Nico Brünler
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es scheint auf den ersten Blick eine alte Kamelle zu sein. Die Grundlagenvereinbarung zwischen dem Freistaat Sachsen und der Landesbank Baden-Württemberg, die dazu führte, dass die LBBW die Sachsen LB zunächst treuhänderisch
übernahm, liegt ziemlich genau zwölf Jahre zurück. Rund ein halbes Jahr später wurde die Sachsen LB endgültig auf die LBBW verschmolzen.
Ist das also nur eine historische Debatte? – Mitnichten. Auch wenn es zugegebenermaßen ein spannendes Lehrstück für die unseriöse Finanzpolitik der sächsischen CDU ist. Nur wenige deutsche Landesregierungen haben es mit einer für die CDU typischen Mischung aus Größenwahn und dem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit geschafft, so nachhaltig steuerfinanziertes Landesvermögen zu vernichten.
Lassen Sie mich zunächst etwas weiter in der Historie zurückgehen, um zu verstehen, was eigentlich passiert ist.
1991 wurde auf Beschluss des Landtags die Sachsen LB als Anstalt des öffentlichen Rechts ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe war die einer Staats- und Kommunalbank und der Zentralbank der sächsischen Sparkassen. Besondere Bedeutung erlangte sie bei der Erfüllung strukturpolitischer Aufgaben im Freistaat. Diese Aufgaben hat die Bank zuverlässig erfüllt. Sie hat sogar Gewinne abgeworfen und natürlich regelmäßig Ertragssteuern gezahlt, zwar in bescheidenem Umfang, aber immerhin.
Doch bereits Ende der Neunzigerjahre galt: Sachsen ist nicht groß genug für das Rad, das der Freistaat als Eigner drehen wollte. Entgegen den Empfehlungen externer Berater sollte der öffentliche Auftrag der Landesbank systematisch zurückgefahren und die Bank zu einer Kapitalmarktbank umgeformt werden. Eine dauerhafte Eigenkapitalrendite von 15 % war das Ziel, auch wenn das zu keinem Zeitpunkt seriös unterlegt werden konnte. Also musste man wachsen, und das schnell.
Die Bank gründete Tochterstrukturen, auf die sie in Überschreitung der im Errichtungsgesetz festgeschriebenen Kompetenzen Patronatserklärungen abgab. Aber das Finanzministerium schritt nicht ein. Ein interessantes Nebenereignis ist dabei, dass das Innenministerium zeitgleich den sächsischen Kommunen mitteilte, dass solche Patronatserklärungen eine derartige Verpflichtungswirkung entfalten, dass sie grundsätzlich unzulässig seien und rechtsaufsichtlich nur im äußersten Ausnahmefall genehmigt werden könnten. Doch egal, das Finanzministerium wollte davon nichts wissen und träumte weiter von 15 % Eigenkapitalrendite.
Bis Ende 2006 wurden die über verschiedene Konstrukte abgewickelten Kapitalmarktgeschäfte auf 41 Milliarden Euro ausgeweitet. Das entsprach fast dem Dreifachen des damaligen Landeshaushaltes. Dem stand ein Kernkapital von 1,4 Milliarden Euro gegenüber. Anders gesagt: Die eigentlich bei Gründung der Bank festgeschriebenen Aufgaben machten zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr 20 % des Geschäftsvolumens aus. Der Rest bestand aus Zocken, Risikogeschäften, Immobiliendeals, die man offenkundig nur teilweise durchschaute, und einer Augenzu-und-durch-und-es-wird-schon-gutgehen-Mentalität.
Selbst die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stufte das neue Geschäftsmodell als unseriös und nicht tragfähig ein und ging davon aus, dass die Landesbank bei der kleinsten Störung auf den Finanzmärkten wenn schon nicht kollabieren, so doch in schwerstes Fahrwasser geraten würde, und zwar mit unabsehbaren Folgen für den Landeshaushalt. Egal, das Finanzministerium träumte weiter von 15 % Eigenkapitalrendite.
Doch dann ging es plötzlich recht schnell. Tatsächlich führten bereits erste Störungen des Finanzmarktes zu Notverkäufen aus dem Portfolio und brachten die Bank in eine existenzbedrohende Schieflage. Das Tragische war, dass erst rund vier Wochen vor der Veräußerung der Bank an die LBBW dem Finanzministerium dämmerte, dass das ganze Projekt im ganz großen Schiffbruch enden wird. Bis dahin gab man sich mit der Versicherung der Banker
zufrieden, dass die Liquidität gesichert sei und es keinen Anlass zur Panik gebe. Wie gesagt, das CDUFinanzministerium duckte sich weg und träumte von dauerhaft mindestens 15 % Eigenkapitalrendite. Oder wie es der Rechnungshof in einem vernichtenden Gutachten zu den Ursachen des Landesbankdesasters im März 2009 formulierte: „Es war unverantwortlich, dass angesichts der Größenordnung der Geschäfte und der vollen Haftung des Freistaates Sachsen für alle Risiken keine intensivere Diskussion über die jeweiligen Entwicklungen geführt wurde.“ Jeder, der die nüchtern zurückhaltende und an belegbaren Fakten orientierte Ausdrucksweise des Rechnungshofes kennt, weiß, dass das im Grunde die höfliche Umschreibung für den Totalausfall des Finanzministeriums ist.
Wir können rückblickend eigentlich noch von Glück reden, dass die vom damaligen Finanzminister und späteren Ministerpräsidenten Milbradt forcierte und mit den Stimmen der CDU im Landtag bereits in Gesetzesform gegossene Gründung des Sachsenfinanzverbundes per Volksentscheid 2001 gestoppt wurde und die kommunalen Sparkassen nicht mit der Landesbank und der SAB zwangsverbunden wurden. Sonst hätte der Größenwahn der Sachsen LB womöglich den gesamten öffentlichrechtlichen Finanzsektor im Freistaat mit in den Abgrund gerissen.
Aber kehren wir von unserem Exkurs in die Gegenwart zurück; denn das Lehrstück hält noch immer an, meine Damen und Herren. Dazu mehr in der zweiten Runde.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Liebhauser, es war eben nicht die Finanzkrise, sondern es war das Konstrukt, das die Sachsen LB zu Fall brachte. Wenn man Aussagen, wie „mit einem blauen Auge davongekommen“ mit seriöser Finanzpolitik verwechselt, dann ist das, vorsichtig ausgedrückt, schon arg schräg.
Die Folgen des Landesbankdesasters haben den Haushalts- und Finanzausschuss in der zurückliegenden Legislaturperiode regelmäßig beschäftigt. Einen letzten populistischen Höhepunkt erreichte das Thema im Januar letzten Jahres, als bekannt wurde, dass der Freistaat nicht für die gesamte der LBBW zugesagte Garantiesumme von 2,75 Milliarden Euro aufkommen muss.
Das war für die Union im Landtag bereits damals Grund genug, von unerwarteten zusätzlichen Einnahmen zu sprechen und sich selbst, wie Kollege Liebhauser heute auch wieder, für die eigene Weitsicht zu loben. Das ist ein Hohn angesichts der Tatsache, dass die „verantwortungsvolle“ CDU-Finanzpolitik die Milliardenpleite erst verursacht hat und dass für die Garantieleistungen in den letzten Jahren Steuergelder in Milliardenhöhe ausgegeben wurden, die im Landeshaushalt gefehlt haben und für Schulen, für Straßen oder die ausreichende Anzahl an Polizisten nicht zur Verfügung standen.
Wir haben heute Morgen erst über ein Landespflegegeld gesprochen, für welches angeblich kein Geld vorhanden sei. Zwar sprach der Finanzminister vor einem Jahr davon, dass ein Ende der mit dem Notverkauf der Sächsischen Landesbank verbundenen finanziellen Belastungen für den Haushalt des Freistaates nun in Sicht sei, in der Stellungnahme zu unserem Antrag klingt das dann inzwischen schon wieder anders, als käme dann doch noch mehr.
Die Folgearbeiten zur Sachsen LB dauerten demnach noch an und zögen weitere Kosten nach sich. Die Liquidation der Sealink – das ist jene Zweckgesellschaft, auf die die Wertpapiere übertragen wurden, für die es wegen starker Kursverluste oder undurchsichtiger Risikostrukturen keinen funktionierenden Markt mehr gab – befindet sich noch in einem frühen Stadium. Erst nach formaler Auflösung des sächsischen Garantiefonds, wenn tatsächlich alle Verbindlichkeiten des Fonds erloschen sind, wisse man, was tatsächlich übrig bleibt, und bis dahin sage man erst einmal grundsätzlich nichts. Überdies sei
der Haushalts- und Finanzausschuss vierteljährlich in geschlossener Sitzung über den Sealink-Bestand und die gezogenen Garantien informiert worden.
Das Problem ist nur – Herr Kollege Liebhauser und auch Herr Kollege Panter, hören Sie genau zu! –: Mit einer ehrlichen Bilanz zu den finanziellen und wirtschaftlichen Folgen dieser bislang beispiellosen Fehlleistung in der Vermögensbewirtschaftung des Freistaates hat das wenig zu tun. Aus diesen im Sächsischen Garantiefondsgesetz vorgesehenen Berichten gehen zwar die jährlichen Einnahmen und Ausgaben hervor, die mit dem Vollzug des Garantiefondsgesetzes verbunden sind; jedoch bleiben die weiteren Kosten und die finanziellen Lasten sowie die daraus resultierende Gesamtbelastung für den Haushalt des Freistaates nach wie vor unklar. Über die von Kollegin Schubert gesprochene Oberflächlichkeit der Berichterstattung habe ich da noch gar nicht gesprochen.
Wir kennen bisher lediglich die Untergrenze des Schadens und die ist größer als die gezogenen Garantien; denn die Untergrenze des Schadens, die sich unmittelbar aus dem Verkaufserlös der Bank im Vergleich zu den vorherigen Investitionen und den gezogenen Garantien ergibt, beträgt in der Summe knapp 2,4 Milliarden Euro Steuergelder, die sich in Luft aufgelöst haben. Aber das ist, wie gesagt, nur die absolute Untergrenze, und es ist ja nicht so, dass im Finanzministerium keine Zwischenergebnisse vorlägen. Falls dem doch so wäre, dann wäre das Problem tatsächlich weit größer, als es im Moment den Anschein hat.
Wie sieht es denn aus mit Kosten für Sachverständige, Gutachten und Rechtsstreitigkeiten? Wie sieht es denn aus mit Kosten im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Verkauf des Sealink-Portfolios? Wie sieht es denn aus mit finanziellen Leistungen aufgrund gerichtlicher Entscheidungen oder außergerichtlicher Vergleiche und Anerkenntnisse? Wie sieht es denn aus mit Erstattung von Steuern im Zusammenhang mit der Übertragung der Sachsen LB auf die Landesbank Baden-Württemberg? Wie sieht es denn aus mit Personal- und Sachkosten innerhalb der Staatsregierung und mit den Kosten im Zusammenhang mit der Verwaltung des Garantiefonds?
