Protokoll der Sitzung vom 10.06.2015

Die aus bereits vorliegenden Erkenntnissen und Bewertungen resultierende Fachkräftestrategie 2020 ist Ihnen durchaus selbst aufgefallen. Nicht dass in dieser Strategie nicht nachgebessert werden könnte, aber mit Ihrer Forderung hinken Sie der tatsächlichen Entwicklung hinterher.

Wenn man sich die Begründung Ihres Antrags durchliest, dann keimt in einem ein bisschen der Verdacht, dass es Ihnen eigentlich um etwas ganz anderes geht: Sie wollen Sachsen für Zuwanderer abschotten und diese wieder einmal als universellen Sündenbock abstempeln. Ein bisschen warte ich schon auf den Tag, an dem Sie erklären, dass Ausländer bestimmt auch an dem derzeitigen Zustand Ihres eigenen Chaosladens Hauptschuld tragen,

(Lachen des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

mit dem Sie uns seit Wochen medial erheitern.

Irgendwie fühle ich mich beim Lesen Ihres Antrages an den Unfug erinnert, den eine glücklicherweise nicht mehr in diesem Parlament vertretene Partei rechts der Mitte ernsthaft in den Bericht der Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung hat formulieren lassen. Sie meinte, dass es den Menschen in Sachsen dann besonders

gut gehen würde, wenn sie sich und ihre Wirtschaft nur konsequent genug von der Außenwelt abschotten würden.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Das ist dummer Unfug, was Sie da erzählen!)

Zugegeben, Sie treiben es nicht ganz so weit, aber immerhin, bei Ihnen gelten ausländische Fachkräfte als Grund dafür, dass Sachsen in vielen Bereichen trotz Mindestlohn Niedriglohnland ist. Warum dann ausgerechnet in Baden-Württemberg und Hessen die deutschlandweit höchsten Löhne gezahlt werden, obwohl dort auch der Anteil von Menschen mit ausländischer Herkunft am höchsten ist, wird wohl ewig Ihr Geheimnis bleiben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, meine Damen und Herren: Wer eigene Fachkräfte in Sachsen halten oder hoch qualifizierte Menschen aus anderen Teilen Deutschlands oder der Welt nach Sachsen locken will, der muss zunächst für attraktive Rahmenbedingungen sorgen.

Dass es unabhängig von statistischen Spitzfindigkeiten in einigen Bereichen einen Fachkräftemangel gibt und dass dieser nicht unproblematisch für die Entwicklung gerade kleiner und mittlerer Unternehmen ist, steht außer Frage. Einige Arbeitgeber verschließen davor noch die Augen und glauben, dass es nur ein vorübergehendes Tief ist, dass sich seit einigen Jahren schon keine Azubis bei ihnen beworben haben oder dass der einzige Entwicklungsingenieur trotz erreichtem Rentenalter immer noch nicht im Ruhestand ist, weil sonst der ganze Laden auf der Kippe steht.

Aber es gibt durchaus immer mehr Unternehmen, die das Problem erkannt haben und auch ohne Ihren Antrag wissen, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen, um attraktiv zu werden. Fachkräftesicherung braucht betriebliche Investitionen in die Mitarbeiter. Sie braucht in erster Linie gute Arbeit zu guten Löhnen, klare Zukunfts- und Karriereperspektiven und eine einladende Willkommenskultur, die in den Betrieben und in der Gesellschaft tatsächlich gelebt wird. Fachkräftesicherung bedarf auch des Engagements der Politik. Sie bedarf einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die auch jenen eine Chance gibt, die von der derzeitigen Entwicklung nicht profitieren. Sie bedarf einer Qualifizierungs- und Weiterbildungsoffensive und einer tatsächlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch jenseits von Sonntagsreden. Sie bedarf einer funktionierenden öffentlichen Bildungs- und Infrastruktur, die nicht dem Dogma der schwarzen Null geopfert wird. Fachkräftesicherung muss sich auch mit der Frage auseinandersetzen, warum Frauen in Sachsen noch immer weniger verdienen als Männer und warum gerade junge Frauen die ländlichen Regionen noch immer in Größenordnungen verlassen.

