht. Wenn man länger als drei Monate braucht, um einen Bewerber zu finden, wenn man so viele offene Stellen hat, dann ist das ein Anzeichen dafür, dass es vielleicht zu wenige in dem Beruf gibt.

Dann, wenn wir wieder auf die Ausländer schauen, führt das dazu, dass die Bundesagentur für Arbeit Anregungen gibt, wie wir damit umgehen. Wer aus dem europäischen Ausland, aus einem EU-Staat kommt, der kann bei uns sofort arbeiten. Das ist klar. Das ist die Freizügigkeit des Arbeitsmarktes. Wenn Sie aber ein russischer Klempner sind und in Deutschland arbeiten wollen, dann bekommen

Sie eine Arbeitserlaubnis, weil das ein Mangelberuf ist. So einfach ist das und das finde ich auch in Ordnung so,

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

genauso wie es zum Beispiel bei Ärzten der Fall ist, weil wir wissen, dass es einen Mangel an Ärzten gibt. Deswegen kann auch ein Nicht-EU-Ausländer, der Arzt ist, bei uns in Deutschland arbeiten.

Klar ist aber auch, wenn Sie zum Beispiel Hausmeister sind und aus Russland kommen und hier arbeiten wollen, dann werden Sie keine Arbeitserlaubnis bekommen, weil man dann sagen wird, es gibt genug Deutsche, die in der Lage sind, als Hausmeister zu arbeiten. Das ist die jetzige Gesetzeslage, und das ist gut so.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Finde ich falsch!)

Also ich finde diese Gesetzeslage jedenfalls in Ordnung.

Ich möchte übrigens auch keine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt über einen Missbrauch des Asylrechts. Die legalen Möglichkeiten, die wir haben, um auf den deutschen Arbeitsmarkt zu gelangen, reichen aus.

Jetzt haben wir davon gesprochen, es gibt eine Engpassanalyse bei der Bundesagentur für Arbeit auch in Sachsen, aber es gibt weitere Engpassanalysen zum Beispiel vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, also eines wissenschaftlichen Instituts, die sich aktuell zum Beispiel die Berufsfelder angeschaut haben: Wie sieht es im Jahr 2030 aus? Auch dazu gibt es ausreichend viele Studien. Darin wird zum Beispiel festgestellt, dass man im Einzelhandel im Osten im Jahr 2030 keine Probleme haben wird, genügend Personal zu finden. Auf der anderen Seite gibt es Branchen, in denen es einen Mangel geben wird. Dabei wird zum Beispiel die Gastronomie angesprochen. Dasselbe gilt im Jahr 2030 auch für Hausmeister und bei den Gesundheitsberufen.

Ich will auch darauf hinweisen, dass es noch eine ganze Menge anderer Untersuchungen gibt, über die wir im Landtag auch schon diskutiert haben. Eine spannende Studie, wie ich finde, auch wenn sie schon vier Jahre alt ist, stammt von der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit, die Studie „Perspektive 2025“, eine Potenzialanalyse, wie es auf dem Arbeitsmarkt in Sachsen aussieht.

Aus der Studie geht hervor, dass wir derzeit ein Erwerbspersonenpotenzial von 2,5 Millionen Menschen haben, also von Menschen in einem Alter von 15 bis 65 Jahren. Wir wissen, dass sich dieses Erwerbspersonenpotenzial in den kommenden zehn Jahren um 300 000 verringern wird. In Klammern: Arbeitslosenzahl in Sachsen 174 000, und uns ist allen klar, dass leider nicht jeder Arbeitslose für den Arbeitsmarkt geeignet ist.

Dann sagt die Studie, wie man das Erwerbspersonenpotenzial erhöhen kann. Es geht los mit der Qualifikation von Arbeitslosen; dabei kann man eine Menge tun. Wir wollen weniger Schulabbrecher haben. Wir wollen weni

ger Ausbildungs- und Studienabbrecher haben. Das sind Potenziale. Ein weiteres Potenzial liegt darin, dass Menschen länger arbeiten können, dass sie nicht gezwungen sind, in den Ruhestand zu treten, weil sie vielleicht 55 oder 65 Jahre alt sind. Auch in diesem Bereich sind wir auf einem sehr guten Weg, wenn man sich anschaut, wie beachtlich der Anteil der älteren Arbeitnehmer gestiegen ist, und das ist gut so. Jemand, der 60 Jahre alt ist, gehört eben noch nicht zum alten Eisen, sondern ist genauso leistungsfähig.

Man schaut sich zum Beispiel auch an, wie wir ausländische Fachkräfte gewinnen können. Auch das ist ein Beitrag in der Perspektive 2025.