Eine besonders bizarre Anekdote im Zusammenhang mit der letzten Frage ist die Tatsache, dass ebenjener Mitarbeiter, der ursprünglich im Ministerium in Personalunion die Beteiligung der Landesbank verwaltete und gleichzeitig über sich selbst die Rechtsaufsicht wahrnahm, vom Finanzministerium damals freigestellt wurde, um anschließend als externer Berater wieder eingekauft zu werden. – Nur eine Anekdote, aber sie beschreibt anschaulich den Umgang mit dem Problem.
So weiß die Öffentlichkeit auch nicht, wie es denn nun auf der Einnahmenseite aussieht, sowohl was Erstattungen als auch Einnahmen aus Vergleichen oder Zinsen anbelangt.
Da all diese Fragen auch zwölf Jahre nach der Pleite der Sachsen LB noch völlig offen sind, fordern wir die Staatsregierung auf, eine vollständige Bilanz der aus dem
Notverkauf der ehemaligen Landesbank resultierenden Kostenbelastung aufzustellen.
Darüber hinaus soll der Sächsische Rechnungshof in seiner unabhängigen Stellung gebeten werden, ebenfalls eine abschließende Bewertung und Bilanz zum Untergang der Sächsischen Landesbank zu erarbeiten und dem Landtag Schlussfolgerungen hieraus zu unterbreiten.
Gerade die Ansicht der Staatsregierung, dass eine abschließende Folgebetrachtung durch den Rechnungshof mit Verweis auf das Gutachten zu den Ursachen der Bankenpleite von vor zehn Jahren und dem finanzpolitischen Versagen der damaligen CDU-Regierung entbehrlich sei, macht uns hellhörig.
Ich verstehe, dass man es nicht gern schwarz auf weiß bekommt, dass man nicht in der Lage war, ordentlich mit Steuergeldern umzugehen; aber wir erachten es als dringend notwendig, aus einer noch immer ausstehenden finanzpolitischen Aufarbeitung der Entscheidungen und Vorgänge die entsprechenden Lehren zu ziehen, um ähnlich gelagerte Fehler in der Beteiligungsverwaltung des Freistaates in Zukunft zu verhindern.
Wenn man sich den grundsätzlichen Umgang mit Landesbeteiligungen durch die aktuelle Koalition und die von ihr getragene Staatsregierung anschaut, dann gilt offenkundig allzu oft die Devise der berühmten drei japanischen Affen: „Nichts hören – nichts sehen – nichts sagen.“
So geht man nicht mit öffentlichem Eigentum um und darum, meine Damen und Herren, dieser Antrag.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wenn man als selbst ernannter Heimatminister auf einer der letzten Sitzungen einer Legislaturperiode eine Fachregierungserklärung abgibt, dann wählt man das Thema sicher bewusst. Man ergreift das große Podium, um kurz vor Ende der Amtszeit Bilanz zu ziehen und klarzumachen, welches Thema ein besonderes Gewicht hatte.
Sie, Herr Dulig, haben sich dann für einen Rundumschlag „129 Jahre SPD“ entschieden. Es hat also durchaus seinen Grund gehabt, dass Sie entgegen den diplomatischen Gepflogenheiten Ihre Regierungserklärung vorher nicht bekannt gegeben haben.
Aber ich möchte zum eigentlich angekündigten Thema, zur Fachkräftestrategie, sprechen; denn diese Frage ist ja tatsächlich essenziell. Sie entscheidet im Großen über die volkswirtschaftliche Entwicklung im Freistaat und im Kleinen über die Zukunft von Unternehmen. Wenn auf mittlere Frist im Freistaat rund 328 000 Fachkräfte fehlen werden, dann zieht sich das durch sämtliche Bereiche. Aber Sie haben es sicher schon selbst bemerkt, Herr Dulig, bei der gestrigen Medienberichterstattung: Die Strategie wurde zwar mit grundsätzlichem Wohlwollen zur Kenntnis genommen; wirkliche Euphorie, dass hier ein innovatives Zukunftswerk vorliegen würde, hat sich jedoch nicht eingestellt, und ich muss sagen: Mir geht es ähnlich.
Im Vorwort der Fachkräftestrategie kann man lesen, dass es nicht darum ging, alles über den Haufen zu werfen, sondern im breiten Austausch mit den Partnern der Fachkräfteallianz und weiteren Wirtschafts- und Arbeitsmarktakteuren über die vor uns liegenden Herausforderungen zu debattieren und die 2012 noch vom damaligen FDP-Wirtschaftsminister Morlok vorgelegte Strategie für 2020 weiterzuentwickeln.
Dabei war es im Grundsatz richtig, nicht wie Ihr Vorgänger die Arbeitsmarktakteure erst im Nachgang um ihre Stellungnahmen zu bitten, sondern sie von Anfang an an den Tisch geholt zu haben. Und wie das so ist: Papieren, die im Diskurs weiterentwickelt werden, wohnt der Hang inne, länger zu werden. Das ist auch hier geschehen. Kam die alte Strategie mit 28 Seiten aus, so haben Sie, Herr Dulig, uns inklusive Anhang und Grafiken den fünffachen Seitenumfang vorgelegt. Diese Ausführlichkeit hat insbesondere in der Analyse geholfen, einiges zu schärfen, aber es kommt einem auch vieles bekannt vor.
Die vor uns liegenden Herausforderungen fanden sich, wenn auch stark verknappt, bereits in der alten Strategie. Auch die abgeleiteten Handlungsfelder sind teilweise bereits im Morlok-Papier enthalten gewesen: zum Ersten Fachkräfte ausbilden und so Potenziale entwickeln, zum Zweiten vorhandene Potenziale ausschöpfen, indem allen Erwerbspersonen der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird, und zum Dritten gezielt Fachkräfte von außen nach Sachsen holen.
Auch die als Konsequenz dazu vorgesehenen Maßnahmen kommen einem in Teilen bekannt vor. Nun kann man das auf zwei Arten interpretieren. Zum einen scheint die alte Strategie jenseits des neoliberalen Grundtenors nicht nur Falsches enthalten zu haben; zum anderen muss sich die Staatsregierung allerdings auch fragen lassen, was man denn in den letzten Jahren alles getan hat oder eben nicht, wenn die Aufgaben teilweise bis ins Detail im Jahr 2019 noch genauso stehen wie bereits 2012. Vieles, Herr Dulig, was Sie heute als Ziele benannt haben, haben Sie schon 2014 ebenso als Ziele benannt.
Oder, um es zugespitzter zu formulieren: Wenn es im Bereich der Fachkräftesicherung das Endergebnis des zuständigen Ministers nach fast fünfjähriger Arbeit ist, ein Vierteljahr vor Ende der Amtszeit ein 140-seitiges Maßnahmenpapier vorzulegen mit Kernaufgaben, die seit Jahren bekannt sind und auf dessen praktische Umsetzung er vielleicht gar keinen Einfluss mehr haben wird, dann ist das nicht wirklich beeindruckend, zumal hinzukommt: Vor sieben Jahren war der Fachkräftemangel, abgesehen von einzelnen Branchen, ein Zukunftsszenario. In Ihrer Amtszeit, Herr Dulig, ist das vielerorts zum Teil zu einem Problem geworden.
Nun sind Sie zwar zugegebenermaßen nicht für die demografische Entwicklung in Sachsen verantwortlich. Es ist Ihnen jedoch auch nach fast fünf Jahren im Amt nicht gelungen, hier praktisch eine wirksame Gegenstrategie zu implementieren. Im Gegenteil, Sie haben fast eine gesamte Legislaturperiode benötigt, um eine Strategie weiterzuentwickeln und überhaupt durch das Kabinett zu bringen.
Aber man will ja nicht nur meckern. Darum will ich nicht verhehlen, dass es auch einen wichtigen inhaltlichen Unterschied zum Ansatz der Vorgängerregierung gibt, für die ich Ihnen, Herr Dulig, durchaus dankbar bin. Ging die alte Strategie noch von der absurden Annahme aus, dass
eine Deregulierung des Arbeitsmarktes dazu führen würde, ein Mehr an Arbeitskräften zu generieren, so beschreibt die neue Strategie die Bedeutung guter Arbeitsbedingungen und einer ordentlichen Entlohnung. Allerdings: Wo Licht ist, ist auch Schatten, klaffen doch Ihr selbst formulierter Anspruch und die Realität ziemlich weit auseinander. Dazu jedoch später mehr.
Schauen wir uns doch zunächst im Fokus die Punkte an, die laut Strategie in den unmittelbaren Aufgabenbereich der Staatsregierung fallen sollen und wo nach wie vor vieles im Argen liegt, obwohl es doch eigentlich seit Langem selbstverständlich sein sollte. Wenn ein strategisches Ziel formuliert ist, dass sächsische Schüler individuell gefördert werden und einen qualifizierten Abschluss erreichen sollen, dann tritt die Staatsregierung trotz Verbeamtung und Quereinsteigern im praktischen Resultat auf der Stelle.
Die nach wie vor unzureichende Ausstattung mit Schulsozialarbeitern wird in der Strategie euphemistisch mit der Notwendigkeit einer dynamisierten Finanzierung umschrieben. Der Unterrichtsausfall erreichte im letzten Schulhalbjahr mit über 5 % des Regelunterrichts einen neuen landesweiten Rekordwert. Sollte nach der alten Strategie der Anteil derer, die die Schule ohne jeden Abschluss verlassen, von 9 auf unter 5 % gesenkt werden, so liegt er aktuell noch immer bei über 8 %. Ziel ist nun, wenigstens den bundesdeutschen Durchschnitt zu erreichen. Nach einer wirklichen Bildungsoffensive klingt das nicht.
Wenn unter dem Schlagwort der bedarfsgerechten Ergänzung des schulischen Regelangebots besonders das produktive Lernen in der Strategie hervorgehoben wird, dann frage ich mich, warum dieses seit zehn Jahren im Stadium dies Schulversuchs verharrt und nach wie vor nicht einmal in allen Regionen Sachsens angeboten wird.
Wenn ein strategisches Ziel formuliert ist, die Berufsorientierung in Schulen zu stärken – eine Forderung, die richtig ist und die wir im Landtag seit Jahren diskutieren, die auch die Kammern seit Jahren immer wieder stellen und die sich bereits in der Fachkräftestrategie 2020 fand –, dann frage ich mich, warum es nach wie vor weder verbindliche Standards für die Berufsorientierung gibt noch überhaupt alle Schulen ein verbindliches BOKonzept haben.