Fachkräftesicherung bedarf vieler konkreter Schritte. Ihres überflüssigen Antrags, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, bedarf es nicht.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Abg. Homann von der SPD-Fraktion, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage es ganz deutlich: Ja, wir brauchen gute und qualifizierte Fachkräfte in Sachsen. Wir brauchen diese Arbeitnehmer, denn sie sind die Stütze der sächsischen Wirtschaft. Gute und qualifizierte Fachkräfte generieren Ideen, wodurch unsere exportorientierten Industrie- und Dienstleistungsbranchen wachsen können. Oder anders gesagt, wettbewerbsfähige Unternehmen sind in einer Wissensgesellschaft wie der unseren ohne Fachkräfte nicht denkbar. Fachkräfte sichern unseren Wohlstand sowie die Innovationsfähigkeit der sächsischen Wirtschaft. Sie schaffen auch Beschäftigungschancen für geringer qualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.

Der heutige Fachkräftemangel ist Realität in vielen Branchen und Unternehmen. Ich kenne in meinem Wahlkreis Unternehmen, die Aufträge ablehnen, weil sie zwar das Know-how und die Angebote haben, aber ihnen die Fachkräfte fehlen, um diese Aufträge auszuführen. Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen in den Koalitionsverhandlungen sehr intensiv mit dem Thema Fachkräfte auseinandergesetzt. Wenn ich heute Ihren Antrag lese, stellt sich mir die Frage, ob wir eine solche Kommission brauchen. Ich sage ganz klar: Nein, wir brauchen sie nicht, weil wir erstens darüber hinaus sind und zweitens endlich Zeit zum Handeln ist, und dafür brauchen wir auch keine Kommission.

Deshalb bringen wir eine Fachkräfteallianz mit allen relevanten Akteuren am Arbeitsmarkt auf den Weg; denn zur Sicherung des Fachkräfteangebots gehören alle Akteure an einen Tisch: die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, die Kammern, die Agenturen und die Kommunen. Sie alle können uns dabei helfen, hier voranzukommen. Das ist aus unserer Sicht der bessere Weg, weil eben nicht Experten, sondern die Unternehmerinnen und Unternehmer selber uns sagen können, was sie brauchen.

Wir haben darüber hinaus eine Fachkräftestrategie. Diese Strategie setzt vor allem darauf, dass wir die Unternehmen gezielt bei der Aus- und Weiterbildung unterstützen. Deshalb wollen wir erstens gemeinsam mit den Kammern, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften die Rahmenbedingungen für mehr qualifizierte Ausbildungsplätze im dualen System verbessern. Zweitens wollen wir die systematische Berufsorientierung, die Teil einer guten Fachkräftestrategie sein muss, verbessern, zum Beispiel durch Praktikumsangebote bereits ab der 7. Klasse.

Sie sehen, hier passiert unglaublich viel. Deshalb verstehe ich nicht, wie Sie mit einem Ein-Satz-Antrag glauben, hier einen ernsthaften Debattenbeitrag leisten zu können. Ich will noch einen Schritt weitergehen. Der Kollege von der AfD-Fraktion hat die Begründung schon brav vorgelesen. Ich würde gern noch einen Absatz herausgreifen. Da wird es für mich wirklich lustig. Sie schreiben in Ihrem Antrag, Sie möchten gern erheben, wie der tatsächliche Fachkräftemangel aussieht. Der tatsächliche! Aha.

(André Barth, AfD: Genau!)

Sie beschreiben das in der Begründung wie folgt: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass ein Mangel qualifizierter Arbeitskräfte eher heraufbeschworen als realistisch betrachtet werden soll.“ Das bedeutet, es gibt überhaupt keinen Fachkräftemangel. Wir reden den nur herbei. Im nächsten Satz wird auch klar, warum wir das machen, und da lassen Sie die Katze aus dem Sack: „Der Grund liegt auf der Hand, sind ausländische Arbeitnehmer doch in der Regel zu wesentlich billigeren Konditionen einzustellen als deutsche. Dieser Konkurrenzdruck hat zur Folge, dass mit einer gewaltigen Verhandlungsmasse auch inländische Löhne gesenkt werden können.“ Das heißt, wir reden den Fachkräftemangel nur herbei, um mit diesem Argument Migrantinnen und Migranten nach Sachsen zu schaffen, um hier die Löhne der sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu drücken. Das ist Ihre Argumentation.