Das größte Potenzial, das es gibt, sind aber die Frauen. Das wird immer unterschätzt. Das Potenzial ist fünfmal so groß wie das der ausländischen Arbeitskräfte, über die wir relativ viel reden, weil eben Frauen zum Teil erzwungen in Teilzeit arbeiten oder es für sie nach der Familienzeit schwer ist, den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Wir haben dort ein ganz großes Potenzial, das wir heben können.

Mein Zwischenfazit: Es gibt sehr viele Daten und sie sind auch in einer sehr guten Qualität. Ich glaube, dass wir deswegen auch keine weitere Kommission brauchen.

Lassen Sie mich aber noch etwas sagen. Ich glaube, wir sind schon wesentlich weiter, weil wir uns nicht mehr nur mit Daten beschäftigen. Wir haben in Sachsen eine Fachkräftestrategie. Wir sind also schon einen deutlichen Schritt weiter. Wir analysieren nicht nur Daten, sondern haben schon eine Ableitung getroffen. Wir haben mit dem Haushaltsgesetz Mittel in den Landeshaushalt eingestellt und wollen uns sowohl auf Landesebene als auch regional – auch dafür haben wir Mittel in den Haushaltsplan eingestellt – mit dem Thema Fachkräfte befassen.

Weil Sie das Thema Altenhilfe angesprochen haben, will ich auch darauf hinweisen, dass wir im Landeshaushalt Vorsorge getroffen und das Thema auch im Koalitionsvertrag angesprochen haben. Wir wollen die Schulgeldfreiheit bei der Altenhilfeausbildung sicherstellen. Wir bilden derzeit noch genügend Altenpfleger aus. Es läuft gut. Wir bilden über Bedarf aus. Wir wissen aber, dass es auf Dauer nicht so sein wird. Wir brauchen in den kommenden Jahren viel mehr Menschen, die in der Altenhilfe arbeiten. Deswegen wollen wir dem Mangel jetzt schon prophylaktisch begegnen, indem wir junge Menschen einladen, sich in der Altenhilfe ausbilden zu lassen und dann in 30 Jahren in dem Bereich zur Verfügung zu stehen oder darin zu arbeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen, wir analysieren nicht nur, sondern wir handeln auch. Ich glaube, dass sich auch die meisten Unternehmen damit beschäftigen. Es kann nicht nur eine Aufgabe des Staates sein, sich mit dem Thema Fachkräftemangel zu beschäftigen, sondern der kluge Unternehmer schaut natürlich auch, wie sich Personalbedarfe bei ihm entwickeln – jedenfalls die größeren machen das. Es gibt immer mehr Unternehmen, die wirklich schauen: Wen muss ich

ausbilden? Wen brauche ich in Zukunft? Das ist auch gut so. Ich glaube, der Staat ist nicht für alles da. Wir können nicht jeden Unternehmer sozusagen an die Hand nehmen und festlegen, welchen Fachkräftebedarf er hat. Das muss er schon selbst hinbekommen.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit, bitte aber um Verständnis bei der AfD, dass wir Ihren Antrag ablehnen werden, weil wir schon wesentlich weiter sind, als Sie es in dem Antrag formuliert haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Die Fraktion DIE LINKE, bitte; Herr Brünler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! So recht ist mir offen gestanden nicht klar, welche die Stoßrichtung Ihres Antrags eigentlich sein soll. Die Einsetzung einer Evaluierungskommission, um den tatsächlichen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu ermitteln, wie der Titel Ihres Antrags vorgaukelt, kann es offensichtlich nicht sein. Wenn Sie ernsthaft an der Arbeit einer solchen Kommission interessiert wären, dann hätten Sie sich ganz einfach mit den Berichten der Enquete-Kommissionen aus der 4. und 5. Legislaturperiode befassen müssen. Auch wenn diese Berichte inzwischen nicht mehr ganz taufrisch sind, gehört trotz allem nur sehr wenig Aufwand dazu, sich die Zahlen zur realen Bevölkerungs- und Arbeitsmarktentwicklung danebenzulegen, um festzustellen, dass die darin beschriebene Situation nicht aus der Luft gegriffen, sondern vielmehr bereits empirisch bestätigt ist und die gefundenen Erkenntnisse durchaus Gültigkeit besitzen.

Die aus bereits vorliegenden Erkenntnissen und Bewertungen resultierende Fachkräftestrategie 2020 ist Ihnen durchaus selbst aufgefallen. Nicht dass in dieser Strategie nicht nachgebessert werden könnte, aber mit Ihrer Forderung hinken Sie der tatsächlichen Entwicklung hinterher.