Doch sehen wir weiter. Sie wollen die duale Berufsausbildung stärken. Das ist ebenfalls richtig. Nur, dazu müssen Sie auch die Voraussetzungen schaffen. Mit der zentralen Berufsschulnetzplanung ist es in Sachsen aber ein bisschen wie mit Yeti oder Bigfood: Sie spuken als Legende durch den Raum, viele reden darüber, aber wirklich gesehen hat sie noch niemand.
Dabei haben wir über das Fehlen von Berufsschullehrern noch gar nicht gesprochen. Wenn die Staatsregierung weiter darauf beharrt, dass diese ausschließlich zentral an der TU Dresden ausgebildet werden, so ist das falsch.
Sich mit der Begründung, die Studienplätze seien bei Weitem nicht ausgelastet, beharrlich zu weigern, über eine dezentrale Ausbildung nachzudenken, lässt schlicht außer Acht, dass derzeit jemand sehr viel Idealismus mitbringen muss, um sich dafür zu entscheiden, wenn er Ausbildungsdauer und Karriereoptionen vergleicht. Hier sind ein grundsätzlicher Neuansatz und ein entschieden offensiveres Vorgehen gefragt.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich im zweiten Teil meiner Rede den Fokus etwas weiten, weg von den aktuellen Versäumnissen der Staatsregierung, hin zu grundsätzlicheren Fragen. Wir haben es heute schon mehrfach gesagt: Bis 2030 werden, wenn man sich die demografische Entwicklung im Freistaat anschaut, rund 328 000 Erwerbspersonen fehlen. Ich meine, jedem ist klar, dass man diese Lücke letztlich nur schließen kann, wenn Menschen von außerhalb ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt nach Sachsen verlegen. Da stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, wie attraktiv Sachsen als Lebens- und Arbeitsort sowohl im internationalen als auch im innerdeutschen Vergleich ist.
Wenn Menschen, ganz gleich, von woher, nach Sachsen kommen sollen, dann brauchen sie hier eine öffentliche und soziale Infrastruktur, die Grundlage für Lebensqualität ist. Strahlkraft und gesellschaftliches Miteinander basieren nicht auf Standortkampagnen wie „So geht Sächsisch“. Sie hängen mit realen Strukturen zusammen, die Menschen miteinander verbinden, die Gemeinsamkeiten stiften und die letztlich sogar dafür entscheidend sind, welche Haltung Menschen zu Sachsen als staatlichem Gemeinwesen entwickeln.
Das Gefühl von Sicherheit, das Gefühl, dass die Zukunft offen ist und dass sich das eigene Leben planen lässt, sind eng verwoben damit, ob die Kinderbetreuung vorhanden und bezahlbar ist, ob die Entfernung zum nächsten Krankenhaus oder zum Arzt nicht selbst ein Gesundheitsrisiko darstellt, ob es einen Ort für Austausch gibt und für Jugendliche Freiräume, sich auszuprobieren, ob der Gang aufs Amt oder zum Einkauf nur mit dem Auto geht oder ob ein Zug oder ein Bus kommt.
Eine Zukunft in einer Region können sich Menschen vorstellen, wenn sie das Gefühl haben, dass die Region selbst eine Zukunft hat. Nur eine solche Region kann auch nach außen ausstrahlen und Menschen anziehen. Wenn in der Fachkräftestrategie für Teile des ländlichen Raums eine besonders problematische Situation geschildert wird, die wegen anhaltender Abwanderung junger Menschen überproportional von Alterungs- und Bevölkerungsrückgang betroffen ist, dann hat das auch damit zu tun.
Wenn die Fachkräftestrategie richtigerweise von den Veränderungen spricht, die die Digitalisierung mit sich bringt, dass die Zukunft eine vernetzte Wissensgesellschaft sein wird, die auch die räumliche Verteilung der Wirtschaftsleistung verändern wird, dann ist das wahr. Man kann auch Teil eines kreativen Netzwerkes sein,
wenn man nicht in Berlin oder Leipzig, sondern in Bad Brambach oder in Bad Muskau lebt. Die Voraussetzung ist allerdings eine leistungsfähige digitale Infrastruktur – damit meine ich nicht das wegen der Grenzlage anliegende tschechische oder polnische Netz. Wir alle kennen den zähen Prozess, den Sachsen gerade durchläuft, um zumindest zum bundesdeutschen Standard aufzuschließen. Das ist auch die Folge einer Politik, die jahrelang auf veraltete Technologien und einen reinen marktgesteuerten Ausbau durch private Anbieter setzte.
Wenn die Staatsregierung regelmäßig die Bedeutung von Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren und das Internet der Dinge beschwört, dies gar als Chance für die Zukunft des Freistaates beschreibt, dann muss man sich auch klarmachen, dass 5G und die dafür notwendigen Netze noch gar nicht existieren. Allein um die bestehende Mobilfunkabdeckung zu wahren, müssten abseits der Großstädte perspektivisch Hunderte neue Masten gesetzt und angeschlossen werden. Dabei ist von einer Schließung von Funklöchern oder gar einer flächendeckenden Abdeckung noch längst nicht die Rede. Wenn Sachsen hier wiederum auf den Markt setzt und nicht zeitnah eine Landesgesellschaft gründet, um strategisch Infrastruktur zu errichten, dann werden wir in fünf Jahren die gleichen Debatten von vor fünf Jahren wieder führen und beklagen, dass der Freistaat erneut Schlusslicht ist.
Ob das hilft, dass Sachsen nach außen ausstrahlt, auch außerhalb der Ballungszentren eine attraktive Region mit Zukunft zu sein, bezweifle ich. Wenngleich ich mich hier wiederhole: Wenn in der Fachkräftestrategie für Teile des ländlichen Raumes eine besonders problematische demografische Situation geschildert wird, dann hat das auch damit zu tun.
Wenn die Erkenntnis reift, dass Sachsen seinen Fachkräftebedarf auf mittlere Sicht aus rein demografischen Gründen auch von außen decken muss, dann stellt sich die Frage nach dem Woher. An die Abgeordneten der AfD gewandt, sage ich Folgendes: Das wird für Sie ein Horrorszenario sein. Es werden nicht nur nationalkonservative Biodeutsche, wahrscheinlich nicht einmal nur Europäer sein. Die demografische Entwicklung im ganzen Kontinent ist ähnlich wie hierzulande.
Wenn Sachsen international vor allem dadurch Bekanntheit erlangt hat, dass in Städten wie Plauen Rechtsextreme ungehindert in vollem Ornat durch die Straßen marschieren, ohne dass die lokalen Behörden willens oder in der Lage sind, dagegen etwas zu tun, wenn wie letztes Jahr in Chemnitz über Monate hinweg eine selbst ernannte Bürgerinitiative nahezu jeden Montag die Innenstadt lahmlegte, zur Selbstjustiz und Jagd auf alles Fremde aufrief und die sächsische Polizei tatenlos daneben stand, dann sind das Bilder, die im wahrsten Sinne des Wortes um die Welt gingen. Wenn das die AfD im Landtag nicht nur immer wieder relativiert, sondern sich sogar heimlich freut – ist man doch des gleichen Geistes Kind –, und im Plenum auch keine Gelegenheit auslässt, selbst gegen Zugewanderte zu hetzen, dann wird klar, dass Sie allen
falls in Ihrer verschobenen Wahrnehmung eine Alternative für was auch immer sind.
In der Realität sind Sie eine Gefahr für die künftige Entwicklung der Wirtschaft Sachsens.
Gerade gut ausgebildete Fachkräfte nehmen sehr wohl wahr, wie das Klima in einem Land ist, bevor sie sich entscheiden, dort eine neue Zukunft für sich und ihre Familie aufzubauen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns noch zu einem anderen Thema kommen. Es ist entscheidend, ob Sachsen eine attraktive Heimat für Fachkräfte ist. Hierbei bekleckert sich der Freistaat nicht mit Ruhm. In keinem anderen deutschen Bundesland haben so viele Beschäftigte keinen ordentlichen Tarifvertrag. In der Folge liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten in Sachsen um zwei Stunden über dem Schnitt der Westländer und immer noch um eine Stunde über dem ostdeutschen Schnitt. Im Gegensatz dazu liegen die Löhne in Sachsen nicht nur deutlich unter dem Bundesschnitt. Wenn man gleichgroße Betriebe aus gleichen Branchen miteinander vergleicht, so liegen sie sogar 5 % unter dem Niveau der ostdeutschen Länder. Dass Sachsen auf den ersten Blick bei den Durchschnittslöhnen im ostdeutschen Vergleich besser abschneidet, liegt lediglich an der günstigeren Wirtschaftsstruktur.
Wenn man sich fragt, warum jedes Jahr mehr Hochschulabsolventen Sachsen verlassen als Akademiker neu zuziehen, dann hat das sicherlich auch mit der Attraktivität der Arbeitsbedingungen zu tun. Kurz gesagt: Sachsen hat bundesweit die geringste Tarifbindung, die längsten Arbeitszeiten und die niedrigsten Löhne. Das nenne ich einen Standortvorteil.
Das dachten sich auch lange Zeit die CDU und die FDP. Sie haben das nur leider nicht ironisch gemeint. In der Morlok‘schen Fachkräftestrategie, die beim SMWA noch bis vor Kurzem als offizielle Broschüre heruntergeladen werden konnte, war die Deregulierung und Senkung der verbindlichen Arbeitsstandards noch Teil des Pakets, mit dem man Fachkräfte anlocken wollte. So ganz ist das aus Teilen der CDU noch immer nicht verschwunden. Wenn Ministerpräsident Kretschmer vor einem Jahr über Sonderwirtschaftszonen in der Lausitz philosophierte, dann meinte dies in der praktischen Konsequenz nichts anderes.
Herr Staatsminister Dulig, Sie sind vor viereinhalb Jahren begrüßenswerterweise angetreten, das zu ändern. Das findet sich auch in Ihrer nun vorgelegten Strategie. Ich hatte es eingangs bereits gesagt: Sie wollten zu Beginn Ihrer Amtszeit die Tarifbindung stärken. Gute Arbeit war eines Ihrer Kernvorhaben, an denen Sie gemessen werden wollten. Hierbei sind Sie allerdings – ich denke, das wissen Sie selbst – klar gescheitert. In Ihrer Amtszeit hat die Tarifbindung im Freistaat einen neuen Tiefststand erreicht. Wenn Sie einwenden, das sei Sache der Tarifpar
teien, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Selbst dort, wo Sie etwas hätten bewegen können, ist nichts geschehen. Komplett ohne Einfluss auf die Tarifbindung ist der Freistaat nicht.