Da stelle ich Ihnen eine Frage. Haben Sie diese Woche die Aluhüte nicht aufgehabt?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Heiterkeit des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Mal ganz ehrlich, das ist eine infame Unterstellung. Ich bin der Meinung, wer eine solche Verschwörungstheorie auf die Beine stellt, dem wird es in Zukunft schwer fallen, sich von rechts abzugrenzen. Im Gegenteil – wir werden mit einer klugen Allianz und einer guten Strategie die Sache auf die Beine stellen und dabei nicht auf akademische Kommissionen oder subtile Ressentiments setzen, sondern eine Willkommenskultur schaffen, in der die Leute gern zu uns kommen, weil sie hier ordentliche, gut bezahlte Arbeitsplätze bekommen, so wie die Sächsinnen und Sachsen auch. Nur so können wir den Freistaat Sachsen zukunftsfähig machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich rufe die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich muss ein Papier zwei Voraussetzungen erfüllen, um sich AfD-intern zu qualifizieren. Es muss mit mindestens einer Verschwörungstheorie gewürzt sein und mindestens eine, je nach Zielpublikum mehr oder weniger getarnte ausländerfeindliche Parole enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieser Antrag, meine Damen und Herren, ist dahin gehend geradezu vorbildlich strukturiert, und das bei einem durchaus wichtigen wirtschaftspolitischen Thema, dem Fachkräftemangel, dessen Existenz Sie in Ihrer Begründung grundlegend bezweifeln.

Es gibt einen unausweichlichen demografischen Trend in unserem Land. Dieser Trend wird den deutschen Arbeitsmarkt längerfristig entscheidend formen. Das Statistische Bundesamt sagt bis zur Mitte des Jahrhunderts eine

Abnahme der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter um etwa 35 % voraus. Dabei ist eine Nettozuwanderung von jährlich 100 000 Personen bereits eingerechnet. Der Sachverständigenrat weist in seinem Jahresgutachten 2014 auf die Gefahren dieser Entwicklung für die Wirtschaft und die Sozialversicherungssysteme hin. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt, dass das Erwerbspersonenpotenzial von 45,1 Millionen Personen 2012 bis 2050 um über 16 Millionen Arbeitskräfte sinken wird. Der Löwenanteil dieser Schrumpfung geschieht bereits bis 2035. Gleichzeitig bleibt der prognostizierte Arbeitskräftebedarf in überschaubaren Zeiträumen aber nahezu konstant. Weder stark steigende Erwerbsquoten von Frauen noch ein höheres Renteneintrittsalter können nach diesen Studien den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials signifikant bremsen.

Deshalb kommt unter anderem eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zu dem Schluss, dass Zuwanderung sowohl aus der EU als auch aus Drittstaaten in Bezug auf Fachkräfte eine entscheidende Rolle für die Zukunftssicherung unserer Wirtschaft spielt. Übrigens ist das alles im Osten Deutschlands und dort im ländlichen Raum besonders dramatisch. Auf einem Workshop letzten Samstag in der Oberlausitz durfte ich lernen, dass von 1,4 Millionen Einwohnern in der Lausitz 1990 im Jahr 2012 bereits 300 000 fehlten. Bis 2030 wird es noch einmal eine Viertelmillion weniger als heute.

(Alexander Krauß, CDU: Wenn die Braunkohle nicht wäre, gäbe es noch viel weniger!)

Das bedeutet zwischen 2010 und 2030 einen Aderlass in dieser Region von minus 36 % der Erwerbstätigen. Die Wirtschaftsinitiative Lausitz sieht deshalb einen absoluten Schwerpunkt für die Zukunftsfähigkeit der Region in der Fachkräftesicherung. Man hat eigens eine Projektgruppe eingerichtet, einen Fachkräfteatlas erstellt und arbeitet an Fachkräfteanalysen für Teilregionen.

Die IHKs, die Handwerkskammern, die Forschungsinstitute, der Sachverständigenrat, um nur einige zu nennen, sehen im drohenden Fachkräftemangel vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Sie, meine Damen und Herren von der AfD, ficht das alles nicht an, wenn Sie bei dem Thema auf AfD-tauglich machen wollen. Sie schreiben angesichts dieser demografischen Situation in Ihrer Antragsbegründung von panikartigen Schlagzeilen, die für interessengeleitete Forderungen herangezogen werden.