Wieso gibt es in Sachsen nach wie vor Landesunternehmen oder Unternehmen mit Landesbeteiligungen, wie die Leipziger Messe oder die Sächsische Dampfschifffahrt, die ohne Tarifvertrag sind? Wieso nimmt Sachsen im Hinblick auf die Nutzung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen eine absolute Sonderstellung ein? Nach Auskunft Ihres eigenen Hauses, Herr Dulig, ist lediglich der Tarifvertrag des Friseurhandwerks aus dem Jahr 2004 allgemein verbindlich – und das, obwohl Sie gern auf Podien die geringe Tarifbindung beklagen.
Wieso haben Sie, obwohl es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, hingenommen, dass es kein neues Vergabegesetz gibt? In Sachsen wurden nach dem letzten Vergabebericht in den Jahren 2015 und 2016 allein von den unmittelbaren Landesbehörden öffentliche Aufträge in Höhe von 1,4 Milliarden Euro ausgelöst. Ein neues Vergabegesetz, wonach die Aufträge der öffentlichen Hand stärker an Tarifverträge, die Gleichstellung von Leiharbeitskräften und die Berücksichtigung umweltbezogener Aspekte gebunden sein soll, haben Sie nicht nur nicht auf den Weg gebracht, Sie haben sogar Vorstöße von LINKEN und GRÜNEN abgelehnt. Gleiches gilt für die von Ihnen vorhin genannte Bildungsfreistellung.
Meine Damen und Herren! Sie sehen, dass die Aufgaben noch groß sind. Als abschließendes Fazit bleibt am ehesten der Kommentar aus der „Sächsischen Zeitung“ von gestern zu nennen: Wer Strategiepläne mag, kann sich freuen. Nun muss es pünktlich zum Ende Ihrer Amtszeit, Herr Dulig, nur noch losgehen. Wie die IHK auf ihrer eigenen Pressekonferenz am Mittwoch einräumte, stehen wir mit der Umsetzung noch ganz am Anfang.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn von der Digitalisierung der Arbeitswelt gesprochen wird, einigen sich in der Regel alle Beteiligten auf die Erkenntnis, dass sie unsere Art zu arbeiten ändern wird. Zu den positiven Aspekten zählt dann immer die Hoffnung auf eine Arbeitswelt, in der sich der Mensch künftig besser entfalten könne.
Die Aussicht, Produktionsanlagen aus der Ferne steuern zu können, die Aussicht, irgendwie in der Cloud zu arbeiten, lässt nicht wenige von einem Arbeitsleben auf dem heimischen Balkon träumen. Wie realistisch das ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Zumindest verbinden viele mit diesen Vorstellungen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Zeit für das, was das Leben außerhalb der Arbeit noch bereichert.
Die Digitalisierung der Arbeitswelt schreitet in allen Bereichen, manchmal fast im Verborgenen, voran. Wenn es jedoch konkret wird, geht es aktuell um Homeoffice und Flexibilität. Da sind wir beim Thema unserer Großen Anfrage.
Die Frage, was Vereinbarkeit von Familie und Beruf eigentlich bedeutet, ist in der gesellschaftlichen Praxis nach wie vor sehr geschlechtsspezifisch. Es sind eben noch immer die Frauen und weit seltener die Männer, die sich um die Kinder oder die Pflege von Angehörigen kümmern. Es wundert daher nicht, dass ein Fünftel der weiblichen Beschäftigten mit digitalisierten Arbeitsplätzen zwar berichtet, dass sie flexibler seien und die Vereinbarkeitssituation deutlich besser sei – für den größten Teil hat sich daran aber zunächst nichts geändert. Immerhin 12 % der weiblichen Beschäftigten beschreiben ihre Situation sogar als schwieriger, da es ohne feste Arbeitszeiten auch kein klares Arbeitsende gibt und das Arbeitsvolumen so gestiegen sei, dass Überstunden die Regel sind.
Lassen Sie es mich vielleicht etwas anschaulicher an einem konkreten Beispiel darstellen. Der Inhaber eines Ingenieurbüros berichtete auf einer Veranstaltung zu diesem Thema vor rund einem Jahr in Chemnitz stolz, dass das alles in seinem Unternehmen in vollem Gange
sei. Viele Mitarbeiter machten Homeoffice, sogar seine Sekretärin. Sie käme gegen 9 Uhr ins Büro – einiges muss eben doch im persönlichen Gespräch geklärt werden –, könne aber spätestens gegen 14 Uhr wieder gehen. Sie nimmt es dankbar an, könne sie doch dadurch ihr Kind aus der Kita holen und mit ihm spielen. Er, der Chef, kann sich darauf verlassen, dass sie auch spätabends noch auf Entwicklungen reagiere und ihm alles, was aufläuft, bis morgens 7 Uhr aufbereitet zuschicke, damit man, wenn sie dann da sei, alles besprechen könne. Da alle wichtigen Daten in der Cloud liegen und sie mobil auf die Korrespondenzen zugreifen könne, sei das auch alles kein Problem.
Das klingt alles sehr dynamisch, sehr modern, sehr flexibel. Doch was hat der Ingenieur eigentlich beschrieben? Nichts anderes als eine Mitarbeiterin, die nie Feierabend hat und sich in einer Doppelbelastung zwischen Arbeit und Kind aufreibt, deren Privat- und Arbeitsleben immer weiter verschwimmt und die wahrscheinlich nicht mehr weit vom Burn-out entfernt ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Mit der Digitalisierung sind große Chancen für die Gestaltung der Arbeitswelt verbunden – aber eben auch Risiken, und diese hängen nicht nur von der konkreten Ausgestaltung im Betrieb ab, sondern auch vom gesellschaftlichen Rollenverständnis.
Es liegt an uns allen, die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung so zu gestalten, dass bestehende geschlechterhierarchische Strukturen nicht zementiert, sondern nachhaltig aufgebrochen werden. Dabei darf die Entwicklung jedoch nicht nur durch die Technologiebrille betrachtet werden.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Wie Sie sich sicher denken können, möchte ich gern nach § 94 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben.
Im Jahr 1882 gab es ein Urteil des damaligen preußischen Oberverwaltungsgerichtes, das fortan der zentrale Maßstab polizeilichen Handelns sein sollte. Der Anlass war eher kurios: Es ging um die schöne Aussicht vom Berliner Kreuzberg und das Agieren der Polizei in diesem Kontext. Aber die Folgen des Urteils waren prägend. Zumindest in rechtsstaatlichen Zeiten war die Schwelle für polizeiliches Einschreiten seitdem das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Die Eingriffsrechte der Polizei sollten strikt auf das Notwendigste begrenzt sein.
Die Menschen wünschen sich Sicherheit durch die Polizei – ich mir auch, aber eben auch Sicherheit vor willkürlichen Eingriffen vonseiten der Polizei. Mit diesem Polizeigesetz verlassen die Staatsregierung und die Koalition sehenden Auges und bewusst diese Tradition, und das nicht nur ohne Not, sondern auch ohne Sinn und Verstand.
Schauen Sie sich den Bereich der Wirtschaftskriminalität an. Während Sie pauschal jeden hier im Freistaat zum Verdächtigen und potenziellen Täter erklären und die Eingriffsschwelle so weit senken, dass bereits eine politisch missliebige Äußerung reicht, um eine potenzielle Gefahr zu konstruieren, wird keine einzige Neuerung im Polizeigesetz dazu führen, die Schäden durch Veruntreuungs-, Insolvenz- oder wirtschaftliche Betrugskriminalität besser bekämpfen zu können. Dabei entstehen hier im Freistaat jährlich Schäden im deutlich zweistelligen Millionenbereich. Es sind Schäden, auf denen die ehrli
chen Unternehmen, die Sozialkassen und letztlich jeder Einwohner hier sitzen bleiben.
Um hier wirksam durchgreifen zu können, brauchen wir Fachleute, die die bestehenden Befugnisse umsetzen können. Wir brauchen Fachleute, die wirtschaftliche Zusammenhänge überblicken, die die lokalen Strukturen kennen, die sich im Unternehmens- und Wettbewerbsrecht auskennen und die sich in Buchhaltung auskennen. Wir brauchen Informatikfachleute, die sich im Online-Bereich souverän bewegen können.
Kurz gesagt: Wir brauchen vor allem genügend und entsprechend qualifiziertes Personal, das in der Lage ist, zunächst einmal die bestehenden Befugnisse umzusetzen. Was wir nicht brauchen, sind neue Befugnisse aufgrund von Stammtischstimmungen, die polizeiliche Kompetenzen von tatsächlichen Gefahren entkoppeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen habe ich aus Verantwortung für unseren Freistaat mit Nein gestimmt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute wird mit der Neuordnung des Verwaltungskostenrechts über eine Materie beraten, die einigermaßen spröde daherkommt und auf den ersten Blick auch noch schwer zu durchleuchten ist. Selbst die Staatsregierung konnte bei der Einbringung der Vorlage keine konkrete Aussage darüber machen, welchen Erfüllungsaufwand die vorgesehenen Regelungen nach sich ziehen werden.
Zur Begründung führte sie im Vorblatt zum eigenen Gesetzentwurf selbst an, dass man weder die Zahl der Anwendungsfälle beziffern noch die Frage beantworten könne, wann sich die angestrebte Neuregelung für den Bürger be- bzw. entlastend gestalten wird. Das sich daraus ergebende Gebührenaufkommen liege ebenso im Dunkeln. Der Landtag soll dennoch heute das Verfahrensrecht zur Kostenerhebung für Leistungen der Verwaltung neu regeln.
Um beurteilen zu können, ob auf die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und andere Dritte höhere Belastungen zukommen, wäre allerdings zusätzlich das Kostenverzeichnis heranzuziehen. Dieses ist aber heute kein Beratungsgegenstand. Vielmehr ist dessen Erstellung dem Finanzministerium zugewiesen. Ein entsprechender, zumindest richtungsweisender Entwurf lag weder zur Ausschussberatung noch liegt er heute dem Parlament vor. Wir stehen also noch immer vor der gleichen Situation. Die Frage, wann und für wen sich die angestrebte Neuregelung be- bzw. entlastend auswirken wird, kann nach wie vor nicht beantwortet werden.
Allerdings ist bereits heute erkennbar: Es spricht wenig dafür, dass die Gebührenbelastung sinken wird. Die grundsätzliche Mindestgebühr soll auf 10 Euro verdoppelt werden, und auch die obere Grenze der Rahmengebühr wird auf 50 000 Euro verdoppelt. Hinzu kommt, dass Gebühren künftig auch für Auskünfte einfacher Art aus Registern und Dateien erhoben werden können. Dementsprechend geht der Normenkontrollrat tendenziell eher von höheren Belastungen für Bürger und Wirtschaft aus. Aber, wie gesagt: Die eigentlich zu erwartende Belastung bleibt auch heute im Dunkeln.
Der Haushalts- und Finanzausschuss hat sich mit seiner Beratung des Gesetzes durchaus schwergetan. Das zeigt auch, dass es jenseits eines Vertreters der kommunalen Ebene nicht möglich war, hierzu aussagewillige Experten anzuhören. Offenkundig gibt es grundsätzlich nur eine übersichtliche Anzahl von am Kostenrecht Interessierten.
Im Mittelpunkt stand im HFA daher einseitig die Frage, inwieweit die Neufassung des Verwaltungskostenrechtes den Wünschen der Verwaltung entspricht. Fragen der Bürgerfreundlichkeit waren eher zweitrangig, was sich auch in der geänderten Form des Gesetzentwurfes niederschlägt. So wurde die vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag in der Ausschussberatung geäußerte Hauptforderung, die bisher vorgesehene Verkürzung der Festsetzungs- bzw. Zahlungsverjährung, wieder gestrichen.
In der HFA-Beratung gelang jedoch keine Klärung, ob dieses Gesetzesvorhaben wirklich verständlicher, systematischer und damit bürger- und anwenderfreundlicher ausgestaltet ist und zum Bürokratieabbau beiträgt. Beides wird in der Vorlage versprochen, konnte jedoch so nicht bestätigt werden.
Unterm Strich bleibt ein Entwurf, der uns nicht zu überzeugen vermag. Meine Fraktion wird sich bei der Abstimmung enthalten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten
Wochen wurde in den Medien immer wieder die These zitiert, dass der Breitbandausbau in Deutschland schlechter sei als in Albanien.
Nun war ich noch nie in Albanien und kann keine wirklich zutreffende Aussage über das dortige Breitbandnetz treffen. Aber die Beliebtheit dieser These beschreibt nicht nur eine deutsche Überheblichkeit gegenüber den Volkswirtschaften auf dem Balkan – quasi als Synonym für eine besonders verfahrene Situation –, sondern auch die nüchterne Einschätzung der Situation bei uns vor Ort durch große Teile der Wirtschaft und der Bevölkerung, auch und gerade hier in Sachsen. Denn die Tatsache, dass der Netzausbau besser ist als vor fünf Jahren, bedeutet noch lange nicht, dass inzwischen alles gut ist, und erst recht nicht, dass der Freistaat hier zukunftssicher aufgestellt ist. Der Freistaat befindet sich im bundesweiten Vergleich noch immer am hinteren Ende.
Nun will ich gar nicht darüber sprechen, dass von den zur Verfügung stehenden Fördermitteln für den Ausbau bisher überhaupt nur ein Bruchteil bewilligt und noch weniger für einen tatsächlichen Ausbau wirklich geflossen ist. Ich will auch nicht darüber sprechen, dass es noch nicht einmal in ganz Sachsen abgestimmte Kreisprojekte gibt. Dass die Staatsregierung hier der Öffentlichkeit ein Stück weit Sand in die Augen streut, indem jeder bewilligte Bescheid als der große Durchbruch verkündet wird, wäre ein Thema für sich.
Nein, lassen Sie uns idealistischerweise ruhig einmal annehmen, dass alle laufenden oder beantragten Förderprojekte zügig zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Nur, auch danach wird kein Zustand erreicht sein, der eine zukunftssichere Dateninfrastruktur sichert. Von einer tatsächlich flächendeckenden Verfügbarkeit von Glasfasernetzen kann auch dann keine Rede sein.
Hinzu kommt, dass die Ausbauleistungen der Vergangenheit keineswegs immer nachhaltig waren und wir in absehbarer Zeit über Nachbesserungen reden müssen. Bereits jetzt entwickeln sich die in den letzten Jahren per Vectoring ertüchtigten Anschlüsse zu Problemfällen. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass gerade in den Kernräumen zahlreicher Unter- und Mittelzentren ohne Zusatzinvestitionen Mindestdatenraten von über 30 Mbit auf absehbare Zeit nicht verfügbar sein werden.
Ein Teil der Tragik ist dabei, dass diese technologische Sackgasse teilweise noch mit Steuergeldern subventioniert wurde und das Wirtschaftsministerium das auch noch jahrelang ausdrücklich verteidigt hat.
Um es kurz zu machen: Der Breitbandausbau ist kein einmaliges Projekt mit absehbarem Ende. Vielmehr werden wir die nahezu gleichen Debatten von vor zwei oder drei Jahren in naher Zukunft von vorn führen. Es ist bereits jetzt absehbar, dass auch die Ausgangssituation mit der von vor einigen Jahren vergleichbar sein wird.
Wenn die Staatsregierung seit einigen Jahren besonders auf Mobilfunklösungen setzt und hier die Technologie der Zukunft sieht – als Stichworte seien nur Internet der
Dinge und autonomes Fahren genannt –, dann muss man sich klarmachen, dass 5G und die entsprechenden Netze noch gar nicht existieren, noch nicht einmal im Entwurf; denn es ist ja auch bei Weitem nicht damit getan, an bestehende Masten neue Antennen anzuschrauben. Was in der aktuellen Debatte dazu selten erwähnt wird, ist, dass im Freistaat Hunderte neuer Masten gesetzt werden müssen, wenn es keine auf die Großstädte beschränkten Insellösungen geben soll.
Dabei geht es nicht nur darum, die derzeit bestehenden Mobilfunklücken zu schließen – wobei selbst hierbei riesiger Handlungsbedarf bestünde –; es kommt noch etwas anderes hinzu: Bei den derzeit zur Versteigerung anstehenden 5G-Frequenzen ist mit einer deutlich kürzeren Reichweite als bei den heutigen Mobilfunknetzen zu rechnen. Sie wird selbst unter optimalen Bedingungen klar unter 1 000 Metern liegen. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass für eine zuverlässige Netzabdeckung im Schnitt alle 500 bis 700 Meter ein Sendemast stehen müsste,
der nicht nur eine Stromversorgung benötigt, sondern auch an ein zugrunde liegendes Glasfasernetz angeschlossen werden muss. Das zeigt nicht nur, dass 5G keine Alternative zu einem tatsächlich flächendeckenden Glasfasernetz ist, sondern Letzteres zwingend erfordert. Es zeigt auch, wie gigantisch die Herausforderungen sind, die hier noch vor uns liegen. Jeder, der die derzeitigen Klagen der Telekommunikationsunternehmen gegen die aktuellen Bedingungen bei der Versteigerung der Netzlizenzen verfolgt, weiß, dass es blauäugig ist, dabei auf den freiwilligen Ausbau privater Netzanbieter zu setzen.
Es ist bereits jetzt klar erkennbar: 5G wird es flächendeckend ohne massive staatliche Unterstützung nicht geben. Im Kern wird damit aber auch deutlich, dass eine wirklich flächendeckende Abdeckung ohne nationales Roaming volkswirtschaftlicher Unsinn ist, hieße es doch nichts anderes, als mehrere dieser Netze parallel zu errichten.
Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, um die noch vor uns stehenden Herausforderungen anzugehen. Er enthält sowohl Schritte zu einer kurzfristigen Verbesserung der Breitbandversorgung als auch längerfristige Maßnahmen. Dazu gehört zunächst ein individueller Rechtsanspruch auf die Versorgung mit schnellem Internet und Breitbanddiensten. Wir halten es für unabdingbar, dass der Bund verfassungsrechtlich verpflichtet wird, deutschlandweit eine moderne Mobilfunkversorgung sicherzustellen.
Dabei handelt es sich um eine grundlegende Infrastrukturmaßnahme und einen Teil der modernen Daseinsvorsorge.
Wir fordern die Staatsregierung auf, diesbezügliche Vorstöße, wie sie aktuell von Mecklenburg-Vorpommern oder zwischenzeitlich auch von Rheinland-Pfalz im Bundesrat eingereicht wurden, offensiv zu unterstützen und im Rahmen seiner Möglichkeiten hier auch selbst aktiv zu werden.
Ebenso fordern wir die Gründung einer sächsischen Landesgesellschaft zur technischen Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit schnellem Internet – eine Forderung, die auch von kommunaler Ebene unabhängig von den aktuell zur Verfügung stehenden Förderinstrumente nach wie vor erhoben wird. Diese Landesgesellschaft soll nicht nur die bisherigen Aktivitäten der Kommunen und Kreise und die dazu bereits laufenden regionalen Projekte zum Breitbandausbau unterstützen, sondern auch aktiv noch bestehende Lücken schließen.
Wir denken dabei aber auch perspektivisch und haben die noch vor uns liegenden Aufgaben zur Errichtung eines 5G-Netzes im Blick. Wir wollen den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsbreitbandnetze nicht nur, wie bisher, mit öffentlichen Mitteln subventionieren, sondern auch sicherstellen, dass die dabei errichteten Infrastruktureinrichtungen öffentliches Eigentum bleiben. Wie gesagt, wir reden von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Wir haben heute die Chance, gemeinsam nach vorn zu schauen und den Grundstein dafür zu legen, dass Sachsen tatsächlich zu einem Vorreiter bei der Errichtung einer modernen Dateninfrastruktur wird und nicht, wie aktuell, in einem großen Kraftakt der Entwicklung wieder hinterherrennen muss. Die entscheidenden Weichen dazu werden in den nächsten Monaten gestellt.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Kollege Rohwer, es ist schön, dass Sie sich über die Fortschritte im Digitalisierungsindex freuen. Ich freue mich auch darüber. Ich denke, der Staatsminister wird sich ebenfalls darüber freuen. Er wird es uns danach auch noch blumig schildern.
Ja, Freude an allen Orten. Es ist auch in Ordnung, dass man sich über Fortschritte freut. Aber wenn man sich den Index einmal in Ruhe anschaut, dann sagt er leider nichts über den Ausbauzustand der Infrastruktur und über die Zukunftsfähigkeit der Infrastruktur aus. Das muss man sich tatsächlich dann näher anschauen.
Sie brauchen nur mit den Menschen im Land zu reden, die etwas ganz anderes erleben, Herr Minister.
Nein, nicht „Jetzt drehen Sie es doch“. Reden Sie doch einfach einmal mit den Leuten.
Genau, genau! – Ja, Kollege Rohwer hat sich auch noch Fragen nach der Infrastrukturgesellschaft gestellt und dann Thüringen angeführt. Ich weiß nicht, ob ich Sie jetzt erfreue oder enttäusche: Auch für uns besteht die Welt nicht nur aus Thüringen. Sie können auch gern nach Bayern schauen, oder – wir betonen immer die Bedeutung von Partnerschaften mit anderen Regionen, so auch mit Niederösterreich – schauen Sie doch einmal nach Niederösterreich. Es lohnt sich in diesem Fall, einmal einen genaueren Blick darauf zu werfen bzw. den Gedankenaustausch mit dieser Region in diesem Punkt gezielt zu vertiefen; denn Niederösterreich macht uns vor, wie eine solche Landesgesellschaft aussehen kann, und das nicht nur vollkommen konform zu den EU-Beihilfe- und -Wettbewerbsregelungen, Kollege Mann – da kann ich Sie beruhigen –, sondern sogar noch von der EU als mustergültig mit den European Broadband Award ausgezeichnet.