(Lachen und Beifall bei den GRÜNEN)

Sie platzieren sogar die Verschwörungsthese, ein Mangel an Arbeitskräften solle eher – das wurde schon gesagt – heraufbeschworen als realistisch betrachtet werden. Einen Grund für die Verschwörung aller Experten, Wirtschaftsverbände und der Arbeitsagentur haben Sie natürlich auch parat: Das ist die gemeinsame Verschwörung der Absenkung inländischer Löhne durch Einstellung ausländischer Arbeitnehmer.

Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen jetzt als Arbeitgeber, der schon viele Fachkräfte eingestellt hat – darunter Inländer wie Ausländer – einiges berichten. Ich könnte Ihnen berichten – das findet sich auch in Ihrer Begründung –, wie es passieren kann, dass man trotz 50 Bewerbungen niemanden findet, der auf die Stelle passt, während darunter vielleicht zehn exzellente Kandidaten für das Nachbarunternehmen sind. So viel zur unmittelbaren Aussagekraft Ihrer Rohdaten. Ich könnte Ihnen auch berichten, wie sich trotz Fachkräftemangels die Gehälter nicht beliebig steigern lassen: weil erzielbare Preise von Produkten und Dienstleistungen im Wettbewerb häufig gedeckelt sind.

Aber wie Ihr Antrag beweist, wäre das verlorene Zeit, denn die fachliche Annäherung an das Thema ist gar nicht das, was Sie hier vorhaben. Das zeigt sich ganz klar, wenn Sie in der weiteren Begründung die Katze aus dem Sack lassen: Sie fordern unabhängige, nicht nachbearbeitete, valide Rohdaten. Haben Sie nun also vor, neben der Lügenpresse auch noch die Lügenstatistiker zu entlarven?

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Das war nicht von uns!)

Meine Damen und Herren, die ausländerfeindliche Komponente in Ihrem Antrag verliert gänzlich die Tarnung nach den – ich zitiere – Sozialplänen der sächsischen Wirtschaft für den Fall, dass beispielsweise bedingt durch konjunkturelle Einbrüche ausländische Fachkräfte nicht mehr weiterbeschäftigt werden können. Es ist für Sie offensichtlich selbstverständlich, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um selektiv die ausländischen Fachkräfte wieder loszuwerden, einfach deshalb, weil es halt Ausländer sind.

(Zuruf von der AfD: Ach nee!)

Mit unternehmerischer Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Dort geht es um Tüchtigkeit und Können und nicht um Deutschtümelei.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Ah!)

Sollten Sie, meine Damen und Herren von der AfD, in Ihrer politischen Laufbahn wirklich noch einmal vorhaben, sich ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen, dann schauen Sie sich einmal die zitierte Studie der Bertelsmann Stiftung an, die besagt: Ohne dezidierte Zuwanderungspolitik ist es Essig mit der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit dieses Landes und mit den Renten- und Sozialsystemen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Um diese Zuwanderung abzusichern, schlägt die Studie eine Öffnung des Ausbildungssystems für Jugendliche aus Drittstaaten mit Bleiberecht nach der Ausbildung sowie eine Verbesserung der Sprachkompetenz vor, und sie will auch Deutsche anregen, Erfahrungen im Ausland zu sammeln, um damit als Werbebotschafter für unser Land und künftige Netzwerkpartner die Zuwanderung nach Deutschland positiv zu beeinflussen. Der wichtigste

Faktor allerdings ist die Offenheit der Gesellschaft für Migrantinnen und Migranten, die berühmte Willkommenskultur.

Bleibt das Fazit: Sie haben hier einen Antrag vorgelegt, der mit einem Interesse an der Zukunftsfähigkeit Sachsens aus unserer Sicht wenig zu tun hat, denn es gibt fundierte Studien und Analysen zu diesem Thema. Für Sie geht es offensichtlich darum, in der Begründung wieder einmal eine schräge Kombination aus Verschwörungsthesen und Ausländerfeindlichkeit aufzuschreiben. Das wird selbstverständlich keine grüne Zustimmung finden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mir liegt eine Wortmeldung von der CDU-Fraktion vor. Oder wünscht die AfD noch einmal zu sprechen? – Für die Debatte? – Okay.