Die NÖ Glasfaserinfrastrukturgesellschaft – so heißt diese Landesgesellschaft – errichtet öffentliche Infrastruktur in Regionen, wo andere Anbieter kein Glasfasernetz bis zum Haushalt bauen. Dabei kommt es nicht auf die Schließung von Wirtschaftlichkeitslücken an, sondern es werden leistungsfähige Breitbandanschlüsse vor allem auch in ländlichen Regionen bereitgestellt, und davon hat Niederösterreich außerhalb des Wiener Speckgürtels viele. Die gebaute Infrastruktur verbleibt, ähnlich wie Straßen- und Wassernetze, im öffentlichen Eigentum, wird jedoch an Dritte vermietet, die den eigentlichen Netzzugang gegenüber Endkunden bereitstellen. Die öffentlichen Mittel fließen somit nicht als verlorene Zuschüsse an internationale Mobilfunkkonzerne, sondern mehren das öffentliche Vermögen, wobei die nöGIG ihrerseits Umsätze in Form von Pachtgebühren erwirtschaftet. Dadurch erhält die ganze Sache noch eine zusätzliche Dynamik.
Es lohnt sich in der Tat, darüber nachzudenken. Es geht auch nicht darum, das Aktuelle schlechtzureden, sondern es geht darum, sich die Frage zu stellen, wie es weitergeht. Sind wir auf die vor uns stehenden Herausforderungen vorbereitet oder nicht? Sich dann einfach hinzustellen und zu sagen, wir haben doch in den letzten Jahren
Fortschritte gemacht, das wird uns leider so nicht über den Berg helfen. Deshalb möchte ich Sie noch einmal auffordern: Stimmen Sie unserem Antrag zu.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich fast vermute, dass es vergebliche Liebesmüh ist, will ich zum Abschluss doch noch einige Worte sagen und für unseren Antrag werben, und ich will insbesondere zu den Ausführungen von Staatsminister Dulig noch einiges sagen.
Das hat mich tatsächlich insofern geärgert, Herr Staatsminister, weil das, was Sie hier gesagt haben, nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Selbstgefälligkeiten war. Wenn Sie hier sagen, wir seien Deutscher Meister und dergleichen, dann klingt das für mich ein kleines bisschen wie die Meldungen zur Planerfüllung aus der „Aktuellen Kamera“.
Nur war es eben auch damals so, dass das Erleben bei den Menschen eben ein anderes ist. Das müssen Sie tatsäch
lich auch zur Kenntnis nehmen. Ich habe keine Ahnung, wie Sie darauf kommen, dass wir hier in irgendeiner Art und Weise die Enteignung aller Telekommunikationsunternehmen gefordert haben – davon werden Sie darin nichts finden –, und wie Sie auf die Idee kommen, dass es grundgesetzwidrig sei, wenn wir Sie auffordern, sich auf Bundesebene für irgendetwas einzusetzen. Das ist doch absurd. Was haben Sie denn für ein Amtsverständnis?
Jetzt drehen Sie mir mal nicht die Worte im Mund herum.
Wenn Sie auf den Wettbewerb, auf die billigsten Anbieter und auf die billigsten Technologien setzen, dann machen Sie wieder genau den gleichen Fehler, den Sie am Anfang der Legislaturperiode schon gemacht haben, als Sie sich auch mit der Ausrede der Technologieneutralität zu Vectoring bekannt haben. Genau in die gleiche Falle laufen Sie hier erneut.
Wir wollten eigentlich mit unserem Antrag ein Zeichen setzen, gemeinsam nach vorn zu schauen und uns gemeinsam für die Aufgaben fit zu machen, die noch vor uns liegen und die wir auch beileibe noch nicht angegangen sind. Ich bitte Sie noch einmal darum, sehr geehrte Damen und Herren: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Es wäre tatsächlich gut für unser Land.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste man meinen, dass der Weg für junge Menschen in den Arbeitsmarkt inzwischen ein leichter sei. Wir sprechen in Sachsen beinahe von einer Vollbeschäftigung, in einzelnen Bereichen ist sogar von einem Fachkräftemangel die Rede. Die Zeiten, in denen auf eine Lehrstelle zehn oder mehr Bewerber kamen, sind für die Jugendlichen zum Glück vorbei.
Ist also alles in Butter? – Keineswegs. Nach wie vor beginnen viele junge Menschen keine Ausbildung oder brechen sie vorfristig ab. In Sachsen wird rund jede vierte Berufsausbildung vorzeitig beendet. Wir haben es bereits gehört: Die Gründe sind vielfältig. Sie reichen von einer gestiegenen Erwartungshaltung an den Ausbildungsbetrieb über falsche Vorstellungen vom Beruf bis zu persönlichen Schwierigkeiten der Jugendlichen. Ja, nicht jede abgebrochene Ausbildung endet in der Perspektivlosigkeit. Für einige ist sie auch der Beginn einer erfolgreichen Neuorientierung.
Dennoch bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass die Abbrecherquote im Freistaat genauso wie die Jugendarbeitslosigkeit deutlich über dem Bundesschnitt liegt. Nicht selten setzt sich ein Teufelskreis fort, der bereits früh begann. Wenn wir in Deutschland zu Recht immer wieder auf die Vorzüge und Stärken der Berufsausbildung und insbesondere des dualen Systems verweisen, dann hat diese starke Orientierung an formalen Abschlüssen viel stärker als beispielsweise in Großbritannien oder Nordamerika auch eine Kehrseite: ohne Schulabschluss keine Berufsausbildung, ohne Berufsausbildung kein Zugang zu guter Arbeit, ohne gute Arbeit keine Perspektive auf soziale Sicherheit. Das gilt zwar in ganz Deutschland, ist aber auch besonders ein sächsisches Thema. Zwar ist der Anteil von jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlässt, in den letzten Jahren leicht gesunken. Er liegt aber immer noch um rund ein Drittel über dem
bundesweiten Mittelwert. Das sind keine guten Voraussetzungen für den Start in das Berufsleben.
Oftmals summieren sich jedoch die Schwierigkeiten: kein Schulabschluss, private Probleme und dann auch verschiedene Einrichtungen und Rechtskreise, die für die Bewältigung der einzelnen Alltagsprobleme zuständig sind. Für die Berufsberatung ist es die Bundesagentur für Arbeit, für die psychologische Betreuung ist es die Jugendhilfe, und Arbeitslosengeld gibt es beim Jobcenter. Das sind unterschiedliche Akteure mit eigenen Regeln, eigenen Budgets und eigenen Angeboten. Es sind viele verschiedene Ansprechpartner. Da ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten.
Genau hier setzte 2010 das gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit initiierte Arbeitsbündnis „Jugend und Beruf“ an, das eine stärkere Verzahnung der vorhandenen Angebote und die Beratung unter einem Dach zum Ziel hatte, woraus letztlich auch die Jugendberufsagenturen entstanden sind. Hamburg war hier vor allen Dingen in qualitativer Sicht Vorreiter. Inzwischen existieren diese Agenturen in jedem Bundesland. Auch in Sachsen hat sich die Idee mittlerweile flächendeckend etabliert. Der Erzgebirgskreis war bis Ende letzten Jahres noch der letzte Nachzügler. Inzwischen haben aber alle Landkreise und kreisfreien Städte Mittel aus dem Förderprogramm „Jugendberufsagentur Sachsen“ beantragt und im Dezember seitens der SAB auch bewilligt bekommen. Wir hatten im letzten Doppelhaushalt die Mittel hierfür nochmals aufgestockt. Ich denke, das war parteiübergreifend nicht strittig.
Ebenso herrscht hier im Haus sicherlich Konsens darüber, dass es wichtig ist, auch die Schulen als Partner ins Boot zu holen, um einen gelungenen Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen und eine bessere Berufsorientierung zu ermöglichen. Mit Blick auf die konkrete Lage vor Ort bleibt jedoch die Erkenntnis, dass Art und Umfang der Verzahnung und bereichsübergreifenden Arbeit in den einzelnen Jugendberufsagenturen nach wie vor höchst unterschiedlich ist. Arbeiten sie doch in dezentraler Verantwortung, und es kommt auf die Handlungsbedarfe und vor allem auf die Kooperationsbereitschaft vor Ort an. Böse Zungen behaupten sogar, dass mancherorts bisher nicht mehr passiert ist, als das Türschild auszutauschen.
Darum ist es nicht falsch, wenn der Antrag an die landesweite Kooperationsvereinbarung zwischen der Staatsregierung, der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden von 2017 erinnert, um den flächendeckenden Aufbau und die Verstetigung der Jugendberufsagentur anzumahnen. Dabei hinterlässt es bei mir durchaus auch Fragen, wenn die Staatsregierung per Antrag zur weiteren Erfüllung von ihr bewusst herbeigeführter Vereinbarungen aufgefordert wird.
Viel wichtiger erscheint mir aus Sicht des Parlaments die regelmäßige Einbeziehung und Information der zuständigen Fachausschüsse bei der Umsetzung. Das wäre bereits
bei der Entstehung der Vereinbarung in meinen Augen der sinnvolle Weg gewesen.
So bleibt ein wenig der schale Beigeschmack, dass der Antrag zu den seitens der Staatsregierung bei den Koalitionsparteien bestellten Auftragswerken gehört, wofür sich der zuständige Minister artig bedanken kann, um dann zum Selbstlob anzusetzen.
Unabhängig davon halten wir das Ziel der Jugendberufsagenturen natürlich für richtig. Auch als LINKE wollen wir, dass sie flächendeckend im Freistaat arbeiten, und zwar nach einheitlichen Ansätzen. Von daher – und weil wir Eigenlob gönnen können – freuen wir uns schon auf die Ausführungen von Staatsminister Dulig und stimmen dem Antrag zu.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Danke, Herr Brünler. Jetzt folgt die AfD-Fraktion. Herr Beger, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben an dieser Stelle vor einem Monat den neuen Doppelhaushalt beschlossen. Dabei haben wir bis spät in die Nacht um Ausgaben gerungen. Die Haushaltsplanung umfasst jedoch auch eine zweite Seite: Das sind die geschätzten bzw. prognostizierten Einnahmen, die den möglichen Ausgaben zugrunde liegen. Da die sächsischen Pro-KopfSteuereinnahmen entgegen allen Jubelmeldungen seitens der Staatsregierung konstant weit unter dem deutschen Durchschnitt liegen, ist Sachsen auf Zuweisungen von außen angewiesen. Dies geschieht sowohl innerdeutsch über Bundesprogramme und den Länderfinanzausgleich als auch über die Bereitstellung von Geldern durch die EU.
Von den im aktuellen Doppelhaushalt eingeplanten Ausgaben werden jährlich fast 450 Millionen Euro über EU-Gelder finanziert. Schaut man sich den Einzelplan des Wirtschaftsministeriums an – Beispiele aus diesem Ressort wurden im Antrag namentlich aufgezählt –, so sprechen wir von fast 30 % des Gesamtbudgets. Beim Landwirtschaftsministerium sind es sogar noch mehr. Daher ist es auch im Interesse des Landes geboten, dass sich der Freistaat an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Förderprogramme hält.
Zusätzlich zu beachten ist der Artikel 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der grundsätzlich festschreibt, dass Beihilfen aus staatlichen Mitteln unzulässig sind, sofern sie zur einseitigen und wettbewerbsverzerrenden Begünstigung einzelner Unternehmen oder Produktionszweige führen, die sich wiederum marktverzerrend zwischen den Mitgliedsstaaten der EU auswirken würde. Und ja, in diesem Zusammenhang gab es in der Vergangenheit durchaus Differenzen zwischen Dresden und Brüssel bei der Wertung einzelner Sachverhalte, die letztlich auf dem Rechtsweg geklärt werden mussten. Die Ergebnisse waren dabei aus der Sicht des Freistaates durchwachsen. Das Grundproblem ist jedoch, dass es im Kern oftmals genau der Anlass von Subventionen ist, zu einem Ergebnis zu kommen, das durch freies Wirken der Marktkräfte nicht eintreten würde.
Nicht alle Beihilfeentscheidungen sind sinnvoll, aber die Praxis zeigt eben auch immer wieder, dass der freie Markt
nicht zwangsläufig zur Maximierung des Gemeinwohls führt.
Hier kommt nun die im Antrag benannte Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, AGVO, ins Spiel. Die AGVO erklärt bestimmte staatliche Beihilfemaßnahmen als mit dem Binnenmarkt vereinbar und stellt sie von der Anmeldungs- und Genehmigungspflicht frei.
Im Grunde ist sie also eine Art Ausnahmeregelung vom eigentlich festgeschriebenen Prinzip der strikten Marktneutralität und des Verbots von staatlichen Eingriffen. Oder anders formuliert: Die AGVO ist ein Eingeständnis der Europäischen Kommission, dass es sich bei der allumfassenden Deregulierung und Liberalisierung und dem hochgehaltenen Marktfetisch um nichts anderes handelt, als einen zum Glaubensbekenntnis überhöhten Fetisch. Ausnahmen werden in der AGVO inzwischen für zahlreiche Wirtschaftsfelder definiert. Das reicht von Investitionsbeihilfen für kleine und mittlere Unternehmen über Umweltschutzbeihilfen, Beihilfen für Forschung und Entwicklung bis hin zu Beihilfen für Breitbandinfrastrukturen. Dabei ist die Aufzählung wirklich nur exemplarisch und keineswegs vollständig.
Die Frage, die sich dann allerdings doch stellt, ist die, ob es sinnvoll ist, immer weitere Ausnahmetatbestände zu definieren und so das grundsätzliche Verbot marktbeeinflussender staatlicher Beihilfen zu unterminieren, oder ob man der Ehrlichkeit halber nicht doch über das Grundprinzip reden muss.
Aber zurück zur AGVO. Die Europäische Kommission ist hier der Antragstellerin unfreiwillig entgegengekommen, indem sie am 17. Mai 2017 neue Beihilfevorschriften genehmigt hat. Das war wenige Monate vor der Einreichung des vorliegenden Antrages, denn dieser ist inzwischen nicht mehr taufrisch, sondern im wahrsten Sinne des Wortes verjährt bzw. erledigt, wie die AfD-Fraktion bei der Einbringung selbst eingeräumt hat.
Allgemein ist es schon ein bemerkenswertes Kuriosum, dass die AfD dafür ist, wie erst vor wenigen Tagen in Riesa diskutiert, die EU abzuwickeln und gleichzeitig nach einer Optimierung europäischer Beihilfen ruft,
wobei die Betroffenen in der Regel nicht die von der AfD in der Einbringung benannten Kleinunternehmer sind – damit streuen Sie den Betroffenen Sand in die Augen bzw. lügen bewusst –, sondern die Beihilfen – das können Sie auch der Antwort der Staatsregierung entnehmen – richten sich im Wesentlichen an Großunternehmen bzw. Betreiber von Großinfrastrukturen.
Schauen wir uns kurz an, was vor fast zwei Jahren in Brüssel unter anderem beschlossen wurde. Danach sind inzwischen öffentliche Investitionen von bis zu
50 Millionen Euro in Binnenhäfen und in die Ausbaggerung von Zugangswasserstraßen ohne vorherige Kontrolle seitens der Kommission zulässig. Ebenso sind öffentliche Investitionen in Flughäfen mit rein regionaler Bedeutung
und maximal drei Millionen Passagieren mit voller Rechtssicherheit möglich.
Wenn man sich nun vor Augen führt, dass es immer wieder die großen öffentlichen Infrastruktureinrichtungen und staatlichen Beteiligungen waren und sind, an denen sich förderrechtliche Auseinandersetzungen festgemacht haben, wie eben die sächsischen Flughäfen, mag das für Sachsen auf den ersten Blick eine gute Entscheidung gewesen sein; aber eben nur auf den ersten Blick. Daran ändert auch eine weitere Optimierung der AGVO im sächsischen Sinne nichts. Besonders in diesen Fällen liegen die Aufgaben oftmals beim Freistaat. Die EU hat hierbei lediglich klargestellt, dass es sich in ihren Augen um Kleinbeihilfen handelt, die im gesamteuropäischen Rahmen keine große Rolle spielen. Über ihre Sinnhaftigkeit im Einzelfall sagt das nichts.
Im Haushalts- und Finanzausschuss stellen CDU und SPD allerdings regelrechte Verrenkungen an, um zu verhindern, dass sich der Landtag mit der Beteiligung des Freistaates befasst. Geredet wird allenfalls, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Vor diesen Hintergründen befürchte ich, dass auch solche rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen von der Koalition als weiteres Argument missbraucht werden, um nicht über die strategische Ausrichtung und Bedeutung von Landesbeteiligungen zu sprechen. Das ist aber nicht die Schuld einer Verordnung der EU, sondern der Unwilligkeit der Koalition. Um das zu beheben, muss niemand Brüssel die Schuld in die Schuhe schieben, das müssen wir selbst tun.
Vielen Dank.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Für die SPD-Fraktion erhält nun Herr Kollege Baum das Wort. Bitte, Herr Baum.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen immer wieder darüber, dass die sächsische Wirtschaft sehr kleinteilig strukturiert ist. Nun ist zwar immer wieder zu hören, der Mittelstand sei der Motor der deutschen Wirtschaft. Das stimmt ja auch. Nur, was aus sächsischer Perspektive dabei gern vergessen wird, ist, dass als Paradebeispiele oft Unternehmen herhalten müssen, die 250 und mehr Mitarbeiter haben und deren Umsatz sich im mittleren zweistelligen Millionenbereich befindet.
Mittelstand ist eben nicht gleich Mittelstand; denn von den 165 000 in Sachsen gemeldeten Unternehmen haben nur rund 600 Unternehmen mehr als 250 Mitarbeiter. Davon ist – und das wird sicherlich hier manche überraschen – der größte Teil, nämlich ein Drittel, im Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich tätig. Gleichzeitig haben rund 90 % der sächsischen Unternehmen weniger als zehn Mitarbeiter. Bei 120 000 von ihnen handelt es sich um Solo-Selbstständige. Das wiederum sind in ihrer Mehrzahl weder Freiberufler noch neu gegründete Start-ups. Den größten Teil stellen dabei vielmehr Bau und Handwerk. Das – Kollege Heidan, dies gebe ich zu bedenken – könnte durchaus auch ein Grund für die hohe Dichte an Handwerksbetrieben im Freistaat Sachsen sein.
So gibt auch die steigende Exportquote, die der Großen Anfrage zu entnehmen ist, bei ungenauer Betrachtung nur ein verzerrtes Bild der internationalen Verflechtung der sächsischen Wirtschaft wieder, entfällt doch rund die Hälfte der Ausfuhren auf den Fahrzeugbau, der hier im Detail gemeint ist und den Löwenanteil trägt. Das dürfte jedem klar sein.
Die sächsische Wirtschaft ist in weiten Teilen weniger mittelständisch, sondern vor allem durch Klein- und Kleinstunternehmen geprägt. Ein Großteil von ihnen ist fast ausschließlich am lokalen Markt ausgerichtet. Damit schließt sich übrigens auch der Kreis zu unserer gestrigen
Mindestlohndebatte; denn ohne Kaufkraft gibt es auch keinen lokalen Absatzmarkt.
Ich habe diese Fakten zu Anfang noch einmal dargestellt, da solche eine Wirtschaftsstruktur auch volkswirtschaftliche Folgen hat. Verstehen Sie mich nicht falsch, meine Damen und Herren! Ich habe keinen Zweifel daran, dass man auch in sächsischen Unternehmen weiß, wie der Hase läuft, dass sächsische Tüftler geniale Ideen haben, dass unsere Pflegekräfte und Handwerker jeden Tag ihr Bestes geben und auch die vielen von mir beschriebenen Solo-Selbstständigen ebenso wie die abhängig Beschäftigten mit Herzblut bei der Sache sind. Und, Kollege Heidan, jetzt halten Sie sich fest: Auch wir wissen, dass Wohlstand erarbeitet werden muss.
Genau darum ist es, zumindest in meinen Augen, eine gute Nachricht, wenn wir unserer Großen Anfrage entnehmen können, dass die sächsischen Unternehmen in den letzten Jahren gewachsen sind.
Das ist strukturell alles andere als unbedeutend. Diese Entwicklung geht nur sehr langsam voran. Nun sind zwar kleine Betriebe nicht per se schlecht und große per se gut, aber volkswirtschaftlich lässt sich doch beobachten, dass größere Unternehmen oftmals Marktrisiken besser abfedern können, dass sie eher Kapazitäten für Ausbildung und für Forschung und Entwicklung haben und wirtschaftliche Skaleneffekte nutzen können.
So ist diese Struktur auch eine logische Erklärung dafür, dass die Umsatzrendite im Freistaat nach aktuellen Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Das ist stabil und seit Jahren so. Das hat Folgen auch an Stellen, wo man es auf den ersten Blick vielleicht nicht vermutet. Das hat Folgen für den Handlungsspielraum des Freistaates. Ich erinnere an die Steuereinnahmen, die seit Jahren – obwohl sie gestiegen sind – nicht dem Ansatz an das westdeutsche Durchschnittsniveau aufschließen und deutlich unter dem Bundesschnitt liegen. Das, meine Damen und Herren, hat auch Folgen für die Unternehmen selbst.
Sachsen ist nach Analyse der KfW gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt Schlusslicht beim Potenzial der einheimischen Wirtschaft, neue Investitionen mit Eigenkapital zu finanzieren. Auch das ist kein einmaliger Ausrutscher. Dafür sind sächsische Betriebe häufiger auf Bankkredite angewiesen, und Sachsen hat noch eine Besonderheit: 12 % des im letzten Jahr im Freistaat von Unternehmen getätigten Investitionsvolumens wurde über Fördermittel finanziert. Davon gingen zwar beileibe nicht alle Mittel an KMU, aber dennoch macht dieser Spitzenwert deutlich, welche Bedeutung die Förderlandschaft für die einheimische Wirtschaft hat. Das ist ein Bereich, in dem wir die strukturelle Entwicklung beeinflussen und befördern können.
Nun hat der letzte Woche veröffentliche deutsche StartupMonitor des Bundesverbandes Deutsche Start-ups ergeben, dass die sächsische Start-up-Förderung mit der
Schulnote 3,1 bewertet wurde. Der Wirtschaftsminister hat postwendend betont, dass es deutschlandweit der zweite Platz sei. Meine Kollegin Neuhaus-Wartenberg hat vorhin darauf hingewiesen, dass das nicht mehr als gerade befriedigend und offenkundig noch Spiel nach oben ist, um tatsächlich gut zu werden. Recht haben beide. Aber egal, wie wir es nun werten wollen: Was folgt eigentlich daraus? Wir fördern im Freistaat ja nicht nur Start-ups. Wir fördern ja – ohne es despektierlich zu meinen – alles Mögliche.
Auch wir als LINKE haben uns dazu im Grundsatz immer bekannt und werden es im Rahmen der Haushaltsverhandlungen auch wieder tun. Wir müssen uns aber auch fragen, ob die Art und Weise der Förderung in jedem Fall sinnvoll und zielführend ist.
Nach Darstellung des Finanzministeriums vom Frühjahr dieses Jahres wurde eine Kommission zur Vereinfachung und Verbesserung von Förderverfahren berufen. Ihr Hauptaugenmerk soll allerdings – gerade nach Kritik von kommunaler Seite – insbesondere auf Förderverfahren liegen, deren Adressaten öffentliche bzw. kommunale Empfänger sind. Warum eigentlich? Es gibt noch mehr Programme.
Allein im Verantwortungsbereich des SMWA gibt es rund 50 aktuelle Förderrichtlinien. Wenn Sie, Kollege Baum, diese Vielfalt loben, dann gibt es aber auch eine zweite Seite. Diese Richtlinien sind zum Teil hochspezifisch, zum Teil sogar so spezifisch, dass nach Auskunft auf eine Kleine Anfrage bis zum Sommer dieses Jahres für einzelne Programme nicht einmal ein einziger Antrag vorlag. So schön nicht abgerufene Fördergelder für den Finanzminister sind – unser Ziel als Haushaltsgesetzgeber sollte aber sein, dass die von uns im Haushalt zur Wirtschaftsförderung vorgesehenen Gelder auch dort ankommen und das von uns beabsichtigte Ziel erreichen.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen diese 50 Programme überhaupt aufzählen und inhaltlich umreißen könnte. Ich gebe zu, ich kann es nicht aus dem Kopf, und mit großer Sicherheit könnten auch der Wirtschafts- oder der Finanzminister hier spontan keinen kompletten Überblick liefern. Das Problem ist nur, das es den Adressaten in der Wirtschaft zum Teil ähnlich geht. Zumindest kleine Betriebe haben oftmals gar keine Zeit, sich durch den Dschungel an Förderrichtlinien zu kämpfen. Hat man doch das geeignete Programm gefunden, ist noch lange nicht sicher, dass man im Förderverfahren nichts übersehen hat und nicht an der Antragsbürokratie scheitert oder Rückforderungen ins Haus stehen.
Erst vor 14 Tagen war das in einer Diskussionsrunde mit Meistern in der Chemnitzer Handwerkskammer wieder Thema. Besonders kleine und eher kapitalschwache Unternehmen haben Scheu, sich auf das Wagnis Förderung – und das ist es in ihren Augen – einzulassen. Das ist praktische Realität. Dabei haben wir von den Bearbeitungszeiten noch gar nicht gesprochen.
Dass die Förderrichtlinien so aussehen, wie sie aussehen, ist zum Teil hausgemacht, da jede denkbare Konstellation
im Ausschlussverfahren in der Richtlinie geregelt ist. Zum Teil hat sie ihre Ursachen aber auch in der Finanzierungsstruktur. Nun kann man sich zwar für Sparsamkeit feiern, wenn man beinahe immer auf eine Kofinanzierung durch EU- oder Bundesmittel setzt, die Kehrseite ist aber, dass man damit auch Vorgaben hinsichtlich der Mittelbindung umsetzen muss. Selbst dort, wo diese Vorgaben sehr weit gefasst sind, wird mit landesspezifischen Ergänzungen in Bezug auf Verwendung und Nachweisführung die Richtlinie in einigen Fällen wieder bürokratisiert.
Vor diesem Hintergrund haben wir Ihnen heute zu unserer Großen Anfrage den Entschließungsantrag zur Evaluierung unserer sächsischen Förderlandschaft vorgelegt, den ich hiermit gleichzeitig eingebracht habe.
Lassen Sie uns gemeinsam die vorhandene Förderlandschaft evaluieren, vereinfachen und offener gestalten. Sorgen wir dafür, dass gerade kapitalschwache, kleine und mittlere Unternehmen von dem Programm profitieren.
Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich noch gut an den Anfang dieser Legislaturperiode erinnern, als über allen Fragen, die die Personalausstattung des Freistaates betrafen, die von der Koalition damals neu eingesetzte Kommission zur umfassenden Evaluation der Aufgaben, Personal- und Sachausstattung, kurz Personalkommission, schwebte. Alle Vorstöße der Opposition, endlich ein zukunftssicheres Personalkonzept für den Freistaat vorzulegen, wurden mit Verweis auf die Ergebnisse ebenjener Kommission abgebügelt.
Nun gebe ich zu, ich zumindest war damals noch so naiv zu glauben, dass zumindest die SPD sich dieses Themas in der Regierung entschlossen annehmen wird
und dass es tatsächlich Ergebnisse gibt,
die dann transparent und konsequent in praktisches Regierungshandeln münden.
Es gab ja auch Grund zu der Annahme, hatte doch die SPD in der letzten Legislaturperiode noch mit uns gemeinsam eine umfangreiche Anfrage mit dem Titel „Die Zukunft des öffentlichen Dienstes“ vorgelegt.
Allein, passiert ist, gemessen am ursprünglichen Anspruch, herzlich wenig bis nichts. Wenn der stellvertretende Ministerpräsident Dulig gestern meinte, dass der entscheidende Unterschied sei, dass die Opposition immer nur fordere, während die Regierung handle, haben wir hier ein Paradebeispiel, wo man hinsichtlich der praktischen Umsetzung der eigenen Forderungen inzwischen offenkundig längst die Segel gestrichen hat. Stattdessen ereilt uns nun ein Personalanalysegesetz, das im Kern die Runde noch einmal von vorne dreht. Hat die Staatskanzlei tatsächlich noch immer keine Ahnung, wie es um die
Personalsituation in ihren Ministerien und der Landesverwaltung steht? Das ist ein Armutszeugnis.
Der Freistaat laboriert doch in Wahrheit noch immer daran, dass die CDU-geführten Landesregierungen unter Personalentwicklung über Jahre hinweg lediglich ein konsequentes Stellenabbauprogramm verstanden haben. Ich erinnere nur an die in der letzten Legislatur vom damaligen Ministerpräsidenten Tillich ausgerufene
Zielmarke von 70 000 Bediensteten, die im Kern ohne jegliche Aufgabenkritik durchgezogen werden sollte. Zwar ist der blinde Personalabbau derzeit gestoppt, aber ein Personalkonzept ist trotzdem nicht in Sicht. So ist es zwar richtig, dass die Stellenpläne in den Haushaltsentwürfen die aktuelle Realität inzwischen zumindest hinsichtlich der Istsituation realitätstreuer abbilden. Aber ein langfristig ausgerichteter und mit Aufgabenfeldern untersetzter Ansatz existiert offenkundig nicht.
Ich fürchte, dass es eben leider keine Besonderheit des SMWA war, dass man auch auf wiederholte Nachfrage im Zuge der aktuellen Haushaltsverhandlungen nicht in der Lage war, die beantragten Stellen mit einer zumindest groben Organisationsstruktur und Aufgabenverteilung zu untersetzen. Stattdessen wurde auf das Organigramm auf der Homepage und die Kernkompetenz des Ministeriums verwiesen. Wenn man aber nicht einmal in groben Zügen darstellen kann, was man eigentlich mit dem vorhandenen Personal an Aufgaben bewältigen will, dann spricht das Bände. Womöglich ist das ein Einzelfall, aber offenkundig doch symptomatisch.
Wie in der Stellungnahme zu Ziffer II.1 des Antrages seitens der Staatsregierung mitgeteilt wird, hat man sich nun immerhin schon mal ein Handbuch zugelegt, mit dessen Hilfe man sich einheitliche Standards erarbeiten wird, wonach dann tatsächlich in Zukunft eine Aufgabenanalyse durchgeführt werden soll. Was war eigentlich noch einmal die Aufgabe der Kommission zur umfassenden Evaluation der Aufgaben, Personal- und Sachausstattung? Nur noch einmal kurz zur Erinnerung. Der Abschlussbericht dieser Kommission lag bereits Anfang 2016 vor. Jedoch wurden die Ergebnisse weitestgehend ignoriert. Stattdessen ging der Personalabbau in jenen Teilen der Staatsverwaltung weiter, die nicht wie Lehrerschaft und Polizei im öffentlichen Fokus stehen, sodass die mittelfristige Handlungsfähigkeit auch mit Hinblick auf die Altersstruktur in Teilen akut gefährdet ist. Der zwischenzeitlich eingeführte Demografiepool, der nun auf 150 Stellen aufgestockt werden soll, ermöglicht zwar Feuerwehreinsätze, hat mit einer langfristigen Personalpolitik aber nichts zu tun.
Herr Kollege Löffler, ich muss zugeben, dass ich Ihnen zugehört habe, aber es fiel mir schwer, Ihnen zu folgen. Das, was Sie ausgeführt haben, hat mich unterm Strich mehr verstört als tatsächlich beruhigt.